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Foren => Mikrofoto-Forum => Thema gestartet von: Michael Müller in Juli 27, 2020, 16:23:49 NACHMITTAGS

Titel: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Müller in Juli 27, 2020, 16:23:49 NACHMITTAGS

Hallo in die Runde,

der Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai (ehemals Chaetonotus zelinkai) ist einer der häufigsten und beeindruckendsten Süsswasser-Gastrotrichen und wurde bereits mehrmals in diesem Forum gezeigt. Einige der weltweit besten Fotos dieses schönen Tieres hat z.B. Michael Plewka bereits von 10 Jahren hier vorgestellt: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=6267.0 (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=6267.0)

In meinen Mikroaquarien ist L. zelinkai immer wieder anzutreffen und fühlt sich dort im Allgemeinen so wohl, dass es meist zur Fortpflanzung kommt. Dabei fiel mir immer wieder auf, dass die Eier von L. zelinkai nahezu immer mit einer Detritus-Hülle umgeben sind:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/280144_49212206.jpg)
Bild 1: L. Zelinkai; Ei

Vor einiger Zeit habe ich hier bereits die Brutpflege bei dem Bauchhärling Chaetonotus cordiformis vorgestellt ( https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=35018.0 (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=35018.0) ). Auch bei dieser Art wurden die Eier von der Mutter mit einem Detritus-Mantel versehen und ich äußerte bereits in diesem Beitrag den Verdacht, dass bei L. zelinkai ein ähnliche Brutverhalten vorliegen könnte. Jetzt ist es mir endlich gelungen, die Eiablage und die Brutpflege auch von diesem Bauchhärling zu filmen.

Die Ablage des vergleichsweise riesigen Eis ist bei L. zelinkai (und bei den anderen Bauchhärlingen) nur möglich, weil das Ei vor der Eiablage sehr flexibel ist:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/280144_40256670.jpg)
Bild 2: L. zelinkai; Eiablage

Das Ei wird durch einen sehr kleinen ventralen/lateralen Oviporus gepresst, der ansonsten mikroskopisch nicht sichtbar ist und der meines Wissens auch elektronenmikroskopisch noch nie nachgewiesen wurde. Symmetrie vorausgesetzt, sollte auch auf der anderen Seite des Tieres eine entsprechende Öffnung bestehen.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/280144_26765710.jpg)
Bild 3: L. zelinkai; ventrolateraler Oviporus

Nach der Eiablage beginnt die Mutter sofort Detritusflocken in der Eiumgebung mit ihrem Pharynx aufzunehmen ohne diese in den Darm zu befördern. Diese Flocken werden dann zurück zum Ei gebracht, auf die Hülle gespuckt und dort sorgfältig verteilt bis das gesamte Ei halbkugelförmig mit Detritus bedeckt ist. Möglicherweise soll hierdurch das Ei (chemisch) getarnt werden um Fressfeinde (z.B. Amöben) zu täuschen.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/280144_39564799.jpg)
Bild 3: L. zelinkai; Dekoration des Eis mit Detritus; Pfeilspitze weist auf Polkörper

Der gesamte Film (ca. 9 min) kann hier angesehen werden (zum Starten auf das Bild klicken!):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/280144_20538874.jpg) (https://www.youtube.com/watch?v=KHUb27112hY)
Bild 4: L. zelinkai; Video des Brutverhaltens

Interessant finde ich auch bei ca. 5 min die Bildung des Polkörpers des Eies. Diese kleine Zelle, die während der späteren Embryonalentwicklung aufgelöst wird, entsteht bei einer stark unsymmetrischen Teilung der Eizelle. Dabei wird die erste somatische Zelle des Tieres gebildet. Der Zweck dieser anfänglichen - anscheinend nutzlosen - Teilung ist mir unklar. Ist die Entstehung eines Polkörpers nur durch Meiose erklärbar oder kennt jemand sowas auch bei einer mitotischen Teilung?

L. zelinkai ist bereits der zweite Gastrotrich, bei dem ich eine Brutpflege beobachten konnte. Möglicherweise ist dieses Verhalten bei Gastrotrichen also häufiger als gedacht!
Ich finde dieses Verhaltensmuster bei so kleinen Tieren sehr erstaunlich. Nicht nur, dass das Tier Material aufnimmt und damit das Ei tarnt - das Tier muss auch eine "innere Landkarte" besitzen, um das Ei problemlos wiederzufinden. Ich glaube nicht, dass es bei all unserer "KI-Hybris" möglich wäre, einen Roboter zu bauen, der eine solche Leistung in jeder Umgebung erbringen könnte - schon gar nicht mit einer Größe von 250µm!

