Semi-planktische Gastrotrichen

Begonnen von Ole Riemann, Juni 06, 2016, 17:51:31 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Freunde des Tümpelns,

Am vergangenen Wochenende habe ich ein flaches Moorgewässer im Würzburger Raum untersucht, das sich in der letzten Zeit als hervorragend geeignetes Biotop für Tümpler-Streifzüge erwiesen hat. Das Benthal dieses Gewässers ist der Lebensraum einer großen Vielfalt an Rotatorien, Plathelminthen und Gastrotrichen. Daneben findet man Wasserflöhe und unterschiedliche Muschelkrebse (von einer Vielfalt an Protozoen und Algen ganz zu schweigen). Bei weitem nicht alle Arten habe ich bisher näher mikroskopiert. In meinen letzten Proben fand ich besonders viele Exemplare zweier Arten der Dasydytidae, einer interessanten Gastrotrichenfamilie, die ich hier vorstellen möchte. Vor einiger Zeit gab es im Forum einen beeindruckenden Beitrag von Martin Kreutz zu diesem Thema (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?action=printpage;topic=19099.0), in dem er Dasydytes ornatus aus dem Simmelried zeigte. In meinen Proben habe ich ebenfalls D. ornatus gefunden, daneben auch noch die zartere, unauffälligere Stylochaeta scirtetica.

Was macht die Dasydytiden so besonders? Hier ist an erster Stelle die ungewöhnliche Lebensweise zu nennen, die mit Anpassungen im Körperbau korreliert, wie es sie bei den Gastrotrichen sonst nirgends gibt. Die Dasydytiden leben nämlich semi-planktisch, d.h. sie schweben im freien Wasser zwischen Wasserpflanzen und oberhalb des Grundschlammes. Dies unterscheidet sie maßgeblich von den meisten anderen Gastrotrichen, die immer in engem Kontakt mit Oberflächen – seien es Pflanzen bei den periphytischen Arten oder Sandkörner bei den marinen Sandlückenbewohnern – leben. Dasydytiden Gastrotrichen fehlen daher die typischen Hafteinrichtungen der übrigen Gastrotrichen (Haftdrüsen, die über ein caudales Zehenpaar münden bei den limnischen Chaetonotida; zahlreiche Haftröhrchen bei den vorrangig marinen Macrodasyida). Dafür weisen zahlreiche Arten der Dasydytiden ein eindrucksvolles Stachelkleid auf, das über die üblichen Verhältnisse der Schuppenstachel weit hinausgeht. Die Stacheln werden im ruhigen Schwimmen ähnlich einem Mantel mitgeschleppt, können jedoch bei manchen Arten bei der geringsten Störung ruckartig aufgestellt werden und das Tier in eine Abwehrstellung versetzen.

Die spezifische Morphologie der Dasydytiden ist sicherlich eine Anpassung an die semi-planktische Lebensweise und innerhalb der Gastrotrichen evolutiv abgeleitet. Wir haben es daher vermutlich mit stammesgeschichtlich modernen Arten zu tun, die im Süßwasser entstanden sind und die im marinen Bereich, dem ursprünglichen Lebensraum der Gastrotrichen, keine Entsprechung haben.

Bemerkenswert sind auch die ökologischen Ansprüche der Dasydytiden. Man findet sie am sichersten in krautreichen, kleinen Lemna-Tümpeln, an deren Grund sich Faulschlamm zu bilden beginnt. Die Tiere ertragen offenbar problemlos gewisse Konzentrationen an Schwefelwasserstoff und suboxische Bedingungen. Der pH-Wert sollte etwas im Sauren liegen. Nährstoffreiche Flachmoore gehören daher zu den geeignetsten Habitaten für die Dasydytiden. Da gerade solche Lebensräume jedoch seit Jahrzehnten aus der Landschaft verschwinden, werden die Dasydytiden immer seltener. Hoffnung machen aber die Versuche, ehemalige Moore wieder zu vernässen und damit nebenbei neue Lebensräume für diese interessanten Arten zu schaffen.

Alle folgenden Aufnahmen sind am Olympus BH-2 im Hellfeld und Phasenkontrast, jeweils mit Blitz, entstanden.



Dasydytes ornatus erreicht eine Rumpflänge von knapp 200 µm. Der Kopf zeigt seitliche Ausbuchtungen und ist deutlich gegen den Rumpf abgesetzt. Zu beiden Seiten des Körpers setzen gruppenweise lange Stacheln an, bei denen sich Kopfstacheln (Kst), Rumpfstacheln (Rst) und Caudalstacheln (Cst) unterscheiden lassen. Im Kopf fallen Büschel langer Cilien auf.



Die Stacheln inserieren am Rumpf bilateral-symmetrisch jeweils in Gruppen von bis zu 4 Stacheln (Dreiecke, linke Teilabbildung). Alle Stacheln weisen distal kurz vor der gegabelten Spitze einen Nebenast auf, oberhalb dessen der Stachel abgeknickt ist (Dreiecke, rechte Teilabbildung).



Hier sieht man drei verschiedene Körperhaltungen eines frei schwimmenden Exemplars in Seitenansicht, bei dem die Stacheln bedingt durch die Rumpfkrümmung verschieden stark abgespreizt sind. Dieses Verhalten ist wohl als Abwehrreflex zu deuten.



Stylochaeta scirtetica ist mit ca. 175 µm Rumpflänge etwas kürzer als D. ornatus. Das abgebildete Exemplar trägt eine auffallende Eizelle (Ez) und weist ein dunkel gefülltes Intestinum auf (Int). Bei höherer Vergrößerung treten die Mundöffnung (Mö), der angeschwollene Pharynx (Pha) und die ersten beiden Rumpfstachelgruppen deutlich hervor (1. und 2. Rst). Wie auch bei D. ornatus fällt die dichte Bewimperung der Kopfregion auf.



Hier noch einige Detailansichten, die bestimmungsrelevante Merkmale zeigen. S. scirtetica zeigt – im Gegensatz zu S. fusiformis – einen charakteristischen Schildstachel (Sst), der in Lateralansicht erkennbar wird. Dieser Stachel gehört zur Gruppe der ersten Rumpfstacheln (1. Rst), ist mehrteilig und mit distinkten, schildförmigen Anteilen der Muskulatur assoziiert (Dreiecke, linke Teilabbildung). S. scirtetica weist darüber hinaus Stacheln mit zwei Nebenästen auf (rechte Teilabbildung).



Zum Abschluss noch zwei Phasenkontrast-Darstellungen (S. scirtetica links, D. ornatus rechts). Die eigentümliche Schönheit dieser Organismen wird durch die Kontrastierung der hyalinen Stacheln im Phako besonders deutlich. Wer genau hinsieht, erkennt, dass ich schummeln musste: der kleine APSC-Sensor bedingt eine ziemlich kleine Bilddiagonale beim Objektiv SPlan 40/0,70. Daher musste ich jeweils zwei Teilabbildungen zusammensetzen.

Viele Grüße

Ole



Jürgen H.

Lieber Ole,

Ganz herzlichen Dank für diesen wunderschönen Beitrag, den ich mit Genuß gelesen und angesehen habe. Die große Mühe und der Zeitaufwand, die hinter einem solchen Beitrag stehen, weiß ich sehr zu schätzen. Ich spüre bei Dir nicht zuletzt auch die Freude, den Dingen auf den Grund zu gehen, die Du in unserem Arbeitsgerät siehst.

Schöne Grüße verbunden mit der Bitte um weitere Beiträge von Dir hier in diesem Forum,

Jürgen Harst

anne

Hallo Ole,

immer wieder ist es unglaublich Deine Beiträge zu sehen.

ich hoffe diese werden irgendwann in Form einer Sammlung als Buch oder Puplikation zu sehen sein.

lg
anne

Ole Riemann

Liebe Anne, lieber Jürgen,

vielen Dank für Euer Interesse. Ja, Jürgen, bei aller Begeisterung für die Mikroskopie geht es mir letztlich immer um die Objekte selbst und was man ohne allzu großen technischen Einsatz mit etwas Geduld und Kenntnis der Organismen unmittelbar beobachten und dokumentieren kann.

Wenn Du magst, Anne, schau mal in die neue Ausgabe des Mikroskopie-Journals (Heft 2, 2016). Dort findest Du auch einen Aufsatz zur Biologie der mikroskopischen Tiere des marinen Sediments. Hier sind viele Abbildungen von Organismen zu sehen, die wir auf mehreren meeresbiologischen Exkursionen mit Studenten gefunden haben.

Viele Grüße

Ole