Ein Bierseidel von Busch Rathenow - Mikroskopiker stellen ihr Mikroskop vor

Begonnen von Florian Stellmacher, August 07, 2011, 14:33:56 NACHMITTAGS

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Florian Stellmacher

Liebe Freunde historischer Mikroskope!

Wenn man das Wort "Bierseidel" oder "jug handle" in Zusammenhang mit dem Begriff "Mikroskop" hört, wird man wohl zuerst an das wunderbare Zeiss-Ic-Stativ mit dem von Berger 1898 eingeführten Feintrieb denken [1]. Aber auch andere Firmen haben "Bierseidel"-Stative mit dem praktischen Griff am Stativrücken hergestellt, ich besitze neben dem Zeiss-Stativ ein entsprechendes Mikroskop von C. Reichert/Wien und eins von E. Busch/Rathenow. Letzteres möchte ich hier kurz vorstellen.

Die Firma Busch in Rathenow ist Nachfolgerin der Firma Duncker und Vorgängerin der ROW bzw. eines Teils des VEB Kombinat Carl Zeiss Jena und lebt heute noch in der Firma Askania fort.
Der 1767 geborene Pfarrerssohn Johann Heinrich August Duncker erwarb sich neben seinem Theologiestudium theoretische und praktische Kenntnisse in der Optik. Da das Einkommen als Pfarrvikar recht bescheiden war, begann Duncker mit dem Bau von Mikroskopen, die er verkaufte. Diese wurden von ihm aus Holz auf einer Drehbank gefertigt und mit gepröbelten, also durch Ausprobieren unterschiedlicher Krümmungsradien und Zusammenstellungen erstellten Optiken bestückt. Er fertigte wohl nur ein paar Dutzend Mikroskope an, eines davon ist im Industriemuseum im Kulturhaus der Stadt Rathenow zu bewundern:



Das seit 1772 bestehende preußische Einfuhrverbot für ausländische Brillen, die bislang aus Frankreich und England importiert wurden, machte aufgrund der pessimalen Qualität inländischer Erzeugnisse die Gründung einer neunen Brillenschleiferei erforderlich, die Brillengläser in hochwertiger Qualität liefern konnte. Duncker konnte diese Brillen herstellen, hierzu entwickelte er später seine Vielschleifmaschine, die ebenfalls im Rathenower Musum ausgestellt ist. Hierdurch wurde sein Nebenerwerb zu seinem Beruf und Duncker gründete so zusammen mit seinem Finanzier Christoph Wagner 1801 die Optische Industrieanstalt in Rathenow. Der Firmengründer Johann Heinrich August Duncker übergab aus Gesundheitsgünden bereits 1819 die Firma an seinen Sohn Eduard, der die Firma 1845 an seinen 1820 geborenen Neffen Emil Busch weitergab. Dieser rationalisierte die Fertigungsmehtoden z.B. durch Einführung der Dampfmaschine, passte das Design der Produkte dem französisch geprägten Zeitgeschmack an und organiserte den Vertrieb. Somit war die Firma Busch bereits etabliert, als Zeiss und Leitz ihre ersten Produkte auf den Markt brachten. [2,3,4] Die Firma Busch erlosch mit Ende des zweiten Weltkrieges. Sie ging zusammen mit der Firma Nitschke & Günther gemeinsam in den Rathenower Optischen Werken auf [5]. 1963 wurde ROW in das VEB Kombinat Carl Zeiss Jena integriert [6].



Leider verfüge ich über keine genaueren Informationen zur Firma Busch, vor allem besitze ich keine Preislisten, aus denen die Namen der Mikroskopmodelle oder ihr Baujahr hervorgehen. Entsprechend schwierig ist es für mich, mein Busch-Bierseidel zu datieren. Die Mode der Stative mit Henkel hat sich über eine gewisse Zeit gehalten und hat in neurerer Zeit eine Renaissance erfahren (sogar mein Dienst-Axioskop 40 hat einen!). Mir ist aber auch aufgefallen, dass z.B. der Knopf des Feintriebes meines Busch-Bierseidels in identischer Bauart auch an Busch-Stativen aus den 20er Jahren verbaut wurde, sodass ich nicht sagen kann, ob mein Mikroskop von 1900 oder 1930 stammt! Vielleicht weiß hier ja jemand mehr? Das Mikroskop ist als großes Stativ mit Dreifachrevolver und Kreuzobjektfüherer ausgestattet; hierbei findet sich ein Kuriosum: Der Revolver ist an einem Arm mit "Zeiss" und an einem anderen Arm mit "Jena" graviert, ebeso trägt der Objektführer das Zeiss-Logo! Die Befestigung des Objektführers am Stativ ist jedoch so exakt passend gearbeitet, dass ich davon ausgehe, dass dieses Teil für das Busch-Stativ konstruiert aber von Zeiss als Zulieferer gefertigt wurde! Welche Ironie, wenn man die jüngere Geschichte dieser Firma bedenkt, die zuletzt neben Stereomikroskopen nur die Kursmkroskope im CZJ-VEB fertigen durfte. So gut der Objektführer auch an das Stativ passt, so schlecht passt das Mikroskop mit dem montierten Objektfüher in seinen Eichenkasten - die Halteschraube muss vorher gelöst werden, sonst geht das Mikroskop nicht in seinen Kasten.
Das Mikroskop selbst ist sehr exakt gebaut und arbeitet auch heute noch absolut spielfrei. Ausgerüstet ist es mit den Originalobjektiven 2, 3 und 1/12 Immersion, dazu drei numerierte Okulare von Busch. Die geschwungene Gravur "Busch" ist fast ein wenig modern. Gekauft habe ich das Mikroskop nicht anonym über Ebay oder auf einem Flohmarkt, sondern es stand in meinem herrlich vollgestopften Lieblingsantiquariat - auch das Kauferlebnis kann zur Freude an einem historischen Mikroskop beitragen!









