Mikrobiologie - aber makroskopisch : 1000-jährige Enteneier

Begonnen von hebi19, Februar 12, 2016, 18:50:28 NACHMITTAGS

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hebi19

Liebe Freunde des Mikroskopieforums.

Wir hatten hier schon einige Male Themen, in welchen die makroskopische Wirkung von Mikroorganismen vorgestellt wurde.
In jedem Lehrbuch der Mikrobiologie stehen die Hinweise auf unzählige Lebensmittel, welche durch unterschiedlichste Mikroorganismen hergestellt werden. In der westlichen Küche gibt es eigene vom Sauerkraut bis Wein und Bier - aus der "östlichen Küche" haben inzwischen einige bei uns Einzug gehalten (Tempeh zum Beispiel), bei anderen werden aber wohl noch Generationen vergehen bis sich vielleicht eine westliche Abneigung abbaut.

Ich habe einmal gelesen, dass die Dinge, vor welchen sich ein Mensch "ekelt", bis zum Alter von 4 Jahren - also in der sogenannten Prägephase - festgelegt werden. In meiner Kindheit muss ich da wohl recht "freizügig" geprägt worden sein weil ich manch exotischen Lebensmitteln sehr neugierig und aufgeschlossen begegne. Als ich vor vielen Jahren mal beruflich in China und anderen Ländern des fernen Ostens unterwegs war konnte ich die sogenannten "Tausendjährigen Eier" in natura kennenlernen und probieren. Es gab sie in den Hotels in Vietnam und China zum Frühstück - wobei auch dort war ich scheinbar der einzige Europäer, der sich an ihnen bediente. Es gab sie als Enten-, Hühner- und Wachteleier. Konsitenz und Geschmack dieser 3 Varianten war nahezu gleich. English hat sie das Hotelpersonal als "preserved eggs" bezeichnet.

Durch Zufall konnte mit Freude feststellen, dass inzwischen solche Eier über den online-Handel mit einem ähnlichem Namen wie ein Südamerikanischer Fluß direkt ins Haus geliefert werden. Und so habe ich mir 1 Dutzend Tausendjährige Enteneier aus Holland geordert. Geschmack und Qualität sind mit meinen Erinnerungen aus Fernost identisch. Da es sich um MIKROBIOLOGISCHE Produkte handelt, die wohl noch nicht jeder gesehen hat, will ich euch ein paar Bilder nicht vorenthalten:

Als erstes mal so ein Entenei, wie es mit Schale hier ankommt. Es dürfte zwischen 3 und 6 Monaten alt sein und hat eine Haltbarkeitsdauer in meinem Fall bis 18/09/2016 - also größer einem halben Jahr aufgedruckt (sind ja schon fermentiert - reifen weiter wie Käse)



Wenn man so ein Ei schält hat das Eiweiß die Konsitenz eines weichen Gummibärchens und ist auch transparent. In den meisten Eiern sind farnartige Wachstumsfiguren erkennbar - evtl Pilze oder was auch immer.



Aufgeschnitten ist das Eigelb erkennbar, aber deutlich verfärbt - meine chinesischen Kollegen haben mir damals erklärt, das Ei ist umso wertvoller je mehr Farben der schwarz marmorierte Dotter hat.



Serviert/gegessen wird so ein Ei normalerweise in Viertel oder Achtel geschnitten mit frischen Ingwer, in dünnen Scheiben oder gerieben.



GUTEN APPETIT !!

Mich erinnern die Eier ein bisschen an milden Gorgonzola - dürfte ja was ziemlich ähnliches sein, fermentiertes Eiweiß, im Gorgonzola aus der Milch, im Ei vom Huhn.........

leider weiß ich nicht, welche Mikroorganismen für die Fermentation dieser Eier verantwortlich sind. Hier kann sich ein Wissender gerne einklinken und mich/uns aufklären. In meinem Mikroskop ist jedenfalls nichts erkennbar.

Grüße aus Franken
Martin
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

treinisch

Hallo Martin,

meines Erachtens handelt es sich nicht um einen mikrobiologischen Prozess im Sinne einer Beteiligung von Mikroorganismen, sondern schlicht um eine alkalische Denaturierung. Da bei chemischer Denaturierung, im Gegensatz zu thermischer, deutlich weniger Koagulation auftritt und weil die Proteine teilweise hydrolysiert werden ist das Ergebnis im Vergleich zum gekochten Ei eher ,,klar".

Für die Konservierung dürfte neben des tendenziell unfreundlichen pH-Wertes auch noch die im Original vorhandene dicke Schale aus Kalk verantwortlich sein.

vlg

Timm
Gerne per Du!

Meine Vorstellung.

hebi19

Hallo Timm

Auf diese Idee bin ich gar nicht gekommen, weil die Eier häufig als "fermentierte Eier" bezeichnet werden. Aber diese Auslegung würde einige Sachen erklären.
Zum einen werden ja keine "Impfstoffe" verwendet und die Schalen der rohen Eier bleiben komplett unbeschädigt, d.h. eventuelle Mikroorganismen müßten durch die Schale "einwadern". Zum anderen werden die Eier zur Reifung ja mit einer Paste aus Salz, Asche und gebrannten Kalk eingepackt - das spricht auch für eine alkalische Denaturierung. Der an milden Käse erinnernde Geschmack und das vor allem bei den Varianten mit festerem Dotter deutlich wahrnehmbare Ammoniak deuten zumindest ein Beteiligung bestimmter Mikroorganismen vielleicht doch an.
Vielleicht meldet sich ja noch jemand mit mehr Erfahrung in der asiatisch-chinesischen Küche.

Grüße
Martin
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

hebi19

#3
gelöscht wegen versehentl. doppel-Beitrag
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

hebi19


Hallo Safari

Nein - Soleier sind was "ganz anderes" - die "preserved eggs" werden NICHT GEKOCHT - Soleier sind immer gekocht. Das vergleichbare Gegenstück in der chinesischen Küche werden im deutsch-chinesischem Bereich "Tee-Eier" genannt. Herstellung ganz ähnlich der Soleier, Färbung mit Tee statt mit Zwiebelschalen.

Preserved Eggs sind wie im Beitrag geschrieben 3 bis 6 Monate gereift und eben nicht gekocht. Sowohl Reifung als auch Lagerung sind trocken, nicht in Lake. Soleier wären bei Entnahme aus der Lake und trockener Lagerung bei Raumtemperatur nach wenigen Tagen verdorben.
Wenn Du dir die Bilder ansiehst kannst Du wohl deutliche Unterschiede zu Soleiern erkennen.
Da ich als Franke ja nicht nur in Fernost unterwegs war sondern auch nördlich der Mainlinie in Deutschland - stell Dir mal vor, manchmal sogar bis zur Küste - da sind mir die Soleier natürlich schon über den Weg gelaufen.

Das Rezept zur Herstellung der "Tausendjährigen Eier" kann man im Netz auch auf deutsch finden. Dass die Tausend Jahre ein Eigenname ist und nicht das tatsächliche Alter, ist hoffentlich jedem klar

Grüße
Martin
Grüße von
Martin alias hebi19

Motic BA-300, div Lomo, Stereo-Mikroskop noname

Peter V.

Dieses Posting ist frei von kultureller Aneigung, vegan und wurde CO2-frei erstellt. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Michael L.

Hallo Herr Reinisch,

da irren Sie sich gewaltig, selbstverständlich handelt es sich um einen fermentativen Prozess d.h. durch entsprechende Mikroorganismen hervorgerufene chemische Veränderungen. Eine von vielen, uralten Techniken zur Haltbarmachung und Aufbereitung von Lebensmitteln mit Hilfe von Mikroorganismen.

Einen schönen Überblick über das Thema, mit zahlreichen Praxishinweisen gibt: Katz, E.K. (2012): The Art of Fermentation - An In Depth Exploration of Essential Concepts and Processes from Around the World.

Freundliche Grüße,

M. Lüttgen

reblaus

Hallo -

fermentativ bedeutet nicht notwendigerweise die Beteiligung von Mikroorganismen. Man denke an schwarzen Tee - auch wenn dieser sicher nicht steril hergestellt wird, geschieht doch die Fermentierung durch Tee eigene Oxidasen.
Andererseits waren Enteneier - zumindest heimische Nachkriegsprodukte - durch ihren Gehalt an möglicherweise schädlichen Mikroben verrufen, weshalb deren Abkochen dringend empfohlen wurde.

Viele Grüße

Rolf

Alfons Renz

Hallo,

Der Hinweis, dass es sich um ENTENEIER handelt und die Bemerkung von Rolf, dass man diese vor Genuss unbedingt abkochen solle, führt möglicherweise zu einer logischen Erklärung:

Die Schale von Enteneiern ist - im Gegensatz zu denen von Hühnern - so porös, das Mikroorganismen eindringen können. Dies spricht für einen mikrobiellen Fermentationsprozess, der unter kontrollierten Bedingungen dergestalt abläuft, dass sich nur ein spezieller Organismus, sei es Pilz oder Bakterium, entwickeln kann.

Diese 'kontrollierte' Umgebung kann durch verschiedene Methoden gegeben werden, wie es der von Peter verlinkte Film zeigt. Auch die mir kolportierte Bemerkung, dazu habe man - zumindest früher - Knabenurin verwendet, wäre da nicht abwegig.

Guten Appetit wünscht

Alfons

Hugo Halfmann

Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

Peter V.

#10
Guten Morgen Hugo,

na, das ist wohl nix für Leute, die nur die Bergische Kaffetafel kennen!

Dann probier doch erstmal einen herzhaften Casu mazu! (Bitte erst ca. 2 h nach der letzten Mahlzeit anschauen)

Bon Appetit!
Peter

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reblaus


Michael L.

Hallo Rolf,

Bei Tee von Fermentation zu sprechen ist sowieso nicht korrekt, eine Fermentation im eigentlichen Sinne bedeutet immer eine mikrobiologische Beteiligung.

Viele Grüße,

Michael

Peter V.

Hallo Michael,

Zitat von: Michael L. in Februar 13, 2016, 13:57:16 NACHMITTAGS
Hallo Rolf,

Bei Tee von Fermentation zu sprechen ist sowieso nicht korrekt, eine Fermentation im eigentlichen Sinne bedeutet immer eine mikrobiologische Beteiligung.

Viele Grüße,

Michael

Bist Du sicher? Ich habe unter Fermentation/Fermentierung immer eine ezymatische Umwandlung verstadnden. Dazu sind aber nicht zwingend Mikroorganismen erforderlich, das Enzym kann auch aus anderer Quelle (z.B. Lab) stammen. Sieht Wikipedia wohl auch so.

Herzliche Grüße
Peter
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limno

Hallo,
Ferment ist ja die ältere Bezeichnung für Enzym, v.a. bei Lebens- bzw. Genussmitteln (Tabak) Folglich müsste jeder (Lebensmittel) verarbeitende Prozess, an dem Enzyme maßgeblich beteiligt sind, Fermentierung heißen, wobei es dann gleichgültig wäre, ob diese beim Verarbeiten des Lebensmittels zugefügt worden sind oder im Lebensmittel selbst vorliegen. Die Bezeichnung "Ferment" wurde lange verwendet bis Eduard Buchner mit der zellfreien Gärung nachwies, dass die Tätigkeit von Enzymen nicht an lebendige Organismen gebunden sein muss.
Fermentierte Grüße
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.