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Stichotricha aculeata

Begonnen von Martin Kreutz, Januar 18, 2019, 20:05:38 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

der gehäusebildende Ciliate Stichotricha aculeata ist zwar häufig aber nur selten findet man eine Massenentwicklung in einer Probe. Ich hatte das Glück, eine solche in einer meiner Proben zu finden und habe die Gelegenheit genutzt, ein paar Fotos zu machen. Ich möchte sie hier zeigen, zusammen mit ein paar älteren Fotos aus meinem Archiv (die ersten beiden Fotos, aufgenommen am 26.07.2003, noch auf Dia).

Stichotricha aculeata ist einer der (sehr) wenigen hypotrichen Ciliaten die ich sicher identifizieren kann. Die Hypotrichen sind ein ganz hartes Pflaster und man kommt ohne Silberimprägnierung sonst höchstens bis zur Gattung. Aber bei Stichotricha ist die Zahl der Alternativen für eine potentielle Fehlzuordnung gering, da diese Art Gehäuse bildet. Oft sind diese röhrenförmig und sind an Detritusflocken oder der Gefäßwand angeheftet. Darin sitzt Stichotricha und strudelt Nahrung herbei, fast wie ein peritricher Ciliat.



Manchmal, z.B. in sehr alten Proben, tritt eine Massenentwicklung von Stichotricha aculeata auf. Dann findet man Zoogloea-Flocken, die mit 50 - 100 Exemplaren von S. aculeata durchsetzt sind. Bisher hatte ich erst einmal das Glück einen solchen Fund zu machen:



Strichtricha ist an das Leben im Gehäuse perfekt angepasst durch spiralig angeordnete Cirrenreihen, mit denen der Ciliat Halt im Gehäuse findet und sich schnell zurückziehen kann. Auf der Höhe der Mundöffnung findet sich ein Büschel aus ca. 4-6 Cilien, die im 90° Winkel vom Körper abstehen (s.unten). Diese dienen als "Tastborsten", mit dem der Ciliat offensichtlich den Gehäuserand "spürt" und "weiß", wie weit er sich aus der Röhre gewagt hat. Eine ganz erstaunliche Sinnesleistung einer einzelnen Zelle! Im folgenden sind einige Aufnahmen eines frei schwimmenden Exemplares zusammengestellt. Ich habe dieses Exemplar mit der Technik des schwimmenden Deckglases "angelockt", was ganz hervorragend funktioniert. Erst dadurch ist eine so geringe Schichtdicke möglich, dass ich das 130 µm lange Exemplar mit Ölimmersion untersuchen konnte, um die Details des Körperbaues zeigen zu können:   


TB = "Tastborsten"
MO = Mundöffnung
AZM = adorale Membranellenzone
Mi = Mikronukleus
Ma = Makronukleus
CR= spiralige Cirrenreihen
KV = kontraktile Vakuole

Die adorale Membranellenzone, funktioniert wie eine Rolltreppe für Nahrungspartikel. Durch eine synchrone Bewegung werden die Nahrungsteilchen (Bakterien oder kleine Algen) eingefangen und zur Mundöffnung befördert. Dort werden sie durch die sogenannte undulierende Membran (die auch aus Cilien besteht) in die Mundöffnung gedrückt. Die Cilien der AZM haben sich bei Stichotricha stark verlängert, was man als eine Anpassung an die strudelnden Lebensweise werten kann.

Auf dem rechten Fotos der Tafel erkennt man sehr gut, dass die Makronuklei "gekerbt" erscheinen. Dies findet man häufig bei den Hypotrichen und ist eine Anpassung für eine schnelle Teilungsrate. Bei einer bevorstehenden Teilung trennen sich hier die Makronuklei und werden auf die Tochterzellen verteilt. In den Makronuklei liegt die DNA größtenteils entspiralisiert vor und wird ständig abgelesen um die sehr schnellen Stoffwechselvorgänge aufrecht erhalten zu können. Die eigentliche DNA mit der kompletten Erbinformation von Stichotricha aculeata liegt in den Mikronuklei in kondensierter Form vor.

Viel Spass beim anschauen!

Martin

MikroMicha

#1
Hallo Martin,

das ist wieder einmal ein Super-Beitrag von Dir mit erstklassigen Aufnahmen. Danke dafür, dass Du uns immer wieder an Deinen Erfahrungen, Erkenntnissen und an den tollen Bildern teilhaben lässt! Leider habe ich diesen Ciliaten noch nie in meinen Proben gefunden.

Kürzlich habe ich aus meinem in der Nähe befindlichen "Krautwiesentümpel" die ersten Proben gezogen. Darin habe ich sehr große Euglena-Arten (250 my und größer) und Chilodonella (vermutlich Chilodonella gouraudi) gefunden. Alle Aufnahmen haben eines gemeinsam: Die Schichtdicke war perfekt, weil ich Deine Tipps bezüglich der Schichtdickenreduktion immer mehr beherzige. Von beiden Organismen werde ich in Kürze mal wieder Videos hier einstellen.
Herzliche Grüße sendet

Michael (MikroMicha)

Ole Riemann

Hallo Martin,

vielen Dank für diese schönen Aufnahmen. Ganz besonders gut gefallen mir auch die schwächer vergrößernden Ansichten, die die Zellen - eigentlich fällt es mir schwer, diesen zwar korrekten, aber in Anbetracht der komplexen Morphologie und Lebensweisen, Gehäusebau, seltsam blassen Begriff zu nutzen - in ihrem natürlichen Verhalten und Umfeld zeigen.

Beste Grüße

Ole