Bdelloide Rädertiere in Mikroaquarien

Begonnen von Michael Müller, November 06, 2020, 11:23:52 VORMITTAG

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Michael Müller

Hallo in die Runde,

kürzlich ist in einem Beitrag von Michael Plewka (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=38964.0) die Frage aufgekommen, ob - und wenn ja welche - bdelloiden Rädertiere in Mikroaquarien ihr Räderorgan entfalten und ihr normales Strudel-Verhalten zeigen.
Obwohl Rädertiere nicht mein "normales Jagdwild" sind, stolpere ich doch - sozusagen als Beifang - immer wieder über bdelloide Rädertiere. Um zu zeigen, dass viele Rädertierarten auch in den Mkroaquarien ihr normales Verhalten aufnehmen, möchte ich hier eine Auswahl von Fotos zeigen, die ich im "Vorübergehen" zu Dokumentationszwecken geschossen habe. Also bitte nicht zu hohe Ansprüche an die Fotoqualität stellen. Die Artbestimmung traue ich mir nicht zu, aber vielleicht kann man ja die eine oder andere Art erkennen?

Das erste Bild habe ich gestern für diesen Beitrag gemacht. Es stammt aus einem Mikroaquarium, das am 17.8. erstellt - also vor mehr als 2,5 Monaten - wurde:



Die folgenden Rädertiere waren dagegen sehr empfindlich und waren nach ca. 2 Tagen bereits nicht mehr zu finden:





Immer wieder finde ich dieses Tier, das ich gar nicht einordnen kann:



Rotaria neptunia:



Eine Auswahl weiterer bdelloiden Rädertiere:



















Zwar kein bdelloides Rädertier, aber auch ein fleißiger Strudler. Das Tier schlüpfte im Mikroaquarium, setzte sich als Larve am Deckglas fest und baute sich sein Gehäuse aus Kot-Pellets. Ich habe es ca. eine Woche lang fasziniert beobachtet:



Zumindest viele Arten von bdelloiden Rädertiere scheinen sich also in einem Mikroaquarium - zum Teil mehrere Monate - recht wohl zu fühlen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein aktives Tier gesehen zu haben, das nicht irgendwann mit dem Strudeln angefangen hätte. Durch den konkaven Einschliff des Objetträgers kann sich jede Art die für sie optimale Schichtdicke wählen - leider verstehen die kleinen Freunde meist etwas anderes unter "optimale Schichtdicke", als der Fotograf. Die Lebensdauer der Tiere in den Mikroaquarien ist aber sehr unterschiedlich und artspezifisch.

Alle Fotos sind mit schiefer Beleuchtung und ohne Blitz in Mikroaquarien entstanden.

Viele Grüße

Michael

Gerne per Du

D.Mon

Hallo Michael,

das ist eine sehr interessante Zusammenstellung.
Vielen Dank fürs Posten.

Schöne Grüße
Martin
Bitte per "Du" - Martin alias D.Mon
--
Glück kann man nicht kaufen.
Aber man kann ein Mikroskop kaufen und das ist eigentlich dasselbe!
--
Mikroskope: Motic Panthera U, Lomo MBS-10, Orthoplan mit DIC
Kamera: Sony ILCE-6400

Martin Kreutz

Hallo Michael,

Du nennst ja einen recht großen Zoo von Bdelloiden Dein Eigen! Ich gebe zu, dass ich mich mit der Unterscheidung der Viecher sehr schwer tue. Aber die im Gehäuse lebende Art auf den Bildern 2 und 3 finde ich hier auch. Du weißt nicht zufällig, um welche Art es sich handelt?

Martin

Michael Plewka

Hallo zusammen,
@ Michael:
da präsentiertst Du uns eine sehr interessante Zusammenstellung Deiner Rädertierfunde! Die Rotaria mit dem Geäusebau hab ich selber noch nie in dieser Weise gesehen. Gratulation zu dem Fund!


Bei den  von Dir vorgestellten bdelloiden Rädertieren   ist die Bestimmung m.E. nur sehr eingeschränkt möglich. Sie stammen -soweit ich das erkennen kann-  aus  3 größeren Gruppen : Gattung Rotaria, Familie Habrotrochidae und der Gattung ??Philodina??

