7. September: Antoni-van-Leevenhoek Tag

Begonnen von Alfons Renz, September 05, 2020, 17:39:46 NACHMITTAGS

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Alfons Renz

Liebe Mikroskopiker,

Am 7. September vor 346 Jahren berichtete Antoni van Leeuwenhoek in einem Schreiben an die Royal Society in London über seine Entdeckungen von ,Microben' im Plankton. Dieses Ereignis kann man getrost als den Beginn der Mikrobiologie betrachten.

Im letzten Jahr gedachten die Tübinger Mikroskopiker dieses Ereignisses durch eine Aktion im Umfeld der Städtischen Flohmarkts am Anlagensee: "Wasserflöhe und Flohmarkt".

https://www.tmg-tuebingen.de/antoni-van-leeuwenhoek-tag-am-anlagensee-in-tuebingen-am-7-sept-2019/

In diesem Jahr findet, Corona-bedingt, weder der Flohmarkt noch der A-v-L-Tag statt. 

Grund genug, nun auch dieses Ereignis ins Virtuelle und Digitale zu verlegen und aktuelle Bilder zu 'Microben' hier im Forum zu zeigen.

Die (mikroskopisch kleine) Tübinger Tümpelgruppe traf sich heute Morgen am Kirchentellinsfurter Baggersee - aber aßer Blaualgen gab es erstaunlich wenig zu sehen: Kein einziger Wasserfloh, keine Rädertierchen, gerade mal ein paar Hüpferlinge (auf den ersten Blick!). Liegt es am warmen Wasser oder sonstigen Umwelteinflüssen?

Interessant wäre es, Beobachtungen aus anderen Seen vergleichend zu interpretieren. Für den A-v-L-Tag ein aktuelles Thema. Deshalb der Aufruf:

Was findet man gerade im Planktonnetz
- speziell in größeren Gewässern? Der K'Furter Baggersee hat eine Größe von ca. 1/4 km2. Aber auch das Simmelried wäre interessant - wenn nicht gerade ausgetrocknet??

Bilder und Kommentare sind herzlich willkommen!

Im Tübinger Sonntags-ZOOM-Treffen wird es morgen unter anderem um dieses Thema gehen. Teilnehmer sind herzlich willkommen, Link im geschützen Bereich ('Mikro-Termine').

Herzliche Grüße,

Alfons


Alfons Renz

Plankton des A-v-L-Tags in Tübingen,

Vor einem Jahr hatten wir anlässlich des Antoni-van-Leevenhoek-Tags (Link siehe oben) eine überaus hohe Planktondichte im Tübinger Anlagensee beobachtet und dies mit der frischen Befüllung des Sees erklärt, der kurz zuvor abgelassen und abgefischt worden war. So konnte sich das Plankton ungehindert entwickeln.

Auch im Kirchentellinsfurter Baggersee, ca. 5 km Neckarabwärts, gab es reichlich Plankton.

In diesem Jahr fehlten jedoch im Baggersee überraschenderweise alle höheren Plankton-Organismen. Nur Blaualgen (Anabaena, Aphanizomenon und Microcystis) waren in Mengen, aber nicht in Massen vertreten.

Nur mit Mühe liess sich in einer unverdünnten Probe ein paar wenige Cyclops in einem Hohlschliff-Objektträger finden (Bilder im nächsten Beitrag).

Deshalb die Frage, ob sich in diesem Jahr die Planktondichte auch in anderen Gewässern dramatisch verändert haben könnte?

An der selben Stelle des Tübinger Anlagensees, gegenüber der Danneckschen Nymphengruppe, erbrachten drei Züge mit dem Wurfnetz eine reiche Beute an Wasserflöhen (Weiherrüsselkrebschen Bosmina longirostris, Rädertierchen Asplanchna und Cyclops).

Selbst nach Verdünnung war es noch eine dicke Suppe an Planktonorganismen.

Facit: Das Fehlen größerer Planktonorganismen im Baggersee dürfte mit dem Massenauftreten der Blaualgen in Verbindung stehen. Bekannt ist ja, dass diese in der Lage sind, Toxine zu produzieren um dadurch ihre Umwelt zu manipulieren.

Frage: Gibt es ähnliche Beobachtung zum Massenauftreten von Blaualgen und Verschwinden von Kleinkrebsen und Rädertierchen in anderen Seen, speziell in diesem warmen Sommer?

Mit herzlichen Grüßen,

Alfons









Alfons Renz

Im Vergleich dazu der Kirchentellinsfurter Baggersee:

Im ehemaligen, ca. 1/4 km2 großen und bis zu 6 mtr tiefen Kies-Baggersee, der ausschließlich durch Grundwasser im Neckartal gespeist wird, waren bei der Beprobung am Samstag nur Blaualgen und so gut wie keine höheren Planktonorganismen zu beobachten.

Selbst das Planktonnetz hatte eine blau-grüne Färbung angenommen.

