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Ein Deckglas - eine Stunde

Begonnen von Martin Kreutz, Februar 04, 2021, 22:22:09 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

bei mir schwimmen wieder ein paar Deckgläser (s. mein früherer Beitrag https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=31084.0) und heute abend habe ich zwei davon untersucht, ob etwas angewachsen ist. Auf einem dieser Deckgläser war tatsächlich eine reichhaltige Flora und Fauna zu entdecken. Ich habe mich kurzfristig zu einem Blitz-Beitrag entschieden, um einige meiner Funde unter diesem Deckglas zu zeigen.

Alle folgenden Aufnahmen entstanden heute Abend innerhalb von 50 min. von diesem Deckglas. In dieser Zeit habe ich 148 Aufnahmen gemacht, von denen ich hier einige zeige.

Zuerst kam mir Uroleptus unter die Optik, bei noch relativ hoher Schichtdicke. Da Uroleptus schnell zur Kontraktion neigt, wenn es ihm zu ungemütlich wird, habe ich ihn zuerst abgelichtet. Immer wieder schön anzuschauen und fotogen bei den hypotrichen Ciliaten ist die komplizierte Bewimperung:




Praktisch an allen meinen schwimmenden Deckgläsern klebt Calyptotricha pleuronemoides, ein ca. 50 µm langer Ciliate in einem selbstgebauten Gehäuse. Der Pfeil in der linken Aufnahme zeigt auf die beiden verlängerten Tastcilien, die sonst schwer zu dokumentieren sind, die ich aber hier zufällig erwischt habe:

https://realmicrolife.com/calyptotricha-lanuginosa/

In einem weiteren Gehäuse von Calyptotricha dann ein unerwartet Fund. Dort fand sich im Gehäuse etwas anderes. Es handelt sich um den räuberischen Ciliaten Litonotus, der in der Gehäuse eingedrungen ist und Calyptotricha phagocytiert hat. Dies muss er schon mal gemacht habe, denn in seinen Nahrungsvakuolen sieht man zwei Exemplare Calytotricha, die es erwischt hat. Der Pfeil zeigt auf die Extrusome von Litonotus:

https://realmicrolife.com/calyptotricha-lanuginosa/

Nur wenig neben dem Gehäuse von Calytrotricha hatten sich mehrere Exemplare von Clathrulina elgans angesiedelt. Ebenfalls immer ein fotogenes Objekt:

https://realmicrolife.com/clathrulina-elegans/

Am Deckglas laufend ein weiterer hypotricher Ciliat, der nur 25 -30 µm große Aspidisca. Wahrscheinlich Aspidisca lynceus:



Die Schichtdicke war noch hoch genug, dass sich auch größere Ciliaten noch frei bewegen konnten. Ein ca. 250 µm langer hypotricher Ciliat war sehr häufig vertreten. Ich nehme an Tetmemena pustulata:

https://realmicrolife.com/tetmemena-pustulata/


Erst bei stark reduzierter Schichtdicke kann man sich mit dem 100 X an die defizileren Objekte wagen. Sehr häufig auf schwimmenden Deckgläsern wächst Pseudodendromonas vlkii in verzweigten Kolonien:

https://realmicrolife.com/pseudodendromonas-vlkii/

Ganz zum Schluss, wenn die Auflösung am höchsten wird, habe ich noch eine wunderbar ausgebreitete Microgromia longisaepimen gefunden. Diese nur 15 µm große Schalenamöbe ist so fotogen, dass ich schon gefühlt hunderte Fotos davon habe. Nun ein weiteres:

https://realmicrolife.com/microgromia-longisaepimen/

Ich hoffe, meine Resultate von 1 h Deckglas waren nicht zu langweilig.

Allen einen schönen Abend

Martin

SNoK / Stephan Krall

#1
Lieber Martin,

wieder sehr schöne und auch interessante Bilder. Wahrscheinlich hast Du das schon x-Mal geschrieben, aber worauf schwimmen Deine Deckgläser für den Aufwuchs?

Grüße
Stephan

P. S.: Ich war heute in einem Moor unterwegs, winzig (Heftricher Moor). Leider gibt es in meiner Gegend in Hessen so gut wie keine Moore. War auch nicht mehr viel zu sehen. Ein paar Bauchhärlinge, Flagellaten und Rädertiere.
Mikroskope: Leica DMRB, Leitz Dialux (beide mit DIK)
Stemis: Zeiss 508, Wild Heerbrugg M5
Kameras: Sony alpha 6500 und 6400
Webseite: https://kralls.de
Vorstellung: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=41749.msg308026#msg308026

Lumi

Vielen Dank Martin für die genialen Aufnahmen,
und Danke für die ungeputzten Darstellungen, die zeigen einfach das pure Leben im Wassertropfen, das finde ich interessanter als die geputzten Fotos fürs "nichtvorhandene Wassertropfenlexikon".
Grüße
Franz

Bernd Miggel

Lieber Martin,

deine Arbeiten zum Thema "schwimmende Deckgläser" finde ich hoch interessant.
Könntest du bitte einen früheren Beitrag verlinken, in dem du deine Vorgehensweise erläuterst?

