Einzeller an der Basis der Metazoen – die Kragenflagellaten (Choanoflagellaten)

Begonnen von Ole Riemann, Mai 30, 2018, 14:32:44 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Mikroskopie-Kollegen,

Kragenflagellaten (Choanoflagellaten) sind sicherlich den meisten Tümplern schon einmal begegnet. Als sessile Filtrierer findet man sie regelmäßig und oft in kolonialen Verbänden an fädigen Algen und Pflanzen angeheftet. Selbst so zarte Planktonten wie die Kieselalge Asterionella werden von Choanoflagellaten besiedelt.

Der namensgebende Kragen dieser Gruppe heterotropher Einzeller besteht aus feinen, lichtmikroskopisch nur unter günstigen Bedingungen erkennbaren, stabförmigen Zellfortsätzen, die als Mikrovilli bezeichnet werden. Diese bilden einen geschlossenen Ring, der sich bei zahlreichen Arten trichterförmig erweitert, und der das zentral gelegene Cilium umgibt. Das Cilium erzeugt einen Wasserstrom, der Nahrungspartikel – meistens Bakterien – in die Nähe des Kragens befördert. Dort bleiben die Nahrungsbestandteile an den Reusen des Kragens hängen und werden von der Zelle phagozytiert. Die Choanoflagellaten bilden gattungsspezifische Gehäusestrukturen aus, auf denen die traditionelle (vor-molekulare) Systematik dieser Gruppe basierte.

Choanoflagellaten sind für das Verständnis der Evolution der Tiere von enormer Bedeutung. Schon früh war bekannt, dass der einzelne Kragenflagellat den Choanozyten bei Schwämmen verblüffend ähnlich sieht. Die Choanozyten der Schwämme kleiden, dicht an dicht stehend, die wassergefüllten Innenräume des Schwammkörpers aus und erzeugen wie die freilebenden Choanoflagellaten durch Schlag ihrer Cilien einen Wasserstrom, der dem Schwammkörper Nahrungsbestandteile zuführt. Die Ähnlichkeit in Gestalt und Funktion zwischen Choanoflagellaten und den Choanozyten der Schwämme hat zu Überlegungen geführt, dass alle vielzelligen tierischen Organismen (Metazoa, von den Schwämmen ,,aufwärts") direkt von Choanoflagellaten-Vorfahren abstammen. Moderne molekulare Daten belegen die enge stammesgeschichtliche Verwandtschaft zwischen den Choanoflagellaten und Metazoa und bestätigen damit die früheren, auf morphologischen Befunden basierenden Annahmen. Man geht heute aber nicht mehr davon aus, dass Metazoa direkt von den Choanoflagellaten abstammen, sondern dass Metazoa und Choanoflagellata einen gemeinsamen Vorfahren haben und somit Schwestertaxa sind. Zusammen mit den Pilzen und weiteren einzelligen Organismen bilden Metazoa und Choanoflagellata das molekular begründete Großtaxon Opisthokonta.

Im Folgenden zeige ich einige Fotos einer Salpingoeca-Art, die ich in älteren Moorproben gefunden und in der letzten Zeit genauer dokumentiert habe. Eine schöne Darstellung eines weiteren Choanoflagellaten – der gestielten Art Codonosiga botrytis – hat Jochen vor einiger Zeit im Tümplerforum veröffentlicht: http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewtopic.php?f=21&t=559.

Hier eine Ansicht eines kolonialen Verbands zahlreicher Einzelzellen von Salpingoeca auf einer fädigen Grünalge:



Die nächsten beiden Detailansichten lassen den charakteristischen Aufbau eines Choanoflagellaten gut erkennen. Der Zellkörper wird umschlossen von einem Gehäuse (Th=Theca), das distal bis zum Ansatz des Kragens (Kr) reicht und in diesem Fall der Zelle eng anliegt. Jede Zelle trägt ein langes Cilium (Ci), das ein Mehrfaches der Länge des Gehäuses erreicht. Innerhalb der Zelle erkennt man den Zellkern mit Nukleolus (Nu=Nukleus) sowie eine kontraktile Vakuole (kV) und weitere granuläre Einschlüsse. Die Zelle misst von der Basis bis zum oberen Rand des Gehäuses ca. 10 µm.



Die folgende Abbildung zeigt sieben Einzelzellen, die schwach halbkreisförmig angeordnet sind und deren Cilien an ihrer Spitze zusammenneigen. Möglicherweise erzeugen die Individuen durch diese Anordnung einen synergistischen Effekt und verstärken die resultierende Wasserströmung, was der Filtrationsleistung aller beteiligten Zellen zugutekäme. Die am weitesten rechts sitzende Zelle lässt einen flexiblen Hals (Ha) erkennen, der den oberen Gehäuserand überragt. Das am weitesten links sitzende Exemplar ist so fokussiert, dass einige der Mikrovilli des Kragens exakt in der Schärfeebene des Mikroskops liegen und als feine Stäbe gerade sichtbar werden. Erstaunlich finde ich, wie lang die Geißeln im Verhältnis zum übrigen Zellkörper sind. Um dies zu demonstrieren, ist ein Mikroblitz zum Einfrieren des Cilienschlags unabdingbar. Dann wird auch deutlich, dass das Cilium über einen wesentlichen Teil seiner Länge gerade gehalten wird und nur der distale Abschnitt seitliche Auslenkungen zeigt.