Viele Grüße

Michael
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: limno in Juli 27, 2020, 18:03:14 NACHMITTAGS
Hallo Michael,
ein wunderbares Video!  8) Danke! Ich werde es mal mit dem vorherigen mit der anderen Art vergleichen!
Bauchpinselnde Grüße von
Heinrich
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: M Beier in Juli 28, 2020, 13:39:02 NACHMITTAGS
Hallo Michael,
gratuliere zu den tollen Fotos und dem grandiosen Video! Ich bin unglaublich fasziniert von der Brutpflege bei diesen "primitiven" Organismen. Was mag da genetisch zu Grunde liegen?
Viele Grüße
Maria
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Müller in Juli 29, 2020, 10:45:55 VORMITTAG
Hallo Heinrich und Maria,

es freut mich, dass Ihr wie ich auch von diesem erstaunlichen Verhalten dieser kleinen Tieren fasziniert seid!
Was der Grund für dieses Verhalten ist, kann nur spekuliert werden.  Während "aktive" Gastrotrichen mehr Lauerjägern ( "Raubpilz": https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=29132.0 (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=29132.0), Ciliaten: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=37505.0. (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=37505.0.) und Sonnentierchen) in die Falle gehen, konnte ich immer wieder beobachten, dass die Gastrotrichen-Eier Amöben zum Opfer fallen. In einem früheren Beitrag habe ich mal gezeigt, wie ein Gastrotrichen-Ei von einer Amöbe erbeutet wird (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32623.0 (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32623.0)). Ich nehme daher an, dass die Verkleidung der Eischale mit Detritus eine Art chemisch / taktile Tarnung der Eier ist. Die Fotos zeigen immer nur einen optischen Schnitt durch das getarnte Ei. Man muss sich vor Augen halten, dass das Ei an das Substrat geklebt wird und dann mit einer vollständigen Halbschale aus Detritrus umgeben wird. Ob ein solches Ei dann noch von einem Feind als Mittagessen erkannt wird, bezweifle ich - zumindest erschwert das wohl die Mahlzeit.

Viele Grüße

Michael
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Martin Kreutz in Juli 29, 2020, 11:36:19 VORMITTAG
Hallo Michael,

wieder mal eine interessante und gut dokumentierte Lebendbeobachtung von Dir! In den ersten Minuten des Videos kann ich persönlich nicht direkt erkennen, dass das gefilmte Exemplar gleich das Ei ablegen wird. Woher wusstest Du das? Oder hast Du die Kamera stundenlang mitlaufen lassen, um dann die entscheidende Stelle herauszuschneiden? Oder gibt es typische Anzeichen für die bevorstehende Geburt? Was die Bildung des Polkörpers angeht, so musste ich auch erstmal etwas recherchieren. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird ein diploider Polkörper während der Embryonalentwicklung gebildet, dessen Position später die Polarität des Embryos bestimmt (Kopf und Schwanz). Ich habe es so verstanden, dass sich der "Zellbrei" im Ei durch die Ausscheidung des Polkörpers selbst eine Polarität vorgibt. Aber ich bin kein Entwicklungsbiologe. Vielleicht kann jemand mehr zur Polaritätsbildung sagen.

Martin
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Müller in Juli 29, 2020, 13:14:40 NACHMITTAGS
Hallo Martin,

Du hast recht, diesmal war das Abpassen des richtigen Zeitpunktes wirklich etwas mühsam. Aus meinen früheren Beobachtungen wusste ich, dass die Eier von L. zelinkai eine Detritus-Hülle besitzen. Seit mehr als einem Jahr versuche ich daher, die entsprechende Brutpflege zu beobachten. Leider hatte ich nie Erfolg, da ich auch bei dieser Gastrotrichen-Art keine Vorzeichen zur Eiablage bemerkt habe. Vor ein paar Tagen war ich dann endlich soweit, dass ich's wissen wollte. Ich präparierte mir ein Mikroaquarium mit ca. einem Dutzend Exemplaren (übrigens aus einer Deiner Simmelriedproben, die Du mir in Würzburg überlassen hast) und ließ das Präparat eigene Tage "reifen". Am 23.7. bemerkte ich dann ein Tier mit einem sehr weit entwickelten Ei und legte mich einige Zeit auf die Lauer. Leider tat mit der kleine Freund auch nach zwei Stunden nicht den Gefallen, das Ei zu legen, aber er wurde immer träger und blieb wenigstens im Sichtfeld des 10er Objektivs. Ich gab die direkte Beobachtung auf und sah neben meiner Arbeit nur etwa alle 15min nach dem Gastrotrichen - schließlich wollte ich ja nur die Brutpflege und nicht unbedingt die Eiablage beobachten. Nach ca. einer weiteren Stunde war das Tier dann nur noch sehr langsam und verkrümmte sich manchmal auffällig. Dies war für mich das Zeichen, dass es sich lohnt die Aufnahme zu starten - und die Sturheit hat dann doch noch gesiegt.
Wenn ich Dich richtig verstanden habe, hast Du Informationen gefunden, die die Produktion eines diploiden Polkörpers behandeln. Könntest Du mir diese zukommen lassen? Bisher kannte ich Polkörper nur als Produkt der Meiose (bei unsymmetrischer Teilung bei Eizellen), die dann aber haploid wären und nicht zu meinen Beobachtungen (bzw. zur Annahme einer apomiktischen Vermehrung bei Gastrotrichen) passen.

Viele Grüße

Michael
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Martin Kreutz in Juli 29, 2020, 18:37:09 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

das auch diploide Polkörper gebildet werden können, habe ich aus einem sehr alten Artikel von Weismann und Ishikawa geschlossen:

https://www.zobodat.at/pdf/Berichte-naturf-Ges-Freiburg-Br_3_0001-0044.pdf (https://www.zobodat.at/pdf/Berichte-naturf-Ges-Freiburg-Br_3_0001-0044.pdf)

Die haben die Bildung von Polkörpern (Richtungskörper) in parthogenetischen Eiern von einem Wasserfloh beobachtet. Ich muss zugeben, dass ich nicht den ganzen Artikel gelesen habe und auch nur sehr dürftig recherchiert habe. Also mehr unbegründetes Halbwissen! Es würde mich daher interessieren, was da wirklich passiert!

