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Graptolithen

Begonnen von Florian D., September 04, 2021, 16:45:20 NACHMITTAGS

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Florian D.

Glückauf Forum,

nachdem es im  Microcafe ja schon Beschwerden über den nachlassenden Strom von Beiträgen gab, möchte ich mich mit ein Paar Photos von Graptolithen in ordovizischem bis silurischem Schiefer aus dem Urlaub auf der iberischen Halbinsel zurückmelden. Graptolithen werden zu Deutsch auch Schriftsteine genannt, da sie so aussehen, als ob ein Schüler auf seiner Schiefertafel (welch Anachronismus) seine Schreibübungen verrichtet hätte. Es handelt sich dabei aber um Fossilien aus der Gruppe der Kiemenlochtiere, die in näherer Verwandschaft zu den Stachelhäutern stehen und vielleicht sogar heute noch in Form der Pterobranchia fortbestehen. Sie bilden wichtige Leitfossilien, da im Erdaltertum extrem Artenreich, allerdings habe ich mich mit der Artbestimmung noch nicht beschäftigt. Bei den Versteinerungen handelt es sich um kolonieartige Wohnhöhlen, die aus "Graptin", einer Substanz ähnlich des Chitins der Insekten, gebildet waren.
Die Kolonien in den Bildern haben Grössen von 1-2 cm.

Viele Grüsse
Florian

Florian D.

Fortsetzung

Dünnschliffbohrer

Hallo Florian,
danke für den schönen Beitrag! Deine Graptolithen sind ja - obwohl flachgedrückt - offenbar durch sekundäre Mineralisation sehr kontrastreich auf dem schwarzen Schiefer überliefert. Das Gestein sieht so aus, als hätte es schon einiges durchgemacht, an Tektonik und wohl auch niedrig-gradiger Metamorphose. Und dafür sind sie gut erhalten, und sicherlich genauer bestimmbar. Hierzulande findet man sie am ehesten in Thüringen in den dortigen Schwarzschiefern, die von der Wismut zur Urangewinnung abgebaut wurden. Oder am Strand oder in einer Kiesgrube im sogenannten "Grünlichgrauen Graptolithengestein", wo sie aber doch eher selten sind (ist mir erst 2X begegnet).
Es ist zunächst schwer verständlich, dass die Viecher in unsere weitläufigere Verwandtschaft gehören sollen. Das lässt sich nur zeigen, wenn man welche in Kalksteinerhaltung findet, die nicht flachgedrückt sind, und die man mit Säure dreidimensional-erhalten herauslösen kann. Da zeigt sich dann manchmal eine ganz eigentümliche Anwachs-Struktur des Gehäuses aus jeweils alternierend versetzten Halbringen. Die Halbringe jeder Seite bilden dann dort, wo sie aufeinander stossen, eine Zickzacklinie, die man in dieser Form nur von der rezenten Rhabdopleura kennt, die damit zum Modellorganismus für die Rekonstruktion und systematische Zuordnung wird.
Wenn sie nicht so schön kontrastreich erhalten sind, wie deine Stücke, dann bieten sie sich dafür an, unter dem Stemi mit Kontrastierungsmethoden zu spielen: Polfilter unter das Hauptobjektiv, ein Zweiter vor die Lampe und auf maximale Kontrastwirkung gedreht, evtl. zusätzlich Immersionsöl auf die Schichtfläche geben und ein Deckgläschen auflegen - also das ganze, mit dem sonst die Paläobotaniker den Kontrast von ihren kohligen Pflanzenabdrücken auf schwarzem Schiefer herauskitzeln.
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

plaenerdd

#3
Hallo Florian,
danke für 's Zeigen! Unter den norddeutschen Geschieben gibt es auch auch Graptolitengesteine aus dem Silur: Einen Graptolithenschiefer und das "Grüngraue Gaptolithengestein". Letzteres hat ein kalkiges Bindemittel. Darin sind die Gehäuse vollkörperlich erhalten (nicht so plattgedrückt wie in den Schiefern) und man kann sie mit Salzsäure herauslösen, weil das Gaptin im Gegensatz zum Kalk nicht in der Säure löslich ist. Hatte ich vor ca. 35 Jahren mal probiert. Ging sehr gut, aber die Gehäuse sind dann extrem fragil, wenn sie der schützenden, stützenden Gesteinshülle beraubt sind. Deshalb habe ich keine mehr in meiner Sammlung.
Beste Grüße
Gerd
EDIT:Dsb. war einen Tacken schneller als ich.
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Florian D.

Hallo Dünnschliffbohrer und Gerd,

vielen Dank für Eure Antworten! Ich finde es sehr faszinierend, dass diese Tiere, die man für seit mehr als 300 Millionen Jahren für ausgestorben hielt, heute anscheinend noch lebende Verwandte haben. Da sind die Quastenflosser ja nichts dagegen.

Viele Grüsse
Florian

plaenerdd

Hallo Florian und Dsb.,
ich habe in meiner Geschiebesammlung noch ein paar Stücken von dem Grünlichgrauen Graptolithengestein gefunden. Darin sind die Graptolithen als schwarze (kohlige?) Fossilien erhalten. Sie gehören zur Gattung Monograptus.

Noch gestern Abend habe ich ein kleines Stück in Salzsäure (ca. 10%) aufgelöst. Die Reaktion war heftigst. Nach wenigen Minuten schwamm schon ein von den CO2-Blasen nach oben getriebenes Fragment eines Graptolithen auf der Oberfläche, das ich herauspipettiert und auf einem OT mehrfach mit Leitungswasser gespült habe. Als es heute morgen getrocknet war, zerbrach es sofort bei dem Versuch, es etwas mit der Präpariernadel zu drehen. Dass ich dieses Fragment abpipettiert habe, war aber wahrscheinlich mein Glück, denn weitere Graptolithen, die zweifellos vorhanden waren, sind wohl von den Blasen zerlegt worden. Man muss da wohl etwas weniger brutal herangehen vielleicht mit Essigsäure oder einer stärkeren Verdünnung.
Hier mal ein Stak aus 15 Einzelfotos:


Und die 3-D-Version für die Rot-Cyan-Brille:


Beste Grüße
Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Florian D.


Dünnschliffbohrer

Zitat
Phantastisch Gerd!
Dem schliesse ich mich an. So sahen die Exemplare aus, die wir in Plexiglas oder dergl. eingegossen damals in den paläontologichen Übungen zum Abzeichenen gereicht bekamen. Die Zickzacklinie kann man bei der Orientierung - auf der Seite liegend - natürlich nicht sehen, dazu müsste man die äusserst fragilen Reste drehen können. Und am besten auch noch Aufhellen, aber wie? Bzw. welche aus einem Kalk nehmen, wo sie nicht so stark inkohlt sind, wenn es denn solche Vorkommen gibt. Eigentlich müsste im A.H. Müller so etwas drinstehen.
Immerhin, jetzt muss ich das eine Stück nicht mehr herausssuchen, abfotografieren und hier einstellen, denn es sieht genauso aus wie deins, Gerd. Ich war mir nur im Unklaren, ob die Kalke aus zum grünlichgrauen Graptolithengestein gerechnet werden, oder nur die feinkörnigen Sandsteine/Schiefer.

ZitatIch finde es sehr faszinierend, dass diese Tiere, die man für seit mehr als 300 Millionen Jahren für ausgestorben hielt, heute anscheinend noch lebende Verwandte haben.
Ja, in den zoologischen Übungen für Geologen hatten uns die Profs. Rhabdopleura explizit als lebenden Nachkommen der Graptolithen vorgestellt, und neben den altpaläozoischen Formen gab es auch deutlich später noch welche. Ich hatte mal sessile im Unterkarbon gefunden, damals allerdings für Bryozoen gehalten und an ein grosses Naturhistorisches Museum gegeben, aber der Verbleib dort ist unbekannt. Würde ich heute so ohne weiteres nicht mehr machen.
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

Florian D.

Zu den Graptolithen, unter besonderer Berücksichtigung der spanischen, habe ich folgenden sehr schönen Artikel gefunden:
https://core.ac.uk/download/pdf/36040055.pdf

Viele Grüsse
Florian

TPL

Sehr schön, was Ihr hier zusammentragt!

Vielleicht auch ganz interessant zu wissen ist, dass man mit Graptolithen Paläo-Temperaturen in Gesteinen bestimmen bestimmen kann in denen das ansonsten schwierig ist: https://www.researchgate.net/publication/237174974_Thermal_maturity_and_burial_history_of_Paleozoic_rocks_in_western_Newfoundland

Wichtig, nicht nur in Kanada und den USA, sondern auch in Nordafrika, wo die silurischen 'Hot Shales' wichtige Erdöl- und Erdgas-Muttergesteine sind.

Glückauf,
Thomas

plaenerdd

Hallo Dsb.
ZitatEigentlich müsste im A.H. Müller so etwas drinstehen.
Ich habe alle 7 Teilbände des A.H.MÜLLER Lehrbuch der Paläozoologie und da sind sehr schöne Beispiele drin, die übrigens auch aus Geschieben von Boltenhagen gewonnen wurden. Was vielleicht in dieser Beziehung wichtig ist: Die Graptolithengehäuse sind zweilagig aufgebaut, wobei die zweite Lage erst relativ spät gebildet wird. Um den Aufbau der ersten Lage gut studieren zu können, braucht man sehr jung verstorbene Gehäuse. Die erste Lage ist die mit den konzentrischen Halbringen die sich sich an einer Zickzacklinie verzahnen. Diese ist auch relativ transparent, während die zweite Lage undurchsichtig und in Längsrichtung gestreift ist. Ich meine eine Andeutung der konzentrischen Halbringe in der Innenseite der Öffnungen gesehen zu haben, was aber auf den Fotos nicht wirklich zu erkennen ist.
Zitat von: A.H.MÜLLER Lehrbuch der Paläozoologie Bd.IITeil3 Gustav Fischer Verlag Jena 1978
Ich hatte übrigens das Glück Prof. Anton Hermann Müller, der ja in Freiberg gewirkt hat, noch persönlich kennen zu lernen, wenn auch nur sehr flüchtig.
Beste Grüße
Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Dünnschliffbohrer

Hallo Gerd,
Danke für das Einstellen des Textes und der Zeichnung. Ich war leider wieder einfach nur zu faul, etwas herauszusuchen, abzufotographieren und hochzuladen. Das mit dem zweilagigen Aufbau wusste ich nicht mehr, aber das erklärt ja die fehlende Sichtbarkeit.
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

plaenerdd

Hallo Dfb.,
ZitatDas mit dem zweilagigen Aufbau wusste ich nicht mehr, aber das erklärt ja die fehlende Sichtbarkeit.
Da bin ich mir nicht so sicher, ob das wirklich der Grund ist. Ich habe eher den Verdacht, dass das organische Materiel inkohlt ist, also nur noch der Kohlenstoff übrig geblieben ist. Ich meine mich zu erinnern, auch schon bräunliche Graptolithen in dem Gestein gesehen zu haben. Vielleicht wären die besser geeignet.
Beste Grüße
Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph