Zwei interessante Beobachtungen an Vorticella convallaria

Begonnen von Martin Kreutz, März 05, 2019, 20:31:35 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

ich möchte heute über eine Beobachtung berichten, die ich erst vorgestern machen konnte. Einige schwimmende Deckgläser in meinen Petrischalen kamen zur Wiedervorlage und ich scannte sie routinemäßig ab. Zuerst fand ich nichts besonders. Aber dann fiel mit eine Scheinkolonie von Vorticella ins Auge. Diese Scheinkolonien (also Einzelindividuen die in Gruppen stehen) finde ich sehr häufig an schwimmenden Deckgläsern. Bei höherer Vergrößerung erkannte ich, dass es sich um Vertreter des Vorticella convallaria Komplexes handeln muss. Bei meiner Population waren die Individuen 60 – 80 µm lang:



Vorticella erkennt man sehr leicht. Es handelt sich immer um Einzelindividuen mit einem spiralig kontrahierenden Stiel. Vorticella convallaria ist mit bis zu 80 µm recht groß, hat einen J-förmigen Makronukleus, nur eine KV, einen etwas asymmetrischen Körper und eine sehr feine Streifung. Der Streifenabstand bei meinen Individuen betrug 0,53 µm:



Bei vielen Individuen der Scheinkolonien fielen mir jedoch noch hochbrechende Körper am Stielansatz auf, die dort eigentlich nichts zu suchen hatten (Pfeil):



Das kam mir spanisch vor. Um zu sehen, was das ist, musste ich die Exemplare ziemlich flachen pressen. Bereits in einem wenig gepressten Exemplar erkannte ich, dass es sich offensichtlich um einen Pilzbefall handelte. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, weil die Zellen mit nur 4,8 µm Länge recht klein waren und ich auch keinen Kern sehen konnte. Eventuell sind es auch Bakterien:


KV = kontraktile Vakuole
PZ = Pilzzellen

Bei einem stärker gepressten Exemplar erkannte ich zudem, dass es offensichtlich verschiedene Entwicklungsstadien dieser Pilzzellen gab. Einige waren asymmetrisch geformt und nur schwach brechend. Die meisten dieser Zellen waren jedoch oval oder oblong geformt und besaßen eine Vakuole, die interessanter Weise bei ungequetschten Exemplaren immer zur Mundöffnung von Vorticella zeigten:


PZ = Pilzzellen

Ich habe zu diesem ,,Befall" oder ,,Symbionten" rein gar nichts finden können. Vielleicht hat jemand eine ähnliche Beobachtung gemacht oder weiß sogar das Rätsel zu lösen.

Nach diesem Fund habe ich das Deckglas weiter abgesucht, eigentlich auf der Suche nach weiteren Entwicklungsstadien des vermeintlichen Pilzes. Statt dessen fand ich das hier (Pfeile):



Diese Anhängsel an Vorticella hatte ich noch nie gesehen. Zuerst dachte ich an einen Amöbenbefall, wegen den pseudopodienartigen Ausstülpungen der Anhängsel. Dann dachte ich, dass es mit dem Pilzbefall im Zusammenhang stehen konnte, was noch seltsamer wäre. Das musste ich mir natürlich auch genauer anschauen:


MiK = Mikrokonjugant
MaK= Makrokonjugant

Ich erkannte, dass es keine Amöben sein konnten, da sich die ,,Pseudopodien" nicht bewegten. Mit dem Pilzbefall hatte es wohl auch nichts zu tun, weil zumindest eines der Vorticella-Exemplare keine Pilzzellen trug. Nach einiger Recherche fand ich dann heraus, dass es sich hier um die geschrumpften Mikrokonjuganten von Vorticella convallaria handelt. Diese werden zur Einleitung der sexuellen Vermehrung von Vorticella gebildet. Die Vorticella-Zelle teilt sich dazu asymmetrisch. Ein kleinerer, schwimmfähiger Mikrokonjugant entsteht und ein sessiler Makrokonjugant bleibt zurück. Wenn ein schwimmender Mikrokonjugant dann auf einen Makrokonjuganten trifft, setzt er sich kurz über dessen Stielansatz fest und stößt sein gesamten Kern- und Plasmamaterial aus. Dadurch schrumpft die Zelle und nimmt diese seltsame, schrumpelige Form an. Ich habe bisher noch nie Fotos davon gesehen. Deshalb hier noch eine Detailaufnahme:


MiK = Mikrokonjugant
MaK= Makrokonjugant

So hat diese Routineinspektion noch interessante Ergebnisse gebracht.

Viele Spass beim anschauen!

Martin

M.Butkay

Hallo Martin,
wie immer ein sehr interessanter Beitrag mit echt tollen Bildern, mein Kompliment! Im Moment bin ich am BX50 am experimentieren was die Fotos [Qualität] betreffen. Ich habe das Gefühl,
das die Canon eos 700D nicht die so brillanten Bilder liefert, wie die Bilder von der eos 600D, die wesentlich schärfer und knackiger sind.