Martin
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Müller in Juli 30, 2020, 17:00:35 NACHMITTAGS
Hallo Martin,

vielen Dank für den Link - die 50+ Seiten muss ich erst mal in Ruhe durcharbeiten.
Inzwischen habe ich auch einen Übersichtsartikel über Parthenogenese gefunden, der die Pol-Körper und die verschiedenen Möglichkeiten genauer beleuchtet:

     Mittwoch U.    Parthenogenesis. Journal of Medical Genetics 1978;15:165-181.
(Download unter https://jmg.bmj.com/content/jmedgenet/15/3/165.full.pdf (https://jmg.bmj.com/content/jmedgenet/15/3/165.full.pdf))

Ich habe mich noch nicht durch den gesamten Artikel durchgearbeitet, aber es gibt hier zumindest ein interessantes Übersichtsschema:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/280314_30631159.jpg)
Übersicht aus Mittwoch U, Parthenogenesis. Journal of Medical Genetics 1978;15:165-181.

Zumindest der "Pfad g" aus dem Bild kommt ohne Meiose ebenfalls zu einem Pol-Körper. Ich muss mich erst genauer damit beschäftigen, aber auch die Parthenogenesetypen "d" und "e" würden sich wohl mit meinen Beobachtungen decken. Eine endgültige Klärung der Art der Parthenogenese wäre wohl erst mit genetischen Untersuchungen möglich, die - soweit ich weiß - noch nicht erfolgt sind.

Viele Grüße

Michael


Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: M.Butkay in Juli 31, 2020, 13:50:52 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

immer wieder eine erstklassige Dokumentation mit viel Zeit die dahinter steckt. Ich selber habe eine Eiablage noch nie beobachtet, sie waren, einfach da... :o

Von mir einen dicken Daumen hoch! 

Viele Grüße und mach weiter so,

Michael
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Müller in August 01, 2020, 11:23:45 VORMITTAG
Hallo Michael,

es freut mich, dass Dir mein Beitrag gefallen hat! Ich glaube nicht, dass schon viele Leute die Eiablage bei Gastrotrichen direkt beobachtet haben. In einem "normalen", temporären Präparat ist das wohl auch unmöglich. Nur in einem Mikroaquarium (entweder feuchte Kammer oder - wie bei mir - Vaseline-abgedichtet) oder mit einem inversen Mikroskop hat man da eine Chance. Dafür muss man halt den Preis einer höheren Schichtdicke bezahlen.

Viele Grüße

Michael
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Plewka in August 01, 2020, 12:34:40 NACHMITTAGS
Hallo zusammen,

@ Michael: zunächst einmal wieder Gratulation zu Deiner sehr schönen Dokumentation Deiner Beobachtungen und natürlich auch besten  Dank für das Lob zu den Fotos...

Du berichtest jetzt ja bereits zum 2. Mal über das Thema "Brutpflege bei Gastrotrichen" , ein Thema der Verhaltensbiologie, das ja derart spannend ist, dass ich dazu einige -kritische- Anmerkungen machen möchte.

Innerhalb der Schulbiologie ist das Thema "evolutive Bedeutung des Verhaltens" ein wichtiger Unterrichtsschwerpunkt in der Qualifikationsphase des Gymnasiums. Insofern ist mir die Materie ein wenig vertraut.
Bei diesem Thema geht es  natürlich darum zu klären, warum bestimmte Lebewesen ein bestimmtes Verhalten zeigen, die sog.  Funktion des Verhaltens von Organismen, wobei dieser Begriff zwei gleichwertige Komponenten umfasst:
1. die proximaten Ursachen, d.h. wodurch wird ein Verhalten bewirkt (Neuronen, Hormone, Reize; Reaktionen, Handlungsketten).
2. die ultimaten Ursachen, d.h. platt gesprochen: den "Zweck" des Verhaltens   ("dient der Erhaltung der Art"; "die Vögel fliegen nach Süden, um dort zu überwintern").

Nachdem die kritische Analyse verschiedener Verhaltensweisen (z.B. Kindstötungen bei Löwen; Bienen-Arbeiterinnen haben keine eigenen Kinder, Kannibalismus bei Schnecken und Spinnen,  Egoismus/ Altruismus/ Satelliten-Männchen  usw.) zu Widersprüchen mit diesem "Zweck"  geführt haben, macht die Verhaltensforschung heute eine sog. "Kosten-Nutzen-Analyse" von Verhalten.  Dabei wird grundsätzlich der  Energieaufwand (Energieverbrauch pro Zeit) für das zu untersuchende Verhalten dem Fortpflanzungserfolg (nicht des Individuums, sondern ) desjenigen  Gens, das dieses Verhalten bewirkt, gegenübergestellt. Dabei ist  obligatorisch, dass zu einem konktret beobachteten Verhalten (hypothetische) Verhaltensalternativen mit in eine solche Funktionsanalyse einbezogen werden.

