Botanik: Dem Architektentrost auf das Phellem geschaut (Fallopia baldschuanica)*

Begonnen von Fahrenheit, Oktober 07, 2011, 08:52:55 VORMITTAG

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Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

nach längerer Pause möchte ich heute einige Schnitte vom Schlingknöterich (Fallopia baldschuanica, auch Polygonum baldschuanica) zeigen, der wegen seines starken Wachstums und daher seiner Fähigkeit, auch die schlimmsten Bausünden in kürzester Zeit komplett zu begrünen, auch "Architektentrost" genannt wird.

Bild 1: was für Mauern gilt, gilt natürlich auch für Bäume, wie hier z.B. bei einer Kiefer


Die Fallopia-Arten - Flügelknöteriche - gehören zur Familie der Knöterichgewächse (Polygonaceae). Der Name rührt von den geflügelten äußeren Blütenblättern her, die "klassischen" Sprossknoten der Polygonum-Arten findet man beim Schlingknöterich oft undeutlich und nur am alten Holz.
Fallopia baldschuanica ist eine laubabwerfenden, ausdauernde Schlingpflanze, deren ältere Triebe verholzen. Die Ranken werden bis zu 20 Meter lang, 8 Meter Zuwachs in einem Jahr sind keine Seltenheit. Ältere Sprosse erreichen Dicken um 10 cm und sind in der Lage, auch starke Stahlseile einer Rankhilfe so zu deformieren, dass diese aus der Verankerung gerissen werden. Eine Dachrinne oder ein Fallrohr hat da keine Chance.

Die eiförmigen bis leicht gepfeilten Blätter erreichen Längen von bis zu 8 cm und entspringen in Gruppen zu zwei oder drei Blättern an den Sprossknoten. Die weißen, zwittrigen Einzelblüten stehen in großer Zahl an rispigen Gesamtblütenständen. Die drei äußeren der 5 Blütenhüllblätter tragen an der Außenseite die namensgebenden Flügel und zeigen innen einen hellgrünen Streifen. Acht Staubblätter umgeben einen ebenfalls hellgrünen Stempel mit dreiteiliger Narbe. Nach der Blütezeit von Juni bis September zeigen sich die kleinen braunen Nussfrüchte des Schlingknöterichs, die auch drei weiße Flügel tragen.

Fallopia baldschuanica ist ein Neophyt, der ursprünglich aus Zentralasien stammt. Mittlerweile ist er auf der gesamten Nordhalbkugel weit verbreitet.

Bild 2a/b: Blüten und Blattwerk



Bild 3: und noch einen Blick auf die geflügelten Blüten


Bild 4: Von Prof. Dr. Otto Wilhelm Thomé gibt es eine Illustration des nahe verwandten Heckenknöterichs (Fallopia dumetorum)

Aus der Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz, Gera 1885, Public Domain (www.biolib.de), die Illustration zeigt schön die geflügelten Nussfrüchte, wie sie auch beim Schlingknöterich vor kommen.  

Kurz zur Präparation:

Das einjährige Sprossstück wurde frisch auf dem Handzylindermikrotom mit Leica Einmalklingen im SHK-Halter geschnitten. Die Schnittdicke beträgt ca. 50 µm.
Nach anschließender Fixierung in AFE (ca. 60 Minuten) erfolgte die Färbung seriell nach Wacker W3A mit Acridinrot, Acriflavin und Astrabalau.
Entsprechende Anleitungen können auf der Webseite des MKB heruntergeladen werden.

Nun zu den Schnitten:

Bild 5: Sprossquerschnitt in der Übersicht, Vergrößerung 50x, Stapel aus 9 Bildern

Der größete Teil des Querschnitts wird vom Markparenchym eingenommen, nach Außen folgt das Xylem, in dem große Gefäße (Tracheen) einzeln oder in kleinen Gruppen der primären Leitbündel von einem sklerifizierten Xylemparenchym umschlossen sind. Zwischen dem Xylem und dem Phloem liegt das Cambium, das hier als dunkler Streifen erkennbar ist. Das Phloem wiederum ist von einem stabilisierenden Sklerenchymring umschlossen, auf dem das Rindenparenchym auf liegt. Es folgt die im Wachstum befindliche sekundäre Rinde, den Abschluss bildet eine sklerifizierte, einlagige Epidermis die von einer dünnen Cuticula überzogen ist.  

Bild 6a/b/c: Etwas näher heran, Vergrößerung 100x, Stapel aus 11 bzw. 17 Einzelbildern. Bild 6a ungefärbt und unfixiert in Wasser, 6b Wacker W3A, 6c mit Beschriftung



Von Innen nach Außen:
MP:  Markparenchym
PXl:  Protoxylem
XL:   Xylem
T:    Tracheen
Ca:   Cambium
Pl:    Phloem
SklR: Sklerenchymring
RP:   Rindenparenchym
Pd:   Phelloderm
Pg:   Phellogen
Pm:   Phellem
Ep:   Epidermis
Cu:   Cuticula

Bild 7a/b/c: Ein Blick auf das sich bildende Periderm, Vergrößerung 200x, Stapel aus 25 bzw. 10 Bildern. Bild 7a ungefärbt und unfixiert in Wasser, 7b Wacker W3A, 7c mit Beschriftung



Im weiteren Verlauf des sekundären Dickenwachstums wird der Sklerenchymring durch die neu gebildeten Xylem- und Phloemzellen gesprengt. Auch die jetzt noch geschlossene Epidermis wird abblättern und dem Phellem (Kork) als abschließender Zellschicht Platz machen.
Schön zu sehen ist eine Siebplatte im Phloem. Siebröhren und Geleitzellen sind hier leider nicht auf den ersten Blick zu unterscheiden.

