Der Strudelwurm Gyratrix hermaphroditus

Begonnen von Michael Müller, Mai 01, 2020, 12:33:28 NACHMITTAGS

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Michael Müller

Liebes Forum,

in einer Probe des Sediments eines kleinen, verlandeten Waldtümpels sind mir einige Arten von Strudelwürmern aufgefallen, von denen ich heute eine Art genauer vorstellen möchte. Es handelt sich um Gyratrix hermaphroditus, einen sicherlich häufigen, aber dennoch interessanten Strudelwurm, der sowohl im Süßwasser als auch im Meer zu finden ist.


Bild 1: Gyratrix hermaphroditus, Übersicht;
pg: Proboscis (Rüssel); cg: Cerebralganglion (Gehirn); ph: Pharynx (Saugmagen); ut: Uterus; te: Testes (Hoden) ov: Ovar (Eierstock) vs: Vesicula seminalis (Samenblase); bc: Bursa copulatrix (Begattungstasche); ps: Penis-Stilett; in: Intestinum (Darm) vi: Vitellarium (Dotterstock)


Die bis zu 2 mm großen Tiere schwimmen lebhaft in den Lückenräumen des Sediments und tasten mit ihrem Rüssel beständig nach Beute:


Bild 2: Gyratrix hermaphroditus, Rüssel (Proboscis) in Ruhestellung

Der Rüssel besteht aus einem inneren, mit Rezeptoren besetzten Zapfen, der bei der Jagt durch eine Lücke in der Haut ausgestoßen werden kann - ein Vorgang den ich leider nicht beobachten konnte. Mit dem Rüssel kann wohl die Beute ergriffen und festgehalten werden, während das Penis-Stilett zweckentfremdet und zum Töten der Beute verwendet wird. Gut zu erkennen ist der starke Muskel, auf dem der Rüssel sitzt.
Hinter dem Rüssel befindet sich das Gehirn des Tieres, auf dem zwei linsenlose, stark pigmentierte Augen sitzen.
An das Gehirn schließt sich der lang gestreckte Darm an, in dessen Mitte der kugelförmige Saugmagen (Pharynx) sitzt:


Bild 3: Gyratrix hermaphroditus, Pharynx

Mit diesem Organ wird die Beute - ähnlich wie bei einem Blutegel - ausgesaugt und die Flüssigkeit im Darm verdaut. Strudelwürmer haben keinen After, so dass die Reste der Mahlzeit wieder durch den Pharynx ausgeschieden werden.

Besonders interessant ist der Bau der Fortpflanzungsorgane dieses hermaphroditischen Tieres. Als Zwitter besitzt es sowohl weibliche als auch männliche Organsysteme.


Bild 4: Gyratrix hermaphroditus, Überblick über die Fortpflanzungsorgans

Gut zu beobachten ist der unpaarige Hoden, in dem das Sperma produziert wird, dessen Bewegung im Hoden gut zu beobachten ist.


Bild 5: Gyratrix hermaphroditus, Hoden mit Sperma

Das Sperma wandert dann - im Falle eines Falles - in die Samenblase, wo es mit einigen Drüsensekreten versehen wird. Die Samenblase entleert sich in das hohle Penis-Stilett.


Bild 6: Gyratrix hermaphroditus, Penis-Stilett; Einsatz: ausgefahrenes Stilett

Das Penis-Stilett besteht aus zwei unabhängig beweglichen Teilen: dem eigentlichen Stilett, das bei der Begattung in die Öffnung der Begattungstasche des Partners geschoben werden kann (oder manchmal auch durch die Haut, direkt in die Bursa copulatrix) und einem trichterförmigen Führungsteil, das zum Steueren der Richtung des Stilettes Verwendung findet.

Die gleichzeitig vorhandenen weiblichen Fortpflanzungsorgane sind - ohne histologische Schnitte - am lebenden Tier schwerer zu beobachten. Am auffälligsten ist die Begattungstasche (bursa copulatrix):


Bild 7: Gyratrix hermaphroditus, Bursa copulatrix

In der Begattungstasche werden in einigen zystenartigen Hohlräumen die Spermapakete des Partners zur späteren Verwendung gespeichert, deren Beweglichkeit gut am lebenden Tier beobachtet werden kann. Am oberen Bildrand ist eine der beiden Ampullen zu sehen. Diese Organe sind Teil des Exkretionssystems der Tiere und vergleichbar zu Nieren. In den Ampullen wird der Primärharn aufbereitet, bevor er über eine Pore das Tier verlässt. Bei Tieren, die in Salzwasser leben, ist dieses Organ nicht vorhanden, da dann der Osmose nicht entgegen gewirkt werden muss und die Tiere auf ein ausgefeiltes Exkretionssystem verzichten können.

Ich hoffe, Euch diese interessanten Tiere, die immer ein eingehende Beobachtung wert sind, etwas näher gebracht zu haben.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

M.Butkay

Hallo Michael,

obwohl ich mich mehr für Ciliaten interessiere, finde ich die Strudel- oder Fadenwürmer immer wieder spannend, da hier sehr schön das Innenleben beobachten kann. Durch Deine gute Dokumentation und sehr gut Bildbeschriftung, lerne selbst ich noch etwas über die Anatomie dieser Viecher.