Wir haben in Deinen Beiträgen nun zwei Videos, die das Verhalten eines Gastrotrichen zeigen. Stellt man nun die Frage nach dem "Warum" für dieses Verhalten, so liefern Deine weiteren Ausführungen eine "Erklärung"/ Hypothese: es handele sich um Tarnung und sei somit eine Brutpflege.

Du begründest das u.a. mit der aktiven Aufnahme von Detritus durch die Mutter und der aktiven Deponierung des Materials an dem Ei. Weder im Video des 1. noch im 2. Video kann ich dieses Verhalten erkennen. Ich halte es aber für außerordentlich wichtig, dieses Verhalten mal im Video zu dokumentieren, zumal es für mich bisher nicht  vorstellbar war, dass sich der Nahrungsfluss bei solch kleinen Wirbellosen umkehren kann. Auch das wäre für mich eine Sensation!

Deine Hypothese "Brutpflege" bezieht sich also auf den "Zweck" des Verhaltens, gehört  also zur o.a. Komponente 1.

Was ist mit der proximaten Ursache ?
Dazu ist ein Deinen Beiträgen m.E. zuwenig zu finden.

Deshalb: ausgehend von der folgenden Frage folgende Anmerkungen:

Was ist die Ursache dafür, dass der Gastrotrich in der Nähe des Eis bleibt? (Eine solche Taxis wird in der Verhaltensforschung sehr häufig und sehr genau (mit Zeitmessungen  etc. durchgeführt)
1.optische Reize?
2.chemische Reize?
3.taktile Reize?


zu 1.Obwohl ja eine Tarnung primär als eine Methode zur Verringerung des optischen Kontrasts   verstanden wird, würde ich optische Reize bei diesen Organismen (auch der potentiellen Predatoren) ausschließen.

zu 2. Lässt sich ausschließen, dass die Viecher die Eier einfach aufgrund chemischer Signale nach einen einfachen Reiz-Reaktions-Schema finden?
Lässt sich ausschließen, dass die vermutlich klebrige und gelatinöse Eihülle Stoffe (z.B. Aminosäuren) enthält/abgibt, die andere Organismen, also auch die Gastrotrichen selbst, anlocken?

Meine Hypothese ist wie folgt:
Das Ei ist abgelegt, die Mutter entfernt sich, umkreist den Detritus dergestalt, dass sie wieder auf ihre eigene Spur triftt und dem Konzentrationsgefälle der Stoffe folgt, die als Reststoffe der Eiablage in der Spur vorhanden sind.  Auf diese Weise gelangt die Mutter zum Ei zurück.  An den BauchCilien des Gastrotrichs hängengebliebene Detrituspartikel bleiben beim Umkreisen des Eis an der klebrigen Eihülle hängen.  (Das  von Dir beschriebene "Festdrücken" des Detritus kann ich nicht erkennen). Weiter zu fressen findet die Mutter dort aber nicht, sie sucht wieder andere Stellen auf, kommt zufälligerweise wieder an ihrer ursprünglichen Spur an und das ganze geht von vorne los bzw. solange weiter, bis das  Jungtier aus dem Ei schlüpft.
Diese einfache Erklärung käme auch ohne  die Hypothese eines "erstaunlich komplexen Verhaltens" und die Annahme aus, dass Gastrotrichen eine  "Vorstellung ihrer Umgebung"  haben.

Lässt sich diese Hypothese widerlegen?

In Deinen Ausführungen wird eigentlich nicht deutlich, worin denn  die Tarnung bestehen  soll, die dann Schutz vor  Fressfeinden bietet. Geht man davon aus, dass aus diesem Ei Stoffe herausdiffundieren, könnten entsprechend sensitive Predatoren (Amöben etc.) die Eier durchaus als Beute erkennen und verspeisen. Bevor man also von Brutpflege sprechen kann, muss also m.E. geklärt sein, ob überhaupt ein Schutz gegeben ist  (Attrappenversuche etc).


Wie schon zuvor erwähnt, gehört zur Verhaltensanalyse auch die Abschätzung des Erfolgs von Verhaltensalternativen.
Eine andere Strategie wäre z.B. folgende: statt bei dem Ei zu bleiben und es "ungetarnt" seinem  Schicksal zu überlassen, könnte die Mutter die Zeit anders "nutzen", sich vollfressen und ein weiteres Ei produzieren.

Fazit. m.E. muss die Optimierung des Fortpflanzungserfolgs in beiden Fällen genauer bewiesen werden, damit man von "Brutpflege" sprechen kann.

Beste Grüße
Michael Plewka





 
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: JB in August 01, 2020, 13:46:09 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

In einem der frueheren Videos sieht es ja so aus, als wenn das Muttertier in der Fruehphase der Entwicklung die Detriuspartikel ablegt und sich spaeter nicht mehr um das Ei kuemmert. Ist das eine Beobachtung die Sie so oefter gemacht haben? https://www.youtube.com/watch?v=6qq52Qf6v5g

Ich finde die Dokumentation sehr ueberzeugend, als Brutfuehrsorge eher denn als Brutpflege. Ist es immer nur das Muttertier, das zum Ei zurueckkehrt?

