Tubus-Revolver-Objektivanpassung bei alten Leitzhufeisen

Begonnen von Dypsis, November 06, 2013, 08:42:34 VORMITTAG

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Dypsis

Hallo,

seit ein paar Tagen bringt mich ein Satz, über den ich in einem alten Leitzkatalog (No. 42, Mikroskope und Nebenaparate, 1906, S. 13) gestolpert bin, ins Grübeln.





Wenn ich die Aussage richtig verstehe, dann hätte man z.B. kein Objektiv austauschen dürfen, weil immer erst eine Anpassung an den Revolver notwendig gewesen wäre??? Und worin könnte diese ominöse Anpassung bestehen?
Die sich änderende Tubuslänge bei Einsatz eines Revolvers wird durch den Tubusauszug kompensiert (steht ja auch etxra drauf).

War der Satz einfach Marketing-Stuss? Ich hege aber den Verdacht, dass ich da was übersehe.

Das ist jetzt zwar keine weltbewegend wichtige Frage, aber bei dem Wetter...

Rätselnde Grüße
Thomas
Ich bevorzuge das forumsübliche Du!

Klaus Henkel

Zitat von: Dypsis in November 06, 2013, 08:42:34 VORMITTAG
seit ein paar Tagen bringt mich ein Satz, über den ich in einem alten Leitzkatalog (No. 42, Mikroskope und Nebenaparate, 1906, S. 13) gestolpert bin, ins Grübeln.
Wenn ich die Aussage richtig verstehe, dann hätte man z.B. kein Objektiv austauschen dürfen, weil immer erst eine Anpassung an den Revolver notwendig gewesen wäre??? Und worin könnte diese ominöse Anpassung bestehen?
Die sich änderende Tubuslänge bei Einsatz eines Revolvers wird durch den Tubusauszug kompensiert (steht ja auch etxra drauf).

War der Satz einfach Marketing-Stuss? Ich hege aber den Verdacht, dass ich da was übersehe.
Das ist jetzt zwar keine weltbewegend wichtige Frage, aber bei dem Wetter...
Thomas

Hallo Dypsis-Thomas F.

Daß Sie das nicht verstehen (können), ist erklärlich. Sie gehören einer Generation an, für die eine Großserienproduktion hoher Präzision selbstverständlich ist. Aber um die Jahrhundertwende 1900 war das keineswegs so. Dazu kommt das altertümliche Gewinde für Objektive und Revolver, die - was Präzision und Fertigungstoleranzen anbelangt - auch von einem englischen Hufschmied hätten konstruktiert sein können. Um diese Zeit war Manufaktur-Handarbeit noch weitgehend vorherrschend, und es war noch gar nicht so lange her, daß Carl Zeiss und Rudolph Winkel mißlungene Mikroskope eigenhändig mit dem Hammer auf dem Amboß zerschlugen um dem Gesellen eine Lehre zu erteilen.

Da mußte selbstverständlich jedes Bauteil eines Instruments mit den anderen per Hand mit Feile und Schraubenschlüssel abgeglichen werden. Für den Käufer war das kein Nachteil, denn man wechselte nicht andauernd die Objektive, die mit dem Instrument geliefert worden waren, gegen andere aus. Dazu bestand kein Anlaß. Dieses ständige Hinundhergeschraube, das heute unter Hobbymikroskopikern anscheinend üblich ist, gab es bei den Profis nämlich nicht. Die kauften nach Beratung durch den Hersteller und mit Kollegen genau das Instrument mit genau der Ausrüstung, die sie brauchten - und Schluß!

Der Objektiv-Abgleich, der dafür sorgte, daß ein Objekt beim Objektivwechsel nicht einfach im optischen Nirwana verschwand, wurde übrigens zum ersten Mal auf Vorschlag von Prof. Köhler bei Carl Zeiss 1911 eingeführt, also erst nach der Herstellung Ihres Leitz-Mikroskops.

Alles etwas klarer?

Grüße aus dem Nachbar-Landkreis!
KH

Dypsis

Hallo Herr Henkel,

so ungefähr hatte ich mir das schon gedacht, nur wundert es mich, dass das 1906 immer noch so gewesen sein soll. Nach meinem Eindruck waren die Fertigungstoleranzen doch schon ziemlich weit vom Hufschmiednivea entfernt.

Sei dem wie dem wolle, worauf ich mir noch keinen recht Reim machen kann ist, worin die Anpassung bestand. Rein mechanisch, auf Seiten des Revolvers? Oder anders herum, es ging bei der Anpassung "nur" um die Parfokalität?
Auch wenn Sie es als Hobbymikroskopikerunart abtun, auch ein Profi-Mikroskop-Besitzer aus der guten alten Zeit wird sich ab und an erlaubt haben, mal ein Objektiv vom Kollegen auszuleihen oder sich gar ein neues zu kaufen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er dann sein Mikroskop eingeschickt hat?

Und wie stelle ich mir das dann vor:
Kaufte man ein Mikroskop, bekam man es mit eingeschraubten Objektiven? Oder war der Platz am Revolver gekennzeichnet? Die Dosen im Kasten waren dann auch von Anfang an obsolet gewesen, denn man hätte niemals die Objektive dort unterbringen können weil sie am Revolver hätten bleiben müssen.
Also das scheint mir noch nicht so recht plausibel – wenn ich ehrlich sein darf.

Immer noch rätselnde Grüße
Thomas
Ich bevorzuge das forumsübliche Du!

JB

Hallo Thomas,

Bei Leitz findet sich noch in den 40er/50er Jahren der Hinweis, dass die Objektive genau auf den ausgelieferten Revolver abgestimmt wurden (alte Ortholux Prospekte). Dazu waren die Plaetze am Objektivrevolver durchnummeriert. Ich vermute mal, das ganze Ensemble wurde in der Fabrik parzentrisch zusammengestellt.

Jon

Dypsis

Hallo Jon,

das sind ja Abgründe, die sich da auftun.  :D

Hat das wirklich jemand auf der Rechnung, wenn er sich neue (respektive andere) Objektive zulegt? Und warum wäre eine Anpassung plötzlich nach 1950 nicht mehr nötig gewesen?

Die Markierung der Plätze wäre doch auch gar nicht ausreichend? Wenn ich das Objektiv nur etwas weniger fest einschraube, dann kann man doch die "Anpassung" vergessen? Also ich weiß nicht, aus der Geschichte wird für mich kein rechter Schuh.
Ich kann mich auch nicht erinnern, dass hier schon mal jemand über Probleme bereichtet hätte, weil er Objektive in einen anderen Revolver geschraubt hat.

Kann es sein, dass es hier in den Prospekten etwas sehr "genau" genommen wurde?

Noch rätselndere Grüße
Thomas
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JB

#5
Hallo Thomas,

Bei Leitz nahm man wohl es ganz genau.

Wenn Sie ein Leitz Objektiv herausdrehen und wieder einschrauben kommt es auch recht genau wieder an die selbe Stelle (jedenfalls ausreiched fuer normale Mikroskopie; Pol-Miks haben eine Justierung, soweit ich weiss).

Ansonsten bleibt der Griff zur Kondensorzentrierung um das Bild der Leuchtfeldblende wieder zu zentrieren.

Beste Gruesse,

Jon


Peter V.

Hallo Thomas,

mir erscheint Klaus Henkels Erklärung äußerst plausibel! Lichtjahre entfernt von seinem Wissen um die Mikroskophistorie (und auch dem Wissen anderer Sammler antiker Geräte) entfernt fabuliere ich mal ins Blaue. Sollte ich mir groben Unsinn zusammenreimen, bitte ich um sofortige Richtigstellung und Aufklärung.

