Vergrößerung vs. Abbildungsmaßstab

Begonnen von Erik Wischnewski, April 22, 2019, 07:03:38 VORMITTAG

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Erik Wischnewski

Hallo,
nach meiner Vorstellung Ende Dezember habe ich mir im Januar bei Herrn Linkenheld ein Motic Panthera C mit Zubehör gekauft und so im Laufe des Februars und März meine Mikro-Ecke eingerichtet. Nun macht es mir Freude, mich in die Theorie tiefer einzuarbeiten. Die oberflächlichen Dinge kenne ich als Physiker ja im Prinzip, aber so mancher Fachjargon ist mir fremdartig. Dazu gehört z. B. die immer wieder in der Internet-Literatur auftauchende Belehrung, dass die Zahl auf dem Objektiv (z.B. 40x) keine Vergrößerung sei, sondern ein Abbildungsmaßstab. Tut mir Leid, für mich ist es dasselbe. Es muss also einen historischen Grund geben, warum man in einem Fall von Vergrößerung und im anderen Fall von Abbildungsmaßstab spricht. Ich kenne den aber nicht.
Für mich ist der Begriff Vergrößerung auch anzuwenden, wenn es sich um den Größenvergleich von Objekt und "Luftbild" handelt. Auch ist mir egal, ob es eine Winkelvergrößerung oder eine lineare Vergrößerung ist. Auch eine Verkleinerung ist ein Vergrößerung, halt kleiner als 1. Das alles ist kein Grund, zwischen Vergrößerung und Abbildungsmaßstab derart zu unterscheiden, dass das eine richtig und das andere falsch ist. Ich würde die Begriffsphilosophie gern verstehen und hoffe auf Eure Hilfe.
Viele Grüße
Erik

Herbert Dietrich

Hallo Erik,

vielleicht dient dies etwas zur Erhellung des Begriffes

aus:
https://www.univie.ac.at/mikroskopie/1_grundlagen/mikroskop/objektiv/2_massstab.htm   
Maßstabszahl
Fälschlicherweise wird bei einem Objektiv oft von ,,Vergrößerung" gesprochen. Ein Objektiv erzeugt aber keine Vergrößerung sondern ein Zwischenbild mit einem bestimmten Abbildungsmaßstab.

Ein Objektiv mit einer Maßstabszahl von 40 erzeugt also (nach DIN 58887) 10mm unterhalb des oberen Tubusrandes) ein reelles Zwischenbild mit einem Abbildungsmaßstab von 40:1
Zitat Ende

Ich habe in letzter zeit im Mikroforum öfters von Vergrößerung 100x gelesen, gemeint war aber die Verwendung des Objektivs 100/1,25 Öl

Herzliche Grüße
Herbert

Erik Wischnewski

Hallo Herbert,

genau auf dieses Papier beziehe ich mich unter anderem. Aber auch andere, davon unabhängige Arbeiten, schreiben in derselben Weise. Für mich ist das aber nicht schlüssig. Auch Herr Linkenheld gibt auf mikroskopie.de eine Erklärung und erwähnt, dass nur die Lupe eine Vergrößerung hätte (also auch das Okular, dass wie eine Lupe benutzt wird). Es wird zwischen reellem und virtuellem Bild unterschieden. Nur halte ich das alles für Wortspielerei, weshalb sich ja auch im Alltag beides vermischt hat. Vielleicht bin ich ja auch Opfer dieser Vermischung geworden und habe den Kopf nicht mehr frei für eine neutrale Beurteilung dieser Begriffe.

Beste Grüße
Erik

Lupus

#3
Hallo Erik,

in der Optik sind die Begriffe Vergrößerung und Abbildungsmaßstab eindeutig definiert, auch wenn sie in der Umgangssprache vermischt oder in anderen Fachgebieten anders verwendet werden. Der Abbildungsmaßstab ist das Verhältnis von Bildgröße zu Objektgröße. Die Vergrößerung ist das Verhältnis des Sehwinkels mit optischem Instrument zum Sehwinkel ohne Instrument.