In früheren Jahren kam es schon häufig zu heftigen Wasserblüten von Aphanizomenon flosaquae, so dass der Badebetrieb seitens des Gesundheitsamtes untersagt wurde. Die Sichttiefe war damals weitaus geringer als in diesem Jahr, wo sie noch fast einen Meter beträgt.

Anfang August tummelten sich zwischen den (wenigen Schwimmpflanzen) noch sehr viele Fischlarven, die jetzt auch verschwunden waren. Ebenso wie die Anopheles-Mückenlarven in diesem Jahr fehlen.

Mit herzlichen Grüßen und dem nochmals wiederholten Vorschlag, doch in den nächstgelegenen Tümpel oder Badesee zu schauen: Welchen Einfluss hat der Klimawandel  auf die Dynamik des Planktons?

Alfons




mikropit

Hallo Alfons!
Ich bin heute 17.30 Uhr zum Häcklerweiher (bei Blitzenreute, ein Moorsee ca. 1 km2 gross) gefahren. Ich habe nahe der Oberfläche mit einem Planktonnetz gefischt
Ergebnisse:
Ostufer schattig und sumpfig viele sehr kleine Ciliaten, einzelne Rädertierchen, Glockentierchen, wenig Wasserflöhe und Hüpferlinge
Westufer Halbschatten, Wasser recht warm: recht viele Wasserflöhe, davon viele tot, mehrere Ruderfusskrebse sonst praktisch kein Leben.
Überlaufbecken: Zustand wie im Weiher selbst.
Buchsee etwa 300 m vom Häckler entfernt, ca. 0,2 km2, beschattet: sehr viele tote Wasserflöhe, einzelne Hüpferlinge sonst praktisch kein Leben. Davor war ein grosses Seerosenfeld.
Ich habe jeweils etwa 10 x mein Planktonnetz langsam geschwenkt: Danach jeweils natürlich mehrere Präparate erstellt um keine Zufallsergebnisse zu bekommen.
So viele Wasserflöhe sah ich noch nie und gleichzeitig kaum sonst Leben.
vG Peter - mikropit (der mit den Zecken)
mikropit

Flagellate

Ich kann zwar nicht mit Vergleichsproben dienen, aber mit der ein oder anderen Erklärung des Phänomens.

Cyanos, also Blaualgen, weisen mehrere Problme für Zooplankton auf:
1. Sie sind eine verhältnismäßig schlechte Narhungsquelle (Nahrungsqualität im Vergleich zu anderen Algen).
2. Cyano-Blüten verdrängen andere Algen, die bessere Nahrung darstellen würden.
3. Filamentöse Algen (z.B. Anabaena) können von vielen Zooplankter (Daphnia, Bosmina, usw.) nicht ohne weiteres gefressen werden (zu groß).
4. Ja klar, die Toxine. Einige Microcystis Arten produziert beispielsweise ein Toxin, welches die Verdauung von Daphnien (und sicherlich auch anderem Plankton) inhibiert.

Also, wenn quasi nur Cyanos vorhanden sind und keine anderen Algen, fehlt dem Zooplankton schlicht die Futterquelle.
Warum die Cyanos in der Lage waren/sind das/die Gewässer so stark zu dominieren lässt sich ohne genaue Analyse nicht sagen. Natürlich spielt die Temperatur eine Rolle. Diese allein erklärt aber nicht warum die Cyanos das Plankton dominieren. Die Abwesenheit von Zooplankton ist natürlich auch nicht nur das Resultat von Cyanos. Es reicht ja aus, wenn einfach zu wenig Algen als Futter vorhanden sind. Auch filamentöse Grünalgen können bei hoher Dominanz zu schlechten Nahrungsbedingungen führen (Punkt 3 gilt natürlich nicht exklusiv für Cyanos). Es ist alles halt recht komplex, aber ich hoffe die Erklärungen sind für den Wissbegierigen hilfreich  ;)

mikropit

Hallo!
Noch eine Ergänzung: Ich habe im Häcklerweiher keine Algen gefunden. Keine Blaualgen und keine Grünalgen.
vG Peter - Mikropit
mikropit

Alfons Renz

Vielen Dank an Tobias (Flagellate, ich habe lange gebraucht, um diese etwas persönlichere Anrede zu ergoogeln!) und Peter (Mikropit), für die interessanten Antworten. Es tobt ein spannender Kampf im Biotop!

Es ist doch wohl tatsächlich so, dass wir über die Zusammensetzung und Abundanz des Planktons ungefähr so viel sagen können wie über das Wetter der nächsten Wochen und Monate. Beim Wettbewerb ums Futter (=> dazu bedarf es der Sonneneinstrahlung und Nährstoffe) werden offenbar auch chemische Waffen eingesetzt. Wer wann gewinnen wird, lässt sich ebenso wenig (oder genau so gut) vorhersagen, wie das Wetter in einem Monat.

Im Plankton des Anlagensees konnte ich im Übrigen ebensowenig 'Futter' für die zahlreich vorhandenen Zooplankter erkennen, wie im Baggersee, wo die Cyanophyceen dominierten. Das spricht für die Giftwaffe, Novitschok lässt grüßen!

Vielleicht liesse sich aus dem Vorkommen und der Abundanz der Blaualgen trotzdem etwas Allgemeines erkennen, ein Muster, das auf langfristige Veränderungen hinweist. Beispiel wäre der Federsee, der nach Jahrzehnten starker Belastung durch Haushaltsabwässer nach dem Bau einer Abwasserleitung langsam sauberer wurde. Es dauerte Jahrzehnte, bis dann schlagartig die Biozönose im See umkippte: Plötzlich war das vorher trübe Wasser wieder klar, so dass Blütenpflanzen vom Grund des Gewässers wieder hochwachsen konnten. Leider - für die Tümpler - ist das Plankton jetzt auch nicht mehr so reichhaltig wie in früheren Zeiten.

Der A-v-L-Tag sollte erinnern, dass 'unsere' Gewässer eine eigene Dynamik von Mikroorganismen besitzen, die 'wir' zwar beeinflussen, aber nur sehr indirekt steuern können. Wie bei der Abundanz und Reichhaltigkeit der Insektenwelt kann es passieren, dass langfristige Veränderungen im Nachhinein nur sehr schwer erkennbar und noch schwerer zu quantifizierbar sind. Kaum Jemand könnte den Status ante beschreiben.

Jedenfalls bedauern wir Tübinger Tümpler das nunmehr seit Jahren konstatierte Verschwinden des Weiherrüsselkrebschens aus dem Baggersee sehr und hoffen zumindest, es im nächsten Jahr wieder in alter Häufig- und Lebendigkeit anzutreffen! Im Anlagensee fühlt es sich ja noch/wieder sichtlich wohl.

Schön wäre es, wenn hier auch Andere über solch langfristige Beobachtungen und Veränderungen in 'ihren' Gewässern berichten könnten. Es gibt ja nur noch wenige Institutionen, die dies regelmässig tun, z.B. am Bodensee. Dort sind die Veränderungen des Planktons und der Rückgang der Felchenpopulation klar dokumentiert.

Mit herzlichen Grüßen,

Alfons


Flagellate

Zitat von: Alfons Renz in September 10, 2020, 13:34:30 NACHMITTAGS
Vielen Dank an Tobias (Flagellate, ich habe lange gebraucht, um diese etwas persönlichere Anrede zu ergoogeln!)
Ach Mist, sorry, hatte ich am Ende vergessen... Wollte ich eigentlich schreiben ::)

Ja, es ist in der Tat traurig, dass nur sehr wenig Langzeit-Forschung an Gewässern stattfindet. Wir wissen tatsächlich sehr viel über die komplexen Wechselwirkungen im Ökosystem See/Weiher usw. Allerdings sind die Wege zu einem "schlechten" Gewässer sehr vielfältig und Stichproben reichen lediglich aus um den aktuellen Zustand zu beschreiben. Die Problemsuche gestaltet sich dann aber oft schwierig.
Ein schönes Beispiel ist ein Bagger-See in NRW, der einerseits als Tauchgewässer und andererseits als Schwimmgewässer genutzt wird. Der See ist zwar weit entfernt vom Kippen, aber auch weit entfernt von seinem ursprünglichen guten Zustand. Anliegende Seen, die ebenfalls als Tauchgewässer freigegeben sind, sehen da viel besser aus. Ich habe vor den See bzw. die Seen in Zukunft regelmäßig im Rahmen der privaten Möglichkeiten zu untersuchen und werde dann hier gerne berichten. Allerdings dauert es noch eine ganze Weile.

Die kurz Anamnese anhand von Beobachtungen vor Ort in den letzten ca. 4 Jahre:

Der See weist eine zunehmende Eutrophierung (Anreicherung von Nährstoffen) auf.
Vermutete/Offensichtliche Gründe: Starke Beanspruchung durch Badegäste, Verunreinigung durch Gänsekot, unausgeglichenes Nahrungsnetz (hoher Besatz von plankton-fressenden Fischen, daher wenig Zooplankton und viele Algen), starker Pflanzenbewuchs, welcher im Winter zurückgeht. Das tote organische Material lagert sich im See als Sediment an. Durch das unausgeglichene Nahrungsnetz zirkulieren die Nährstoffe zwischen Sedimentation und Primärproduzenten (Algen und Pflanzen) und wird nicht in höhere Ebenen transportiert und fixiert (Raubfische wie Hecht, Zander).
Folge: im Frühjahr/Sommer kommt es regelmäßig zu hohen Abundanzen von Algen, da Zooplankton größtenteils fehlt bzw. stark gefressen wird, können die Algen sich gut entfalten. Durch Badegäste wird das Sediment aufgewirbelt, was zu mehr Nährstoffen im Freiwasser führt. Für Taucher bedeutet dies kurz gesagt: schlechte Sicht!

Genauere Einschätzungen folgen dann hoffentlich in den nächsten Monaten ;)

Grüße,
Tobias
(ich habs nicht vergessen  ;D )