Liebe Freunde historischer Mikroskope!
Wenn man das Wort "Bierseidel" oder "jug handle" in Zusammenhang mit dem Begriff "Mikroskop" hört, wird man wohl zuerst an das wunderbare Zeiss-Ic-Stativ mit dem von Berger 1898 eingeführten Feintrieb denken [1]. Aber auch andere Firmen haben "Bierseidel"-Stative mit dem praktischen Griff am Stativrücken hergestellt, ich besitze neben dem Zeiss-Stativ ein entsprechendes Mikroskop von C. Reichert/Wien und eins von E. Busch/Rathenow. Letzteres möchte ich hier kurz vorstellen.
Die
Firma Busch in Rathenow ist Nachfolgerin der Firma Duncker und Vorgängerin der ROW bzw. eines Teils des VEB Kombinat Carl Zeiss Jena und lebt heute noch in der Firma Askania fort.
Der 1767 geborene Pfarrerssohn Johann Heinrich August Duncker erwarb sich neben seinem Theologiestudium theoretische und praktische Kenntnisse in der Optik. Da das Einkommen als Pfarrvikar recht bescheiden war, begann Duncker mit dem Bau von Mikroskopen, die er verkaufte. Diese wurden von ihm aus Holz auf einer Drehbank gefertigt und mit gepröbelten, also durch Ausprobieren unterschiedlicher Krümmungsradien und Zusammenstellungen erstellten Optiken bestückt. Er fertigte wohl nur ein paar Dutzend Mikroskope an, eines davon ist im Industriemuseum im Kulturhaus der Stadt Rathenow zu bewundern:

Das seit 1772 bestehende preußische Einfuhrverbot für ausländische Brillen, die bislang aus Frankreich und England importiert wurden, machte aufgrund der pessimalen Qualität inländischer Erzeugnisse die Gründung einer neunen Brillenschleiferei erforderlich, die Brillengläser in hochwertiger Qualität liefern konnte. Duncker konnte diese Brillen herstellen, hierzu entwickelte er später seine Vielschleifmaschine, die ebenfalls im Rathenower Musum ausgestellt ist. Hierdurch wurde sein Nebenerwerb zu seinem Beruf und Duncker gründete so zusammen mit seinem Finanzier Christoph Wagner 1801 die Optische Industrieanstalt in Rathenow. Der Firmengründer Johann Heinrich August Duncker übergab aus Gesundheitsgünden bereits 1819 die Firma an seinen Sohn Eduard, der die Firma 1845 an seinen 1820 geborenen Neffen Emil Busch weitergab. Dieser rationalisierte die Fertigungsmehtoden z.B. durch Einführung der Dampfmaschine, passte das Design der Produkte dem französisch geprägten Zeitgeschmack an und organiserte den Vertrieb. Somit war die Firma Busch bereits etabliert, als Zeiss und Leitz ihre ersten Produkte auf den Markt brachten. [2,3,4] Die Firma Busch erlosch mit Ende des zweiten Weltkrieges. Sie ging zusammen mit der Firma Nitschke & Günther gemeinsam in den Rathenower Optischen Werken auf [5]. 1963 wurde ROW in das VEB Kombinat Carl Zeiss Jena integriert [6].

Leider verfüge ich über keine genaueren Informationen zur Firma Busch, vor allem besitze ich keine Preislisten, aus denen die Namen der Mikroskopmodelle oder ihr Baujahr hervorgehen. Entsprechend schwierig ist es für mich, mein Busch-Bierseidel zu datieren. Die Mode der Stative mit Henkel hat sich über eine gewisse Zeit gehalten und hat in neurerer Zeit eine Renaissance erfahren (sogar mein Dienst-Axioskop 40 hat einen!). Mir ist aber auch aufgefallen, dass z.B. der Knopf des Feintriebes meines Busch-Bierseidels in identischer Bauart auch an Busch-Stativen aus den 20er Jahren verbaut wurde, sodass ich nicht sagen kann, ob mein Mikroskop von 1900 oder 1930 stammt! Vielleicht weiß hier ja jemand mehr? Das Mikroskop ist als großes Stativ mit Dreifachrevolver und Kreuzobjektfüherer ausgestattet; hierbei findet sich ein Kuriosum: Der Revolver ist an einem Arm mit "Zeiss" und an einem anderen Arm mit "Jena" graviert, ebeso trägt der Objektführer das Zeiss-Logo! Die Befestigung des Objektführers am Stativ ist jedoch so exakt passend gearbeitet, dass ich davon ausgehe, dass dieses Teil für das Busch-Stativ konstruiert aber von Zeiss als Zulieferer gefertigt wurde! Welche Ironie, wenn man die jüngere Geschichte dieser Firma bedenkt, die zuletzt neben Stereomikroskopen nur die Kursmkroskope im CZJ-VEB fertigen durfte. So gut der Objektführer auch an das Stativ passt, so schlecht passt das Mikroskop mit dem montierten Objektfüher in seinen Eichenkasten - die Halteschraube muss vorher gelöst werden, sonst geht das Mikroskop nicht in seinen Kasten.
Das Mikroskop selbst ist sehr exakt gebaut und arbeitet auch heute noch absolut spielfrei. Ausgerüstet ist es mit den Originalobjektiven 2, 3 und 1/12 Immersion, dazu drei numerierte Okulare von Busch. Die geschwungene Gravur "Busch" ist fast ein wenig modern. Gekauft habe ich das Mikroskop nicht anonym über Ebay oder auf einem Flohmarkt, sondern es stand in meinem herrlich vollgestopften Lieblingsantiquariat - auch das Kauferlebnis kann zur Freude an einem historischen Mikroskop beitragen!




Herzliche Grüße,
Florian
[1] Spitta E.: Microscopy, London 1920, S31ff
[2] 775 Jahre Rathenow, Berlin 1991, S. 27ff
[3] Gerlach D.: Geschichte der Mikroskopie, S. 258 f
[4] Bracegirdle, B.: Notes on Modern Microscope Manufacturers, S. 19
[5] 775 Jahre Rathenow, Berlin 1991, S. 60
[6] Mühlfriedel W. und Hellmuth E.: Carl Zeiss Jena 1945 - 1990 [entspr. Bd. 3) S. 183