Ich hatte, damals als Sie das hier das erste Mal gezeigt hatten, kurz in die Uebersichtsliteratur gesehen und konnte kein derartiges Verhalten beschrieben finden. Ist das bei Ihrer Literatursuche auch so gewesen? Wenn ja, wuerde ich das an Ihrer Stelle endlich zitierbar publizieren (1 Seite, "short report"), bevor es jemand anderes macht. Die reine Beobachtung der Brutfuehrsorge, ohne unnoetige weitere Spekulationen.

Michael Plewka hat ja schon angedeutet, was man alles an Experimenten machen koennten um weitergehende Details aufzuklaeren. Da ist eine 4 Jahre-waehrende Doktorarbeit drin. Die koennen Sie aber spaeter immer noch schreiben.

Viel Erfolg,

Jon
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Plewka in August 01, 2020, 19:19:25 NACHMITTAGS
Hallo Jon

mit "Brutfürsorge"  werden diejenigen Verhaltensweisen bezeichnet, die vor der Eiablage  von den Eltern durchgeführt werden und dabei der Fortpflanzungserfolg optimieren, also z.B. Nestbau bei Vögeln oder  das Bohren von Löchern für die Eier bei Insekten. Brutfürsorge findet also bei dem in den Videos dokumentierten Verhalten der Gastrotrichen bestimmt nicht statt.

Beste Grüße
Michael Plewka
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Martin Kreutz in August 01, 2020, 20:23:11 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

noch ein Vorschlag, um Beweise für eine echte Brutpflege zu erhalten und dass es sich nicht um eine zufällig Rückkehr zum Ei auf Grund von chemischen Stoffgradienten handelt. Ich kann in Deinem Video nicht genau erkennen, wie das Muttertier den Detritus ranschafft, um ihn auf die Eihülle zu kleben. Wenn es einfach Detritus ist, der an den Stacheln des Muttertieres hängen geblieben ist und nun auf der klebrigen Oberfläche des Eies haften bleibt, dann das Zufall sein. Aber wenn das Muttertier aktiv Detritus mit dem Mund aufnimmt und am Ei wieder ausstößt, dann würde ich das für einen aktiven Akt halten und somit echte Brutpflege.

Martin
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: ania in August 02, 2020, 07:48:16 VORMITTAG
Danke für das faszinierende Video!

Wenn die Mutter das Ei aufgrund chemischer Reize wiederfindet, wäre es plausibel dass sie es so lang tarnt, bis sie es selber nicht mehr riecht. Wenn sie es nicht mehr erkennt und von dannen zieht, wird es der Fressfeind auch nicht erkennen.
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Müller in August 02, 2020, 10:52:42 VORMITTAG
Hallo zusammen,

vielen Dank für die lebhafte Diskussion - Euer Interesse an meinem Beitrag freut mich. Bei meinem Post musste ich mich - zwangsläufig - auf eine etwas oberflächliche Beschreibung beschränken und konnte beispielsweise das Filmmaterial nur auszugsweise und im Zeitraffer zeigen. Ich versuche mal Eure Fragen / Anmerkungen Stück für Stück abzuarbeiten und ggf. mit genaueren Beobachtungen zu ergänzen.

@Michael Plewka:
Es tut mir leid, dass mein Bericht nicht dem Anspruch der gymnasialen Oberstufe genügt hat!  ;D
Scherz beiseite: Es war mir natürlich klar, dass ein Bericht über eine doch recht ungewöhnliche Beobachtung auf Widerspruch stoßen würde und ich alle meine Behauptungen würde belegen müssen. Dein Hauptkritpunkt scheint mir in der Einordnung des Verhaltens als "Brutpflege" zu liegen. Dazu muss ich das ganze ein wenig aufdröseln:

1. Das beobachtete Verhalten ist artspezifisch und wird von allen Individuen bei der Eiablage gezeigt
Es handelt sich also nicht um eine zufällige Bewegung/Verhalten, das ab und an von alle Gastrotrichen - je nach Umständen - gezeigt werden kann. Es handelt sich vielmehr um ein genetisch festgelegtes Verhaltensmuster, das nur bei den beiden gezeigten Arten bekannt ist und deshalb einen evolutionären Vorteil bedeuten muss (sonst hätte es sich nicht allgemein etabliert).

2. Das Verhalten wird nur von dem Muttertier direkt nach der Eiablage gezeigt
Andere Exemplare der selben Art (obwohl diese - wahrscheinlich - genetische Klone der Mutter sind), die sich ebenfalls im Präparat befanden, zeigten keinerlei Interesse an frisch abgelegten Eiern. Das Verhalten wird nur in der ersten Zeit vom Muttertier nach der Eiablage gezeigt und nach einer gewissen Zeit eingestellt.

3. Der eingesetzte Energieaufwand der Mutter dient dem Ei
Was auch immer der Zweck der Anstrengungen der Mutter sein mag, ich denke es ist unstrittig, dass die Mutter keinen direkten Nutzen aus der eingesetzten Energie zieht. Da das Verhalten einen evolutionären Vorteil hat (Punkt 1) bleibt als Nutznießer nur das Ei übrig.

Die Mutter setzt also Energie ein, die nicht ihr als Individuum zugute kommt sondern dem Nachkommen (Ei).
Das ist  die Definition einer Brutpflege! Dabei kommt es nicht darauf an, ob wir den Zweck des Verhaltens einsehen oder die Art des Transportes erkennen. Nun ist meine wissenschaftliche Ausbildung fachfremd und ich mag bei der Wahl der Fachbegriffe unsicher sein - ich halte die Bezeichnung für treffend.


