Das selten gefundene Pseudoheliozoon Hedriocystis spinifera

Begonnen von Ole Riemann, Juni 22, 2018, 15:05:55 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Freunde des Tümpelns,

Ich zeige hier einige Bilder eines offenbar nur selten gefundenen und wenig dokumentierten ,,Pseudoheliozoon" – es handelt sich um die Art Hedriocystis spinifera. H. spinifera wurde 1918 von J. M. Brown auf der Isle of May, Schottland, gefunden und von ihm beschrieben. Philipp Mayer gelang 1995 ein Wiederfund in der Nähe von Konstanz, den er ausführlich dokumentierte und im Mikrokosmos beschrieb (Mayer, P. (1997): Hedriocystis spinifera nach 77 Jahren wiederentdeckt. Mikrokosmos 86(2), 65 – 67). Weitere Beobachtungen zu dieser Art findet man auf der Internetseite Arcella.nl von Ferry Siemensma, der auch einen Hinweis auf die mögliche Synonymie mit der sehr ähnlichen Art Belonocystis tubistella gibt.

Aufgrund der spärlichen Datenlage scheint es mir sinnvoll, H. spinifera auch hier kurz zu dokumentieren. Meine Exemplare stammen aus Proben von der letzten Kornrade, die Martin Kreutz aus dem Simmelried mitgebracht hat. Ich vermute, die von P. Mayer 1997 beschriebenen Braunwassertümpel in der Nähe von Konstanz, aus denen seine Proben stammten, meinen denselben Ort.

H. spinifera sieht auf den ersten Blick in der Tat wie ein Sonnentier aus. Der runde Plasmakörper ist außen von einem Hüllskelett umgeben, das sich aus einzelnen wabenartigen Kammern zusammensetzt, die jeweils einen feinen Stachel tragen (Bp=Basalplatte, St=Stachel). Die von mir beobachteten Exemplare zeigen einen Durchmesser von gut 15 µm (inkl. Hüllskelett). Der Kern (Nu=Nukleus) mit ausgeprägtem Nukleolus ist an der Zellperipherie gelegen, ebenso die kontraktilen Vakuolen (kV=kontraktile Vakuole). In den einzelnen Waben des Skeletts zeigen sich feine Granulen (Gr=Granulen). Wie auch P. Mayer (1997) konnte ich zarte Filopodien (Fi=Filopodien) nur bei wenigen Exemplaren beobachten. Die Filopodien sind um ein Mehrfaches länger als der Zelldurchmesser und bewegen sich wie tastend in der Zellumgebung. Sie scheinen sehr dynamische Gebilde zu sein, da sie sehr plötzlich (innerhalb weniger Sekunden) stark verkürzt werden können oder ganz verschwinden. Ihre Zartheit und Beweglichkeit erschwert genauere Beobachtungen auch im Differentialinterferenz- oder Phasenkontrast sehr.



Neben der mit centroheliden Sonnentieren sicherlich nicht näher verwandten H. spinifera traten auch echte Heliozoen in den Proben auf. Hier einmal zwei Fotos der hübschen Chlamydaster laciniatus (oben) mit einer sehr charakteristischen Schleimhülle um den Zellkörper, in die feine Nadeln eingelagert zu sein schienen sowie eine nicht näher bestimmte Acanthocystis-Art (unten) mit auffallend langen, mit Extrusomen besetzten Axopodien.





Gibt es eventuell weitere Dokumentationen von Hedriocystis spinifera?

Viele Grüße

Ole



Fahrenheit

Liebe Freunde,

leider sind die Bilder - zumindest für mich - nicht zu sehen und lassen sich auch über den internen Link nicht aufrufen.
Ich habe die Admins gebeten, mal einen Blick drauf zu werfen.

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

wejo

Hallo Ole,
zur Sache kann ich leider nichts beitragen. Jedoch erfreue ich mich an Deinen gelungenen Bildern  :), die ja nicht so einfach zu erreichen waren, wie Du schreibst.
Herzliche Grüße
Werner

Ole Riemann

#3
... Vielen Dank Euch für die Rückmeldungen!

@Jörg, danke für Deinen Hinweis, auch von anderer Seite habe ich von Problemen gehört. Bei mir sieht jedoch alles normal aus.

@Thilo:

Zitat von: paramecium in Juni 22, 2018, 20:30:08 NACHMITTAGS

Ich würde für Dich gerne Augen offen halten. Um Deine Frage sinnvoll zu beantworten wäre es sicherlich hilfreich zu wissen, wie man das "Ding" sicher bestimmt. Hast Du da Hinweise für mich? Ich meine nämlich, dass ich öfter über derlei Arten stolpere.

