Parthenogenetische Eientwicklung beim Bauchhärling L. squamata

Begonnen von Michael Müller, November 25, 2017, 13:25:27 NACHMITTAGS

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Michael Müller

Hallo in die Runde,

nach meinem letzten Beitrag über die Embryonalentwicklung von Ch. maximus (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=29669.msg222033) habe ich versucht, meine Beobachtungen mit Hilfe der Literatur zu bestätigen. Dabei ergaben sich einige Diskrepanzen, die mich dazu verleitet haben, nochmals meine Beobachtungen mit der Gastrotrichenart, deren Eientwicklung auch in der Literatur beschrieben wurde, zu wiederholen.
Praktisch alle systematischen Untersuchungen bei Gastrotrichen beruhen auf Beobachtungen an Lepidodermella sqamata. Diese mittelgroße und robuste Gastrotrichenart wird wegen ihrer immensen Reproduktionsrate seit Jahrzehnten in Kultur gehalten und ist deshalb für Laboruntersuchungen leicht verfügbar. Glücklicherweise ist L. squamata, der bereits von Ole Riemann vorgestellt wurde (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=22836.msg170318#msg170318), im Herbst in meinem Gartenteich recht häufig. Deshalb habe ich mir ein Mikroaquarium mit einigen Gastrotrichen präpariert und über einen längeren Zeitraum beobachtet. Anfänglich bestand die Bauchhärling-Population des Präparats aus drei L. squamata, einem Ichthydium cf. podura, einem unidentifizierten Chaetonoiden (vielleicht Ch. ophiogaster) und einigen Chaetonotus macrochaetus. L. squamata vermehrte sich in den nächsten Tagen rasch, so das im Maximum ca. 8 Tiere vorhanden waren. I. podura vermehrte sich ebenfalls auf eine Maximalpopulation von drei Tieren. Der Chaetonotus sp. vermehrte sich nicht, überlebte aber ca. 3 Wochen. Ch. macrochaetus erwies sich für ein Mikroaquarium als zu empfindlich - die Tiere starben bereits nach ca. einem Tag.
Im Laufe der Zeit verschlechterten sich die Lebensbedingungen im Präparat - wahrscheinlich sank die Sauerstoffkonzentration - und einige L. squamata begannen (insgesamt drei) Dauereier zu legen. Als nach ca. 3 Wochen die Lebensbedingungen so schlecht wurden, dass die Entwicklungsgeschwindigkeit der Soforteier stark abnahm und schließlich zum Stillstand kam, öffnete ich das Deckglas und tauschte das Wasser teilweise gegen frisches aus. Das hat zwar zu einem Verlust einiger Individuen geführt, aber die Eier entwickelten sich jetzt weiter, so dass im Moment die Population wieder aufgebaut wird. So konnte ich die Ablage der beiden unbefruchteten Eitypen (Dauereier und Soforteier) und deren Entwicklung beobachten.

Die unbefruchteten "Sofort-Eier" (tachyblastischen Eier) reifen unter optimalen Kulturbedingung innerhalb eines Tages in der Mutter heran. Bei den suboptimalen Bedingungen in meinem Präparat dauerte die Eientwicklung ca. 2 bis 3 Tage bis zur Ablage.


Bild 1: L. squamata, Eiablage

Zur Eiablage krümmt sich das Tier so, dass die Haut des Bauchhärlings aufreißt und das Ei entlassen werden kann. Bei L. squamata hat die Eischale bereits im Leib der Mutter begonnen auszuhärten. Deshalb wird das Ei ohne größer Formveränderung ausgeschieden. Beim Kontakt mit dem Wasser quellen Säulen auf der Eioberfläche (wohl durch eine osmotische Reaktion) innerhalb weniger Sekunden auf und führen dann zum typischen, artspezifischen Aussehen des Eis. Die Eizelle füllt die Eischale vollständig aus.