L.G. - Bernd

Martin Kreutz

Hallo Stephan, hallo Bernd,

ich habe den linke zu meinem früheren Beitrag zu schwimmenden Deckgläsern in den Beitrag eingefügt, gleich im ersten Satz!

Martin

Bernd Miggel

Lieber Martin,

danke für den Link! Als Laie auf diesem Gebiet muss ich nochmal nachfragen: Durchlicht - ungefärbt - DIC?

L.G. - Bernd

Bob

Hallo Martin,
Dein 1-Stunden-Format gefällt mir sehr gut! Eine Stunde lässt sich immer mal freischaufeln, die Zeit für ein Tagesprojekt nicht unbedingt.
Falls Du also mal wieder eine Stunde Zeit findest - ich freue mich über solche Berichte.

Hast Du bei der Deckglas-Methode eigentlich Unterschiede bei der Besiedelung von Deckglas zu Deckglas festgestellt und konntest Du Erklärungen dafür finden? Bei anderen Präparationsmethoden fällt ja oft auf, das schwer greifbare Unterschiede der Glasoberflächen erheblichen Einfluss haben.

In dem anderen Thread kam der Gedanke auf, dass es ja Arten auf das Deckglas schaffen, die eher am Boden leben und gar nicht so mobil sind. Verwendest Du eher flache Gefäße um es ihnen leicht zu machen?

Viele Grüße,

Bob

Ole Riemann

Hallo Martin,

mal eben so ein Stündchen am Mikro - da kam aber einiges zusammen. Die von Bob aufgebrachte Frage beschäftigt mich auch immer wieder: Wie kommen die Detritus-assoziierten Organismen durch das Stückchen Freiwasser an die Oberfläche des schwimmenden Deckglases? Sie können ja nicht ahnen, dass es für sie nach einer Durststrecke des Freischwimmens viel besser wird. Oder gar eine Microgromia; wie soll die diesen Weg bewältigen?

Beste Grüße

Ole


Martin Kreutz

Hallo,

vielen Dank für eure netten Kommentare!

@ Bernd: Das ist alles DIK!

@ Bob: Die Deckgläser sind unterschiedlich besiedelt. Das hängt aber nicht davon ab, welche Glassorte man nimmt, sondern auf welcher Probe es schwimmt. Ich nehme immer Petrischalen aus Plastik. Da kommen ca. 20 -30 ml Probe rein (5 - 7 mm hoch gefüllt). Die Probe enthält bei mir immer viel Schlamm und Detritus. Manchmal auch Pflanzenteile. Das ist wichtig. Mit klarem Überstand aus der Probe wächst nur wenig. Je Petri kommen dann drei Deckgläser drauf. Die nehme ich zu verschiedenen Zeiten ab (der Bewuchs nimmt zu). Man kann den Bewuchs etwas steuern. Z.B. eine Schale im Kühlschrank, eine bei RT. Die Methode ist sehr flexibel. Man muss die Deckgläser auch nicht schimmen lassen. Man kann sie auch auf den Boden sinken lassen. Dann werden sie dort besiedelt.

@ Ole: Tsja, Ole, Fragen über Fragen! Ich weiß es auch nicht! Viele bilden in ihrem Lebenszyklus Flagellenstadien. Dann darf man die Konvektion in der Petrischale nicht vergessen. Ab und zu wird auch mal ein Detritus-Teilchen aufschwimmen (durch Gasblasen) und wie ein Bus einige Bewohner mitnehmen. Ich gebe aber zu, dass ich nie Untersuchungen durchgeführt habe zur Abhängigkeit des zu beobachteten Bewuchses von der Höhe der Flüssigkeitssäule auf dem die Deckgläser schwimmen. 

Heute abend habe ich mir nochmal ein Deckglas vorgeknöpft und mich nochmal an Uroleptus caudatus versucht. Diesmal zeige ich von ca. 120 Aufnahmen nur 2 Aufnahmen in 2 Fokusebenen. Daran sieht man, dass der Zeitaufwand exponentiell steigt, wenn man es etwas genauer haben will.



Schönen Abend

Martin