Warum ist die Lichtgeschwindigkeit in verschidenen Medien unterschiedlich

Begonnen von Klaus Herrmann, Juli 12, 2020, 13:18:42 NACHMITTAGS

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Klaus Herrmann

Hallo Florian,

verstehe ich dich richtig: du bist nicht der Meinung, dass hier 2 Modellvorstellungen gegen einander stehen? Die der Festkörperphysiker und andererseits die der Teilchenphysiker? Beide erklären beobachtete Effekte in sich schlüssig, aber eben anders. Feynmann sagt die Lichtgeschwindigkeit ist immer konstant im anderen Modell ist sie materiealabhängig. Aber schlüssig beweisen kann es keiner was tatsächlich zutrifft?
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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Florian D.

Lieber Klaus,

man kann halt ein und dasselbe Phänomen mit verschiedenen Begriffen beschreiben. So lässt sich die Bildentstehung im Mikroskop sowohl mit Strahlenoptik als auch mit Wellenoptik beschreiben. Auf den ersten Blick scheinen beide grundverschieden. Allerdings kann man zeigen, dass die Strahlenoptik als Grenzfall der Wellenoptik auftritt. Auch wenn man um diesen Zusammenhang schon lange weiss, wäre die Entwicklung moderner optischer Geräte ohne die Idealisierung "Strahlenoptik" nicht möglich gewesen.
Ähnlich verhält es sich in der Chemie: Man kann heute kleine Moleküle ohne Born-Oppenheimer Näherung beschreiben. Dies ist fundamentaler, man verliert aber die Idealisierung der "Molekülstruktur". Ohne diese ist Chemie  sicher nicht vorstellbar.
Ähnlich beschreiben Festkörperphysiker ihre Objekte gerne mit effektiven Feldtheorien. So werden z. B. Schwingungen der Atome quantisiert und als neue Teilchen behandelt, die sogenannten Phononen und elektronische Schwingungen als Plasmonen. Koppeln diese an das elektromagnetische Feld, bekommt man Polaritonen.
Interessanterweise hat sich diese Sichtweise aus der Festkörperphysik in den letzten Jahren (d. h. nach Feynman)  sogar in der eigentlich fundamentaleren Feldtheorie der Teilchenphysiker durchgesetzt. Teilchenphysiker gehen inzwischen davon aus, dass auch Elektronen, Photonen usw. nur effektive Felder beschreiben, und bei wesentlich kleineren Abständen neue Strukturen auftauchen.
Trotzdem ist das Gebäude in sich konsistent. Die Idealisierungen können konsistent aus fundamentaleren Theorien abgeleitet werden. Ebenso ihr Gültigkeitsbereich.
Hier gibt es aber einen interessanten philosophischen Zwist: Wenn wir einem Mathematiker, der keine Ahnung von  physikalischer Phänomenologie hat, die fundamentalen Gleichungen der Quantenfeldtheorie geben, wäre er in der Lage, z. B. das Snelliusche Brechungsgesetz vorherzusagen und eine Kamera zu erfinden? Reduktionisten würden das bejahen, während andere Forscher der Meinung sind, dass in den Idealisierungen echte Erkenntnis steckt, diese also nur a posteriori gerechtfertigt werden können, also in gewisser Weise das Ei des Kolumbus darstellen.
Gehen wir noch weiter: Könnte er die Existenz von Sonnen und Planeten vorhersagen und die Entstehung von Lebewesen?

Wenn also ein Festkörperphysiker die Ausbreitung von Licht in Medien durch eine effektive Lichtgeschwindigkeit beschreibt, der Teilchenphysiker aber lieber in Kategorien freier Elektronen und Lichtwellen denkt, die nur instantan aneinander streuen, haben sicher beide Recht und die effektive Lichtgeschwindigkeit kann aus dem Bild des Teilchenphysikers abgeleitet werden. Allerdings wird die Idealisierung zur Beschreibung festkörperspezifischer Vorgänge vorteilhafter sein.

Viele Grüsse
Florian

Klaus Herrmann

Danke lieber Florian,

ich hätte es nicht viel verständlicher sagen können. Darf ich nochmal für Laien sehr vereinfacht zusammenfassen: der Festkörperphysiker arbeitet mit einem Modell bei dem von verminderter c in einem optisch dichteren Medium ausgegangen wird, beim Teichenphysiker ist c immer konstant.  Beide Modelle sind schlüssig und beschreiben die beobachteten Effekte plausibel?

Was mich noch interessiern würde wie kann man n für eine Substanz berechnen von der n noch nie bestimmt wurde (mit einem Refraktometer.)
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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Florian D.

Lieber Klaus,

ja, das kann man so verkürzt sagen.
Bezüglich der ab initio Berechnung des Brechungsindex will ich ein einfaches Beispiel geben:
Stell Dir vor, du hast ein Gas aus Wasserstoffatomen (als einfachstes atomares System).
Dann kannst Du durch Lösen der Schrödingergleichung alle Anregungsenergien und auch die Übergangsdipolmomente bestimmen. Aus denen bekommst Du für jede beliebige Frequenz die Polarisierbarkeit P und daraus den Brechungsindex, sogar frequenzabhängig.
Für Festkörper ist das 1000x mal komplizierter, aber inzwischen machbar:
https://www.vasp.at/mmars/day2.pdf
https://aip.scitation.org/doi/pdf/10.1063/1.4935438

Was ich damit nur sagen will, ist, dass der Brechungsindex nicht mehr länger nur als  ein Ordnungsschema für mehr oder weniger willkürliche empirische Daten betrachtet werden kann.

Viele Grüsse
Florian

Lupus

Hallo Klaus,

Zitatder Festkörperphysiker arbeitet mit einem Modell bei dem von verminderter c in einem optisch dichteren Medium ausgegangen wird, beim Teichenphysiker ist c immer konstant. 
man kann die Welt der Physik nicht nur in Teilchenphysik und Festkörperphysik einteilen, und in jedem Gebiet lebt jeder mit seinen eigenen spezifischen Modellvorstellungen  ;) 
Es geht eigentlich um zwei verschiedene Begriffe. c als Vakuumlichtgeschwindigkeit ist sozusagen eine Naturkonstante, und die ändert sich auch nicht in Materie. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht in Materie ergibt sich durch deren Wechselwirkung, und ist eigentlich dessen Phasengeschwindigkeit - egal mit welchem mathematischen Ansatz und in welchem physikalischen Teilbereich man sie ermittelt. Und korrekterweise sollte man diese nicht als c bezeichnen.

Zitat... dass der Brechungsindex nicht mehr länger nur als  ein Ordnungsschema für mehr oder weniger willkürliche empirische Daten betrachtet werden kann. 
Das ist recht überspitzt formuliert. Der formelmäßige Zusammenhang zwischen Brechungsindex und Dielektrizitätskonstante bzw. Polarisierbarkeit ist ja schon lange bekannt, und ich bezweifle dass eine Berechnung bei Festkörpern genauer ist als "willkürliche" empirische Daten.  ;)

Hubert

Klaus Herrmann

Vielen Dank Hubert,

ZitatDie Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht in Materie ergibt sich durch deren Wechselwirkung, und ist eigentlich dessen Phasengeschwindigkeit - egal mit welchem mathematischen Ansatz und in welchem physikalischen Teilbereich man sie ermittelt. Und korrekterweise sollte man diese nicht als c bezeichnen.

Kann man dann sagen, dass vereinfacht die Phasengeschwindigkeit von Licht in Materie c/n ist?
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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derda

#21
Hallo Klaus,

Zitatann man dann sagen, dass vereinfacht die Phasengeschwindigkeit von Licht in Materie c/n ist?

Schau mal, was ich weiter oben geschrieben habe:

Zitatv = c / (e * µ)^1/2

n = (e * µ)^1/2

v = c / n

VG, Erik

Klaus Herrmann

Danke Erik,

manchmal muss man nur das behalten, was früher schon gesagt wurde!