Bild 2: L. squamata, animierte Eientwicklung bis zur 3. Teilung

Das obige Bild ist animiert unter
http://www.dms-soft.de/PZO/Gastro/LSquamataEi/Eientwicklung-Ani2.gif

abrufbar; Offensichtlich ersetzt die Forumssoftware die Orginalbilder mir Kopien der Bilder auf dem Forumsserver. Leider wird dabei das Format der Bilder nicht beibehalten: aus einer animierten GIF- Datei wird dann ein JPG :(


Sofort nach der Ablage beginnt sich das Ei weiter zu entwickeln. Der Zellkern wird aufgelöst und erscheint an einer andern Stelle (nahe des "Nordpols") wieder. Die Eizelle schrumpft etwas und zieht sich beim "Südpol" etwas von der Eischale zurück. Hier werden dadurch einige Polkörper sichtbar. Eine unvollständige Abschnürung wird in der Mitte des Eis sichtbar und wandert dann über den Zellkern hinweg um am "Nordpol" zu verschwinden. Der Zellkern wandert zurück in die Mitte der Zelle. Aus der Eizelle hat sich nun die Zygote - die erste Zelle der zukünftigen Tochter - gebildet. Die Zygote teilt sich im weiteren Verlauf bis alle Zellen der Embryos gebildet wurden. Die Zellen reifen dann differenziert aus, bis das Tier schließlich schlüpft.
Dieser Vorgang wurde von Sacks [1] im Detail beschrieben und interpretiert. Eine genaue Untersuchung der Eientwicklung im Muttertier wurde von Hummon in [2] gegeben. Diese beiden Autoren interpretieren die Beobachtungen folgender Maßen:
Die Eizelle wurde im Muttertier bereits im Embryonalstadium angelegt und reift hier ohne weiter Teilung heran. Bei der Eiablage besitzt die Eizelle deshalb den üblichen doppelten Chromosomensatz und ist deshalb diploid. Nach der Eiablage kommt es zu einer asymmetrischen, mitotischen Teilung, wobei ein Polkörper - die kleinere Zelle der Teilung - ausgestoßen wird. Die größere Zelle ist die Zygote des Tochtertieres. Die parthenogenetische Fortpflanzung ist als apomiktisch, d. h. sie erfolgt ohne Meiose, die zu den üblichen, haploiden Geschlechtszellen führen würde. Die Tochtertiere entstehen also lediglich durch einfache mitotische Teilungen und sind deshalb vollständige genetische Kopien der Mutter.


Bild 3: L. squamata, Ei nach der ersten Teilung; beachte die 3 Polkörper am "Südpol"

Diese Beschreibung deckt sich nicht vollständig mit meinen Beobachtungen. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass nicht nur ein, sondern drei Polkörper vorhanden sind. Sie können nur durch eine zweifache asymmetrische Teilung entstanden sein. Diese Polkörper sind bereits sichtbar, wenn die Eizelle sich von der Eischale zurückzieht. Zu diesem Zeitpunkt sind die Polkörper noch nicht beweglich, sondern werden von der Zelle an die Schale gedrückt. Die "nullte" Zellteilung ist aber noch nicht abgeschlossen - die Polkörper können daher nicht bei dieser anfänglichen Teilung entstanden sein.
Drei Polkörper an Eizellen kommen bei den meisten Tieren vor. Sie sind ein Zeichen für die Meiose, bei der die Mutterzelle der Eizelle, die Oozyte, eine zweifache Teilung durchläuft. Hier werden die Chromosomen auf die entstehenden vier haploiden Tochterzellen verteilt. Während bei der Spermienproduktion alle vier Zellen gleichwertig sind und zu Spermien ausreifen, erfolgen die meiotischen Teilungen bei der Eizellenproduktion asymmetrisch. Die spätere Eizelle erhält praktisch das gesamte Zellplasma während die verbleibenden drei Zellen sehr klein bleiben und fast nur den Zellkern enthalten. Diese drei kleinen Zellen sind die Polkörper, die an den haploiden Eizellen haften und sich später meist auflösen. Da auch bei Gastrotrichen drei Polkörper (bereits vor dem Abschluß der "nullten" Teilung) vorhanden sind, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass hier die Eizellen ebenfalls durch Meiose - entweder bei der Embryonalentwicklung der Mutter oder erst kurz vor der Eiablage - entstanden sind und deshalb lediglich den einfachen Chromosomensatz enthalten, also haploid sind.
Unbefruchtete, haploide Eizellen können sich - im wesentlichen - auf drei Wegen zu einer diploiden Zygote entwickeln, aus der dann das neue Tier reifen kann:


  • das Zellmaterial der Eizelle kann zu irgend einem Zeitpunkt durch Endomitose verdoppelt werden. Dieser Prozess ist mikroskopisch meist nicht beobachtbar.
  • die Eizelle kann zu irgend einem Zeitpunkt mit einem der ebenfalls haploiden Polkörpern verschmelzen und so eine diploide Zygote bilden. Da nach der ersten Zellteilung immer noch drei Polkörper zu beobachten sind, wird dieser Weg bei Gastrotrichen nicht eingeschlagen.
  • die Eizelle kann sich teilen und die beiden haploiden Tochterzellen verschmelzen sogleich wieder zu der diploiden Zygote. Dieser Prozess deckt sich mit den beschriebenen Beobachtungen und erscheint mir deshalb wahrscheinlich.

Ich glaube deshalb, dass nur eine automiktische Fortpflanzung - also eine Zygotenproduktion durch Verschmelzung von aus einer Oozyte meiotisch entstandenen Tochterzellen - mit den Beobachtungen vereinbar ist. In diesem Fall wären die Tochtertiere genetisch von dem Muttertier unterschiedlich, da bei der Meiose vier genetisch unterschiedliche Zellen entstehen. Sollte dennoch eine apomiktische Fortpflanzung vorliegen, müsste der Prozess zumindest auf zwei asymmentrische, mitotische Zellteilungen erweitert werden, um die Zahl der Polkörper zu erklären.
Ein Beweis für Apomixis bzw. Automixis ist wohl durch eine einfache mikroskopische Beobachtung nicht zu führen. Hierzu wäre eine Verfolgen der Chromosomen während der Teilung nötig. Leider ist es bei Gastrotrichen noch niemals gelungen, Chromosomen direkt zu beobachten.

Ich bin selbst immer sehr skeptisch, wenn Amateure meinen, der Fachliteratur widersprechen zu müssen. Deswegen bin ich mir sehr unsicher, ob ich mit der obigen Interpretation nicht einen "gehörigen Bock geschossen" zu haben. Ich würde mich deshalb freuen Eure Fachmeinung und Kritik zu hören.

Nach einigen Tage Entwicklung erfolgt schließlich der Schlupf des Tieres:


Bild 4: L. squamata. Schlupf

Das Tier verkrümmt sich S-förmig und schabt mit dem Kopfschild und dem Mund mehrmals über die Eischale. Durch diese Behandlung verliert die Eischale an dieser Stelle ihre Stabilität. Als Grund hierfür kann ich mir sowohl ein mechanisches Abschaben als auch das Auftrage von Enzymen vorstellen. Das Tier drückt schließlich  nach einigen Minuten die Eischale auf und verlässt das Ei.


Bild 5: L. squamata, Jungtier

Das frisch geschlüpfte Jungtier ist dem erwachsenen Tier bereits sehr ähnlich. Kopf, Pharynxbereich und Schwanzgabel sind voll ausgebildet, ein Wachstum erfolgt nur im Darmabschnitt. In jeder Darmzelle ist ein dunklerer, doppelbrechender kristalliner Körper erkennbar, der bei älteren Tieren nicht mehr vorhanden ist. Möglicherweise ist dies ein Reservekörper, der den Energiebedarf des Jungtiers in den ersten Lebenstagen deckt.

Als sich die Lebensbedingungen im Präparat verschlechterten, fielen mir Tiere auf, deren Eier lange vor der Eiablage sehr deutlich zu sehen waren:


Bild 6: L. squamata, trächtiges Tier mit opsiblastischem Ei

Die Struktur der Eischalen bei diesen Tieren war sehr deutlich zu sehen. Die äußere Eischale war in einzelne Schollen aufgeteilt, die später zu dem "Dach" der Sälen werden sollte. Diese Tiere bildeten Dauereier - sog. opsiblastische Eier -  aus.