Zitat von: Michael Plewka in August 01, 2020, 12:34:40 NACHMITTAGS
  Wir haben in Deinen Beiträgen nun zwei Videos, die das Verhalten eines Gastrotrichen zeigen. Stellt man nun die Frage nach dem "Warum" für dieses Verhalten, so liefern Deine weiteren Ausführungen eine "Erklärung"/ Hypothese: es handele sich um Tarnung und sei somit eine Brutpflege.

Du begründest das u.a. mit der aktiven Aufnahme von Detritus durch die Mutter und der aktiven Deponierung des Materials an dem Ei. Weder im Video des 1. noch im 2. Video kann ich dieses Verhalten erkennen. Ich halte es aber für außerordentlich wichtig, dieses Verhalten mal im Video zu dokumentieren, zumal es für mich bisher nicht  vorstellbar war, dass sich der Nahrungsfluss bei solch kleinen Wirbellosen umkehren kann. Auch das wäre für mich eine Sensation!
Ich begründe den Begriff "Brutpflege" also weder durch den Art des Detritustransports noch durch den möglichen Zweck des Verhaltens als "Tarnung" - da geht bei Deiner Argumentation etwas durcheinander. Brutpflege besteht, weil die Mutter Energie für das Ei einsetzt - egal wie und warum. Letztendlich ist jedes Verhalten eine mehr oder weniger komplexe Kette von Reiz-Reaktions-Mechanismen. Ob es sich hier um Brutpflege handelt ist völlig unabhängig davon, ob die Mutter aktiv Detritus aufnimmt oder nur "zufällig" mit sich trägt. Das Verhalten hat sich herausgebildet, weil es für das "egoistische Gen" einen Nutzen bietet.

Eine genauere Beobachtung des Vorgangs zeigt, dass der Detritustransport - wie beschrieben - im Pharynx erfolgt und von dort auf das Ei gespuckt wird und hier verteilt wird. Das mag im obigen Video nicht so genau beobachtbar sein, deshalb ein "Echtzeit-" Video dieses Vorgangs - nicht bei L. zelinkai  sondern bei der anderen Art Ch. cordiformis, bei der ich das Verhalten früher beschrieben habe:
https://www.youtube.com/watch?v=sqUSNj4V0DY (https://www.youtube.com/watch?v=sqUSNj4V0DY)
Hier erkennt man, dass die Mutter die Detritus-Partikel im Pharynx (nicht im Darm) heranbringt und dann auf die klebrige Eihülle aufträgt. Bei der Umkreisung des Eies wird immer wieder Detritus von der Eihülle in der Mundröhre aufgenommen und direkt etwas weiter auf der Eischale wieder abgelegt. Ich denke, dieses Video belegt meine obigen Aussagen ausreichend.

Über den Zweck des Verhaltens kann natürlich nur spekuliert werden. Ich halte die "Tarnungshypothese" für durchaus überzeugen. Wie alle Hypothesen kann sie natürlich nicht "bewiesen" werden - ein Widerlegen wäre nur durch die von Dir angeregten Versuche möglich, die aber in der Praxis in meine Augen unmöglich wären. Soweit ich weiß, bin ich wohl der erste, der die Eiablage von L. zelinkai und das entsprechende Verhalten beobachtet hat und ich halte es für unmöglich, genügend frisch abgelegte Eier für entsprechende Versuche zu gewinnen. Von daher bleibt uns nur die theoretische Diskussion, in der wir das Für und Wider dieser Hypothese gegeneinander abwiegen können.

Zitat von: ania in August 02, 2020, 07:48:16 VORMITTAG
Wenn die Mutter das Ei aufgrund chemischer Reize wiederfindet, wäre es plausibel dass sie es so lang tarnt, bis sie es selber nicht mehr riecht. Wenn sie es nicht mehr erkennt und von dannen zieht, wird es der Fressfeind auch nicht erkennen.

Anias Argumentation finde ich in diesem Zusammenhang sehr treffend. Ob die Mutter einem chemischen Reiz folgt, kann ich nicht sagen, aber ich halte diesen Mechanismus für sehr plausibel.
Ob man das beschriebene Verhalten als "sehr komplex" bezeichnen möchte oder nicht, liegt im eigenen Ermessen. Dabei handelt es sich natürlich nicht um eine wissenschaftlich belastbare Behauptung.

