Diatomeen etc aufkleben

Begonnen von felix, November 14, 2008, 11:46:42 VORMITTAG

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felix

Hallo,

ich bitte um Erfahrungen und Ratschläge zu folgendem Problem:

Ausgesuchte Diatomeen (oder auch Radiolarien) sollen auf einem Deckglas festgeklebt werden so, daß sie die drei folgenden Schritte unverrückt überstehen:

1. Luftblasen werden mit Xylol oder Alkohol ausgetrieben.
2. Kanadabalsam / Styrax / Pleurax (je nachdem) wird auf das Deckglas gegeben und eingedampft.
3. Das Deckglas wird auf einen Objektträger montiert, das Präparat wird knapp unterhalb des Siedepunkts für 5 bis 10 Min. auf einem Bügeleisen erwärmt (vor allem wichtig für Styrax), dann bei mäßiger Wärme ca. 12 Stunden auf dem Bügeleisen belassen.

Der Bellido-Kleber (Wasser-Glyzerin-Eisessig-Alkohol = Gray V 11.1; auch bei Göke  u.a.) verträgt die Hitze nicht gut.  Ebenso die von Göke  empfohlene Rohagit-Lösung, die bei meinen wenigen Versuchen übrigens immer häßllich auskristallisierte.

Die "Alten", so scheint es, haben durchweg eine schwache alkoh. Schellacklösung genommen, erwähnt zB in Debes' Aufsätzen über das Legen von Diatomeen.  Gray (V 22.1) zitiert ein Rezept von Giesebrecht 1881:

1% Schellack in 95% Alk. Glas dünn beschichten. Trocknen lassen. Einen Ölfilm ("Nelkenöl", aber ich denke reines Petrolium oder das gute Nasenfett sollten es auch tun) auftragen damit die Objekte an der Oberfläche haften. Dann das Öl bei 60 Grad abdunsten.

Die gute Nachricht ist: Im _Prinzip_ funktioniert das wunderbar.  Aber: Nach einer Reihe von Experimenten sieht es so aus, daß ich weit über 60 Grad erhitzen und meine Lösung deutlich über die 1%-Marke heben muß. Nur dann sinken die Objekte in die Schicht ein und werden beim Erkalten festgehalten.  (Obwohl: Ich bin nicht sicher, wie man praktisch die Sättigung der Lösung abschätzen soll. Ich verwende wachsfreie Schuppen von Kremer). Tatsächlich muß ich über einer Spiritusflamme erhitzen. Das hat einen deutlichen Effekt: Beim Erhitzen nimmt der Schellack langsam Farbe an. Die Verfärbung beeinträchtigt nicht die optische Qualität des Präparats.  Aber von einem unsichtbaren Klebegrund kann sicher nicht mehr die Rede sein.  Schlimmer ist, daß die Schellackschicht bei meinen Versuchen so "dick" (relativ gesprochen) ausfallen mußte, daß die Schalen nicht plan an der Deckglasfläche hafteten -- und das beeinträchtigt die Brauchbarkeit dieser Präparate doch sehr.

Bin gespannt auf Ihre / Eure Antworten. --- felix
"Du" angenehm.

felix

100 Leser ... keine Antwort. Daraus schließe ich ein gewisses Interesse und eine gewisse Ratlosigkeit.

Die Antwort auf meine Frage gibt es in einer langen und in einer kurzen Version. Beide verdanke ich CMB und letztlich einem Brief Möllers an Kinker vom Februar 1884. Hier die kurze Version:

Die Konzentration von Schellack in absolutem Alkohol ist gar nicht so wichtig. WICHTIG ist, daß der Schellack _ungebleicht_ ist -- also "Rubin"-Ware, nicht "Hell". Wachsfrei muß er natürlich auch sein.   Davon löst man etwa soviel in Alkohol bis eine weißweinige Färbung ("Sauternes") eintritt.

Moeller empfiehlt weiter die Gläser vorzuwärmen, bevor sie den Schellacktropfen empfangen. Bei der richtigen Schellacksorte (Rubin, von Pigmente Kremer) habe ich auch ohne Erwärmung keine Trübungen mehr feststellen können.

--- felix
"Du" angenehm.

Egbert Lange

#2
Hallo Felix,

ich bin leider kein 'Diatomeen-Leger' . Aber ich habe in meinem 'Hustedt (Pascher, Die Süßwasser-Flora Mitteleuropas, Heft 10: Bacillariophyta (Diatomeae),  Zweite Aufl., Jena 1930)' gesehen, daß Hustedt kein Schellack-Rezept angibt, sondern seine stinkende Mixtur beschreibt. Ich fragte mich nun, warum???