Bild 7: L. squamata, links opsiblastisches Ei, rechts tachyblastisches Ei

Diese Dauereier sind nicht so transparent wir die "Soforteier" (tachyblastische Eier) und besitzen eine dickere Schale. Die Säulen sind etwas kürzer ausgebildet. Diese Dauereier werden - im Gegensatz zu den tachyblastischen Eier - nicht an das Substrat geheftet und sind deswegen frei beweglich. So können sie auch von Wassertieren von einem Habitat in ein anderes vertragen werden. Aus der Literatur wird berichtet, dass diese Dauereier unempfindlich gegen Austrocknung und Hitze sind. Welcher Reiz - auch noch Monaten - den Beginn der Embryonalentwicklung auslöst ist nicht bekannt. Als ein zweites opsiblastisches Ei bei einem ca. eine Woche alten Dauerei abgelegt wurde, begann sich das alte Ei plötzlich zu entwickeln. Nach zwei Tagen schlüpfte daraus ein ansonsten unauffälliges Jungtier. Die anderen Dauereier blieben inaktiv.


Bild 8: L. squamata, Entwicklung eines Dauereis

Ich hoffe, Euch mit diesem recht langen Beitrag nicht zu sehr strapaziert zu haben.

Viele Grüße

Michael

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Literatur:

[1] Sacks,M. 1953. Studies of the life history of Lepidodermella squammata (Du Jardin, 1841). Ph. D. Thesis, Univ. Illinois
[2] Hummon,M.R. 1984. Reproduction and sexual development in a freshwater gastrotrich. 1. Oogenesis of parthenogenic eggs (Gastrotricha). Zoomorphologie 104: 33-41
Gerne per Du

limno

Guten Abend Michael,
sehr interessanter Beitrag! Danke dafür! :) Aber beim Lesen haben sich doch einige Fragen ergeben. Aus dem Murnauer Moos  konnte Ole ja ein Exemplar mit einem Spermium, also einen Zwitter beobachten (2.Link)
@Ole: Wann war der Fang bzw. wann wurde das Foto gemacht?
Meine Überlegungen gehen nämlich dahin, nach Parallelen zu den monogononten Rotatorien zu suchen. Die Rotifera sind eine Schwestergruppe der Gastrotrichen.
Die monogononten Rädertiere pflanzen  sich im Sommer durch Subitaneier (ohne Meiose) fort. Im Herbst werden dann- ausgelöst durch externe Faktoren - haploide Eier gelegt(die vorher eine Meiose durchlaufen haben) Aus diesen Eiern schlüpfen dann Männchen.Werden diese ( noch nicht abgelegten) Eier von Männchen befruchtet entstehen hartschalige Latenzeier (auch Dauer- oder Wintereier genannt.)(KOSTE, Die Rädertiere Mitteleuropas(Monogononta) 2. Auflage 1978, S.31ff.
Man könnte doch einige dieser von KOSTE erwähnten Faktoren auch an Gastrotrichen in der Kultur testen, ob diese dann die Bildung von Latenzeiern auslösen, oder doch nur verkümmerte Überreste früherer Evolutionen sind.Welchen "Zweck" würde eine Meiose haben, die nur zur Bildung weniger Samenzellen oder haploider Eizellen führt
Michael, wie fütterst Du eigentlich Deine Tiere?
Gute Nacht
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael Müller

Hallo in die Runde,

beim Lesen der Antworen fällt mir gerade auf, dass in meinem Beitrag die Animation der Eientwicklung nicht funktioniert. Deshalb muss ich einen getrennten Link einstellen:

http://www.dms-soft.de/PZO/Gastro/LSquamataEi/Eientwicklung-Ani2.gif

Offensichtlich ersetzt die Forumssoftware die Orginalbilder mir Kopien der Bilder auf dem Forumsserver. Leider wird dabei das Format der Bilder nicht beibehalten: aus einer animierten GIF- Datei wird dann ein JPG :(
Beim der Vorschau funktioniert es aber noch.

