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Mikrofauna vom Ostsee-Strand

Begonnen von Ole Riemann, Januar 06, 2016, 16:13:31 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Foristen,

über den Jahreswechsel haben wir einige Tage an der Ostsee (Hohwachter Bucht) verbracht. Hier konnte ich mal wieder ausgiebiger Sedimentproben an der Küste nehmen und Vertreter der mikroskopischen Fauna des Sandlückensystems des Strandes und des flachen Uferbereiches mikroskopieren und fotografieren. Bei näherem Interesse kann ich über die Erläuterungen zu den Abbildungen hinaus gerne per PN weitere Details nachliefern. Einzelheiten zur Technik der Probenahme habe ich schon einmal im Mikroskosmos geschildert (97(3), 2008). Näheres zum Lebensraum des marinen Sandlückensystems und zur Biologie seiner Bewohner erscheint auch in einer der nächsten Ausgaben des Mikroskopie-Journals.

Alle Aufnahmen habe ich an einem Olympus BH-2 mit Hellfeld- und Phasenkontrastoptik gemacht. Die Kamera (Canon EOS 100D) war über den Olympus OM-Adapter am Trinotubus angeschlossen. Als Projektiv diente das Olympus NFK 2,5x LD. Aufgrund des Crop-Faktors beim APS-C Sensor habe ich in einigen Fällen Einzelaufnahmen zusammensetzen müssen. Fast alle Aufnahmen sind geblitzt (Stahlschmidtscher Blitzwürfel auf der Lichtaustrittsöffnung).

Mein Interesse galt zu allererst den marinen Gastrotrichen. Die folgende Abbildung zeigt Xenotrichula velox, die sich in Proben aus Grobsand des Flachwassers an einigen Stellen in hoher Bestandsdichte zeigte. Xenotrichuliden haben – wie manche Ciliaten – auf der Bauchseite Cirren, mit denen sie ruckartig über Oberflächen und Sandkörner huschen können (Dreiecke in der oberen Teilabbildung). Im Phasenkontrast (untere Teilabbildung) erkennt man besonders deutlich einen feinen Saum flächig ausgebildeter Schuppen, die den Rumpf umschließen. Xenotrichuliden zeigen einen besonderen Schuppenbau der Rumpfschuppen: von einer basalen Kutikula-Platte geht ein Stiel aus, der sich an der Spitze zu einer flächigen Schuppe verbreitert. In der mittleren Teilabbildung liegt der Fokus in der Ebene der Schuppenstiele, die im optischen Schnitt als dunkle Punkte erscheinen.



Die folgenden Fotos zeigen Einzelheiten der charakteristischen Rumpfschuppen (Stielschuppen) der Xenotrichuliden. Der Aufbau aus basaler Platte, Schuppenstiel und Deckplatte lässt sich besonders gut am Rand des Rumpfes nachvollziehen, wo ein optischer Schnitt längs der Schuppen möglich ist (linke Teilabbildung). Dicht an dicht grenzen die Deckplatten der Schuppen in Aufsicht aneinander, überlappen sich dachziegelartig und verleihen dem Tier dadurch einen widerstandfähigen und gleichzeitig flexiblen Panzer (mittlere (Hellfeld) und rechte (Phasenkontrast) Teilabbildung).



Die folgende Abbildung zeigt einen Vertreter der Gattung Halichaetonotus. Den aus dem Süßwasser vertrauten Gastrotrichen der Gattung Chaetonotus habituell sehr ähnlich, zeichnet sich Halichaetonotus durch flächige Lamellenstachel in der Halsregion aus, die besonders im Phasenkontrast sichtbar werden (linke Teilabbildung). Die Rückenseite des Tieres ist mit zahlreichen Reihen schöner Kielschuppen bedeckt (mittlere Teilabbildung), die in zarterer Ausprägung auch das ventrale Zwischenfeld bedecken (rechts).



Die beiden bisher vorgestellten Gastrotrichen wirken auf ,,Tümpler" des Süßwassers noch recht vertraut. Dies trifft auf die im Folgenden vorgestellte Art nicht mehr zu. Bei Turbanella cornuta handelt es sich um einen Vertreter der praktisch ausschließlich marinen Macrodasyiden, die neben den Chaetonotiden i.w.S. die zweite große Teilgruppe der Gastrotrichen bilden. Die Mehrzahl der Macrodasyiden hat wie Turbanella cornuta eine wurmförmige, dorso-ventral abgeflachte Gestalt und weist mehrere Reihen auffälliger Haftröhrchen auf, die es den Tieren erlauben, sich an den Sandkörner festzukleben. Die Haftröhrchen zeigt besonders deutlich der Phasenkontrast (linke und mittlere Teilabbildung). Der Kopf (k) liegt oben, der Verdauungstrakt ist deutlich in Pharynx (ph) und Darm (da) gegliedert. Am Schwanzende liegen die Haftröhrchen gehäuft (caudale Haftröhrchen, ch). Das abgebildete Exemplar ist fertil und trägt eine große Eizelle (Dreieck in mittlerer Teilabbildung sowie rechts, ez). Die beiderseits des Darms liegenden, feinen und spaghetti-artig verdrillten Fäden (umrahmt in der rechten Teilabbildung) stellen Spermienbündel dar. Die marinen Macrodasyiden sind also – anders als die meisten limnischen Gastrotrichen – zwittrige Organismen mit vollständig ausgebildeten, funktionsfähigen männlichen und weiblichen Keimzellen.



Im stärker gequetschten Präparat kann man weitere Einzelheiten des Reproduktionssystems erkennen. Hierfür lässt sich der Phasenkontrast zur Kontraststeigerung der hyalinen Strukturen mit Gewinn einsetzen. Die linke obere Teilabbildung zeigt eine Eizelle (ez) mit ausgeprägtem Kern und Nukleolus. Umrahmt vom gepunkteten Rechteck zeigen sich Spermienfäden, die in der Teilabbildung darunter noch einmal vergrößert dargestellt sind. Dunkle Punkte unterhalb der Spermien (sp) halte ich für noch stark kondensierte Spermatiden (spt?), die sich erst zu den reifen Spermien ausdifferenzieren müssen. In der rechten oberen Teilabbildung erkennt man, wie beiderseits des Darms Eizellen sequentiell reifen, mit Dottermaterial angefüllt werden und an Größe zunehmen. Die Dreiecke verweisen jeweils auf die dunklen Nukleoli der reifenden Oocyten. Der umrahmte Bereich ist darunter bei höherer Vergrößerung dargestellt. Dreiecke markieren die Begrenzung eines sackförmigen Organs, das ich anhand der Fachliteratur als das sogenannte Frontalorgan interpretiere. Dieses dient u.a. dazu, Fremdsperma eines Kopulationspartners aufzunehmen und zu speichern. Das Frontalorgan des von mir beobachteten Exemplars zeigte ein verdrilltes Bündel fadenförmiger Spermien (sp), das sich rasch und unter stetem Wandel der Form im Frontalorgan bewegte.



Natürlich stellen Gastrotrichen nicht die einzigen Bewohner des Lückensystems im marinen Sediment dar – im Gegenteil. Nur bei besonders günstigen Bedingungen lassen sie sich so zahlreich finden, dass sie die Probe dominieren. Üblicherweise sind die Nematoden und Copepoden die arten- und individuenreichsten Gruppen, aber auch Plathelminthen kommen regelmäßig in den Proben aus groben Sanden vor. Die folgende Abbildung zeigt einen fertilen otoplaniden Plathelminthen, ein rasch bewegliches ,,Kleinturbellar", wie man es auch aus Süßwasserproben kennt. Die Bestimmung dieser Tiere ist für den Nichtspezialisten schwierig bis unmöglich, da man neben Spezialliteratur in vielen Fällen auch Schnittpräparate anfertigen muss. Otoplaniden erkennt man schon unter dem Stereomikroskop ziemlich sicher an dem raschen, zuckenden Vorwärtsgleiten mit Phasen der gänzlichen Ruhe. Im Mikroskop fallen steife Sinnescirren und eine Statocyste (st) als Schweresinnesorgan auf (rechte untere Teilabbildung). Das Reproduktionssystem der zwittrigen Organismen ist komplex und erschließt sich im Totalpräparat nur teilweise. Anhand von Angaben in der Fachliteratur konnte ich zumindest einige der Strukturen relativ sicher zuordnen (ko: Kopulationsorgan, vit: Vitellar, ov: Ovar, te: Hoden). Typisch ist die Ausbildung zahlreicher Hodenfollikel zwischen dem mächtigen Pharynx (ph) und dem Gehirn (g). In der linken unteren Teilabbildung erkennt man das stilettförmige Kopulationsorgan in höherer Vergrößerung sowie ein eingerolltes Spermienbündel in der darunter liegenden Samenblase, das sich im lebenden Tier lebhaft drehte. Die mittlere untere Teilabbildung zeigt eine Phasenkontrastaufnahme durch einen Hodenfollikel in stärkerer Vergrößerung. Zu erkennen sind Stadien der Spermienreifung, die ich als Spermatogonien (spg?), Spermatiden (spt?) und differenzierte Spermien (sp) deute.



Viele Grüße

Ole

Michael L.

Hallo Ole,

Wieder ein ausgezeichneter Beitrag und unglaublich gute Bilder dieser flinken Tiere.