Danke nochmals fürs zeigen und Daumen hoch,
Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Martin Kreutz

Hallo Michael,

vielen Dank für Deine sehr detaillierte Beschreibung von Gyratrix. Ich habe diesen Strudelwurm hier auch schonmal gezeigt (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32238.msg238296#msg238296), jedoch nicht so genau untersucht wie Du, insbesondere was die Reproduktionsorgane angeht.

Du schreibst, dass der Rüssel (Proboscis) ausgestoßen werden kann wie eine Zunge, um die Beute festzuhalten um sie dann mit dem Penis-Stilet zu stechen. Ich habe die Funktion des Rüssels bisher anders verstanden. Demnach wird aus dem Rüssel ein betäubender Schleim ausgestoßen, der die Beute lähmt. Dann wird zugestochen. So habe ich es in meinem Beitrag geschrieben, was aber nicht heißt, dass es richtig ist. Ich habe den Beutefang nämlich auch nie selbst beobachten können. Ich weiß nicht mehr, wo ich das mit dem betäubenden Schleim gelesen habe (muss ich nochmal nachschauen). Offensichtlich haben wir zwei Quellen mit unterschiedlichen Aussagen verwendet.

Martin

Michael Müller

Hallo Michael und Martin,

es freut mich, dass Euch mein Beitrag gefallen hat - sowas spornt immer an!

@Martin:
Da ist mir (und google) doch glatt Dein schöner Beitrag durch die Lappen gegangen! Das liegt - fürchte ich - daran, dass ich nach "hermaphroditus" gesucht habe, Du aber "hermaphrodites" geschrieben hast.  ;)
Hätte ich Deinen Bericht gekannt, hätte ich mir einerseits eine Menge Arbeit erspart, weil ich wohl auf einen eigenen Beitrag verzichtet hätte, da ich inhaltlich (und schon gar nicht fotografisch) nichts zu ergänzen gewusst hätte. Anderseits macht es mir immer Spaß, mich mit mir neuen Themen zu beschäftigen und mich in die Literatur dazu hineinzuknien. Anders als mein Sohn bei einigen schulischen Themen bin ich nicht der Meinung, dass man zu viel Wissen kann  ;D!
Außerdem finde ich es interessant, den direkten Vergleich zwischen DIK und Schieflich-Bildern vom selben Objekt zu haben. Ich hätte nicht gedacht, dass die Bilder bei beiden Kontrastverfahren (ohne Wertung) so unterschiedlich wirken. Man vergisst so leicht, dass das Mikroskop nur ein Abbild der Wirklichkeit liefert und jedes Abbildungsverfahren unterschiedliche Aspekte betont.

Zur Biologie: Mein "Weisheit" habe ich im Wesentlichen von v. Graff [1] und aus dem Bestimmungschlüssel von Young [2] gesaugt.
Die Scheide des Rüssels bei G. hermaphroditus ist sicherlich zurückziebar, so dass der "Rüsselkegel" bei der Jagt herausschaut. Das ist ein Bestimmungskriterium für die Unterfamilie Kalyptorhynchia, zu der G. hermaphroditus zählt.
Das Jagdverhalten wurde bei Young in [2] wie folgt beschrieben:

"...the proboscis momentarily adheres to the prey whilst the stylet is protruded and pushed into the prey"

Das habe ich naiver Weise rein mechanisch interpretiert. Es mach viel mehr Sinn, wenn der Beute am Rüsselkegel festgeklebt bzw. durch den Schleim betäubt wird. Von daher ist Deine Beschreibung sicherlich richtiger.

Viel Grüße

Michael




[1]      Von Graff, L. 1913.-Das Tierreich. Turbellaria. II. Rhabdocoelida. Berlin.  (Download)
[2]      J. O.  Young, Keys to the freshwater microturbellarians of Britain and Ireland. Ambleside, Cumbria, UK: Freshwater Biological Association, 2001. (Download)

Gerne per Du

Martin Kreutz

Hallo Michael,

tut mir leid, dass ich hermaphrodites geschrieben habe und nicht hermaproditus, so dass Du es nicht gefunden hast. Peinlich, peinlich! Ich werde das sofort in meinem früheren Beitrag korrigieren!

Ich finde Deinen Beitrag sehr wertvoll. Warum sollte ein Objekt nicht mehrfach gezeigt werden. Das habe ich doch bei Plagiopyla nasuta auch so gemacht! Und es gibt hier im Forum auch Objekte die gefühlt schon 100 mal gezeigt wurden. Außerdem kommen doch dann eventuell Widersprüchlichkeiten zu Tage (oder Fehler) oder man hat ergänzende Beobachtungen gemacht.

Ich finde beim DIK/schiefe Beleuchtung Vergleich besonders das Penis-Stilet interessant. Es strahlt im DIK hell auf, weil es doppeltbrechend ist. Bei der schiefen Beleuchtung gibt es diese Überstrahlung natürlich nicht. Bestimmt einer der Vorteile der schiefen Beleuchtung.

Was das Einfangen der Beute angeht, scheint es also so zu sein, dass der Rüssel, welcher durch das hinter liegende Drüsengewebe einen klebrigen und eventuelle lähmenden Schleim ausstoßenkann, hervorgestreckt wird und die Beute an der klebrigen "Zunge" kleben bleibt. Also das Chamäleon Prinzip.

Martin