Im Speziellen, wie bei Lupe und Mikroskop, ist die Vergrößerung auch auf den Sehwinkel ohne Instrument bei der Bezugssehweite 25 cm bezogen. Beim Mikroskop ist hier logischerweise das Gesamtinstrument mit Okular gemeint. Das Objektiv hat in Endlichsystemen einen Abbildungsmaßstab.

Hubert

wilfried48

Zitat von: Herbert Dietrich in April 22, 2019, 07:54:14 VORMITTAG
...
Fälschlicherweise wird bei einem Objektiv oft von ,,Vergrößerung" gesprochen. Ein Objektiv erzeugt aber keine Vergrößerung sondern ein Zwischenbild mit einem bestimmten Abbildungsmaßstab.
...

Nach der optisch richtigen Definition von Vergrösserung und Abbildungsmassstab (siehe obiger Beitrag von Lupus) hat ein
auf unendlich korrigiertes Objektiv sehr wohl eine Vergrösserung, deshalb steht auf diesen Objektiven auch 10x, 40x 100x etc.
drauf. Ein Abbildungsmassstab wird daraus erst in Verbindung mit der Tubuslinse. Und die Zahlen sind nur gleich der Vergrösserung wenn die Tubuslinse vom gleichen Hersteller ist bzw. die entsprechende Brennweite hat.
D.h. ein Objektiv von Zeiss mit der Vergrösserung 40x erzeugt nur in einem Mikroskop von Zeiss einen Abbildungsmassstab von 40. In einem Mikroskop von Olympus oder Nikon mit deren Tubuslinsen weicht der Abbildungsmasstab von 40 ab.

viele Grüsse
Wilfried
vorzugsweise per Du

Hobbymikroskope:
Zeiss Axiophot,  AL/DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Axiovert 35, DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Universal Pol,  AL/DL
Zeiss Stemi 2000 C
Nikon Labo-/Optiphot mit CF ELWD Objektiven

Sammlung Zeiss Mikroskope
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=107.0

Ulf Titze

#5
Hallo Erik,

für den Mikroskopiker ist es kein großer Unterschied, ob er das Objektiv 40:1 oder 40x einschwenkt, da gebe ich Dir Recht. Trotzdem ist es nicht dasselbe.

Linsen vergrößern oder verkleinern nichts, sondern sie machen ein Bild. Die Größe des Bildes kann man anhand der Linsengleichung berechnen. An dieser Stelle muss man aber unterscheiden, ob die Linse im Endlichen (also an definierter Stelle) abbildet, oder im Unendlichen.

Bildet die Linse im Endlichen ab, kann man die Größe des Bildes im Verhältnis zum Orgininal ausmessen. Man erhält also einen Abbildungsmaßstab, den man als Verhältnis ausdrücken kann (z.B. 40:1). Da es aber aufwändig ist, Objektive dahingehend zu gravieren, schreibt man einfach nur 40. Bei Linsensystemen, die im Unendlichen abbilden, ist das nicht so einfach. Da wird die Vergrößerung als Quotient aus Objektivbrennweite und der definierten Bezugsentfernung (z.B. 250mm) angegeben und als Faktor (z.b. 40x) notiert. Warum das so ist, kannst Du den Kapiteln 2 und 3 der Mkrofibel in epischer Breite entnehmen.

Beste Grüße

Ulf

P.S.: Die 250mm sind eine übliche Bezugsweite für Okulare. Die Abstände bei Objektiven sind, wie Wilfried schon dargestellt hat, herstellerspezifisch. Da lassen sich die Jugs ungern in die Karten kucken.

P.P.S.: Jetzt sehe ich erst, dass Du Physiker bist und die Materie tiefer durchdrungen hast, als ich es jemals können werde. Daher gebe ich Dir Recht: für mich als praktischen Mikroskopanwender ist es vollkommen Wurscht, ob ich an einem Endlich-Mikroskop mit einem 40:1 sitze, oder an einem Unendlich-Mikroskop mit einem 40x.
"Do not worry about your problems with mathematics, I assure you mine are far greater." (A. Einstein)

"Komm wir essen Opi!" - Satzzeichen können Leben retten!!!

Erik Wischnewski

Hallo Hubert,
vielen Dank für Deine Antwort. Genau die habe ich befürchtet bzw. mir schon so gedacht. So steht es nämlich auch in meinem ersten Uni-Buch von 1974. Ich tue mich allerdings schwer mit dieser begrifflichen Differenzierung, sehe darin allerdings auch Vorteile und Sinn. Dann werde ich mich also wieder daran gewöhnen müssen, beide Begriffe in der Mikroskopie (und Optik) sauber anzuwenden und nicht zu vermischen.

Hallo Winfried,
vielen Dank für den wichtigen Zusatz. Diese Differenzierung zw. Endlich- und Unendlichoptik ist mir auch "durch die Lappen" gegangen. Das verkompliziert natürlich den sauberen Begriffsgebrauch. Da muss man halt genau aufpassen. Prima.

Hallo Ulf,
bevor ich gefragt hier habe, habe ich natürlich die Mikrofibel dreimal von hinten nach vorne studiert (die Suchfunktion ermöglicht ja leicht das Auffinden relevanter Stellen) als auch die Website mikroskopie.de und das Papier der Uni Wien, das mir sogar als Buch vorliegt, gelesen. Und noch viel mehr.

Viele Grüße
Erik

Erik Wischnewski

In diesem Zusammenhang fällt mir übrigens ein, dass man in der Astronomie ja eine ähnliche Situation hat. Ein Himmelskörper, zum Beispiel der Mond, hat eine wahre und eine scheinbare Größe. Seine wahrer Durchmesser ist 3476 km, sein scheinbarer Durchmesser 0.522°. Die scheinbare Größe hängt natürlich von der Entfernung des Beobachters ab. In der Mikroskopie nimmt man da die Distanz, in der das menschliche Auge unter "gesunden" Umständen noch in der Nähe fokussieren kann. Das sind 25 cm, die als Referenz- oder Bezugsdistanz oder -(seh)weite festgelegt wurden (völlig zu Recht).

Da in der Astronomie ein Abbildungsmaßstab nicht realisierbar ist, kennt man dort nur die Vergrößerung. Kalibrierung eines Photos ist dann immer Winkel/Pixel oder Winkel/mm. In der Mikroskopie kann man natürlich mittels eine Objektmikrometers direkt µm/Pixel kalibrieren.

Für mich ist es spannend und anregend, zwei so unterschiedliche Teilbereiche der Optik mit ihren eigenen Besonderheiten, zu vergleichen.

Nochmals besten Dank und herzliche Grüße
Erik

Kurt Wirz

#8
Hallo

Als technischer Zeichner und Fotograf habe ich es bis heute folgendermassen verstanden:

Wird der Abbildungsmassstab erhöht, erhöht sich im Abbild ebenfalls die Auflösung des Objektes.
(Fotografien, Pläne, Mikroskop-Objektiv)

Wird stärker vergrössert, erhöht sich im Abbild die Auflösung des Objektes nicht.
Eine reine Vergrösserung ist somit immer eine "leere Vergrösserung".
(Fotografischer Vergrösserungsapparat, Fotokopierer, Mikroskop-Okular)

Da machen unendlich korrigierte Mikroskop Objektive mit ihrer Bezeichnung einen Strich durch meine Rechnung :)  -->  :(

Kurt

Herbert Dietrich

Hallo Erik,

für den tieferen Einstieg in diese Materie empfehle ich:

Kurt Michel, Die Grundlagen der Theorie des Mikroskops

Das Buch ist antiquarisch erhältlich.

Herzliche Grüße

Herbert

Kurt Wirz

#10
Hallo

Von Fotografenseite empfehle ich:
Kurt Michel, Die Mikrofotografie
Auf Seite 544 steht:
"Das Negativ mit einem annähernden Massstab von 160:1 kann bei der nachträglichen Vergrösserung auf genau 600:1 gebracht werden."

Auf dem fotografischen Abzug (Vergrösserung oder Bild) ist dann ein Objekt 600 mal grösser wie in Realität.