Mit dem DIC am Oly BH2-BHS und mit dem 1,67 Fotookular bin ich ein eingespieltes Team, die Bilder überzeugen. Anscheinend braucht man halt Zeit und die Erfahrung die man dabei im Laufe
der 'Mikroskopierstunden' sammelt, was sagt Beckenbauer immer: "Schaun wah mal"!

Ich melde mich mal die Tage bei Dir und berichte Dir von den Testobjektiven.

Liebe Grüße,
Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Bernhard Lebeda

Hallo Martin

spannende Geschichte!

du schreibst:

ZitatWenn ein schwimmender Mikrokonjugant dann auf einen Makrokonjuganten trifft, setzt er sich kurz über dessen Stielansatz fest und stößt sein gesamten Kern- und Plasmamaterial aus. Dadurch schrumpft die Zelle und nimmt diese seltsame, schrumpelige Form an

---hmm, der eigentlich gar nicht so kleine Mikrokonjugant mit aboralem Wimpernkranz wäre dann aber doch wirklich bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft. Könnte es nicht auch ein parasitärer Suktor sein (wie z.B. in Matthes "Sesshafte Wimperntiere" auf S. 92 beschrieben) ?

Nur so eine Idee.

Viele Mikrogrüße

Bernhard

Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Ole Riemann

Hallo Martin,

vielen Dank für diese interessanten Bilder und Beobachtungen an vermeintlichen Routine-Objekten. Insbesondere die geschrumpften Mikrokonjuganten - wenn es denn welche sind - finde ich sehr spannend.

Viele Grüße

Ole


Martin Kreutz

Hallo Bernhard, hallo Ole,

wie, ihr zweifelt an meinen Worten ;)? Aber keine Sorge, mir kam dieser Fund des "verschrumpelten" Mikrokonjuganten auch sehr seltsam vor. Da ich hier überhaupt keine Literatur besitze, welche den kompletten Vermehrungszyklus von Vorticella zeigt (man soll es kaum glauben), beruht meine Interpretation hauptsächlich auf Informationen aus dem Internet. Den Befall durch einen Suktor habe ich ziemlich schnell ausgeschlossen, weil alle ectoparasitischen Suktoren in den Wirt einsinken und sich dann scheinbar im Inneren der Zelle befinden. Eine parasitische Amöbe, die so aussieht und sich auch nicht bewegt, kenne ich auch nicht. Ich bin schon recht schnell auf Mikrokonjugant gekommen, aber die schrumpelige Form ließ mich zweifeln, bis ich diese Zeichnung von Parker und Jeffrey aus dem Jahr 1900 fand (s. Lit.):



Es ist die einzige mir bekannte Darstellung des Mikrokonjuganten, nachdem er das Kernmaterial und das Plasma an den Makrokonjuganten abgegeben hat und dadurch schrumpft. Sehr typisch bei dem Mikrokonjuganten ist auch der "Zapfen" am Ende der Zelle, den man auch auf den Fotos im Beitrag sieht. Es gibt noch ein weiteres Indiz. Der J-förmige Makronukleus hat sich in den Zellen, an dem sich der Mikrokonjugant festgeheftet hat, in viele Einzelteile aufgelöst. Dies zeichnen Parker und Jeffrey auch so. Ich bleibe daher bei meiner Interpretation, dass es sich um einen Mikrokonjuganten handelt.

Martin 

Literatur:

Parker, T., Jeffrey, A. (1900): Manual of Zoology. New York, The MacMillan Company.

Bernhard Lebeda

Lieber Martin

super, überzeugt!

Das Buch ist schon runtergeladen!

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Michael

Hallo Martin,

wieder ein toller und sehr lehrreicher Beitrag!
Zur Reproduktion bei Vorticella hätte ich zwei Webquellen gefunden:

Richa Shah: Vorticella Campanula: Habitat, Structure and Locomotion, http://www.biologydiscussion.com/invertebrate-zoology/protozoa/vorticella-campanula-habitat-structure-and-locomotion/28340

E. Finley, Harold. (2005). Sexual differentiation in Vorticella microstoma. Journal of Experimental Zoology. 81. 209 - 229.
http://sci-hub.tw/10.1002/jez.1400810204

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Bernhard Lebeda

Hallo Michael

der erste Link ist klasse!

Der zweite führt mich auf ein russischsprachiges Login.

LG Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Michael

Hallo Bernhard,
tut mir leid, dass der zweite Link bei Dir nicht funktioniert - bei mir klappt es. Offensichtlich sind bei mir irgendwelche Cookies gespeichert, die den Zugang ermöglichen.
Bei dieser Webseite erscheint öfter - leider in Russisch -  eine Abfrage, die sicherstellen soll, dass Du ein Mensch und kein Robot bist. Du musst dann die Buchstaben aus der Grafik in das Eingabefeld eingeben und bestätigen.
Solltest Du dennoch Schwierigkeiten haben, sag mir Bescheid und ich schicke Dir die PDF dann direkt.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Bernhard Lebeda

Danke Michael!

jetzt ging es plötzlich auch ohne Robot BlaBla  ;)

Sehr interessantes PDF.

LG Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung