Der Strudelwurm Gyratrix hermaphroditus

Begonnen von Martin Kreutz, September 05, 2018, 21:45:46 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

vor einigen Monaten hatte ich eine Begegnung mit dem Strudelwurm Gyratrix hermaphroditus. Es schien mir, als wenn ich diese Art zum ersten Mal sehe (vielleicht vorher nicht beachtet) und habe die Gelegenheit für ein paar Fotos genutzt. Später habe ich erst gelesen, dass Gyratrix hermaphroditus einer der häufigsten Strudelwürmer sein soll. Entweder habe ich ihn bisher gewissenhaft übersehen oder mein Fundort ist kein bevorzugter Aufenthaltsort von Gyratrix.

Der Strudelwurm Gyratrix hermaphroditus ist ein Zwitter, also Männchen und Weibchen gleichzeitig. Er solle bis zu 1,5 mm lang werden. Mein frei schwimmendes Exemplar war dagegen recht mickrig mit 560 µm:



Etwas angepresst kann man schon einige Details vom Innenleben erkennen:

PR = Proboscis
PH = Pharynx
MKO = Männliches Kopulationsorgan

Der Proboscis ist ein Muskelschlauch in der "Schnauze" des Strudelwurmes, welcher befähigt ist (eventuell gifthaltigen) Schleim auszustoßen.  Hinter der Proboscis liegt ein ausgedehntes Drüsengewebe, welches den Schleim produziert. Dieser Schleim soll klebrig sein, als auch betäubend auf die Beute wirken. Bei Beutekontakt wird der Proboscis wie eine Zunge hervorgestreckt und die Beute bleibt an dem Schleim darauf kleben und wird somit immobilisiert.Presst man Gyratrix etwas mehr, erkennt man auch den Kanal, durch den der Proboscis herausgestreckt werden kann:


KA = Kanal
PR = Proboscis
PRD = Proboscis Drüsengewebe

In der Mitte des Körpers liegt der Pharynx (Rachen od. Schlund):


PH = Pharynx
PrN = Protonephridien

Legt man den Fokus etwas tiefer auf die Bauchseite, so erkennt man die kleine Mundöffnung, die in der Mitte der Bauchseite liegt. Zur Nahrungsaufnahme gleitet der Strudelwurm über das Opfer (oft sessile Rädertiere oder Ciliaten) und stülpt den Pharynx vor, der diese umschließt und durch den Mund hineinzieht:


MO = Mundöffnung

Am interessantesten an Gyratrix hermaphroditus ist eigentlich das männliche Kopulationsorgan. Es besteht aus zwei Teilen. Das eine ist das Stilet und das andere die Stiletscheide. Beide sollen aus Chitin bestehen und sind stark doppeltbrechend. Das Stilet scheint eine Art Injektionsspritze zu sein, die mit einer Drüse verbunden ist:


MKO = Männliches Kopulationsorgan

Um die beiden Teile des Kopulationsorgans genauer zu untersuchen, musste ich sehr stark pressen, bevor sie sich getrennt haben. Außerdem machte die starke Doppeltbrechung meiner Belichtungsautomatik etwas Probleme. Ich musste stark unterbelichten. Ich hoffe, dass ich Stilet und Stiletscheide richtig beschrifttet habe. Ich habe leider keine passende Literatur hier:


ST = Stilet
STH = Stiletscheide oder Stilethülle
SB? = Samenblase?

Wie dieser "Penis" eingesetz wird, weiß ich nicht. Ich habe auch gelesen, dass das Stilet gleichzeitig zum Beutefang eingesetzt wird. Näheres zu beiden Einsatzmöglichkeiten habe ich nicht gefunden. Jedenfalls scheint der Sex bei Gyratrix eher eine rauhe Angelegenheit zu sein.

Viel Spass beim anschauen!

Martin

Ole Riemann

Hallo Martin,

sehr interessante Fotos, vielen Dank! Ich komme gerade von einer marinbiologischen Exkursion zurück, bei der wir auch zahlreiche freilebende Plathelminthen untersucht haben. Viele davon waren fertil und zeigten im männlichen Teil des zwittrigen Genitaltraktes Hartstrukturen ähnlich zu denen bei G. hermaphroditus. Zum Teil wirklich bizarre Gebilde (die alle wichtig für die Taxonomie der Gruppe sind). Ich sehe mal zu, dass ich in der nächsten Zeit einige Beispiele zusammen trage. Aber nur von G. hermaphroditus weiß ich, dass diese Strukturen auch beim Beutefang eingesetzt werden sollen. Ich frage mich sehr, ob so etwas mehr als 1, 2 mal beobachtet wurde - oder gar nur als Legende durch die Literatur geistert. Das Problem mit den Plathelminthen ist, dass die Literatur so zerstreut ist, dass man als Nichtfachmann kaum Chancen bei der Bestimmung hat.

Beste Grüße

Ole


Michael Plewka

Hallo Martin:

vielen Dank für den detaillierten Beitrag: habe ich wieder was gelernt! Insbesondere finde ich bemerkenswert, wie gut die Zellkerne zu erkennen sind.
Ich erlaube mir, noch als Ergänzung zu  Deiner Aussage:
Zitat...Zur Nahrungsaufnahme gleitet der Strudelwurm über das Opfer (oft sessile Rädertiere oder Ciliaten...)

noch ein Bild anzufügen, das den Kauer eines (wahrscheinlich dicranophoriden, auf jeden Fall nicht eines sessilen) Rädertiers im Darm von Gyratrix zeigt (Pfeile):




Das würde bedeuten, dass nicht nur sessile, sonden auch relativ relativ bewegliche Rädertiere zum Beutespektrum gehören.

Beste Grüße
Michael Plewka