@Jon:
Es handelt sich bei allen Beobachtungen immer nur um das Muttertier, das zum Ei zurück kehrt. Wenn die Detritrushülle dicht genug ist, wird das Verhalten eingestellt. Andere im Präparat vorhandenen Gastrotrichen (der selben oder auch anderer Art) beteiligen sich nicht an der Dekoration der Hülle. Die Beobachtung der Brutpflege habe ich bei zwei Arten und insgesamt bei drei Individuen gemacht. Dekorierte Eier der entsprechenden Arten (ohne direkte Beobachtung der Dekoration) habe ich zu Dutzenden gesehen.
In der Literatur ist das Verhalten nicht beschrieben. Bisher ist lediglich bekannt, dass einige Arten sich den Platz zur Eiablage sorgfältig aussuchen. Die einzigen Beschreibungen der Beobachtung einer Eiablage, die ich kenne gehen auf Zelinka (ca. 1890) und Brunson (ca. 1940) zurück. Seit dieser Zeit haben die Kulturen von Lepidodermella squamata Einzug in die Labore gefunden und eine direkte "Feldbeobachtung" unattraktiv gemacht. Verhaltensbeobachtungen bei Gastrotrichen gibt es praktisch nicht (ich erinnere mich nur an eine Bewegungsstudie).
Eine Veröffentlichung meiner Beobachtungen wäre sicherlich sinnvoll (auch wenn ich zugeben muss, dass ich lieber am Mikroskop sitze als "dröge" Texte zu produzieren). Könnten Sie mir eine wissenschaftlich Zeitschrift empfehlen, die auch einem Amateur offen steht?

@Martin:
Im oben angegebenen Link zeige ich den Detritustransport genauer - aber das genaue Verfahren legt letzendlich nur das "Komplexitätsneveau" des Verhaltens fest. Auch wenn der Detritus nur zufällig mitgeführt würde, hätte das Verhalten einen evolutionären Sinn und wäre in meinen Augen Brutpflege.

Viele Grüße

Michael
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: JB in August 02, 2020, 12:16:31 NACHMITTAGS
Zitat von: Michael in August 02, 2020, 10:52:42 VORMITTAG
Eine Veröffentlichung meiner Beobachtungen wäre sicherlich sinnvoll (auch wenn ich zugeben muss, dass ich lieber am Mikroskop sitze als "dröge" Texte zu produzieren). Könnten Sie mir eine wissenschaftlich Zeitschrift empfehlen, die auch einem Amateur offen steht?

Hallo Michael,

Spontan weiss ich keine passende Zeitschrift, wenn ernsthaft Interesse besteht finde ich aber welche! Die Zeitschriften stehen gemeinhin jedem offen, auch Amateuren, und z.B. in der Entomologie sind ein grosser Teil der Beitraege nicht von Profis geschrieben. Bei Zeitschriften mit hoeherem Profil ist das natuerlich sehr selten.

Hindernis sind gemeinhin die Kosten (Seitengebuehren oder Open access fees). Es gibt aber serioese kleine Zeitschriften von Fachgesellschaften, die noch immer fuer den Autor kostenlos publizieren.

Im Uebrigen braucht man erst einmal keine Zeitschrift zu finden. Eine Alternative sind die Pre-print server wie Bioarchive https://www.biorxiv.org/about/FAQ . Dort koennen Sie den fertig bearbeiteten Artikel und die Videos archivieren. Damit sind sie zitierbar. Wenn Sie in Zukunft noch einige der oben vorgeschlaegenen Experimente machen, koennen sie den dort archivierten Artikel entsprechend ergaenzen. Bei der Zeitschrift kann das auch noch nach Jahren eingereicht werden; die bis dahin angesammelten Zitate koennen mitgenommen werden.

Beste Gruesse,

Jon
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Müller in August 03, 2020, 08:57:36 VORMITTAG
Hallo Jon,

viele Dank für Ihre Antwort. Seit meiner letzten Veröffentlichung (oje - ist das wirklich schon 30 Jahre her?), hat sich da wohl einiges geändert. Damals gab's noch keine Preprint-Server, die nach einer sehr guten Idee klingen.

Schöne Grüße,

Michael

Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Martin Kreutz in August 03, 2020, 12:35:03 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

ich kann nur sagen, dass Du hier nicht nur eine einwandfreie Dokumentation zeigst, sondern Deine Interpretation Deiner Beobachtungen auch gut begründest und sehr gut gegen kritische Fragen (die sein müssen) verteidigst! Ich kann mich Deiner Interpretation Brutpflege anschließen. In dem Video von Chaetonotus cordiformis erkennt man sehr gut, dass die Detritusteilchen im Schlund transportiert und auf das Ei geklebt werden. Das finde ich sehr überzeugend!

Martin
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: limno in August 03, 2020, 16:11:57 NACHMITTAGS
Hallo Michael,
ich schließe mich Martins  Ausführungen an: Man sieht das im Video (ab 0: 26) sehr deutlich. Das Muttertier schwimmt zielgerichtet( der ethologische Fachausdruck dafür ist gerichtete Appetenz) auf das von ihr abgelegte Ei zu-  gibt die im Pharynx liegende Detritusflocke von sich, schwimmt zurück zum Detritus verschluckt davon eine Flocke und schwimmt -ohne Umwege- zum Ei zurück  und dies viele Male, und so meine Vermutung- bis die Geruchsbarriere genügend dicht ist, so dass dass Muttertier die "Eigerüche" nicht mehr wahrnimmt. Zu diesem Zweck muss das Ei nicht vollständig mit Detritusflocken bedeckt sein, wie man sieht, (aber leider nicht riechen kann ;) ).Dass andere genetisch identische Individuen (weil von der selben Stammmutter???) ohne sonderliche Reaktion darin vorbeischwimmen, (was man leider nicht sieht und Du eingangs auch nicht erwähnt hast, falsifiziert Michael Plewkas Gegenhypothese, diese Bewegungen seien mehr oder weniger Zufall, denn anderenfalls hätten ja die anderen Gastrotrichen ähnliche Reaktionen zeigen sollen.
Nochmal meine besten Glückwünsche zu den Brutvideos, die soviel weitere interessante Fragen aufwerfen und zu weiteren Untersuchungen anspornen 8) . 
Heinrich
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Plewka in August 03, 2020, 19:08:58 NACHMITTAGS
Hallo zusammen,

@ Michael: Vielen Dank für die weiteren Informationen, insbesondere für das Video, das  überzeugend die "Schluckbewegung" des Gastrotrichen zeigt und  dass Detrituspartikel abgelegt werden.

