Hauptmenü

Trochilia minuta

Begonnen von Martin Kreutz, Oktober 25, 2018, 21:06:07 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Martin Kreutz

Liebes Forum,

vor einigen Tagen habe ich in diesem Forum Spirostomum ambiguum vorgestellt, mit bis zu 2000 µm Länge einer der größten Ciliaten im Süßwasser. Hier möchte ich nun einen Vertreter von der entgegengesetzten Seite der Skala vorstellen, der fast 100 X kleiner ist als Spirostomum. Es handelt sich um Trochilia minuta, der zur Ordnung der Cyrtophorida zählt, die stets eine Reuse tragen (= Cyrtos).

Trochilia minuta ist ein sehr häufiger Ciliat, der wegen seiner geringen Größe von 15-30 µm aber oft übersehen wird. Zuweilen finden man ihn auf Algenfäden herumlaufen und kann ihn dann in lateraler Ansicht beobachten. Er ist unverwechselbar durch einen auffälligen Stachel am Hinterende, der Griffel genannt wird. Man erkennt in der folgenden lateralen Ansicht auch, dass nur die Ventralseite bewimpert ist, während die dorsale Seite nackt ist:



Geht man noch näher heran, kann man noch mehr erkennen. Am Vorderende an der ventralen Seite entspringt eine Reuse, die sich schräg durch den Körper zieht und fast dorsal endet (RE). Im folgenden Bild habe ich die Spirogyra mit im Bild gelassen, um die Größe von Trochilia zu visualisieren:


RE = Reuse

Vor der Reuse liegt eine Plasmalippe (PL), die entweder eine tastende Funktion hat oder zum abschaben der Nahrung (Bakterien) vom Untergrund dient. Vorne besicht der Ciliat eine Tastcilien (TC), welche nach dorsal gerichtet sind und wohl vor sich nähernden Angreifern oder Hinternissen warnen sollen.


PL = Plasmalippe
TC = Tastcilien

Trochilia kann mit seinem ventralen Wimpernfeld wie ein Tausendfüssler recht flott über den Algenfaden marschieren. Fokussiert man dabei etwas durch, erkennt man die zwei kontraktilen Vakuolen, welche dorsal und ventral liegen:

KV1, KV2 = kontraktile Vakuolen

Am Hinterende, nach ventral gerichtet, besitzt Trochilia minuta einen typischen Griffel. Dabei handelt es sich wahrscheinlich ebenfalls um ein sensorisches Organell, welches wahrscheinlich den Kontakt zum Untergrund abtastet:


GR = Griffel

Die Nahrungsaufnahme von Trochilia minuta ist meines Wissens noch nie dokumentiert worden. In einer Probe hatte ich Glück, als ich zufällig beobachten konnte, wie Trochilia minuta ein fadenförmiges Bakterium wie eine Spagetti verschlang. Dabei bildet sich dorsal am Ende der Reuse eine Nahrungsvakuole, in der das Bakterium aufgewickelt wird. Der Vorgang ging sehr schnell. In wenigen Sekunden war das Bakterium verschlungen. Das hat gerade für 2 Aufnahmen gereicht:


FD = fadenförmiges Bakteriem
NV = Nahrungsvakuole
RE = Reuse

Manchmal findet man ihn auch in Kahmhäuten oder am schwimmenden Deckglas. In letzteren Fall ist die Beobachtung der Ventralseite wesentlich erleichtert, aber man muss schon mit dem 100 X ran, um einige Details des Aufbaues zu erkennen. Die Ventralseite erinnert zuerst an eine kleine Chilodonella, aber es ist sofort zu erkennen, dass offensichtlich nur die rechte Seite bewimpert ist und zwar mit 4 Reihen Cilien, wobei die innerste Reihe stark verkürzt ist. Außerdem erkennt man die oberhalb der Mundöffnung liegenden perioralen Wimpernreihen:


1-4: Ventrale Cilienreihen des rechten Wimpernfeldes
PE = periorale Wimpernreihen
MO = Mundöffnung
G = Griffel(ansatz)