Bildreihe 1: Fam: Habrotrochidae
2: interessantes Viech: solche Schlammröhren bewohnenden Bdelloiden kenne ich bisher nur von Oles und Martins Bildern, habe ich selbst noch nie gesehen. Bestimmung aber selbst der Gattung nicht möglich, Details fehlen (evtl Rotaria mento, "gerne in Schlammröhren" (Donner, 1965))
3. Bestimmung selbst der Familie nicht möglich, Details fehlen
4. Rotaria neptunia
5,6 Rotaria, möglicherweise R. rotatoria
7. Fam. Habrotrochidae
8. kein Bdelloid, sondern (wegen der 2 Lateraltaster) Ptygura
9. Möglicherweise Philodina oder Macrotrachela (Details (Mastax/ Fuß) fehlen);
10/11. Rotaria; möglicherweise R. neptunoida. Artbestimmung nicht möglich, Details fehlen
12. siehe 2
13. Rotaria sp.
14. Ptygura  sp.



Leider schreibst Du nichts zu den  Proben, aus denen Deine Viecher stammen, aber der Lebensraum von mindestens 3/4 der von Dir gezeigten Arten ist aquatisch (bei dem restlichen Viertel kann man es nicht angeben, weil die Bestimmung nicht möglich ist) , während der überwiegende Teil der ca. 470 bekannten Bdelloiden-Arten  (Stand 2007) terrestrisch entweder im Boden oder in Moosen und Flechten lebt.  Die Viecher sind daran angepasst, Monate bis Jahre trocken zu überdauern ("mein Rekord" in dieser Hinsicht ist eine Art, die mehr als 3 Jahre überlebt hat. http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Adineta_sp_11_MC.html

Werden solche terrestrischen Arten dann  dem Wasser ausgesetzt, rädern sie sehr intensiv für kurze Zeit, anschließend rädern sie nur noch selten und stellen häufig schon bei der Überführung auf den OT das Rädern ein, fangen an zu kriechen  und/oder  kontrahieren.

Das "Rädern" ist somit auch nicht "das normale Verhalten", sondern lediglich ein Teil des möglichen  Verhaltensrepertoires dieser Tiere, zu dem auch das Kriechen, die Fortpflanzung und die Trockenstarre, die bei vielen!!!  Arten die meiste Zeit ihres "Lebens" ausmacht, gehören. Leider ist aber das -bei vielen Arten sehr selten gezeigte- Verhalten des Räderns für die Artbestimmung essentiell.

Gerade bei unbekannten Arten ist deshalb jede Sekunde des Räderns eine kostbare Zeit, die ausgenutzt werden muss! Belässt man diese Viecher im Wasser, so findet man nach ein paar Tagen erfahrungsgemäß sehr viele Bdelloiden-Leichen in der Petrischale.

Es ist also eine bestimmte Selektion des (aquatischen) Habitats und damit zwangsläufig der  dort vorkommenden Rädertiere in Deinen Proben (die wahrscheinlich in Deinem Fokus bzw. die Präferenz auf Gastrotrichen  begründet ist), die zu diesem Ergebnis und zu Deiner Meinung geführt hat, dass seien "viele".


Dass das Mikroaquarium   sich hervorragend  u.a. auch zur Langzeitbeobachtung von Mikroorganismen eignet, ist unbestritten und hast Du ja hier schon oft gezeigt. Die Methode ist ja auch schon sehr lange etabliert: über entsprechende  Beobachtungen, z.B. auch an (bdelloiden)  Rädertieren   konnte man schon vor 40 Jahren im "Mikrokosmos" lesen (wobei auch die dort beobachtete Adineta oculata eine der wenigen aquatisch lebenden Adineta-Arten  ist .