Mikroskope waren zu jener Zeit ziemlich sicher extrem(!!) teure Präzisionsgeräte und  keine Massenware. Die Objektivauswahl war wohl mehr als überschaubar. Es gab doch nicht die unendliche Vielfalt an verschiedenen Vergrößerungen, Korrektionsklassen und Spezialobjektiven für alle möglichen exotischen Einsatzbereiche. Und einzelne Objektive waren sicher auch wenig verbreitet, die lagen vermutlich nicht einzeln in Döschen in Schuladen herum und wurden nicht haufenweise über den Gebrauchtmarkt vertrieben. Wer sollte ALSO mit wem irgendwelche Objektive austauschen? Und wozu? Ich glaube Herrn Henkel, dass es so war, dass ein Mikroskop komplett zusammengestellt wurde und der Revolver dazu diente, mehrere Objektive am Mikroskop zu haben, nicht aber dazu, die Objektive ständig hin- und herzuschrauben.
Während einerseits die mechanische Präszision noch nicht so hoch war, wurde andererseits aber darauf Wert gelegt, alles so präzise wie eben nur möglich zu justieren und auszurichten. Dazu gehört eben auch, dass die Objektive parazentrisch sind.
Thomas, ich habe häufiger mal verschiedene "gleiche" Objektive (z.B. Neofluar 40) zum Vergleich an einen Revolver geschraubt, um sie zu vergleichen oder das Beste auszuwählen. Man staunt, wie beispielsweise ein beliebiger Punkt, der bei dem einen Objektiv und Aufnahmegewinde in der Mitte liegt, bei einem zweiten "identischen" Objektiv am Rand liegt oder gar nicht mehr zu sehen ist. Und ich kann mir schon vorstellen, dass die "Parazentrizität" seinerzeit für alle Objektive am Revolver werkseitig justiert werden musste und bei einem Umschrauben eben nicht mehr vorhanden war. Mir erscheint diese Erklärung jedenfalls  logisch, ob sie stimmt, weiß ich natürlich auch nicht.

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Posting ist frei von kultureller Aneigung, vegan und wurde CO2-frei erstellt. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Dypsis

Hallo Peter,

also ich habe doch nirgends geschrieben, dass man täglich die Objektive mehrfach raus und reinschraubt?

Mir schien und scheint es einfach von der praktischen Seite unplausibel was ich da im Katalog gelesen habe.
Als Beispiel: Ich habe ein wunderwunderwunderschönes Leitz A-Stativ ca. Baujahr 1918. Es scheint sich im Auslieferungszustand zu befinden. Es hat einen Phototubus und einen Vierfachrevolver. Als Ausstattung hat es 6 (in Worten sechs) Objektive (alle wohl gleiche Epoche) UND zwei Mikro-Summare (zum fotografieren).
So, wie hat der gute Besitzer das wohl bewerkstelligt, dass er mit seinem Vierfachrevolver (an dem sich keinerlei Markierung der Positionen befindet) 8 Objektve eingesetzt hat ohne diese am Revolver auszutauschen?

Zweiter Punkt, wurden die Mikroskope dann wirklich mit eingeschraubten Objektiven ausgeliefert?

Herzliche Grüße
(und Danke für die Geduld dabei, mir meine despektierlichen Zweifel auszutreiben)





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Florian Stellmacher

#8
Lieber Thomas,

der Umstand, dass der Revolver für die Ausrüstung bei Auslieferung angepasst wurde, bedeutet nicht, dass - gerade im z.T. enorm finanzkräftigen Liebhaberbereich - nicht auch fleißig Obektive hinzugekauft wurden. Sicherlich bewegte sich diese Anpassung auch nur in gewissen Grenzen, die den Einsatz fremder Optiken nicht unmöglich gemacht hätten. Aber bei ganz korrekter Anwendung ergibt sich ein für uns ungewöhnliches Bild - der Revolver wurde dann tatsächlich wieder weggelassen:



Dieses wunderbare (und hier für 6.000 GBP angebotene) Watson Royal in Vollausstattung steht dort ohne Revolver! Der Revolver war wohl eher etwas für Mikroskope, die in der Routine oder Ausbildug ihren Dienst versahen, oder ein nettes, sorgfältig gearbeitetes Zubehör. Und ich glaube schon, dass der Hinweis in der Preisliste der frühzeitigen Kundenbindung nicht wirklich abträglich gewesen sein kann.  ;)

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

Florian Stellmacher

Lieber Thomas,

ob die Mikroskope mit eingeschraubten Optiken ausgeliefert wurden? Dies hätte sich bei frühen Modellen sicherlich verboten, denn die für die Optik verwendeten Glassorten sollten vor Licht und vor allem Luft geschütz werden (ganz frühe Mikroskope besitzen sogar einen Schieber, der die Augenlinse abdeckt). Als die Glassorten beständiger wurden, war dies sicherlich nicht mehr in dieser Weise nötig; ich denke jedoch, dass ein Hersteller es gern gesehen hat, wenn die kostbaren Objektive vor äußeren Eiflüssen geschützt hermetisch in ihren Messingbehältern gelagert wurden. Das empfiehlt so auch die zeitgenössische Literatur, soweit mir erinnerlich. Auch das Transportrisiko ist natürlich bei nicht-montierten Objektiven, insbesondere hinsichtlich der Gewinde, kleiner.