Gruß

Michael

Bernhard Lebeda

Hallo Ole

mal abgesehen von dem hohen Informationsgehalt-ich hab schon lange nicht mehr so gestochen scharfe Hellfeldaufnahmen gesehen, wie mit dem Plotter!! ( Die Phakos sind natürlich auch klasse)




Vielen Dank für den tollen Bericht!



Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Jürgen Boschert

Hallo Ole,

dem kann ich mich nur anschließen - einfach Klasse !

Gruß !

JB
Beste Grüße !

JB

ImperatorRex

Toller Beitrag Ole!
Wann wird eigentlich Dein Artikel über die "Marine Meiofauna" in der "Mikroskopie" Zeitschrift erscheinen? 

viele Grüße
Jochen

vbandke

Ganz tolle Bilder, besonders 1-3, und 5!


Mit bewundernden Grüßen

Volker
P.S. Alle meine Bilder dürfen/sollen kommentiert, verrissen, gelobt, und zur Veranschaulichung in diesem Forum auch bearbeitet werden.

limno

Einen wunderschönen Abend,Ole!
Ich seh' es wie Bernhard: Die Hellfeldaufnahmen sind hervorragend. :D Und die Bauchhärlinge hast Du perfekt abgelichtet. Die Detailfotos wären eine Zierde eines jeden Bestimmungsbuches über Gastrotrichen. Auch die Fülle der Informationen hast Du leicht verständlich aufbereitet.
Ein herzliches Danke und ¡Olé! von
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Monsti

Lieber Ole,

auch von mir ein großes Dankeschön für diese spannende Dokumentation!

Herzliche Grüße
Angie

Ole Riemann

... danke allen für die freundlichen Kommentare. Ergänzen möchte ich, dass ich für das Hellfeld die Objektive Zeiss Plan Neofluar 25/0.8 und Plan Apo 40/1,0 - beides Immersionsobjektive - eingesetzt habe. In der Kombination mit den kurzen Leuchtzeiten des Blitzes erzielt man eine optimale Schärfe. Dies war mir so auch nicht bewusst, da ich den Blitz zum ersten Mal eingesetzt habe.

Viele Grüße

Ole

Dünnschliffbohrer

Hallo Ole,

sehr schöne Bilder und interessante Beschreibung. Um die Sandlückenfauna wollte ich mich selber auch immer mal kümmern. Daher hab ich mal ein paar Fragen:
Wie trennst du denn die Tierchen von dem Sediment? Und wie ist die Korngröße des Sandes? Wenn der Sand zu fein ist, wird wohl nicht so viel drin sein, oder? Und wieviel organisches Material ist dabei (z.B. zersetzter Seetang als Nahrungsquelle)? Und wo nimmt man am besten die Proben? Gerade bei etwas feinkörnigeren Sedimenten kommt man ja sehr schnell in den anaeroben Bereich. Wie tief gräbst du?

Vielen Dank!
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

Ole Riemann

Hallo "Dünnschliffbohrer" und weitere Interessenten,

hier eine Kurzbeschreibung meiner Vorgehensweise:

a) Sedimentprobe (je nach Korngröße und Detritusreichtum 1-3 gehäufte Esslöffel) in Gefäß füllen (ohne Probenwasser)
b) Sedimentprobe mit Magnesiumchlorid-Lösung (5-10g pro 100ml Leitungswasser ansetzen, je nach Salinität der Probe) überschichten und rühren
c) für ca. 5 min. stehen lassen, dann wieder rühren und Sediment absetzen lassen
d) Überstand durch feine Gaze (40µm) gießen
e) Filtrat (mit Organismen) mit Spritzflasche, die mit Probenwasser (Seewasser) gefüllt ist, in eine Petrischale spülen
f) unter dem Bino einzelne Organismen auslesen

Ganz grob kann man sagen, dass gröbere Sande eine höhere Artenvielfalt zeigen als detritusbeladene Feinsande. Dafür ist an solchen Stellen häufig die Individuendichte (vor allem der Nematoden und Copepoden) höher. Obwohl auch die Fauna im suboxischen bis anoxischen Bereich interessant ist, nehme ich die Proben meistens aus den obersten, gut durchlüfteten Bereichen.

Beste Grüße

Ole

Rawfoto

Hallo Ole

Spitze, das sind absolut spannende Einblicke - danke für die Möglichkeit das wir das sehen dürfen ...

Dir auch ein gutes Jahr 2016, liebe Grüße

Gerhard
Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

Ole Riemann

Hallo Gerhard,

danke Dir - auch für die guten Hinweise, wie das BH-2 fotografisch zu nutzen ist. Und wenn Dir mal ein NFK 1,67x LD über den Weg läuft ...

Viele Grüße

Ole