Viel Grüße

Michael

Gerne per Du

Michael Müller

Hallo Heinrich,

die Fortpflanzung bei Gastrotrichen unterscheidet sich ziemlich von der der Rädertiere und ist wohl einzigartig im Tierreich. Gerade für L. squamata wurde sie von Hummon sehr detailliert untersucht und wird bei den anderen Arten wohl nicht sehr unterschiedlich ablaufen (wobei ich bei anderen Arten noch nie Dauereier gesehen habe):
Nach dem Schlupf legen Gastrotrichen meist vier parthenogenetische Eier, die sich unbefruchtet entwickeln. Wenn die Lebensbedingungen schlecht sind, ist das vierte Ei manchmal ein Dauerei. Die Tiere, die bis jetzt überlebt haben, entwickeln sich zwangsläufig zu Zwittern, erkenntlich an Spermapaketen und dem X-Organ. Diese Tiere entwickeln ebenfalls Eier, die möglicherweise befruchtet werden müssen. Aber wie es ab diesem Punkt weiter geht, hat noch niemand gesehen und konnte auch in Kulturen nicht beobachtet werden. Genauer habe ich das mal hier beschrieben:http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=27041.msg203186#msg203186
Auch in den Mikroaquarien beobachte ich die Entwicklung der älteren Tiere zu Zwittern und die Eientwicklung bei ihnen. Leider verschwinden diese Tiere (bis auf einen Fall) immer und ich konnte die Eiablage nicht beobachten. Tiere nach der Eiablage sind nicht mehr zu finden. Vielleicht überleben die postparthenogenetischen Tiere diese nicht?
Eine Fütterung ist bei meinen Mikroaquarien nicht nötig. Meist entwickeln sich genügend Bakterien, Flagellaten und Ciliaten, die die Gastrotrichen ernähren. Anders als in Kulturen werden die Mikroaquarien ja auch nach ca. einem Monat aufgegeben.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen tollen Bericht Deiner detaillierten Beobachtungen. Die Vermehrungsstrategie der Gastrotrichen scheint ja wirklich abenteuerlich zu sein. Bei einer Sache muss ich nochmal nachfragen. Verstehe ich richtig, dass ein diploides "Sofortei" gelegt wird, aus dem diploide Individuen hervorgehen werden. Weil Du drei Polkörper beobachtet hast, soll sich dieses Ei erst meiotisch geteilt haben, zu drei haploiden Polkörpern und einer haploiden Eizelle (so habe ich es verstanden). Diese haploide Eizelle ist dann wieder mit einer der Polkörper zu einer diploiden Eizelle verschmolzen? Das Ei hätte sich doch auch sofort teilen und ein (diploides) Embryo bilden können? Wird dieser Umweg genommen, um eine Art "pseudo-Vielfalt" bei den Nachkommen zu erzeugen, um die sexuelle Vermehrung zu simulieren?

Grüße

Martin

Michael Müller

Hallo Martin,
da habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt.
Ich beobachte bei der Eiablage im Ei  eine Eizelle und drei Polkörper. Dies interpretiere ich als eine Hinweis auf eine vorangegangene Meiose - die Eizelle (und die Polkörper) ist dann haploid. Um aus der haploiden Eizelle einen diploiden Embryo zu generieren, muss die Eizelle ihre Chromosomenzahl verdoppeln. Dies erfolgt dadurch, dass sie sich teilt und die Teilungsprodukte sofort wieder zu einer diploiden Zelle verschmelzen, aus der sich dann der Embryo entwickelt.
Diese Beobachtungen lassen sich recht schön mit der Animation der Eientwicklung (http://www.dms-soft.de/PZO/Gastro/LSquamataEi/Eientwicklung-Ani2.gif) nachvollziehen:
Den Anfang der Animation bildet die Eizelle direkt nach der Eiablage. Dann löst sich der Kern auf und kondensiert an einer anderen Stelle wieder. Eine Abschnürung läuft durch die Zelle und verschwindet dann wieder. Am Ende dieses Prozesses ist wieder nur eine Zelle und ein Zellkern vorhanden aus dem sich im weiteren Verlauf der Animation der Embryo durch Teilung entwickelt. Dieses Verschwinden und Wiedererscheinen des Zellkern interpretiere ich als Teilung und Verschmelzung der Eizelle zur Zygote. Ein solcher Weg für eine parthenogenetische Vermehrung ist nicht ungewöhnlich und für einige anderen Tierarten beschrieben und ist automiktisch.
Für Gastrotrichen ist in der Literatur ein anderer Weg beschrieben:
Die Eizellen werden nicht über Meiose gebildet sondern sind bei der Ablage diploid. Bei der oben beschriebenen erste Teilung vor der Bildung der Zygote wird die Zygote und ein Polkörper über Mitose gebildet. Die Entwicklung läuft also ohne Meiose ab und ist deshalb apomiktisch. Auch dieser Fortpflanzungsweg ist bei einigen anderen Tierarten bekannt. Nur sollte dann lediglich ein Polkörper vorhanden sein, der auch erst nach der Eiablage gebildet wird.
Die Auswirkungen dieser beiden Fortpflanzungsarten - Apomixie und Automixie - sind allerdings gravierend unterschiedlich. Bei dem apomiktischen Weg sind die Tochtertiere genetische Klone der Mutter. Man sollte also - bis auf Mutationen - keine evolutionär Anpassung erwarten. Die Art wäre insgesamt recht statisch und man kann mit keinen großen Variationen rechnen. Bei dem Weg über die Meiose kommt es aber - durch Cross-over und Verteilung der Chromosomen - zu genetisch unterschiedlichen Tochtertieren. Bei der immensen Generationenrate der Gastrotrichen (bei guten Bedingungen 100 Generationen pro Jahr) sollte man dann eine rasche Anpassung an unterschiedliche Habitate erwarten. Die Artvariabilität sozusagen von Teich zu Teich wäre dann sehr hoch. Genau dies ist bei Gastrotrichen der Fall.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Michael Plewka

Hallo Michael,

Deine Darstellung der Entwicklung der Gastrotrichen-Eizelle in den Bildern und dem gif ist wirklich beeindruckend. Aber ich hake nochmal nach:  ich habe in dem gif 42 Bilder gefunden. Ist das richtig?

Ich frage zum einen deshalb nach, weil für  mich natürlich als jemand, der sich mit der  Entwicklung der (bdelloiden) Rädertiere auseinandersetzt, das Thema "Parthenogenese" immer sehr spannend ist.

Ich frage aber auch deshalb nach, weil Deine Aussagen für mich teilweise nicht nachvollziehbar sind. Es geht dabei um die Begriffe  "Zygote" und "Polkörper"

Bisher hast Du in diesem thread zweimal auf die Literatur zur parthenogenetischen  Entwicklung von L. squamata hingewiesen. (Die Arbeit von Sacks konnte ich finden, die von Hummons nur als abstract.
 
Du schreibst  im 2. Teil:

ZitatFür Gastrotrichen ist in der Literatur ein anderer Weg beschrieben:
Die Eizellen werden nicht über Meiose gebildet sondern sind bei der Ablage diploid. Bei der oben beschriebenen erste Teilung vor der Bildung der Zygote wird die Zygote und ein Polkörper über Mitose gebildet. Die Entwicklung läuft also ohne Meiose ab und ist deshalb apomiktisch.....


Eine Zygote ist immer das Ergebnis  der Verschmelzung (Mixis) zweier -meist haploider- Zellen.  Dann liegt aber keine Parthenogenese vor. Dass eine solche Verschmelzung zweier Zellen nicht stattfindet, bringt der Begriff "Apomixis" ja gerade zum Ausdruck, und genau deshalb wird der Begriff ja  als eine Form der parthenogenetischen Fortpflanzung verwendet.  D.h. deine Darstellung wirft die Frage auf, wo  eine Zygotenbildung d.h. eine Verschmelzung zweier haploider Zellen stattfinden soll.  Zumindest bei Sacks ist von einer Zygote (in der bereits abgelegten Eizelle)  auch keine Rede. 

Wohl aber verwendet er den Begriff  "polar body". Es stellt sich nun die Frage, ob der Autor damit den  Begriff  "Polkörper" bzw. im Englischen "polar body" meint. Ich verweise  der Einfachheit halber auf das, was als Definition  in der wikipedia (deutsch und englisch) steht, dann wird deutlich, dass das, was Sacks als "polar body" bezeichnet (S.475), kein Polkörper sein kann, da eine Meiose als Voraussetzung fehlt. Es hat ja überhaupt noch keine Kernteilung (weder meiotisch noch mitotisch) in der Eizelle  stattgefunden. Vielleicht hat er das Centriol gesehen?

M.E. sollte also bei einer apomiktischen Parthenogenese überhaupt kein Polkörper zu sehen sein. Wo soll der herkommen?