Bild 7d: der bereits aufgerissene Sklerenchymring, Vergrößerung 200x, Stapel aus 4 Bildern


Bild 8: Ein primäres Leitbündel im Xylemparenchym, Vergrößerung 200x, Stapel aus 17 Bildern.

Die Tracheen im Protoxylem haben einen Durchmesser bis etwa 20 µm, die darüber liegenden innerhalb des Bündels bis etwa 35 µm. Die jüngeren, frei im Xylemparenchym liegenden Tracheen erreichen dagegen Durchmesser von rund 70 µm und sind somit wesentlich leistungsfähiger.

Bild 9: eingelagert in der Epidermis gibt es immer wieder größere Zellen, Vergrößerung 1000x, Stapel aus 11 Bildern.

Ob es sich dabei um eine Art Drüsenzelle handelt? Der Durchmesser der normalen Epidermiszellen liegt bei ca. 30 µm, der "Riese" rechts hat einen Durchmesser von gut 45 µm.
Die Cuticula ist unter 1 µm dick, die äußere und innere Zellwand der Drüsenzelle erreichen Dicken von je 2,5 µm. Schön zu sehen ist die in der Aufsicht streifige Struktur der Epidermiszellen, die sich im Querschnitt als Zackenmuster darstellt.

Vielen Dank fürs Ansehen, Anregung und Kritik sind wie immer willkommen.

Herzliche Grüße
Jörg

Edit: einen Fehler in der Beschriftung von Bild 6c behoben (Danke Hans-Jürgen!) und Bild 7d zugefügt.
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moräne


Rawfoto

Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

Rolf-Dieter Müller

Lieber Jörg,

die Gegenüberstellung von ungefärbten und unfixierten Schnitten zu den eindrucksvollen Färbungen ist wirklich gut.

Nicht nur das man sich daran an Interpretationen üben kann, ist es auch eine gute Möglichkeit den Betrachter immer auf das Ursprüngliche zurückzufuhren.

Viele Mikrogrüße
Rolf-Dieter

Fahrenheit

Liebe Freunde,

vielen Dank für Euer Lob!

Ja, das Farbenspiel ist schon ähnlich, aber man verbrennt sich nicht die Finger daran.  ;D

Auch ich finde die Gegenüberstellung mit dem ungefärbten Schnitt sehr spannend. Nur war ichdiesmal zu langsam: zwischen dem Schnitt und der Aufnahme liegen rund 60 Minuten - das Chlorophyll im Rindenparenchym ist in dieser Zeitspanne leider schon verblasst.

Allen Teilnehmern am morgigen Workshop in Darmstadt eine gute Fahrt - bzw. denen, die schon Gäste bei den Gebrüdern Grimm sind, einen schönen Abend!  ;)

Herzliche Grüße
Jörg
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Eckhard

Lieber Jörg,

ein guter Schnitt schön gefärbt! Besonders gut gefällt mir Bild 7b. Die Struktur des Periderms habe ich so noch nicht gesehen.

Viel Spass in Darmstadt heute, ich konnte das leider nicht einbauen.

Herzliche Grüsse
Eckhard

Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
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Hans-Jürgen Koch

Lieber Jörg,

super Schnitt und kräftige Farben. Dein Beitrag gefällt mir sehr gut.
Allen Seminarteilnehmern in Darmstadt wünsche ich heute viel Spass.

Gruß

Hans-Jürgen
Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

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Gerne per "Du"

Holger Adelmann

Schöner Schnitt und tolle Farben,lieber Jörg  :)
Herzliche Grüsse
Holger

Fahrenheit

Liebe Freunde,

auch Euch herzlichen Dank für Euer Lob!

Lieber Eckhard,

ich habe noch Schnitte vom Waldgeißblatt in Vorbereitung, bei denen das Periderm unter dem Sklerenchymring entsteht, der dafür fast direkt unter der Epidermis liegt.
Detlef hat heute in Darmstadt noch einmal darauf hin gewiesen, dass das Periderm bei Pflanzen mit sekundärem Dickenwachstum je nach Art überall außerhalb des Phloemrings gebildet werden kann.

Der Workshop heute in Darmstadt hat viel Spaß gemacht!

Herzliche Grüße
Jörg
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HDD

Hallo Jörg

Es ist immer wieder ein Genuss, Deine Berichte anzuschauen.

Herzliche Grüße

Horst-Dieter

Fahrenheit

Lieber Horst-Dieter,

bitte entschuldige die späte Antwort - ich bin gerade aus Rendsburg zurück.
Schön, dass Dir meine kleine Übersicht zum Architektentrost gefällt!

Herzliche Grüße
Jörg
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Mila

Lieber Jörg,

sorry, ich bin spät dran mit meiner Antwort :-[

Dein Beitrag ist wie immer sehr schön, vor allem die Gegenüber- (oder eher: Untereinander-) stellung des ungefärbten und gefärbten Schnittes, zusätzlich dann noch die Beschriftung, sind natürlich pädagogisch super wertvoll! ;)

Auch das letzte Bild, auf dem man die gefaltete Cuticula so schön erkennt, gefällt mir sehr gut.

Herzliche Grüße und genießt den schönen Sonntag,
Mila

Fahrenheit

Liebe Mila,

danke für Dein Lob!

Die Gegenüberstellung der ungefärbten und gefärbten Schnitte finde ich auch sehr interessant - man kann die Gewebe nämlich auch am unbehandelten Schnitt gut unterscheiden, wenn man weiß, wo man hin gucken muss.

Herzliche Grüße
Jörg
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