Ich denke, Hedriocystis spinifera ist aufgrund der typischen Erscheinung in Kombination mit der gerinen Größe unverkennbar. Das wabenartige Gehäuse ist auch im Hellfeld gut zu erkennen, ebenso die Stacheln. Leider habe ich keine Hellfeld-Aufnahme zum Vergleich gemacht.

Zitat von: paramecium in Juni 22, 2018, 20:30:08 NACHMITTAGS

Alternative Aufnahmen im Hellfeld und Phako wären für Mikroskopiker ohne DIC sicherlich auch gut.


Ja, Du hast vollkommen Recht, es ist nicht gut, immer nur mit DIC zu arbeiten und die anderen Beleuchtungs- und Kontrastverfahren zu vernachlässigen. Ich habe gestern nochmal ein Präparat untersucht und Chlamydaster laciniatus und die kleine Acanthocystis-Art im Phasenkontrast fotografiert. Beim Phako mache ich es meistens so, dass ich zur Kontraststeigerung mit einem Grünfilter fotografiere (Blitz) und anschließend das Bild zur Nachbearbeitung in Graustufen wandele. Bei C. laciniatus sind die ausgefranste Schleimhülle, Nukleus und kontraktile Vakuolen auch mit dem Phasenkontrast gut darstellbar.





Schwierig wird es bei den kleinen Heliozoen dagegen im Hellfeld ... lediglich die symbiontischen (?) Algen treten deutlich in Erscheinung.



Und da ich gerade den Phasenkontrast eingestellt hatte, hier noch zwei geblitzte Aufnahmen des Ciliaten Blepharisma musculus mit adoraler Membranellenzone, Nahrungsvakuolen und dem auffälligen, mehrteiligen Makronukleus.



Beste Grüße

Ole

steffenclauss

#4
Lieber Ole,

vielen Dank für Deinen sehr schönen Beitrag und den tollen Bildern!
Betreffend Deiner Aufnahmen bzw. Bestimmung von Hetriocystis spinifera, denke ich jedoch, dass es sich doch eher um Belonocystis tubistella (Rainer 1968) handelt. Dazu muss gesagt werden dass es zu der von Brown (1918) beobachteten Hetriocystis spinifera nur wenige Zeichnungen vorhanden sind und seit Jahrzehnten disskutiert wird ob die von Brown beobachtete H.spinifera womöglich mit B.tubistella identisch ist (oder nicht). Nachdem noch Mikrjukov 2000 den Genus  Penardiophrys geschaffen hat und Hedriocystis reticulata sowie H.Spinifera einordnetet wurde das Chaos nicht besser.

Fakt ist, Belonocystis tubistella hat Schuppen, welche Ultrastrukturell von Nicholls 2012 untersucht und beschrieben wurden.
https://www.wuj.pl/UserFiles/File/Acta%20Protozoologica_51_2012/51_1/acta2.pdf
Presst man B. tubistella unter dem Deckglas und bewegt dieses etwas, lösen sich die Schuppen (manchmal auch zusammenhängend). Im Phasenkontrast, vor allem bei eingetrockneten Präparaten kann man sie dann gut beobachten.

Belonocystis tubistella finde ich sehr oft von Sommer bis Spätherbst in meinen Moorproben und konnte diese auch in Kultur sehr lange beobachten. Die feinen Filopodien sind extrem hyalin und oft nur mit harten Kontrastverfahren sichtbar. Zudem bilden sich diese bei geringstem Deckglasdruck zurück.  Aber Belonocystis kann auch zur Nahrungsaufnahme gut sichtbare, recht dicke und lange Filopodien bilden. Nachfolgend ein Bild von B.tubistella aus eigenem Kulturmaterial in unterschiedlicher Fokusebene



Brown hatte keine Schuppen erkannt und hat nur eine ,,Hülle mit Stacheln" beschrieben.
Weiterhin beschreibt Braun, lange, gerade und dünne Pseudopodien erkennen. Bei Belonocystis sind diese immer etwas lässig gebogen.(vgl.Zeichnung Nicolls 2012)
Hier die orig. Zeichnung von Brown 1918



Beschreibung von Brown aus:  Cash, James and Wailes,  Herbert George;  British freshwater Rhizopoda and Heliozoa, Printed for the ray society, London 1921; S.64-65, Plate LXXIII, fig.2-4
ZitatCapsule minute, similar to that of the preceding species, but furnished with spines arising at many of the junctions of the alveolar ridges; body spherical, nearly filling the capsule; plasma bluish in color, granular; nucleus single, placed sub-centrally; a single contractile vesicle normally precent; pseudopodoa long, radiating, straight, tenuous . habit solitary, Diameter of capsule 8µ to12µm, Habitat wet moss, Distribution Scotland-Isle of may,
Up till now no individuals have been found provided with a pedicel or stalk, but this may be due to these having been broken off during collection.

Ich sehe bei Dir eindeutig die selben Schuppen wie meinen B. tubistella und denke doch, dass die von Dir gezeigte Art Differenzen zu der von Brown beschrieben H.Spinifera zeigt und es sich womöglich doch um die häufigere Belonocystis spinifera handelt. Zumindest sollten die Schuppen überprüft werden.

Ferry Siemensma hat auf seiner Webseite die chaotische Situation etwas zusammentgefasst:
ZitatRemarks: Mikrjukov designated this genus to include Hedriocystis reticulata Penard 1904 and H. spinifera Brown, 1918. In 1997 Mayer describes H. spinifera with "numerous facets, with high edges (...). In the centre these facets have a number of small granules which look like pores." These granules, which I also could observe, are described by Brown as fine pores. However, it is very doubtful that Brown could see the difference between granules and pores concerning the very small size of the specimens (8-20 um) and the lack of DIC microscopy in his time.
In 1968 Rainer had described Belonocystis tubistella, a species that closely resembles H. spinifera. Nicholls (2012) published TEM images of the fine structure of the scales of B. tubistella. He doesn't consider B. tubistella as identical with H. spinifera, because "when Rainer (1968) established Belonocystis, he was well aware of the spined Hedriocystis spinifera Brown, 1918 (...) and included drawings reproduced from Brown€™s original publication." I do not agree with Nicholls that both species are clearly different. If one compares the original drawings of Brown with the drawing of Mayer and recent photomicrographs, it is not difficult to see the agreement between both species.
However, the description of Penardiophrys excludes H. spinifera, because this species has no capsule but loose scales, which can detach from the cell, which I have observed several times. It is correct to transfer H. spinifera to the genus Belonocystis, considering B. tubistella als a junior synonym.

Viele Grüße
Steffen


Eckhard

Hallo,

Dies ist eindeutig Belonocystis. Ich kenne den Mikroskosmos Artikel und dort wird Belonocystis beschrieben, auch wenn die Art von Mayer falsch bestimmt wurde. Eigentlich sollten auf Ferry's Seite REM Aufnahmen von Belonocystis tubistella sein, auf denen die Struktur der Schuppen mit den Nadeln sichtbar ist. Ich habe diese Aufnahmen für Ferry vor einigen Jahren gemacht.

Belonocystis gehört in Wirklichkeit zu Amoebozoa und bei den Nadeln und den darunterlegenden Strukturen handelt es sich um Kohlenhydrate. Die Schuppen und Nadeln von Belonocystis sind im Vergleich zu denen von Sonnentierchen vollkommen weich. Steffen und ich hatten Belonocystis marina lange in Kultur und haben sie für das REM präpariert. Die Aufnahmen waren eine Katastrophe, der Elektronenstrahl hat die Nadeln verbogen, wie starker Wind einen Grashalm. Wir haben lange daran gearbeitet, bis uns vernünftige Aufnahmen gelungen sind. Die Publikation dazu erscheint hoffentlich noch in diesem Jahr. Natürlich ist auch die DNA analysiert worden - die Posistion von Belonocystis im Baum des Lebens ist sehr überraschend!

Unabhängig von der Artbestimmung, das sind wunderschöne Aufnahmen einer interessanten und schwer zu fotografierenden Amöbe.

Herzliche Grüße,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
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Ole Riemann

Hallo Steffen und Eckhard,

herzlichen Dank Euch beiden für die zahlreichen fachkundigen Informationen und das weitere Bildmaterial. Wenn der Artikel zu B. tubistella erschienen ist, wäre ich an einem PDF sehr interessiert. Sequenziert man heute für solche Arbeiten routinemäßig zahlreiche Gene (oder gleich das ganze Genom) oder nur ein mehr oder minder großes Stück des COI-Gens?

Und: Nach der Lektüre über die verworrenen Befunde zu den Arten H. spinifera und B. tubistella frage ich mich, ob H. spinifera überhaupt existiert und, wenn ja, nach der Erstbeschreibung später zweifelsfrei wieder gefunden wurde.

Viele Grüße

Ole

Eckhard

Guten Morgen Ole,

Für die normale Phylogenie nimmt man 18s und ggf. noch COX, um die Auflösng zu erhöhen. Hier wurde ein Transcriptom gemacht, das alle mRNA analysiert. Dummerweise geht 18s bei vielen Amoebocoa nicht gut :(

Die Arbeit bezieht sich auf B. marina und eine nah verwandte Gattung. Die nah verwandte Gattung ist morphologisch so unterschiedlich, dass ein Transcriptom notwendig war.

Herzliche Grüße,
Eckhard
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