In dem ausführlicheren Werk 'Hustedt, Friedrich. Rabenhorst's Kryptogamen-Flora [...] [Zweite Auflage] [Band 7, 1. Teil], 1930' auf Seite 195 schreibt er, daß die Schellack-Schicht im Laufe der Zeit von der Einschlußmasse angegriffen wird und sich die Diatomeen vom Untergrund lösen.

Das erwähnte Buch kann man sich seitenweise oder komplett bei der Biblioteca Digital

http://bibdigital.rjb.csic.es/ing/Libro.php?Libro=1006

als pdf-Datei herunterladen. (Ich habe mir damals neun Häppchen zu ca. 25 MB erstellt!)
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Übrigens kann man sich die bei Hustedt erwähnte Hausenblase noch kaufen. Es gibt so etwas in online-Shops für Hobby-Winzer. Hausenblase ist ein zugelassenes Wein-'Schönungsmittel'.
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Erfahrungen mit Gelatine-Klebeschichten hat Raymond, der auch hier im Forum Mitglied ist:

http://tech.groups.yahoo.com/group/microscopehobby/message/3149

MfG E.

felix

Hallo Herr Lange,

ich wußte bisher nicht, daß der "Große Hustedt" im Netz steht -- ganz herzlichen Dank für den Hinweis. (Während ich das schreibe, läd mein Firefox schon; allerdings gehts bei mir nur 100 S.-weise.)

Zitat von: Egbert Lange in November 29, 2008, 20:44:14 NACHMITTAGS
...
In dem ausführlicheren Werk 'Hustedt, Friedrich. Rabenhorst's Kryptogamen-Flora [...] [Zweite Auflage] [Band 7, 1. Teil], 1930' auf Seite 195 schreibt er, daß die Schellack-Schicht im Laufe der Zeit von der Einschlußmasse angegriffen wird und sich die Diatomeen vom Untergrund lösen ...

Einerseits wundert mich das einigermaßen; andererseits ist Hustedt ja nicht irgendwer.  Es wundert mich, da ja dann das Einschlußmittel den Schellack schneller angreifen muß als es erhärtet: Nur dann können die Objekte von der Klebeschicht "abfallen".  Den Effekt müßte also ein Schellackverwender noch zu Lebzeiten bemerken. Nun hat zB Möller, soweit ich es weiß, ausschließlich Schellack als Klebegrund verwendet -- und das sogar  bei Monobrompräparaten, die nie oder, falls das Monobrom mit Balsam gemischt ist, nur seeehr langsam erhärten.  Ferner gibt es bis heute Präparatoren, die Schellack verwenden und aus vieljähriger Erfahrung behaupten, es gäbe nichts besseres sowohl was die Haftfähigkeit als auch die optische Qualität angeht.  Ich kanns also nicht so recht glauben ... Vielleicht liegt es daran, daß Hustedt auch Einschlußmittel in Betracht zieht, die -- zumindest unter Amateuren -- heute gar nicht mehr verwendet werden, wie Realgar.

Nach allem, was ich jetzt weiß (d.h. vor allem per PN seit meinem Posting erfahren habe), ist Schellack ein sehr guter Klebegrund, vorausgesetzt
- der Schellack ist ungebleicht (das ist am sichersten -- aber es gibt offenbar auch harmlos gebleichte Sorten),
- der Klebegrund ist völlig trocken
- die Objekte werden richtig aufgeschmolzen (so heiß & lang wie nötig, so kalt und kurz wie möglich: experimentieren!)

Nochmals vielen Dank und besten Gruß!
-- felix
"Du" angenehm.

Egbert Lange

Hallo Felix,

gibt es Angaben, womit Moeller seine Bromnaphthalin-Präparate umrandet hat? Das Zeug ist ja ziemlich dünnflüssig (und unangenehm riechend).
Vor einiger Zeit wurde ja solch eine Platte von Moeller bei eBay versteigert, die viele runde Zellen hatte. Das Präparat sah noch prima aus.

Manche Autoren warnen auch vor Zersetzung von Bromnaphthalin.

MfG E.

CMB

Hallo felix,

als kleiner Nachtrag noch folgendes: Möller selbst hat bei seinen Präparaten die Beobachtung gemacht, daß der Schellack Klebegrund in einzelnen Chargen offenbar durch das von ihm verwendete Einschlussmittel (Kanadabalsam/Monobromnaphthalin) nach etwa 15 Jahren angelöst werden kann und dadurch, soweit das Einschlussmittel noch flüssig ist, die Diatomeen sich  lösen können. Inwieweit dabei zusätzlich Erwärmungen durch mikroskopische Beleuchtung  oder Mikrofotographien eine Rolle spielen, kann man nur vermuten. Fakt ist aber, daß bei viel beobachteten Präparaten dieser Effekt häufiger zu beobachten ist, als bei solchen, die nachweislich Jahrzehnte nicht betrachtet wurden und aus der selben Serie stammen. Von anderen Präparatoren wird berichtet, daß Präparate nur eine Mikrofotographie überstehen konnten.   Es gibt eine ganze Reihe von Präparaten Möllers, bei denen das Einschlussmittel wegen dieser Folgen gegen Styrax ausgetauscht wurde. Bei seinem größten Präparat, dem Universum, sah er sich altersbedingt nicht mehr  in der Lage, diesen Austausch selbst vorzunehmen. Diesen Austausch nahm dann van Heurck vor.

Freundliche Grüsse

CMB

CMB

#6
Hallo Herr Lange,

Möller hat den Einschluss wie folgt gemacht:

Die Legearbeit lag auf einem Deckglas. Auf einem weiteren Deckglas wurde ein Ring aus Schellack mehrfach übereinander gezogen, so daß eine "Vertiefung" entstand. In diese wurde Monobromnaphthlin/Kanadabalsam eingetropft. Der Legebereich wurde gleichfalls mit dem Einschlussmittel beträufelt, umgedreht und so positioniert, daß der Legebereich in den Schellackkreis zu liegen kam. Anschließend wurde erwärmt, bis der Schellack weich wurde, und auf die Mitte des Deckglases Druck ausgeübt, der während des erkaltens andauerte. Das führte dazu, daß der Schellackring das Einschlussmittel hermetisch einschloss, sehr viele Möller - Präparate haben wegen der Druckausübung im übrigen eine Wölbung des Deckglases, die auch Möller schon zeichnerisch dargestellt hat. Die Umrandung des Deckglases stellte nur die 2. Barriere dar, um das ausgasen zu verhindern. Dieser äußere  Ring löst sich sehr leicht in Alkohol und dürfte nach den damals üblichen Verfahren hergestellt worden sein, das Rezept habe ich vor einiger Zeit schon einmal gepostet.

Freundliche Grüsse

CMB

Ergänzung: Im akutellen Mikrokosmosheft ist das Möllersche Verfahren detailliert beschrieben

Egbert Lange

#7
Hallo Herr Burba,

danke für die Hinweise. Aber als chemisch (vor)Belasteter habe ich so meine Zweifel, daß alkohollöslicher Schellack auf Dauer dem Bromnaphthalin widerstehen kann.

Bei meinen Recherchen bin ich auf BELLIDO gestoßen, der wohl ähnlich schöne Präparate wie MOELLER erstellt haben soll.
BELLIDOs Originalarbeiten kann ich leider von meinem PC nicht einsehen. ;)
Die Lit.-stelle ist am Ende folgenden Artikels:

http://sabella.mba.ac.uk/1862/01/Notes_on_practical_methods_for_the_study_of_marine_diatoms.pdf

Aber ich konnte den Text von PETER GRAY "The microtomist's formulary and guide" (1954) einsehen, der  die Methoden von BELLIDO beschreibt. Dabei geht es nicht um Schellack als Klebegrund (hier verwendet BELLIDO eine Gelatineschicht), sondern um die Versiegelung und dazu wird der Ring aus Schellack gehärtet!

Kopie Text von S. 41 f:

