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Der blaue Rindenpilz

Begonnen von Martin Kreutz, Dezember 28, 2014, 14:28:28 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

zwischen den ganzen Ciliaten und Amöben passt auch mal ein Pilz! Beim Holz machen vor einigen Wochen fielen mir viele auf dem Boden liegende Stämme und Äste auf, die mit einer blauen Schicht überzogen waren. Die Farbe war so intensiv, dass ich zuerst an Markierungen vom Förster gedacht habe. Obwohl ich wahrlich kein Pilzexperte bin, glaube ich, dass es sich um den blauen Rindenpilz Pulcherrum caeruleum handelt:




Weil ich weiß, dass die Farbe blau relativ selten in der Natur produziert wird, hat mich interessiert, wo der Pilz seine Farbe "bunkert", also ob die Zellwände gefärbt sind oder ob der Farbstoff in Vakuolen vorliegt. Zu Hause habe ich recht unprofessionell ein paar Fetzchen abgelöst und einfach unter das Deckglas gequetscht. Hier eine Probe vom vergleichbar farblosen Rand des Pilzes:



Und hier von dem blauen Bereich aus der Mitte des Pilzmycels:



Das Bild ist nicht nachbearbeitet. Es ist wirklich so blau. Jedoch konnte ich nicht erkennen, wo sich der Farbstoff befindet. Das Mycel erscheint homogen blau. Mich würde interessieren, um was für einen Farbstoff es sich handelt. Ist er vielleicht ähnlich den Strukturen, die auch Pflanzen verwenden (z.B. Anthocyane) oder synthetisiert der Pilz eine komplett andere Struktur? Vielleicht weiß jemand mehr.

Schönen Sonntag!

Martin

Klaus Henkel

Lieber Martin!

Meine Literatur über Pilze umfaßt mehrere Regalmeter - aber ach - in der Hauptsache parasitische Pilze auf Pflanzen. Ein leuchtend blauer Pilz auf abgestorbenen Pflanzenteilen aber interessiert die Phytopathologen nicht den Deut! Also ich bin in der Lit. nicht fündig geworden. Esser erwähnt ihn, aber nicht einmal seine blaue Farbe!
Aber bei Erb/Matheis habe ich ihn auf S. 34 gefunden, Abb. auf S. 35.

Text:
Fruchtkörper von Pulcherricium caeruleum (= Corticium coeruleum). Die frisch blau, blaugrau bis blauviolett gefärbten Fruchtkörper wachsen krustenförmig (resupinat) zuerst als kleine, rundliche Flecken, dann zu größeren Flächen zusammenfließend, die Randzonen sind weißlich und fein faserig-filzig.
Der Pilz wächst im Winter an abgestorbenem Laubholz, besond. an der Unterseite von am Boden liegenden Ästen und dünneren Stämmen von Eschen, Haselnuß und Erlen.
[Ende.]

Ein nicht allzugutes Foto begleitet den Text.

Wo haben Sie denn den Namen her, Martin? Aus dem www? Oder Lit.?

Herzliche Grüße
KH

smashIt

in der englischen wikipedia gibt es einen umfangreicheren eintrag (im vergleich zum deutschen) zu dem pilz 
https://en.wikipedia.org/wiki/Terana_caerulea

viel is es nicht, aber vieleicht hilft er dir
MfG,
Chris

Bildung ist das was uns vom Tier unterscheidet.

Funtech.org

Heiko

Hallo Martin,

KREISEL, H.: Ethnomykologie (2014) nennt für T. caerulea als Pigment ein Terphenyl.

Gruß, Heiko

treinisch

#4
Hallo Martin,

laut

VELÍŠEK, Jan, et al. Pigments of higher fungi: a review. Czech J Food Sci, 2011, 29. Jg., Nr. 2, S. 87-102.

handelt es sich bei dem blauen Farbstoff um die benzochinoide Form einer farblosen Verbindung namens Corticin A.

Ob das jetzt ähnlich zu Anthocyanen ist? Ich persönlich würde sagen nein.



Vlg
Timm



Edit: Die Abbildung zeigt Corticin A, also die farblose Verbindung, aus der der Farbstoff entsteht.
Gerne per Du!

Meine Vorstellung.

beamish

#5
Hallo Martin,

schöner Fund! Die Terana caerulea war "Pilz des Jahres 2009": http://www.dgfm-ev.de/node/25
Im Mittelmeerraum nicht selten, gibt es in Deutschland durch die Klimaerwärmung immer mehr Fundmeldungen. Ich kenne inzwischen 5 Fundstellen im Raum Heidelberg.

Zur Zusammensetzung des Pigments findest du hier etwas (S. 97f.):
http://www.agriculturejournals.cz/publicFiles/37205.pdf

Leider scheint der Farbstoff nicht beständig zu sein. Bei älteren Fruchtkörpern verliert er sich und wird schwarz.

Interessant für mich wäre noch die Wirtspflanze (Hasel?).

Herzlich
Martin

PS: ich habe auch einen Tipfehler begangen: der aktuelle Name laut Index fungorum ist Terana coerulea und ein "alter" Pulcherricium coeruleum
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Klaus Henkel

Zitat von: beamish in Dezember 28, 2014, 16:35:56 NACHMITTAGS

Interessant für mich wäre noch die Wirtspflanze (Hasel?).


Steht in meinem Beitrag!

Gruß
KH

beamish

Lieber Herr Henkel,

mich interessiert aber das Substrat vom Fund von Martin Kreutz.

Herzlich

Martin B.
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Herbert Dietrich

Liebe Rindenpilzfreunde,

in Kriegelsteiner: Die Großpilze Baden-Württembergs ist dem Pilz als Terana caerulea die Seite 342 und 343 gewidmet.

Herzliche Grüße
Herbert

limno

#9
Hallo Martin und andere Pilzfreunde!
Acer pseudoplatanus, Bergahorn?
Aus Hugues Vaucher: Baumrinden, S.94, Bild 72. Reihe Godets Pflanzenführer, erschienen im Naturbuchverlag Augsburg, 1997. Als Titel wäre "Rinden und Borken" richtiger gewesen.
Liebe Grüße
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Martin Kreutz

Hallo zusammen,

ich hätte nicht gedacht, dass mein Rindenpilz so viele Reaktionen hervorruft. Vielen Dank für die ganzen Informationen, sogar mit der Struktur des Farbstoffes!

Hier noch ein paar Informationen zum Fundort und auf die Fragen. Der Fundort ist Tägerwilen in der Schweiz, am Bodensee. Der uns dort zugeteilte Reisschlag liegt auf ca. 600 m Höhe und der Baumbestand ist fast ausschließlich Ahorn. Ob es Berg-Ahorn ist, kann ich nicht beurteilen. Meine Pilzliteratur misst nur 7 cm in Form vom Laux, wo ich den Pilz auf S. 484 gefunden habe. Man muss allerdings richtig lesen können. Ich habe in meinem Beitrag "Pulcherricum caeruleum" geschrieben. Im Laux steht jedoch exakt "Blauer Rindenpilz, Pulcherricum caeruleum (Fr), Terana caerulea (Lamarck: Fr) Kuntze, Corticiaceae s. lat.)". Daraus schließe ich, dass der aktuelle Name Terana caerulea lautet. Martin schreibt, dass er T. coerulea heißen soll. So steht es nicht im Laux und in den anderen Beiträgen in diesem thread heißt es auch "caerulea". Dieser Name scheint mir korrekt zu sein. Was die Stabilität des Farbstoffes angeht, so kann ich bestätigen, dass er unbeständig ist. Der Knüppel auf den Fotos liegt hier noch auf dem Balkon und der Pilz ist inzwischen schwarz geworden.

Martin

beamish

Hallo Martin,

bei mir läuft der auch unter T. caerulea... Im Index fungorum (und der ist in der Regel maßgeblich aber nicht Gesetz) aber unter coerulea: http://www.indexfungorum.org/Names/NamesRecord.asp?RecordID=493426
Auch die MycoBank meint da einfach dem Epithet des Basionyms/der Erstbeschreibung Byssus coerulea Schrad. ex Lam., Flore française 1: 103 (1779) zu folgen: http://www.mycobank.org/BioloMICS.aspx?Link=T&TableKey=14682616000000067&Rec=84855&Fields=All
Hier die entsprechende Stelle aus Lamarck ( ist übrigens nicht auf S. 103 sondern im Anhang auf S. (103)).



Ich möchte jetzt nicht entscheiden, ob die Ligatur ein "oe" oder ein "ae" darstellt. Für mich eher letzteres. Es müßte auch lateinisch richtig ein "ae" sein (caeruleus=blau).

Herzlich
Martin
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beamish

#12
Nachtrag:

ich habe übersehen, daß in der oben zitierten MycoBank unter den "Remarks" die version "coerulia" als die von Fries abgesegnete Version akzeptiert wird. Dazu muß man wissen, daß mit den Werken von Elias Magnus Fries der Startpunkt für die gültige Nomenklatur der Pilznamen gesetzt wurde. D.h., alle vor ihm publizierten Namen, die nicht in seinen Listen auftauchen sind ungültig und die von ihm gelisteten sind sanktioniert. Das "oe" wurde aber nicht von ihm (im Elenchus..  1828) erfunden,



sondern findet sich bereits bei den von ihm zitierten De Lamarck&De Candolle 1805:



Wie so häufig bei alten Pilznamen eine schwierige Geschichte. Die ursprüngliche Beschreibung von Schrader in Schleichers Exsiccaten konnte ich nicht auftreiben...

Herzlich

Martin


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treinisch

Hallo,

dazu vielleicht noch eine interessante Information:

Die Aussprache von ae veränderte sich im Laufe der Zeit von ai nach e,
die von oe von oi nach e.

Dementsprechend werden beide Schreibungen auch heute, sowohl im Kirchenlatein, als auch im Schullatein und auch in England e gesprochen. Das eigentlich interessante ist aber, dass es wegen der gleichen Aussprache natürlich zu Schreibfehlern / Variationen kam.

Coe ist ein Schreibfehler von Cae, aber immerhin so verbreitet, dass sich auch in Wörterbüchern ein Eintrag findet, zum Beispiel:

Charlton T. Lewis, Charles Short, A Latin Dictionary:
coerŭla , coerŭlĕus , etc., v. caer-.

Nur so am Rande bemerkt.

Vlg
Timm
Gerne per Du!

Meine Vorstellung.

Bernhard Kaiser

Hallo,

in Breitenbach/Kränzlin (1986):  Pilze der Schweiz. 2.Bd. Nichtblätterpilze S. 106

ist der Pilz beschrieben und abgebildet unter:
Pulcherricium caeruleum (Fr.) Parm.

Gutes Neues Jahr.

Freundliche Grüße
Bernhard Kaiser