Im 1. Teil schreibst Du:

ZitatBei der Eiablage besitzt die Eizelle deshalb den üblichen doppelten Chromosomensatz und ist deshalb diploid. Nach der Eiablage kommt es zu einer asymmetrischen, mitotischen Teilung, wobei ein Polkörper - die kleinere Zelle der Teilung - ausgestoßen wird. Die größere Zelle ist die Zygote des Tochtertieres. Die parthenogenetische Fortpflanzung ist als apomiktisch, d. h. sie erfolgt ohne Meiose, die zu den üblichen, haploiden Geschlechtszellen führen würde. Die Tochtertiere entstehen also lediglich durch einfache mitotische Teilungen und sind deshalb vollständige genetische Kopien der Mutter.


Wie oben schon angsprochen, entstehen Polkörper m.W. als Resultat einer Meiose, nicht einer Mitose. Ebenso kann nach diese von Dir angesprochenene  größere Zelle keine Zygote sein (s.o.) .


Abgesehen davon, dass deine Wiedergabe der apomiktischen Parthenogenese verschiedene Fragen aufwirft, geht es ja für Dich eher um die Vermutung, dass  bei dem von Dir beobachteten Prozess eine Automixie vorliegt.  Man müsste hierzu also wissen, ob wirklich mehrere Polkörper außerhalb der Eizelle zu sehen sind. Dazu wäre es m.E. sinnvoll. diese vermeintlichen Polkörper in den Einzelbildern zu markieren. Ich habe jedenfalls in den 42 BIldern (daher die Frage)  keine 3 Polkörper erkennen können.
Es wäre dann noch zu klären, ob diese Körperchen die Gastrotrichen-DNA in haploider Form enthalten.

Und zum Schluss stellt sich mir noch die Frage, warum dieser Prozess dann außerhalb des Muttertieres ablaufen sollte. Effektiver wäre es auf jeden Fall, wenn  es innerhalb des Organismus passieren würde.

beste Grüße
Michael Plewka



Michael Müller

Hallo Michael,
vielen Dank für Deine ausführliche Antwort.
Du hast natürlich recht - der Begriff Zygote beinhaltet eine Verschmelzung zweier aus einer Meiose hervorgegangenen Zellen und ist deshalb bei Apomixis nicht anwendbar. In diesem Fall habe ich die erste Zelle des neuen Lebewesen gemeint. Wahrscheinlich gibt es dafür einen anderen Fachbegriff, den ich nicht kenne. Bei Automixis ist der Begriff korrekt und wird allgemein verwendet. Hier stammen die verschmelzenden Zellen nur von den Zellen aus der selben Meiose ab.
Der Begriff Polkörper (oder Richtungskörper) bezeichnet ursprünglich die kleinen Körper am Pol einer Eizelle. Erst viel später hat man erkannt, dass diese Körper (bei der "normalen" Fortpflanzung) die restlichen 3 Zellen aus der Meiose darstellen. Der Begriff wird aber immer noch im ursprünglichen Sinn (z. B. bei Sacks) für die kleinen Zellen - egal welchen Ursprungs - verwendet, die an der Eizelle haften.
Die Polkörper in den Eiern sind schwer darzustellen, da sie sich nicht in der selben Fokusebene befinden und in Bewegung sind. Ich hatte gehofft, das die Bewegung in der Animation einen Kompromiss in der Darstellung ist. Die folgenden Bilder stammen von zwei verschiedenen Eiern von L. squamata:





Ich hoffe, hier sind die Polkörper am "Südpol" - wenn auch nicht alle drei gleichzeitig - besser zu erkennen. Leider hatte ich die Bedeutung der Polkörper erst nach den Aufnahmen erkannt und deshalb nicht versucht, Fotos speziell von diesen zu machen.

Wenn ich mit meiner Beschreibung des Ablaufes Recht habe, wird ein haploides Ei gelegt, dass dann, außerhalb der Mutter, durch Teilung und Verschmelzung sozusagen "befruchtet" wird. Möglicherweise erfolgt diese Methode der Befruchtung nur, wenn kein Sperma in das Ei eingedrungen ist und anderweitig befruchtet wurde. Vielleicht gibt es gar keinen so großen Unterschied zwischen parthenogenetischen und befruchteten Eier. Aber das ist jetzt pure Spekulation.

Viele Grüße

Michael (Müller)


PS:
Wenn Du mir Deine Mail-Adresse zukommen lässt, schicke ich Dir gerne das Paper von Hummon.

Gerne per Du