Jede Methode hat ihre Vorzüge und ihre Nachteile. Aber ein Mikroaquarium bietet prinzipiell nicht die flexiblen Möglichkeiten der kontrollierten Reduzierung der Schichtdicke, wie sie zur Erfassung bestimmter morphologischer Details  und damit zu der Identifizierung von Organismen aus Gruppen wie Ciliaten oder Rädertieren nun mal  nötig ist. Das demonstriert  Martin Kreutz ja laufend an Ciliaten immer wieder hervorragend. Hinzu kommt, dass zur Artbestimmung bei den Rädertieren, und da gerade auch bei den monogononten, die überwiegend aquatisch leben, eine Kauerpräparation zwingend erforderlich ist. Die Wahrscheinlichkeit , ein eindeutiges Ergebnis dieser notwendigen Mazeration ohne vorherige Isolation der Viecher zu erzielen, ist gleich null. Ein "Umtopfen" aus dem Mikroaquarium auf einen anderen Objektträger ist mit viel zu großen Verlusten verbunden; ein solches Risiko gehe ich, vor allem  bei Einzelfunden, nicht ein.

Hinzu kommt noch ein "psychologisches Problem": Angenommen ich habe zwei oder mehr interessante Organismen unter dem Deckglas (egal, ob jetzt Mikroaquarium oder "normal"), beispielsweise ein Gastrotrich bei/ nach der Eiablage und ein Rädertier, das gerade ein Gehäuse baut und eine Alge, die gerade von einem Parasiten befallen wird. Ich muss dann entweder eine Entscheidung treffen, welches Viech ich dann bevorzuge bezüglich der Beobachtung und muss evtl. Kollateralschäden in Kauf nehmen.  Oder ich versuche den Kompromiss, alle Organismen gleichermaßen zu beobachten/  fotografieren mit dem Ergebnis, so wie man es bei Deinen  Bildbeispielen in diesem Beitrag teilweise  auch sieht, dass eine Bestimmung nur eingeschränkt  möglich ist, weil nicht alle Details erfasst werden können.

Und noch ein weiteres technisches Problem, was erfahrungsgemäß auftreten kann und was berücksichtigt werden sollte: der Arbeitsabstand der Objektive.  Ich habe 2 Objektive, die beide  eine hervorragende optische Qualität und deshalb auch viel Geld gekostet haben (Neofluar 16x Imm. und ein Planapo 25x trocken), deren Arbeitsabstand aber so gering ist, dass bei einem Objekträger mit einer Vertiefung und DG drauf diejenigen  Organismen, die sich am Boden der Vertiefung befinden, überhaupt nicht mehr scharf abgebildet werden (es sei denn, man zerbricht durch Verringerung des Abstands das Deckglas ....). Da hilft dann natürlich nur ein anderes Objektiv, das  einen größeren Arbeitsabstand, aber möglicherweise eine schlechtere Abbildungsqualität aufweist. Ein Kompromiss halt....

Beste Grüße
Michael Plewka

Michael Müller

Hallo,

es freut mich, dass meine kleine Zusammenstellung für Euch von Interesse war.

@Michael:
Vielen Dank für Deinen Bestimmungsversuch - es war mir schon klar, dass die Fotos da nicht viel hergeben, zumal ich auch nicht darauf geachtet hatte, bestimmungsrelevante Details abzubilden.
Du hast Recht - alle Beispiele waren aus aquatischen Habitaten (meist Schlammproben), die ich nahezu ausschließlich untersuche. Aus Moos extrahierte Tiere habe ich auch schon in Mikroaquarien untersucht, aber hier sterben die Tiere relativ schnell ab. Wahrscheinlich sind die Lebensbedingungen in den Mikroaquarien einfach zu verschieden vom natürlichen Habitat.
Es ist mir klar, dass Mikroaquarien zur exakten Untersuchung der Anatomie etc. nicht taugen. Auch ich isoliere Tiere, die ich genauer untersuchen oder einer Schuppenanalyse unterziehen möchte, und reduziere die Schichtdicke kontrolliert. Jede Untersuchungsmethode hat ihre Stärken und Schwächen.
Es ging mir bei meinem Beitrag eigentlich nur darum, aufzuzeigen, dass (aquatische) Bdelloiden auch in den Mikroaquarien beim Rädern beobachtet werden können.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du