Histologie des Hoden und des Nebenhodens der Maus I

Begonnen von Dieter Stoffels, August 31, 2012, 17:21:28 NACHMITTAGS

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Dieter Stoffels

Liebe Forumsmitglieder,

in diesem Beitrag möchte ich am Beispiel des Hodens der Maus (Mus musculus) exemplarisch die Entwicklung von Gameten, die Progenese, ausgehend von den primordialen Keimzellen, beschreiben und ausführlich anhand histologischer Präparate vorstellen. Hierbei soll besonderer Wert auf den jeweiligen Kernstatus der beteiligten Zellen gelegt werden.

Einleitung

Die befruchtete Eizelle der Maus teilt sich aufgrund des geringen Dotteranteiles total-äqual (holoblastischer Furchungstyp). Im Verlauf der frühen Embryonalentwicklung wird eine kleine Zellgruppe extraembryonal durch einen Induktionsprozess  der Nachbarzellen veranlasst, zu primordialen Keimzellen (diploide Urkeimzellen) zu entwickeln. Die Gruppe der Urkeimzellen stellen somit Abkömmlinge des extraembryonalen Mesoderms dar und liegen dem Dottersack seitlich an. Nach einer mitotischen Proliferationsphase gelangen die Urkeimzellen nach Invagination des Enddarmes in den Mäusembryo und beginnen, unter Fortsetzung der mitotischen Teilungen, amöboid entlang des Enddarmdaches zu den paarig angelegten Genitalleisten (auf Höhe der prospektiven Nieren) zu wandern. Auf ihrer Wanderung werden die Urkeimzellen von somatischen Zellen versorgt und gelenkt. Bei den Genitalleisten handelt es sich um die Vorläufer der weiblichen und männlichen Gonaden (Ovarium und Hoden). Die Entscheidung, ob sich die Genitalleiste zu einem Ovar oder einem Hoden entwickelt, wird durch das Vorhandensein des Sry-Genproduktes des Y-Chromosomes der somatischen Genitalleistenzellen (und nicht durch Umweltfaktoren wie z. B. bei einigen Fischen, Krokodilen, usw.) bestimmt. Bei den Zellen, die in der Lagen sind, das Sry-Genprodukt zu bilden, handelt es sich um die Vorläufer der Sertoli-Zellen (Stütz- und Ammenzellen). Die Sertoli-Zellen sind maßgeblich an der Bildung und Strukturierung des Hodens und dem Unterhalt der Spermatogenese und Spermiohistogenese beteiligt. Die vielfältigen Leistungen der Sertoli-Zellen sollen bei der Beschreibung der histologischen Präparate ausführlich besprochen werden.

Unter der Wirkung des Sry-Genproduktes werden die mit  Urkeimzellen besiedelten Genitalleisten zu paarigen Hoden (Testis). Die Urkeimzellen wandeln sich im frühen Hoden zu diploiden Spermatogonien, die sich nach Erreichen der Geschlechtsreife des Tieres stark mitotisch teilen. Die Mitosen erzeugen Spermatogonien,  von denen ein Teil als Stammzellen basal abgelegt werden. Diese Stammzellen behalten ihre Totipotenz und bleiben teilungsfähig. Aus der Mehrzahl der Spermatogonien werden ,,reifende", aber nach wie vor diploide Spermatogonien, die sich im Verlauf der weiteren Spermatogenese und Spermiohistogenese zu Spermatozoen entwickeln. Die diploiden Spermatogonien teilen sich erneut mitotisch, mit der Besonderheit, dass es im Verlauf der Mitose (während der Diakinese) nicht zu einer vollständigen Trennung der Tochterzellen kommt, sondern letztere durch eine cytoplasmatische Brücke verbunden bleiben. Auf diese Weise entstehen ,,polyploides" Syncytien mit hoher Synthesleistung, an der alle Zellen des Verbandes teil haben. Mit der Bildung von Spermatogonien, die paarig verbunden bleiben, endet der diploide Kernstatus und geht über in die Reifeteilung (meiotische Teilung, Meiose), die letztendlich zu Bildung haploider Gameten führt. Alle bisher besprochenen Zellen, einschließlich derjeniger, die nach der Mitose als Spermatogonienpaar verbunden blieben, haben keine genetische Veränderung erfahren und sind immonulogisch im Zuge der klonalen Selektion und Deletion auf körpereigen geprüft worden. Diese Zellen und ihre Produkte besitzen somit nicht das Potenzial, eine Autoimmunreaktion auszulösen.

Im weiteren Verlauf der Spermatogenese treten die Spermatogonien in die Prophase I der Meiose ein. Hierbei verdoppelt sich ihr genetisches Material unter Wandlung zu primären Spermatozyten (Spermatozyten I) auf den tetraploiden Status. Als weitere Merkmale der Prophase I der Meiose ist die Bildung von Bivalenten, der Aufbau von synaptonemalen Komplexen und der Austausch von genetischem Material im Zuge eines crossing-overs zwischen mütterlichen und väterlichen Schwesterchromatiden zu nennen. Nach Abschluss der ersten meiotischen Teilung entstehen sekundäre, diploide Spermatozyten (Spermatozyten II), die bei der Verteilung entweder die mütterlichen oder die väterlichen Schwesterchromatiden erhalten haben und sich durch eine veränderte genetischen Ausstattung (siehe crossing-over) auszeichnen. Auf die Genprodukte der genetisch veränderten Spermatozyten II ist das Immunsystem nicht geprägt. Somit besteht die Gefahr einer Autoimmunreaktion! Auf welche Weise eine derartige Reaktion unterbunden wird, soll bei der genaueren Beschreibung der Merkmale der Sertoli-Zellen besprochen werden.

Nach der ersten meiotischen Teilung durchlaufen die sekundären Spermatozyten II eine weitere Teilung, bei der zuvor keine S-Phase und somit keine weitere Verdopplung des genetischen Materiales stattgefunden hat. Bei der zweiten meiotischen Teilung wird der Chromosomensatz unter Bildung der Spermatiden auf den haploiden Chromosomensatz reduziert. Die somatischen Zellen der Maus besitzen im diploiden Zustand 40, im haploiden 20 Chromosomen. Unabhängig vom Teilungsverlauf bleiben alle Zellen über cytoplasmatische Brücken verbunden, was das ,,polyploide" Synzytium erhält und die synchrone Entwicklung bis hin zu den reifen aber noch unbeweglichen Spermatozoen sicherstellt. Im Verlauf der Spermatogenese rückt der Zellverband eines Syncytiums von der Basalmembran der Lamina propria limitans zum Lumen der Hodenkanälchen (Tubuli seminiferi convoluti) vor. Mit der Bildung der haploiden Spermatiden ist die Spermatogenese abgeschlossen und die Spermiohistogenese (die Reifung zu befruchtungsfähigen Spermatozoen) beginnt.

Während der Spermiohistogenese entwickeln sich die haploiden Spermatiden zu Spermatozoen. Die Zytodifferenzierung schließt die Acrosomenbildung, die Ausbildung des unterliegenden, spermientypischen Kernes mit hoch kondensiertem Chromatin, aber auch die Wandlung und Abgabe zytoplasmatischer Anteile ein. Die teilreifen Spermatozoen werden aktiv in das Lumen der Hodenkanälchen abgegeben. Der zytoplasmatischen Restkörpers der Spermatozoen wird an die Sertoli-Zelle abgeben und von ihnen lysosomal abgebaut. Als Resultat der Spermiohistogenese entstehen befruchtungsfähige Spermien, die aus einem Kopf und einem Schwanz bestehen. Der Schwanz lässt sich weiter in einen Hals, ein Mittelstück, ein Haupt- und ein Endstück untergliedern.

Die in die Hodenkanälchen (Tubuli seminiferi) abgegebenen reifen Spermatozoen gelangen über das labyrinthartig strukturierte Rete Testis und die Ductuli efferentes in den Gang des Nebenhodens (Epididymis). Hier reifen die Spermien weiter und werden am Ende des Ganges gespeichert. Im Zuge einer Ejakulation wird Sperma und Samenflüssigkeit über den Samenleiter (Ductus deferens) abgeführt. Das Sperma wird zuvor im Samenbläschen (Vesicula seminalis) zwischengespeichert und die Zusammensetzung der Samenflüssigkeit durch Produkte akzessorischer Drüsen (Prostata, Cowper-Drüse) erweitert. Hinsichtlicher der Drüsenausstattungen besteht zwischen Mensch und Maus kein Unterschied.

Histologische Bearbeitung des Hodens der Maus (Mus musculus)

Im Folgenden soll zunächst eine Übersichtaufnahme des Hodens der Maus gezeigt werden. Anschließend werden Details des Hodens, aber auch des Nebenhodens vorgestellt. Die mikroskopischen Bilder wurden bei Hellfeldbeleuchtung aufgenommen. Zur Darstellung feinerer Strukturen ist im Differential-Interferenzkontrast nach Normaski gearbeitet worden. In den Abbildung wurden folgende Abkürzungen verwandt:

adK.................adluminales Kompartiment
aAdSZ.............apikaler Anteil der Sertoli-Zelle
bAdSZ.............basaler Anteil der Sertoli-Zelle
aPr/Pr..............abgelöste Protrusion/Protrusion
baK.................basales Kompartiment
baZ................ basale Zelle/Basalzelle
Bg...................Blutgefäß
BH-S................Blut-Hoden-Schranke
Bs....................Bindegewebsseptum
D. e.................Ductus epididymis
fSp..................frühe Spermatide
GLZ.................Gruppe Leydig´scher Zellen
gM..................glatte/r Muskelzelle/-zellstrang
hZe.................helle Zelle
iSr/Ist..............interstitieller Raum / Interstitium
Hz...................Hauptzelle
Kz.................. Keimzelle
Lg...................Lymphgefäß
L. p. l. ............Lamina propria limitans
Lu ..................Lumen
LZ ..................Leydig´sche Zelle
Mf...................Myofibrozyte
Mi...................Mitose-Stadien
rSp.................reifende Spermatide
Rk...................Restkörper
RT...................Rete Testis
SdS.................Schwänze der Spermatozoa
Sg...................Spermatogonie
Sk...................Spermienkopf
Sl....................Schlussleiste
Sp...................Spermie/n
Ss...................Spermienschwanz
St...................Stereozilien
SZ..................Sertoli-Zelle
Sz I/II.............Spermatozyte I/II
sZy................"schaumiges" Zytoplasma
T. a. ..............Tunica albuginea
T. s. ..............Tubuli seminiferi
Vs..................Vesikel
ZdL................Zellkern der Leydig´schen Zelle
ZdS................Zellkern der Sertoli-Zelle
Zk..................Zellkern

(an dieser Stelle sei empfohlen, die Auflistung der Abkürzungen auszudrucken und den Aufnahmen beizulegen)

In Abbildung 1 wird eine Übersichtsaufnahme des Hodens (Testis) der Maus gezeigt. Bei dem Hoden handelt es sich um einen bohnenförmigen Körper, der von einer bindegewebigen Kapsel, der Tunica albuginea, umgeben wird. Im vitalen Zustand herrscht im Hoden ein Überdruck, der für die Spermiogenese essentiell ist. Durch die Präparation des Hodens (Fixierung und Entwässerung) ist der Druck genommen und die Tunica albuginea hat sich an vielen Stellen von der Oberfläche des geschrumpften Hodenparenchyms abgelöst. Das Parenchym besteht aus gewundenen/geknäulten Hodenkanälchen, den Tubuli seminiferi convoluti, die im Schnitt quer oder längs getroffen wurden. Bei den hellen Anteilen im Hodenparenchym handelt es sich entweder um interstitielle Räume oder um das Lumen der Hodenkanälchen. Am unteren Rand des Hodens ist eine Struktur zu erkennen, bei der es sich um das Rete Testis handelt. Im Rete Testis werden die reifen Spermatozoen zwischengespeichert und über die Ductuli efferentes (hier nicht dargestellt) zum Nebenhoden geleitet. Ein Anschnitt des Nebenhodens (Epididymis) ist am unteren Bildrand zu erkennen. Der hier gezeigte Maushoden besitzt nach der Fixierung und Entwässerung eine Breite von 6,8 mm und eine Höhe von 4,5 mm.


Abb. 1:  Übersichtsaufnahme des Hoden und einem Teil des Nebenhodens der Maus (Mus musculus)

Wird das Hodenparenchym bei höherer Vergrößerung mikroskopisch betrachtet, zeigt sich, dass zwischen den Tubuli seminiferi convoluti schmale Bindegewebssepten verlaufen (Abb. 2). Des Weiteren sind in der Übersicht größere Blutgefäße,  im Detail, eine Vielzahl kleiner Kapillaren, vor allem im interstitiellen Gewebeanteil des Hodens, zu beobachten.  Der Hoden weist eine gute, zentrifugal und zentripetal im Organ verlaufende Vaskularisierung auf. Des Weiteren fallen erneut die interstitiellen Räume auf, die den gewundenen Hodenkanälchen im vitalen Zustand Bewegungsfreiheit verschaffen. Werden die Hodenkanälchen genauer betrachtet, sind die Keimzellen (Spermatozyten I und II, frühen Spermatiden) an ihren tiefblau gefärbten Chromosomenstrukturen zu erkennen, ein Ausdruck der hohen mitotischen/meiotischen Aktivität.


Abb. 2:  Aufnahme eines Ausschnittes des Hodenparenchyms der Maus (Mus musculus)

(Fortsetzung siehe Teil II)

Wer mehr wissen will, klickt HIER.

Dieter (Homepage)

Dieter Stoffels

#1
Lieber Jörg,

ich freue mich, dass Dir der Beitrag so zusagt. Vielleicht ein kleines Gegenstück zu dem, was Du hier im Forum leistest!!!

Des Weiteren möchte mich für Deinen Rat bedanken. Als ich den Beitrag eingestellt habe, war ich sehr verwundert, als mir angezeigt wurde, dass der maximal zulässige Zeichensatz überschritten war.  Schweren Herzens habe ich dann die Trennung vorgenommen, aber in dem Wissen, dass Florian sicher beide Berichte in der eigenen Rubrik "Histologie" wieder zusammenführen wird. Das ging übrigens überaschend schnell; herzlichen Dank dafür! Deinen Rat, einer versetzten Beantwortung, nehme ich gerne an. Ich habe auch auf Ronalds Antwort noch nicht reagiert, um die Beiträge nicht unnötig zu trennen.

Herzliche Grüße!