Und dann bezeichnet "Michel" das Bild als Vergrösserung im Massstab 600:1, obwohl er das Negativ "mit dem Objektiv 40/0.65" angefertigt hat.

Auf ähnliche Weise kommt man auch in der Elektronenfotografie auf höhere Vergrösserungswerte
(die je nach Hersteller bei gleich grossem objektseitigen Ausschnitt unterschiedlich ist), wie in der zeitgemässen digitalen Fotografie.
Eine Folge daraus wäre, dass beim gleichen Bild, der Abbildungsmassstab bei der Betrachtung auf dem Smartphon anders wäre, wie auf einem grossen Monitor.

Nach meinem Verständnis und damit keine Unklarheit entsteht:
Das Objektiv besitzt einen Abbildungsmassstab, der einen "direkten" Bezug zur Auflösung des Objektes besitzt.
Zwischenlinsen, Telekonverter, Okulare und Projektion oder Vergrösserung auf Papier, besitzen einen Vergrösserungsfaktor (jeweils meist "leere Vergrösserung"),
beides zusammen ergibt die Gesamtvergrösserung, welche keinen direkten Bezug mehr zur Auflösung des Objektes besitzen muss.
Abbildungsmassstab x Vergrösserung = Gesamtvergrösserung

Kurt

Eckhard F. H.

ZitatNur halte ich das alles für Wortspielerei, weshalb sich ja auch im Alltag beides vermischt hat.

Hallo Erik,
sehe es ebenso. Vergrößerungen sind für mich lediglich Maßstäbe >1. Beide sind Funktionen von Brennweite und Entfernung.
Gruß EFH

Lupus

Hallo Kurt,

die Begriffe Vergrößerung und Maßstab haben natürlich auch eine universellere sprachliche Bedeutung, und in anderen Fachbereichen eine alternative Bedeutung. Wir hatten von der physikalisch-optischen Definition gesprochen. Der Maßstab kommt in der Kartographie oder beim technischen Zeichnen ohne Linsenabbildungen aus und wird dementsprechend etwas anders verwendet. Das gleiche gilt für den universellen Begriff der Vergrößerung.

Mit der "Auflösung" ist es ähnlich, die rein geometrisch ermöglichte Auflösung durch Vergrößerung hat doch eine andere Bedeutung als die wellenoptische- oder abbildungsfehlerbedingte Auflösung.

Deine letzte Gleichung bringt dann doch eher Verwirung als Klarheit in die Diskussion.

Hubert

Lupus

Hallo,

ZitatZitat
Nur halte ich das alles für Wortspielerei, weshalb sich ja auch im Alltag beides vermischt hat.
es ist doch eher umgekehrt. Man muss zur Vermeidung von Missverständnissen in der Wissenschaft und Technik oft eine sauber definierte Terminologie einführen, die eventuell die alltäglichen Begriffe einengt. Wenn der Volksmund davon spricht dass man aufgrund starken Hustens Grippe hat, dann sieht das der Hausarzt oft anders. :)

Hubert

Nordlicht

Hallo,

Für mich als Laien sah das ganze bis jetzt wie folgt aus:

Ich nehme mit einem 8fachen Objektiv ein Bild auf (egal ob endlich oder unendlich).
Mit einer Vollformatkamera (36mm Sensorbreite) bekomme ich ein 4mm breites Objekt auf den Sensor - ABM =8.
Ich benutze dazu eine Mf-Anpassung 1,6 und bekomme ein 2,8mm breites Objekt auf den Sensor - ABM=12,8.

Schaue ich mir dieses auf dem PC-Bildschirm an bei 100% komme ich auf eine Vergrößerung von 250 zu 1 (Bildschirm 50cm, Auflösung 2000Pixel, Kamera 4000Pixel(alles in der Breite)).
Gehe ich nach unten und gucke mir das gleiche auf meinem Fernseher an (Bildschirm 100cm, gleiche Auflösung) komme ich auf eine Vergrößerung von 500 zu 1.

Der ABM ist für mich das Verhältniss von Objekt zu Kamerasensor

Unwissende Grüße

Matthias