Gastrotrichen-Nachlese des Dörnberg-Treffens 2018

Begonnen von Michael, September 12, 2018, 18:34:02 NACHMITTAGS

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Michael

Hallo, Freunde des Tümpels,

beim diesjährigen Treffens auf dem Dörnberg konnten wir eine reichhaltige Tümpel-Probe untersuchen, die Ralf und Thilo in einem nahe gelegenen Waldsee geschöpft hatten. Da einige Teilnehmer sich Mikroaquarien von dieser Probe erstellt haben, die - hoffentlich - immer noch intakt sind, glaube ich, dass in diesen Präparaten einige Bauchhärlinge aufgetaucht sind. Da die Artbestimmung bei Bauchhärlingen für den Unerfahrenen meist sehr problematisch ist, möchte ich für die Bauchhärlinge, die ich in meinen Präparaten entdeckt habe, einen kurzen "Steckbrief" angeben und auf die Besonderheiten dieser Gastrotrichen hinweisen. Vielleicht hat dann der eine oder andere mehr Freude an seinen Mikroaquarien, wenn er mehr über die beobachteten Arten weiß. Im Folgenden führe ich die wahrscheinlich auch bei Euch beobachtbaren Gastrotrichen-Arten der Größe nach geordnet auf.

Polymerurus rhomboides
(L=280-420 µm, B=50-60 µm)

P. rhomboides ist ein recht großer Bauchhärling, der sein Leben im Bodenschlamm verbringt und an Licht recht schnell verstirbt. Deshalb ist dies Art bestenfalls in neuen Präparaten oder frisch geschlüpft anzutreffen. Manchmal findet man die leere Schuppenhülle verstorbener Exemplare.


Bild 1: P. rhomboides, dorsal

Das Tier fällt vor allem durch die extrem langen, biegsamen Kleberöhrchen auf (Bild 3, oben). Diese sind bei dieser Art aus ca. 18-23 zueinander beweglichen Ringen zusammengesetzt. Bei den anderen Gastrotrichen-Gattungen sind die Kleberöhrchen unbeweglich und bestehen lediglich aus einem einfachen Rohr.


Bild 2: P. rhomboides, lateral

Die Schuppen des Tieres sind blattförmig und besitzen am Vorderende einen ösenartigen Haken, an dem ein mit der Kutikula verwachsener 1-2 µm langer Stiel sitzt (Bild 3 unten).


Bild 3: P. rhomboides, Details; oben: gegliedertes Kleberöhrchen; unten links: Schuppen; unten rechts: Schuppenquerschnitt


Chaetonotus chuni cordiformis
(L= 200-240 µm, B=36-52µm)

C. chuni cordiformis ist ein relativ großer Bauchhärling, der eng mit langen Stacheln besetzt ist. Alle Stacheln tragen eine Nebenspitze. Das besondere Erkennungsmerkmal dieser Art sind die beiden horizontal zwischen die Zehen reichenden markanten Stacheln auf der Rückenseite.


Bild 4: C. chuni cordiformis

An der Bauchseite fallen vier Stacheln auf, die ebenfalls in den Zehenzwischenraum ragen. Das mittlere Paar trägt eine rauten förmige Verbreiterung. Die Kleberöhrchen weiten sich am Ende charakteristisch (Bild 5, r. o.). Die dichten Rückenstacheln ragen weit in die Wassersäle hinein. Deshalb fühlt sich das Tier nur bei einer recht großen Schichtdicke im Präparat wohl (Bild 5, l. o.). Juvenile Tiere sind bereits gut zu erkennen und sehen lediglich etwas kompakter als die Alttiere aus (Bild 5, l. u.). Sie sind aus typisch geformten Eiern geschlüpft, deren äußere Eischale  auch nach der Eiablage wellig und flexibel bleibt, also nur die innere Eischale aushärtet. Das Ei ist mit Detritusflocken besetzt (Bild 5, r. u.).


Bild 5: C. chuni cordiformis, Details

Sieht man sich den Kopfbereich genauer an, so fällt im Saugmagen eine Stimmgabel förmige Faltenbildung auf, die ebenfalls bei allen Dörnberg-Exemplaren zu beobachten war, in der Literatur aber nicht beschrieben wurde. Unter den Seitenschilden des Kopfes (Pleuren) erkennt man jeweils eine kugelförmige Struktur, die an Augen erinnert. Diese "Pseudocellen" sind in der Literatur ebenfalls nicht erwähnt und werden von den Pleuren, deren eigenartige Form wohl aus der Verwachsung einiger Schuppen erklärt wird, abgedeckt (Bild 6 oben). Alle älteren Tiere in den Präparaten waren von kugelförmigen Strukturen angefüllt, die ich für Parasiten halte. Diese Kugeln waren entweder strukturlos oder als Kugelschale aus kleineren, farblosen Kugeln aufgebaut. Vielleicht kann jemand nähere Angaben zu diesen Strukturen, die man manchmal auch bei anderen Gastrotrichen findet, machen (Bild 6 unten)?


Bild 6: C. chuni cordiformis; oben Details im Kopfbereich; unten: Parasitenbefall

Nachtrag: Im ursprünglichen Beitrag habe ich diese Tier für Chaetonotus chuni gehalten. Eine nachträgliche genauere Analyse hat aber ergeben, dass es sich eindeutig um die Art Chaetonotus cordiformis handelt. Der Text wurde entsprechend angepasst!



Chaetonotus bisacer
(L=160-220µm, B=30-45µm)

Der nächste Bauchhärling in unserer Größenreihe ist C. bisacer, ein hübscher, mittelgroßer Gastrotrich, der durch seine sich nach hinten verbreitende Körperform unverkennbar ist. Am Hinterende trägt er zwei Paar lange Lateralstacheln. Arttypisch ist das - manchmal etwas schwer zu sehende - Stachelband mit doppelten Spitzen. Diese Stacheln können bei Gefahr durch Krümmen des Körpers aufgestellt werden und dienen wohl der Feindabwehr.


Bild 7: C. bisacel; rechts das dorsale Stachelband


Heterolepidoderma gracile
(L=140-180µm, B=22-26µm)

Wie alle Arten der Gattung Heterolepidoderma besitzt H. gracile keine Stacheln. Die Schuppen sind so fein, dass sie bei mittlerer Vergrößerung oft gar nicht zu sehen sind. Deshalb entstehen bei Richtungsänderungen oft Falten in der Kutikula des Tieres. Typischerweise nimmt die Körperbreite des Tiere nach hinten stark ab und erzeugt so die typische Silhouette. Das Ei ist glatt und zeigt den typischen zweischaligen Aufbau aller Gastrotricheneier sehr deutlich.


Bild 8: H. gracile


Chaetonatus persetosus
(L=75-100µm, B=14-18µm)

Mit C. persetosus sind wir bei den kleinen Gastrotrichen angelangt, bei denen naturgemäß die Bestimmung immer schwieriger wird. Die Exemplare in den Dörnberg-Präparaten sind etwas größer als die obige Literaturangabe (ca. 120µm). Dennoch bin ich mir recht sicher, dass es sich hier um die Art C. persetosus handelt. Alternativ wäre noch die Art C. macrochaetus möglich, die zwar der Größe mehr entspricht aber auch mehr Schuppenstacheln trägt.
C. persetosus trägt fünf Längsreihen mit Großstacheln, die alle eine Nebenspitze besitzen. Die Stacheln sitzen auf typischen dreilappigen Basisschuppen.


Bild 9: C. persetosus: juveniles Tier


Bild 10: C. persetosus, tragendes Tier, lateral

Die Eier von C. persetosus sind mit feinen Stacheln besetzt (Bild 11, oben) und werden an das Substrat geklebt (Bild 11, unten)


Bild 11: C. persetosus; Eier, oben Querschnitt, unten Fokus auf Klebefläche


Ichtydium podura
(L=70-105µm, B=18-32µm)

Wie alle Ichtydium-Arten ist I. podura unbeschuppt. Deshalb sind diese "nackten" Gastrotrichen oft schwer zu bestimmen. I. podura zeichnet sich - abgesehen von seiner winzigen Größe -  durch eine "pummelige" Gestalt und sehr kurze Kleberöhrchen aus. Bei Richtungsänderung legt sich der Körper in Falten.


Bild 12: I. podura


Chaetonotus aemilianus
(L=80-100µm, B=21-25µm)

Der kleinste Gastrotrich in meinen Dörnberg-Präparaten ist C. aemilianus. Dieser Bauchhärling trägt auf dem Rücken neun pflugscharförmige Schuppen, von denen bei der Dörnberg-Variante sieben Großstacheln mit einer Nebenspitze tragen (es sind Varianten mit sieben bis neun Großstacheln möglich).


Bild 13: C. aemilianus mit 7 Großstacheln

Bei dieser Art konnten wir auf dem Dörnberg-Treffen live eine Eiablage beobachten. Die Eier besitzen ganz feine Noppen.


Bild 14: C. aemilianus, Eier


Ich hoffe, diese Gastrotrichen-Steckbriefe helfen Euch bei der Bestimmung Eurer Funde. Über eine Rückmeldung Eurer Ergebnisse würde ich mich sehr freuen.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Martin Kreutz

#1
Hallo Michael,

vielen Dank für diesen Beitrag! Ich glaube, dass ich alle von Dir gezeigten und identifizierten Gastrotrichen auch in meinem bevorzugten Fundort Simmelried schon gefunden habe. Allerdings finde ich auch andere Arten, bei deren Zuordnung ich mich sehr schwer tue, obwohl der "Schwank" bei mir hier im Regal steht! Ich möchte Dir hier eine Art zeigen, bei deren Zuordnung ich nicht weiter komme. Diese Art finde ich erst seit wenigen Wochen im Simmelried. Alle folgenden Fotos sind heute Abend erst aufgenommen worden, also noch ganz frisch! Vielleicht kannst Du mir hier weiterhelfen, auf Grund Deiner Erfahrung bei der Identifizierung von Gastrotrichen? 

Dieser Gastrotriche ist zwischen 400 - 600 µm lang, also recht stattlich. Ein schneller Schwimmer. Sehr typisch ist das Abknicken des Kopfes, wie auf einem Bild unten gezeigt. Die Kleberöhrchen sehen denen von Polymerurus sehr ähnlich, sind aber wesentlich kürzer. Auch die Schuppen sind anders als bei Polymerurus rhomboides. Trotzdem glaube ich, hier einen Vertreter von Polymerurus vor mir zu haben. Ich bin gespannt auf Deine Meinung.

Hier das frei schwimmende, 450 µm lange Exemplar:



Hier eine laterale Ansicht eines frei schwimmenden Exemplares mit dem 40 X:



Der typische, abgeknickte Kopf:



Zwei "Totale" mit dem 40 X:




Sind das Spermien?


SP? = Spermien?

Und sind das die X-Körper?



Hier die Schuppen in lateraler Sicht:



Die Kleberöhrchen:



Die Schuppen des Kopfes:



Und Beschuppung des Rumpfes. Die Schuppen sind schildförmig, ca. 10 µm lang, mit einem V-förmigen Einschnitt:



Ich hoffe, die gezeigten Bilder sind ausagekräftig genug, um Dir eine Diagnose zu ermöglichen. Ich bin gespannt darauf!

Martin

Michael

Hallo Martin,

es wundert mich nicht, dass Du diese Gastrotrichen ebenfalls gefunden hast - seltene Arten sind das nicht. Es ging mir darum, aufzuzeigen, welche Arten man typischerweise in einer Detritusprobe zu erwarten hat. Allerdings hat es mich gewundert, dass ich diese Artenvielfalt mit nur zwei Zufalls-Präparaten gefunden habe.

Das von Dir gezeigte Exemplar gehört mit Sicherheit zur Art Polymerurus nodicaudus (Super Fotos - ich wünschte, meine wären nur halb so gut!). Diese Art habe ich selbst noch nicht gesehen, meine "Weisheit" stammt also ausschließlich aus dem Schwank.
P. nodicaudus gehört mit einer Maximallänge von ca. 550µm zu den größten Gastrotrichen in Europa. Typisch sind die von Dir gezeigten Schuppen, die ich als grob sechseckig mit drei Kielen bezeichnen würde und die einen kurzen, einfachen Stachel tragen. Der von Dir angesprochene V-förmige distale Einschnitt scheint mir ein Artefakt der geringen Tiefenschärfe bei DIC zu sein. Die distalen Kanten der Gastrotrichen-Schuppen sind meist sehr zart und stehen über den nachfolgenden Schuppen, auf die man unwillkürlich scharf stellt. Diese hinteren Kanten sind dann oft nicht zu sehen (das ist einer der Gründe, warum eine Schuppenanalyse mit Ablösen der Schuppen empfohlen wird). Die Schuppen entsprechen dann der sechseckigen Variante, die lediglich im Text erwähnt wird. Abgebildet wird leider nur die fünfeckige Variante. Die fehlende "Behaarung" der Zehenbasis ist normal - im Schwank abgebildet wird nur P. nodicaudus var. comatus, die sich durch eben diese "Behaarung" von der Nominalform unterscheidet.
Zusätzlich wird dies Artdiagnose durch eine Reihe von Einzelheiten gestützt, wie z. B. der terminal geschwollene Pharynx. Auch wird ein Maximum von Oktober bis November angegeben, was zumindest grob passt. Ich bin mir also sehr sicher, dass P. nodicaus vorliegt.

Das von Dir gezeigte Tier ist in der post-parthenogenetischen (d. h. Zwitter-) Phase. Sperma, X-Organ (erstaunlich klein) und fast reifes Ei sind gut zu sehen. In dem Bild mit dem X-Organ ist zwischen den beiden Sperminenbündeln noch eine kugelförmige Struktur zu erkennen. Die ist meiner Ansicht nach ein sog. "residual body", also der Rest einer "Blase", in der die Spermien gebildet wurden und die nun die Rückstände beinhaltet. Diese Restkörper lösen sich dann bald auf.

Gratulation zum schönen Fund und viele Grüße

Michael
Gerne per Du

limno

Hallo Michael und Martin,
sehr interessante und lehrreiche Dokumentationen von Euch beiden! :) Dank dafür! Der Schwank ist recht rar und augenscheinlich nicht mal mehr antiquarisch zu bekommen. :(
Herzliche Mikrogrüße
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Martin Kreutz

Hallo Michael,

ganz herzlichen Dank für Deine Hilfe! Ich muss zugeben, dass ich auf Polymerurus nodicaudus nicht ohne weiteres gekommen wäre. Hier die Seite aus

Schwank, P. & Bartsch, I. (1990): Gastrotricha und Nemertini. – Süßwasserfauna von Mitteleuropa, 3/1 + 2: IX + 262 pp.

die Polymerurus nodicaudus zeigt:



Zum einen sind die Schuppen auf den abgebildeten Exemplaren nicht vollständig eingezeichnet, sondern nur die Dornen als Striche und zum anderen schien mir die Schuppenform meines Exemplares nicht mit den Abbildungen "e", "f", "g" oder "h" übereinzustimmen. Die Schuppen werden von Schwank und Bartsch wie folgt beschrieben:

"leicht 5-, seltener 6-eckigen, distal eingeschnittenen, proximal z.T. zugespitzten Schuppen, die meist mit 3 starken, parallelen Kielen versehen sind".

Dieses "distal eingeschnitten", habe ich als "V-förmigen Einschnitt" bezeichnet. Das war eventuell eine Fehlinterpratation des Textes von Schwank und Bartsch. Hier eine Auschnittvergrößerung der Rückenschuppen von P. nodicaudus:



Was ist nun der "distale Einschnitt"? Die Struktur, die ich mit "V-förmigen Einschnitt Dorn" bezeichnet habe oder die ich mit "V-förmigen Einschnitt" bezeichnet habe? Abgesehen von dieser Unsicherheit bezüglich der Definition der Strukturen meinerseits, finde ich die Form der Schuppen auf meinem Foto eigentlich weder 5- noch 6-eckig. Ich hätte es als "schildförmig" bezeichnet. Oder ist diese Form eine Zeichen für die Variabilität der Schuppen von P. nodicaudus?

Martin

Michael

Hallo Heinrich und Martin

@Heinrich:
Leider ist der Schwank wirklich unentbehrlich zur Artbestimmung. Ich habe ihn mir über Fernleihe ausgeliehen und als PDF kopiert. Antiquarisch ist er - wenn überhaupt - nur zu Phantasiepreisen erhältlich.

@Martin:
Mit der Frage nach der Variabilität bei Gastrotrichen spricht Du ein sehr interessantes Thema an! Aber zuerst sollten wir die Art Deines Exemplars mit Schwanks Bestimmungsschlüssel für Polymerurus festpinnen:

- Furka mindestens 1/5 bis 1/4 der Körperlänge einnehmend; Zehen meist nackt und in Ringe gegliedert
- Kutikula überwiegend mit Schuppenstacheln oder ovalen o. rhombischen Schuppen oder Schienen
- Zehen ohne Schuppen, in Ringe gegliedert
- Kutikula mit rundlich ovalen Schuppen
- Tiere bis 500um lang; Körperstacheln kurz (bis 10um), verlängerte Schwanzstacheln bis 30um; Zehen kahl oder kurz behaart
=> P. nodicaudus

Für die Artzuweisung genügen also "rundlich ovale" Schuppen. Für mich ist die Artzuordnung also eindeutig. Wenn Du keine neue Art gefunden hast, kommt keine andere Art in Frage.

Die von Dir abgebildeten Schuppen finde ich nicht so weit weg von den Abbildungen im Schwank. Bei der Beurteilung sollte man aber auf die mittlere Schuppenreihe zurückgreifen, da es hier am wenigsten perspektivische Verzerrungen gibt. Speziell im Halsbereich findet man einige ziemlich eckige Schuppen, die denen im Schwank nahe kommen, wenn man annimmt dass die zarte Lamelle im distalen Einschnitt nicht zu sehen ist (siehe angehängtes Bild). Jedenfalls zeigt Dein Tier bei den Schuppenformen bereits in sich eine ziemliche Variabilität.

Die Variabilität bei Gastrotrichen ist riesig. So schreibt Schwank:
"Die selbst noch bei VOIGT(1958) geäußerte Angabe, daß die Variabilität der einzelnen Arten gering sei, läßt sich nach neuesten Befunden nicht mehr aufrecht halten; im Gegenteil, es zeigt sich immer deutlicher, daß viele Gastrotrichen zu den variabelsten Tierarten überhaupt gehören, und zwar in einem  Ausmaß, wie es bisher nur noch von den bdelloiden Rädertieren und den Nematoden bekannt war. Bei den Gastrotrichen ist dies ein wesentliches Ergebnis der rein parthenogenetischen Vermehrungsweise. Bei jeder Mutation ist es potentiell möglich, daß sie sich zu einer selbständigen isolierten Population und Kleinart entwickeln kann."

Ich finde praktisch kein Exemplar, dass in allen Einzelheiten der Detail-Beschreibung im Schwank entspricht. Hier ist man immer auf die Bestimmungsschlüssel zur Artabgrenzung angewiesen. Neuere Untersuchungen bezweifeln, dass die Variabilität rein durch die relativ seltene Mutation erklärt werden kann. Es gibt z.B. eine Veröffentlichung zu Lepidodermella squamata, bei der die Schuppenformen und -verteilung über einige Generationen einer einzelnen, parthenogenetischen Vererbungslinie verfolgt wurden. Es zeigten sich bereits - bei gleichen Umgebungsbedingungen - nach wenigen Generationen deutliche Abweichungen von dem ursprünglichen Muttertier, die durch gelegentliche Mutation nicht zu erklären war. Dies ist ein Grund, warum ich glaube, dass die Nachkommenschaft nicht ein einfacher Klon der Mutter ist, sondern die Vererbung über Automixis erfolgt und damit eine gewisse genetische Vermischung möglich ist.
Man muss bedenken, dass bei vielen Arten eine Generation gerade mal 2-3 Tage dauert. 100 Generationen pro Jahr sind dann keine Seltenheit. Wenn ein Tümpel z.B. 10 Jahre isoliert ist, bedeutet das ca. 1000 Generationen "Abstand" zum nächsten Habitat. Umgerechnet auf den Menschen entspräche das immerhin 30000 Jahre separate Entwicklung - kein Wunder also, dass sich Unterschiede zwischen den einzelnen Habitate zeigen.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Michael


Hallo in die Runde,

nachdem meine zwei Dörnberg-Präparate inzwischen 17 Tage alt sind, habe ich diese nochmals durchgesehen. Ein Präparat war inzwischen ausgetrocknet, während das zweite noch voll intakt ist. In diesem habe ich gestern noch eine, bisher noch nicht erwähnte Gastrotrichen-Art gefunden. Da die Artbestimmung bei Gastrotrichen hier ein Thema ist, möchte ich anhand dieser Art aufzeigen, wie ich meist vorgehe:
Unmittelbar bei Fund mache ich einige möglichst aussagekräftige Fotos, die Gestalt, Größe und auffallenden Besonderheiten des Tieres zeigen:


Aspidiophorus oculifer: Übersicht

Wegen der auffälligen "doppelten" Schuppenhaut war mir klar, dass es sich um einen Vertreter der Gattung Aspidiophorus mit den typischen Stielschuppen handeln musste (genaueres ist im Forumsbeitrag https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32162.0 beschrieben). Als nächstes sah ich im Beschtimmungsbuch "Schwank" die 14 Arten der Gattung Aspidiophorus durch und suchte mir die nach Größe und Habitus passenden Vertreter der Gattung heraus. In diesem Fall passte eigentlich nur Aspidiophorus oculifer. Um diesen Verdacht zu bestätigen, geht man den Bestimmungsschlüssel durch und macht sich eine Liste der für diese Art notwendigen Bestimmungsmerkmale. Für diese Art sind das:

- Zehen getrennt, Haftröhrchen normal, Bewohner typisch limnischer Biotope
- Schuhsohlenförmig o. +- rundlich gedrungen, Kopf meist fünflappig mit 4 Wimperbüscheln
- Schuppenpanzer auch die Zehen überziehend; Hinterende ohne Stacheln; kleinere Formen (100-180 µm, selten mehr); Pharynx durch 2 Bulbi oft hantelförmig
- Kopf fünflappig, mit 4 lateralen Wimperbüscheln
- Pharynx ohne Bewaffnung, Hypostomium spangenartig o. fehlend
- Dorsaler Panzer nur aus Stielschuppen bestehend, die oft sehr gedrungene, kurze Zehenbasis voll bedeckend
- 2 Pseudocelli; 17-22 Längsreihen mit je 36-41 Schuppen

Mit diesen Informationen geht es dann zurück ans Mikroskop, wo man versucht, die so gewonnenen Bestimmungsmerkmale zu bestätigen. Erst wenn man keine Widersprüche zu Bestimmungsschlüssel findet, kann man sich einigermaßen sicher sein, dass die Artbestimmung erfolgreich war.
Im vorliegendem Fall liegt also die Art

Aspidiophorus oculifer
(115-135µm)

vor. Dieser Gastrotrich zählt zu den seltenen Arten und wurde erst 1982 von Kisielewski in Polen entdeckt. Schwank führt nur einen weiteren Fund (von ihm selbst) in Osthessen auf. Der Fundort "Dörnberg" passt hier also gut dazu.
Diese kleine Aspidiophorus-Art weist als Besonderheit zwei augenartige Strukturen am Kopf auf (Bild links unten). Diese sog. "Pseudozellen" sind wohl nicht lichtempfindlich und haben daher keine Augenfunktion. Unter diesen Pseudozellen liegen in den Gehirnlappen eine ungeklärte granuläre Formation, die bei Schwank erwähnt wird (Bild rechts unten). Die beiden oberen Bilder zeigen die für Aspidiophorus typischen Schuppen im Längsschnitt und in Draufsicht.


A. oculifer: Oben: Schuppenstruktur; unten links: Pseudozellen; unten  rechts: Granula unter Pseudozellen

Insgesamt sind damit in den Dörnberg-Präparaten 8 Gastrotrichen-Arten aus 5 Gattungen dokumentiert - eine ganz erstaunliche Artenvielfalt!

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Ole Riemann

Hallo Michael,

ganz herzlichen Dank für die genauen Beschreibungen Deines Vorgehens und die schöne Zusammenstellung. Mir fehlt momentan leider etwas die Zeit, mich mehr mit den Gastrotrichen zu beschäftigen, aber das kommt wieder! Umso mehr freuen mich Deine Funde.

Viele Grüße

Ole

Martin Kreutz

Hallo Michael,

erstmal recht herzlichen Dank für die weiterführenden Erläuterungen zu meiner "Schuppen"-Frage. Auch Dein anschließender Beitrag, wie Du die Gastrotrichen bestimmst, finde ich sehr interessant. Ich gehe bei den Ciliaten ähnlich vor. Allerdings kann ich nicht erstmal in der Literatur schauen und nachher wieder ans Mikroskop zurückkehren. Dann ist eventuell schon alles zu spät. Von manchen Ciliaten habe ich nur 1 oder 2 Exemplare in 30 Jahren gefunden. Da heißt es erst schießen, dann fragen. Ich versuche dann soviele Merkmale wie möglich festzuhalten. Diese Methode hat Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist, dass eine weitere in vivo Beobachtung nicht mehr möglich ist, wenn ich mit dem Exemplar fertig bin (es endet immer tödlich). Der Vorteil ist, dass man sich auf den Fotos alles nochmal in Ruhe anschauen kann und manchmal dann noch weitere Details findet.

Ich meine, den zuletzt gezeigten Gastrotrichen Aspidiophorus oculifer, hier auch schon gesehen zu haben. Ich werde der Sache mal nachgehen. Aber wie bei Ole, wenig Zeit!

Martin

Michael

Hallo Ole und Martin,

es freut mich, dass mein Beitrag von Interesse für Euch war und hoffe, dass Euch bald wieder Zeit für den einen oder anderen "Gastrotrichen-Beitrag" bleibt. Im Moment komme ich mir mit diesem Thema etwas einsam vor!  :'(

Zitat von: Martin Kreutz in September 17, 2018, 19:39:17 NACHMITTAGS
Ich meine, den zuletzt gezeigten Gastrotrichen Aspidiophorus oculifer, hier auch schon gesehen zu haben. Ich werde der Sache mal nachgehen.

Die Verteilung das Gstrotrichen-Sichtungen scheint mehr von der Verteilung der Bearbeiter abzuhängen als von der Verteilung der Arten! Da tut sich ein weites Feld für uns Liebhaber auf.

Zitat von: Martin Kreutz in September 17, 2018, 19:39:17 NACHMITTAGS
Allerdings kann ich nicht erstmal in der Literatur schauen und nachher wieder ans Mikroskop zurückkehren. Dann ist eventuell schon alles zu spät. [...] Da heißt es erst schießen, dann fragen.

Ohne die Möglichkeit, immer wieder ans Mikroskop zurückzukehren und - auch noch nach Tagen - meine Beobachtungen zu überprüfen und die Entwicklung der Tiere zu beobachten, würde mir jede Artbestimmung sehr schwer fallen. Deshalb kann ich nur empfehlen, das Deckglas mit Vaseline (oder sonstiger Fettcreme, selbst Maschinenfett sollte klappen) abzudichten - egal ob bei einem Objektträger mit oder ohne Hohlschliff. Selbst empfindlichste Arten halten dann einige Stunden aus und zappeln nicht in Panik herum. Alle obigen Aufnahmen sind in einem Mikroaquarium, z. T. mit einem 100er Objektiv an freischwimmenden Exemplaren aufgenommen.
Wenn es dann notwendig ist, die Schichtdicke final - und oft letal - zu reduzieren, so ist das auch mit einem Vaseline-Rand leicht möglich. Durch den Widerstand der Vaseline kann die Schichtdicke kontrolliert unter Mikroskopkontrolle durch manuelles Festdrücken mit einem Holzstäbchen sehr fein reduziert werden. Ein zusätzlicher Vorteil dieser Methode ist, dass Immersionsöl nicht unter das Deckglas eindringen kann und auch eine Untersuchung nahe des DG-Randes möglich ist. Auch ein Aufschwimmen des DG ist ausgeschlossen. Mit etwas Glück vermehren sich sogar die Untersuchungsobjekte!
Für mich ist die Verwendung abgedichteter Deckgläser deutlich entspannender und befriedigender als ein "konventionelles", temporäres Präparat. Man verbaut sich dadurch keinesfalls eine spätere, nähere Untersuchung. Einfach mal ausprobieren!

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du