"...
There will be required a turntable, slides, a fine brush, a hot plate, and some de-waxed shellac (Chapter 28 V 11.2 Hitchcock 1884) which should be as thick as can conveniently be persuaded to flow from a brush of the size selected. A fine ring is then turned of a size slightly smaller than the coverslip. Save for the very largest diatoms a single ring of this cement will be sufficiently thick. It is absolutely necessary that these shellacked rings be baked if they are to become insoluble in the bromonaphthalene used for  mounting. As soon, therefore, as the alcohol has evaporated from the shellac, the slides are placed on a hot plate, or for that matter, in an oven, and heated to just below the melting point of the shellac for at least 30 minutes. The cells, which would now be adequate for aqueous media, must be further processed for bromonaphthalene mounting by having the top ground flat. This is done by taking some of the finest available carborundum, making it into a slurry with water, and spreading this on a sheet of fine quality plate glass. The slide, with the cell down, is then laid on this glass and, with a delicate finger placed over the center of the cell, moved gently backward and forward for a few moments. It is then picked up, washed under the tap, and examined with a strong lens to make sure that there is a flat, smooth area over the whole of the top of the cell. The slide is then washed free of Diatoms all traces of grit and dried in a dust-free place. As many prepared slides as are required now have a small drop of bromonaphthalene placed in each cell. If petrolatum was used to hold the coverslip in place while the diatoms were mounted on it, this should first be removed with ether to make quite certain that the diatom frustules are grease-free, dry, and clean.
When one is satisfied as to this, the coverslip is lowered in place on top of the bromonaphthalene and then, with some blunt instrument (Bellido recommends a toothpick) pressed on the cell until it is firmly attached. If the coverslip is flat and if the cell has been properly ground, this seal is sufficiently good to permit one to remove any exuded bromonaphthalene with a cloth before turning on an additional layer of the shellac as a final seal. It is usually safer to follow this with another layer of some impermeable cement such as asphalt varnish.
Though this process may sound laborious, it actually takes less time by this means to mount one each of the 200-300 species that may be found in a fossil deposit on a single coverslip than it takes either to mount them individually on
separate slides by any other means, or to endeavor to find them under a microscope if they are arranged at random.
....."

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Für alle Präparierer noch ein Beifang mit vielen Lit.-stellen zu "Microscope Slides":

http://www.nhm.ac.uk/hosted_sites/natSCA/publications/bcg/The_Biology_Curator_Issue_10_Supp.pdf

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MfG E.


felix

Hallo Herr Engler,

Dank für den Hinweis auf den tollen Artikel aus dem Biology Curator!

Der Diskussionslauf hat nun einen eher zu einem historischen Thema geführt.  Auch interessant. Meine Eingangsfrage war jedoch praktischer Art.  Da Monobromnaphtalin nicht einmal mehr als Eichmittel für Refraktometer zu bekommen ist, ist die Frage, wie riskant die Kombination mit Schellack ist -- vom praktischen Gesichtspunkt, wie gesagt -- müßig.  Festzuhalten bleibt, daß bisher nichts dagegen (und vieles dafür) spricht, Schellack als Klebegrund mit den heutigen Einschlußmedien zu verwenden.

Mit bestem Gruß
-- f
"Du" angenehm.

grovea

Sehr geehrter Herr "Felix",

gestatten Sie mir zwei Anmerkungen:

1.  Prof. E. Debes hat das Präparationsverfahren für "gelegte" Diatomeen mittels Schellack als Klebegrund schon 1885 (!) publiziert.
    Einen Unterschied zwischen gebleichtem und rohem Schellack beschreibt er nicht.
    ( Quellennachweis:  E. Debes:  Die Herstellung von Diatomaceen-Dauerpräparaten, Hedwigia, 1885, Heft IV )

2.  Gelöste Schalen von Diatomeen in "Legepräparaten" sind nach meinen Erfahrungen meist die Folge von unsachgemäßen Umgang mit dem
    Präparat. Selbst leichter Druck auf das Deckglas als Folge von "aufsetzenden" (gefederten) Objektiven o.ä. führt zu einer minimalen
    Durchbiegung des Deckglases. Dies erzeugt einen radialen Massefluß des dickflüssigen Einschlußmittels und im Ergebnis orthogonal wirkenden
    Querkräfte an den Diatomeen, welche entweder zerbrechen oder vom Klebegrund abreißen. Dabei muß der Schaden nicht sofort erkennbar
    sein, sondern u. U. erst nach längerer Zeit, wenn die abgelöste Diatomee unter dem Einfluß der Schwerkraft absinkt.

    Mit freundlichen Grüßen
    R. Nötzel
     

 

CMB


Hallo Herr Nötzel,

eine kleine Ergänzung: Debes beschreibt in seinem Text(mehrfach) das Lösen von Schellack in Äther... nur: Schellack löst sich nicht in Äther. Von daher habe ich gewisse Zweifel daran, ob Debes da eigene Erfahrungen beschreibt. Für mich ist deshalb  Antwort auf die Frage, welchen Schellack Debes gemeint haben könnte, auf dieser Quellenlage schwierig zu beurteilen.

Die von Ihnen beschriebene Auswirkung des aufsetzenden Objektives ist richtig beschrieben. Das würde - neben dem Problem der Erwärmung des Präparates - erklären, warum vor allem die systematisch gelegten (in Reihen) gelegte Präparate Möllers in universitären Sammlungen gelitten haben, werden diese doch eher mit hochaperturigen Objektiven betrachtet als die Kreispräparate, die vor allem Objekte des Überblicks sind.

Freundliche Grüsse

CMB