Bei manchen Verbänden findet man zwischen den lebenden Flagellaten immer wieder Exemplare, von denen nur noch die vasenförmigen Gehäuse übrig sind.



Hier habe ich den Fokus erneut auf die Kragen benachbarter Zellen mit ihren feinen Mikrovilli-Stäben (Pfeile) gelegt, die lichtmikroskopisch am Rande der Sichtbarkeit liegen.



Die Gehäuse der Flagellaten sind mit einem fädigen Geflecht (Pfeil) an der Unterlage angeheftet.



Die abschließende Sequenz zeigt den Vorgang der Nahrungsaufnahme. Durch den Cilienschlag und den daraus resultierenden Wasserstrom, der Wasser von außerhalb des Kragens zwischen den Mikrovilli hindurch zum Cilium befördert, ist ein Bakterium an die Außenseite des Kragens gezogen worden (ganz links). Dort bleibt es an der Mikrovilli hängen. Es wird von einem Pseudopodien-artigen Zellfortsatz in einer Blase umschlossen (zweites Bild von links, Mitte). Schon nach kurzer Zeit (unter 1 Minute) ist es von der Zelle phagozytiert, aber noch eine Zeit lang in einer Verdauungsvakuole sichtbar (rechts).



Wirklich ein spannendes Feld der Protozoologie - auch für Filmaufnahmen sehr gut geeignet!

Viele Grüße

Ole






Michael Müller

Hallo Ole,

absolut beeindruckende und tolle Bilder. Mir sind die Freunde noch nie bewusst begegnet. Vielen Dank, dass Du meine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt hast.

Viel Grüße

Michael
Gerne per Du

ImperatorRex

Hallo Ole,
vielen Dank für Deinen tollen Beitrag und die Fotos. Ich weiss ja aus eigener Erfahrung wie schwierig es ist die Mikrovilli/Stäbchen zu erwischen und zu dokumentieren. Das ist Dir hervorragend gelungen, gratuliere.  :)

Liebe Grüße
Jochen

Jürgen Boschert

Hallo Ole,

wieder einmal ein beeindruckender Beitrag und sagenhafte Bilder. Ist das "Endlich" oder Axio ?

Danke für´s Zeigen.

Gruß !

JB
Beste Grüße !

JB

Martin Kreutz

Hallo Ole,

wieder ein wunderbarer Beitrag von Dir! Die Bilder herausragend (wie üblich)! Besonders schön sind die Mikrovilli des Kragens herausgearbeitet. Die sind auf den meisten Fotos von diesem Kragenflagellaten meist nicht aufgelöst. Meiner Ansicht nach handelt es sich hier um Salpincoeca amphoridium.

Martin

MikroMicha

Hallo Ole,

vielen Dank für Deinen tollen Beitrag gepaart mit hoher Sachkenntnis und super Bildern. Ich hatte diese (oder ähnliche Exemplare) auch häufiger unter der Linse. Da man sich bei diesen Organismen teilweise schon an der Grenze des lichtmikroskopisch Machbaren bewegt, ist auf meinen Videos keine Spur von den Mikrovilli, die Du so wunderbar dokumentiert hast. Wahrscheinlich waren die Schichtdicken noch nicht optimal und die Kondensorimmersion hielt ich auch für überflüssig. Von mir wieder beide Daumen hoch.  :)
Herzliche Grüße sendet

Michael (MikroMicha)

Ole Riemann

Herzlichen Dank für die Rückmeldungen und das Interesse!

@Jürgen Boschert: Sowohl als auch - 1-3 ist Axio, 4-7 "endlich".

@Martin: vielen Dank für die Präzisierung der Bestimmung.

@Michael: Ja, die Schichtdicke ist natürlich wie so oft von zentraler Bedeutung (daher ist auch Nr. 7 deutlich schwächer in der Auflösung). Die Kondensorfrontlinse habe ich aber bei Tümpelproben nie immergiert, das ist meines Erachtens nicht notwendig.

Beste Grüße

Ole


MikroMicha

Hallo Ole,

Zitat von: Ole Riemann in Juni 01, 2018, 11:17:09 VORMITTAG

@Michael: Ja, die Schichtdicke ist natürlich wie so oft von zentraler Bedeutung (daher ist auch Nr. 7 deutlich schwächer in der Auflösung). Die Kondensorfrontlinse habe ich aber bei Tümpelproben nie immergiert, das ist meines Erachtens nicht notwendig.

ich möchte Dich ja zu nichts überreden, aber versuche es doch mal mit der Kondensorimmersion. Ich meine, dass das bei meinem Abbe-Kondensor für Hellfeld, Dunkelfeld und Phasenkontrast mit der N.A. 0,9 - 1,25 etwas bringt, vor allem im Hellfeld, aber auch im Phasenkontrast. Ich nehme dafür meistens auch nur destilliertes Wasser, da hält sich die Schmiererei in Grenzen. Zumal ist die Kondensorfrontlinse recht groß und die Immegriererei wird so zu einer Herausforderung, bei Öl reißt z. B. ständig der Ölfilm. Ich weiß nicht, was Zeiss sich dabei gedacht hat  ;). Ich würde mich jedoch freuen, von Dir zu hören, falls Du es doch mal mit Immersion des Kondensors versuchen solltest.

Herzliche Grüße sendet

Michael (MikroMicha)