Passiert mir auch immer wieder, dass ich einen erhellenden Beitrag schreibe und 3 Seiten weiter verkündet einer genau diese tolle Idee, Alle klatschen wegen dem zielführenden Hinweis und ich war einfach zu früh dran. ;D
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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derda

Hallo Klaus,

ist ja nicht schlimm. Ich hatte eigentlich noch einen ausschweifenden Exkurs in die Maxwellschen Gleichungen erwartet  ;D

Die Physik bietet immer wieder tolle Themen fürs Forum.

Viele Grüße,

Erik

Klaus Herrmann

#24
Hallo zusammen,

im französischen Forum geht die Diskussion erbittert weiter. Ein Physiker versucht vergebens den hartnäckigen Eigentümer des Forums "Microscopia" zu überzeugen.
Jetzt hat der Physiker eine schöne Erklärung gefunden, die es praktischerweise in vielen verschiedenen Sprachen gibt, auch in Deutsch. Die Übersetzung aus dem Französischen ist ganz gut. Lohnt sich auf jeden Fall für Interessierte:

https://translate.google.fr/translate?u=https://www.matierevolution.fr%2Fspip.php?article3857&sl=fr&tl=de&hl=fr&ie=UTF-8

Hier der Link zur originalen Diskussion, wer Französisch kann und es sich antun will sollte mal reinschauen:

https://forum.mikroscopia.com/topic/18485-polarisation-do%C3%B9-viennent-les-changements-de-couleurs/#entry76197
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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Lupus

Hallo Klaus,

eigentlich ist die Diskussion sinnlos. Das Erklärungsproblem ist aufgrund des Welle-Teilchen-Dualismus nicht lösbar. Man kann zur Erklärung makroskopisch beobachtbarer Effekte verschiedene Rechenmodelle ansetzen je nach Blickwinkel des eigenen Fachgebietes. Und jedes Modell ist auf seine Art richtig. Aber es ist eben nicht möglich, eine einzig richtige bildhafte Erklärung zu geben, die zu unserer naiven, makroskopischen Erfahrungswelt passt.

PS: Das französische Forum lässt sich Dank Browserübersetzung problemlos lesen.

Hubert

Florian D.

Lieber Klaus,

die Erklärung finde ich nicht schlecht.
Es ist natürlich schwierig, hier über Bande an der französischen Diskussion teilzunehmen. Vielleicht hast aber wenigstens Du etwas von der Diskussion.
Daher noch einige Ergänzungen:
1. Die Beschreibung mit einer effektiven Lichtgeschwindigkeit ist nicht unbedingt newtonisch. Man kann die effektive Lichtwelle genauso quantenmechanisch formulieren und dies wird auch so getan. Es ist allerdings für die Frage der Ausbreitungsgeschwindigkeit irrelevant.
2. In dem Forum wurde auch die Frage gestellt, wie es sein kann, dass Licht beim Eintritt in das Medium Energie verliert und diese wieder gewinnt, wenn es das Medium verlässt und dabei beschleunigt wird.  Eine einfache Antwort wäre die Folgende: Die Energie des Lichtes ist nur eine Funktion der Frequenz, die sich nicht ändert, aber nicht der Wellenlänge.
3. Betrachtet man den Impuls des Lichtes, stösst man schnell auf die Abraham-Minkowski Kontroverse. Es gibt 2 verschiedene Ausdrücke für den Impuls der Lichtwelle und Generationen von Physikern haben sich gestritten, welche denn nun die Richtige ist. Wie so oft ist die Antwort: Beide, es kommt auf den Kontext an.
Vielleicht ist dieser Vortrag hierzu noch halbwegs nachvollziehbar
http://benjamin-fries.de/hp/dls/vortrag_maxwell-tensor.pdf
Er zeigt auch, dass das Problem sogar für Mikroskopiker nicht völlig irrelevant ist, Stichwort: optische Pinzetten.

Viele Grüsse
Florian