Aus Deinem  einleitenden Satz

Zitat"vor ca. einem Jahr konnte ich auf dem letztjährigen Dörnberg-Treffen beobachten, wie ein Bauchhärling sein frisch gelegtes Ei mit Detritus-Flocken tarnte. Damals war der Nachweis dieser bei Gastrotrichen völlig unbekannten Art von Brutpflege ...."

habe ich tatsächlich geschlossen, dass für Dich  die "Tarnung" eine Form der Brutpflege sei. Ich habe den Begriff "Begründung"  verwendet, weil sich Deine weiteren Ausführungen zum Verhalten des Gastrotrichen nach der Eiablage in beiden Beiträgen weitgehend auf die "Tarnung" beziehen.

Nun erfahren wir, dass Du

Zitat"die "Brutpflege" also weder durch den Art des Detritustransports noch durch den möglichen Zweck des Verhaltens als "Tarnung"...."

begründest, sondern stattdessen führst Du nun  zum ersten Mal (nach 2 Beiträgen zum Thema  Brutpflege) eine Definition dessen ein, was Du (jetzt) überhaupt darunter verstehst, (was schon mal ein Fortschritt ist.):

Zitat"Die Mutter setzt also Energie ein, die nicht ihr als Individuum zugute kommt sondern dem Nachkommen (Ei)."

In Deiner Definition geht es nun also um  den Begriff "Energie"  (der in den Deinen Beiträgen vorher nicht ein einziges Mal aufgetaucht ist). Entscheidend ist aber der etwas schwammige Begriff: "zugute". Wenn dieses "Zugute-Kommen" nicht gegeben ist, liegt folglich auch keine Brutpflege vor.

Du argumentierst nun nach Punkt 1 nach dem Motte: das Verhalten  ist "genetisch festgelegt"; das hat sich also etabliert, muss also einen evolutionären Vorteil bedeuten. Zynisch könnte ich jetzt formulieren: erklär das mal Menschen, die ein genetisch festgelegtes Merkmal wie Mukoviscidose oder Bluterkrankheit haben...

Wie ich schon vorher ausgeführt habe, werden in der Schule einige dieser Fallbeispiele  aus dem Bereich der Ethologie behandelt (worüber man natürlich auch Witze machen kann), die ziemlich eindeutig im Widerspruch zu Deiner Theorie des evolutionären Vorteils stehen.
Ich kann an dieser Stelle nur dringend empfehlen, Deine Argumentation zu überdenken.

Beste Grüße
Michael Plewka

Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Müller in August 04, 2020, 10:38:09 VORMITTAG
Hallo zusammen,

@Martin:
Es freut mich, dass ich Dich überzeugen konnte. Konstruktive kritische Fragen auf Augenhöhe sind immer sehr hilfreich und ermöglichen erst, die eigene Argumentationskette zu überdenken und Lücken in ihr zu schließen.

@Heinrich:
Es freut mich, dass Dich dieses Verhalten bei den beiden Gastrotrichen-Arten ebenfalls fasziniert!
Eine belastbare Interpretation des Bewegungsverhaltens lässt sich aber sicherlich erst nach einer exakten quantitativen Analyse erstellen, die bei den beobachteten Einzelfällen wohl schwer möglich ist.  Ich würde deswegen auch die Einzelbeobachtung von unbeeindruckt vorbei schwimmenden Artgenossen nicht zu hoch bewerten wollen. Da müsste man wirkliche Entfernung, Geschwindigkeit etc. statistisch untersuchen. Deshalb möchte ich das etwas vorsichtiger formulieren: Es konnte keine Reaktion von Artgenossen in der Nähe des frisch abgelegten Eis beobachtet werden.

@Michael:
Es tut mir leid, dass ich mich in den beiden Beiträgen missverständlich ausgedrückt habe. Ich hoffe in meiner obigen Erwiderung meine Interpretation der Beobachtungen dargelegt zu haben.
Unabhängig von der strittigen Interpretation bleibt die Beobachtung des für diese Arten allgemein etablierte Verhaltens bestehen. Es wäre interessant, zu erfahren, wie Du dieses Verhalten interpretierst, soweit es aus den gezeigten Videos ersichtlich ist.

Viele Grüße

Michael
Titel: Re: Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Lepidochaetus zelinkai
Beitrag von: Michael Plewka in August 06, 2020, 07:14:28 VORMITTAG
Hallo Michael,

um dieses wirklich sehr gut durch durch die  Videos dokumentierte merkwürdige und seltsame Verhalten der Viecher interpretieren zu können, muss ich es erst mal verstehen. Dazu fehlen m.E.  noch eine Menge Informationen.

Beste Grüße
Michael Plewka