Herzliche Grüße,
Florian


[1] Spitta E.: Microscopy, London 1920, S31ff
[2] 775 Jahre Rathenow, Berlin 1991, S. 27ff
[3] Gerlach D.: Geschichte der Mikroskopie, S. 258 f
[4] Bracegirdle, B.: Notes on Modern Microscope Manufacturers, S. 19
[5] 775 Jahre Rathenow, Berlin 1991, S. 60
[6] Mühlfriedel W. und Hellmuth E.: Carl Zeiss Jena 1945 - 1990 [entspr. Bd. 3) S. 183
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

Manfred Melcher

Hallo Florian,

es ist schön, dass Du uns an Deinen Schätzen teilhaben lässt. Die Firma Busch war mir als Mikroskophersteller bisher unbekannt. Ich kenne die Firma nur als ehemaligen Brillenglashersteller.




Liebe Grüße
Manfred

Florian Stellmacher

Lieber Manfred,

vielen Dank - gerne würde ich mehr über Mikroskope von anderen lesen!

Das ist ja ein buntes Bild mit all den verschiedenen Brillenglastütchen! Sammelst Du Brillengläser?

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

Dünnschliffbohrer

Lieber Florian,
ich glaube nicht, dass der Objektführer und der Revolver ein Beweis für eine engere Kooperation zwischen Zeiss und Busch sind, obwohl die beiden Firmen ja durchaus freundschaftliche Beziehungen gepflegt haben sollen. Ich selbst habe ein Mikroskop von Otto Seibert, welches auch mit einem Zeiss-Objektführer ausgestattet ist. Offenbar hat man damals einfach mehr Wert auf firmenübergreifende Normung gelegt, und die Anwender haben wohl das zusamengeschraubt, was gerade am besten und am günstigsten verfügbar war.
An Manfred: die haben nicht nur Brillengläser, sondern auch viel Fernoptik, z.B. Feldstecher (und Militäroptik, z.B. Flakgläser, heute als Kometensucher von Hobby-Astronomen verwendet)  gebaut, was der Firma dann 1945 von den Alliierten übel genommen wurde und zur Auflösung führte. - Db.
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

Florian Stellmacher

Lieber Dünnschliffbohrer,

bei dem Revolver, der ein RMS-Gewinde hat, sehe ich das auch so, der Objektführer istallerdings genau auf Passung gearbeitet; der passt an kein anderes Mikroskop!

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

Manfred Melcher

Lieber Florian,

in den Tüten stecken auch noch die zugehörigen Brillengläser. Die Gläser stammen noch aus dem Nachlaß meines Vaters, der auch wie ich Augenoptiker war.

Lieber Dünnschliffbohrer,

obwohl selbst Hobby-Astronom, sind mir die Kometensucher von Busch unbekannt. Vielen Dank für den Hinweis.

Liebe Grüße
Manfred

Dünnschliffbohrer

Hallo Manfred,
Busch hat zwar auch richtige Astro-Fernrohre gebaut, die selten mal in der Bucht auftauchen und dann als Sammlerstücke für unerschwinglich viel weggehen. Mein Hinweis bezog sich ber auf spezielle Flak-Gläser, ähnlich russischen Modellen, die sich entsprechend dem ursprünglichen Verwendungszweck wohl gut für astronomische Übersichtsbeobachtungen bei hoher Lichtstärke zweckentfremden lassen. Hab aber selber keins, und auch keine eigenen praktischen Erfahrungen damit. - Db.
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]