Legt man den Fokus etwas höher, erkennt man weitere Details der Bewimperung. Dann zeigt sich, dass es auf der linken Seite auch ein kleines Wimpernfeld auf Höhe der Mundöffnung gibt, welches jedoch stark zurückgebildet ist. In folgender Aufnahme ist dieses kleine Wimpernfeld sichtbar und (durch Zufall) auch ein Ende eines Reusenstabes, welcher in zwei kleinen Zähnen enden soll. Ich meine, diesen "Doppelzahn" hier an der Auflösungsgrenze meines Mikroskopes festgehalten zu haben: 


LW = linkes Wimpernfeld
RW = rechtes Wimpernfeld
DZ = doppelt gezahntes Ende eines Reusenstabes (?)
PE = periorale Wimpernreihen

Legt man den Fokus wieder etwas tiefer erkennt man lippenähnliche Verdickungen um die Mundöffnung herum. Eventuell haben diese eine sensorische Funktion:


Li = lippenähnliche Verdickungen
LW = linkes Wimpernfeld
RW = rechtes Wimpernfeld
G, GR = Griffel
PL = Plasmalippe = lippenähnliche Verdickungen

Diese lippenähnlichen Verdickungen um die Mundöffnung hat Foissner in einer REM-Aufnahme sehr gut festgehalten:


Li = lippenähnliche Verdickungen

Fokussiert man in die Zelle hinein, erkennt man den zweigeteilten, seltsam strukturierten Makronukleus (den Mi konnte ich nicht erkennen). Die eine Hälfte ist hyalin und enhält eine deutlichen, zentralen Nukleolus, während die zweite Hälfte heterogen erscheint und von der hyalinen Hälfte durch eine Trennwand deutlich abgesetzt ist. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um ein sogenanntes Replikationsband, welches auch viele Hypotriche und Oligotriche besitzen: 


Ma = Makronukleus
NU = Nukleolus
R = Reuse

Eigentlich ist die Anwesenheit eines Replikationsbandes ein Anzeichen für eine mitotische Teilung des Makronukleus. Bei Trochilia ist dieses Band jedoch dauerhaft sichtbar. Eventuell eine Anpassung, um schnell eine mitotische Teilung einzuleiten um eine schnelle Teilungsrate bei günstigen Lebensbedinungen zu erreichen.

Viel Spass beim anschauen!

Martin

limno

Guten Abend Martin,
wieder eine wunderbare Dokumentation!
ich gebe ehrlich zu, dass ich hier keine Reuse erkenne, aber bei der Winzigkeit des Tierchens ist das eigentlich kein Wunder. Bei einer Reuse denke ich z.B.eher an Holophrya, aber das ist auch eine andere Größenordnung.Beim letzten Bild hast Du das Exemplar vermutlich quetschen müssen um die Kerne besser zu sehen.Du konntest keinen Mikronukleus entdecken; wäre hier keine schnelle Kernfärbung möglich gewesen, zumal der Ciliat nach der Quetschung ohnehin den Weg allen Fleisches geht?
Gutenachtgrüße von

Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Martin Kreutz

Hallo Heinrich,

das ich den Mikronukleus nicht ausmachen konnte, liegt einfach nur daran, dass ich nur ein Exemplar untersucht habe. Ich bin mir sicher, ihn noch ausfindig zu machen, wenn ich weitere Exemplare untersuche. Färbungen führe ich selbst nie durch, aber Du hast recht, damit würde man ihn sicher sichtbar machen können.

Die Reuse ist die V-förmige Struktur im letzten Bild des Beitrages. Ja, sie sieht nicht so aus, wie man es von Holophrya oder Nassula gewohnt ist, wo man die separaten Reusenstäbe erkennen kann, weil der Fokus genau in der Mitte der Reuse liegt und nicht auf der Außenseite des Bündels von Reusenstäben. Dadurch sind nur zwei Reisenstäbe im Längschnitt zu erkennen, welche die V-förmige Struktur bilden. Ich habe die übrigen Fotos der Serie geprüft, aber leider habe ich nie genau auf die Außenfläche der Reuse von Trochilia fokussiert. Hier nur noch ein weiteres Foto, wo die Reuse im Längsschnitt besser getroffen ist. Am Vorderende der Reusenstäbe erkennt man die hochbrechenden Reusenzähne, die für Trochilia minuta typisch sind.

Martin


RS = Reusenstäbe
RZ = Reusenzähne

Bernd

Hallo Martin,

eine von unglaublichen Detailreichtum geprägte Dokumentation über diesen sehr kleinen und schnell beweglichen Ciliaten. Meisterhaft! Wie hast du es geschafft, ihn von seinem bevorzugten Aufenthaltsort auf Algenfäden herunterzukriegen und zu vereinzeln, damit du die für deine Fotos benötigte geringe Schichtdicke realisieren konntest?

Viele Grüße
Bernd

Martin Kreutz

Hallo Bernd,

danke für die Lorbeeren. Aber mit der Auflösung bin ich selber nicht ganz zufrieden. Das liegt aber nicht an der Schichtdicke, sondern an meinem setup für die Mikrofotografie. Da ich das Zwischenbild aufnehme, gibt es keine Nachvergrößerung, bevor das Bild auf den Sensor landet. D.h. der Sensor muss alle Details festhalten, die das Zwischenbild liefert. Wenn es ans Eingemachte geht, also Strukturen < 1 µm, komme ich da an die Grenzen, weil diese Strukturen nur noch auf wenige Pixel des Sensors fallen. Da ist man mit einem Projektiv dazwischen besser bedient, da dann diese kleinen Strukturen "aufgezogen" werden und auf mehr Sensorfläche fallen. Auf der Plus-Seite habe ich Vorteile bei der Abbildung größerer Objekte mit Ölimmersion und dem Erfassen schneller Objekte, weil ich mehr Fläche abbilde. Man muss eben Kompromisse eingehen.

Trochilia klammert sich an die Algenfäden oder Detritusflocken nicht fest. Meist reicht ein Aufsaugen und Ausstoßen mit der Pipette, um frei schwimmende Exemplare zu finden. Je nachdem, in welcher Gemüsesuppe man Trochilia findet, muss man die Exemplare aber trotzdem isolieren, damit man die nötige geringe Schichtdicke erreichen kann. Fremdkörper und Algenfäden dürfen dann nicht unter dem Deckglas liegen.

Martin

Ole Riemann

Hallo Martin,

vielen Dank für diese Aufnahmen eines wirklich kleinen Ciliaten - und auch für die technischen Anmerkungen in Deiner Antwort an Bernd.

Aus unterschiedlichen und nicht nur rationalen Gründen habe ich mich von meinem Unendlich-System getrennt und damit auch von der Möglichkeit, direkt das Zwischenbild zu fotografieren. Beim Olympus BHS arbeite ich mit den Projektiven NFK 2,5x und 1,67x, beim Zeiss Standard WL mit der üblichen Pancake-Adaptation. Alles prima in puncto Auflösung, aber das maximal abbildbare Feld (=die maximale Bilddiagonale) ist bei der 100x-Ölimmersion wieder sehr klein geworden. Objekte, die ich vorher mit der 100x-Ölimmersion erfasst hätte, fotografiere ich nun wieder mit dem 40x-Trockenobjektiv kleinerer Apertur. Es ist eben alles ein Kompromiss, wie Du auch schon sagtest.

Ergänzen will ich noch, dass der Abbildungsmaßstab auf dem Sensor natürlich auch Auswirkungen auf die notwendige Belichtungszeit bzw. Leuchtdauer des Blitzes hat. Auch hier fährt man mit der direkten Abbildung des Zwischenbildes auf dem Sensor natürlich deutlich besser ...

Beste Grüße

Ole

Martin Kreutz

Liebes Forum,

ich habe meinen Beitrag über Trochilia minuta überarbeitet und mit neuen (hoffentlich besseren) Fotos aktualisiert. Für alle Ciliaten-Interessierte lohnt sich vielleicht ein Blick!

Martin