Ich glaube also, die Mikroskope wurden mit separat verpackten Objektiven ausgeliefert, was Deine Frage, inwiefern der Revolver angepasst wurde, nur allzu berechtigt erscheinen lässt, denn wie erkennt man, welches Objektiv in welches Gewinde eingeschraubt werden soll? Eine Zahlen- oder Farbkodierung kenne ich erst bei Nachkriegsmikroskopen.

Ich bin gespannt auf weitere Antworten!

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

JB

Hallo Thomas,

Zur Illustration ein Ausschnitt des Ortholux Handbuches von 1963.


©Leitz

"each outfit" = jedes ausgelieferte Ortholux (mit Zubehoer)
Man gab eine Liste bei, in der die zu den einzelnen Positionen passenden Objektive aufgelistet waren.

Das Problem war also erkannt. Je nach Preisklasse des Mikroskops wurde das Problem wahrscheinlich unterschiedlich geloest/ignoriert.

Jon

Dypsis

Hallo Jon,

das bezieht sich doch aber auf recht spezielle Anwendungen. Ein Allerweltrevolver mit Allerweltsobjektiven für Allerweltsanwendungen hatte die Nummern wohl doch eher um einen "äußerlichen" Überblick über die Vergrößerungen zu behalten.
So hatte ich das bisher zumindest verstanden.

Herzliche Grüße
Thomas

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Dypsis

Lieber Florian,

man hatte wohl auch bei Leitz Zweifel bekommen? Wenn ich es nicht in der Eile überlesen habe, dann steht von einer Anpassung im Katalog von 1913 kein Piep mehr.
Da steht nur, dass die erweiterte optische Ausstattung lieber später erfolgen sollte und man sein Geld lieber in ein größeres Stativ stecken solle. Von Einschicken zur Anpassung keine Rede.

Hast Du das Watson nicht gekauft????? Schande!

Herzliche Grüße
Thomas
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Dypsis

... und 1897 hielt man es zumindest nach Katalog auch noch nicht für notwendig. Wäre interessant, in welchen Katalogen darauf hingewiesen wurde (es steht bei den Stativen und ist in einer anderen Schrift gesetzt). Vielleicht hatte da doch die Marktingabteilung die Finger im Spiel? Oder umgekehrt, hat geschlafen, denn wer traut sich dann noch Objektive nachzukaufen? 1913 hatte man das vielleicht bemerkt?

Gespannte Grüße
Thomas
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Peter V.

Hallo Thomas,

ich denke, der Autor war eben ein Pedant, Purist oder wie auch immer man das nennen soll. Wie oft findet man auch heute noch in irgendwelche Gebaruchsanweisungen völlig übertriebene Anwendungsvorschriften und Pflegetipps, die kein Mensch in der Praxis beachtet: ("Einmal in der Woche mit einem nebelfeuchten fusselfreien Baumwollappen abwischen" usw./ Achten Sie hierauf, darauf, machen Sie niemals dieses oder jenes.... ;)).

Das heißt ja nicht, dass ein Objektiv niemals gar nie nicht umgeschraubt werden durfte. Aber für den "optimalen" Sitz war eben eine Justierung im Werk notwendig. Vermutlich hätte man es auch - weniger dramatisch - so formulieren können:

"Es erklärt sich hieraus, dass es nicht sinnvoll ist, Stativ und Revolver getrennt zu beziehen. ...... Wird an einem Stativ später ein Revolver gewünscht, sollten für ein optimale Justage Stativ und Objektive mit eingesandt werden"

Natürlich kann die originale Formulierung auch so interpretiert werden, dass Leitz sich geweigert hat, einen Revolver allein zu versenden, ohne das ganze System zu jusiteren. Wer weiß das schon? Es gibt ja auch heute Unternehmen, die sich weigern, Ersatzteile zu versenden und stattdessen verlangen, das Gerät ins Werk zu schicken.
Über die wahre Intention kann man nur spekulieren.

Herzliche Grüße
Peter
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