Warum leuchten die Kanten an fluoreszierenden Kristallen?

Begonnen von Horst Wörmann, April 12, 2022, 18:32:58 NACHMITTAGS

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Horst Wörmann

Liebe Fluoreszenzler,

im Faden "Mikrokristalle im UV- und Blaulicht" wuden einige schöne Beispiele von fluoreszierenden Kristallen gezeigt, deren Kanten auffällig leuchten: Bilder von Heiko (#17), Michael und Peter (#24).
Das ist ein Phänomen, was häufig auftritt und auf die Totalreflexion im Kristall zurückzuführen ist, wie nachstehend gezeigt werden soll.
Schönes Beispiel ist das Anthracen, das in tafeligen, monoklinen Kristallen ausfällt. Anthracen fluoresziert kräftig mit Banden zwischen 350...450 nm im Blauen. Die Quantenausbeute ist mit 0,30 relativ hoch (vgl. Fluorescein-Na 0,95!), deshalb das intensive blaue Leuchten bei Anregung im UV mit 365 nm.


Bild 1: Kristall aus Toluol, links Hellfeld, mitte Polarisation, rechts UV-Fluoreszenz. Zeiss ECPlanNF 40x/0,75, Bildbreite 223 µm. In Luft.

Weil Anthracen in polaren Lösungsmitteln fast unlöslich ist, läßt sich folgendes Experiment durchführen: man saugt Wasser bzw. Glycerin durch und beobachtet dann eine Abnahme des Kantenleuchtens, dabei wird die Kristallfläche heller:


Bild 2: Derselbe Kristall wie in Bild in, links in Luft, mitte in Wasser und rechts in Glycerin.

Weil die Bilder die Aufhellung der Flächen nicht so gut zeigen, hier die spektrometrischen Ergebnisse für einen Punkt in Kristallmitte:


Bild 3: Spektren für Luft (untere Kurve), Wasser (mittlere Kurve), Glycerin (obere grüne Kurve). Deutlicher Anstieg der Helligkeit in Abhängigkeit vom Brechungsindex der Flüssigkeit.

Dieser Effekt beruht auf der Totalreflexion im Kristall, besonders deutlich in flachen Plättchen wie hier. Die Fluoreszenzemission ist ungerichtet, geht also in alle Raumrichtungen, und ein Teil der Strahlung wird totalreflektiert an der Grenzfläche Kristall/Umgebung. Maßgebend ist dabei der Brechungsindex der Komponenten, wobei sich der Grenzwinkel w berechnen läßt nach
w = arcsin(n2 /n1)
Die Brechungsindices und die berechneten Einfallswinkel der Totalreflexion sind

Wasser       1,3328     56,68°
Glycerin      1,4722     67,37°
Luft            1,000       38,83°
Anthracen   1,595       --
Als Grafik dargestellt:


Bild 4: Grenzwinkel für Luft (gelb), Wasser (blau) und Glycerin (rot). Alle Strahlen mit Einfallswinkel größer als der eingezeichnete Grenzwinkel werden reflektiert.
Daraus ist ersichtlich, daß bei Luft ein wesentlich größerer Teil der Strahlung in Richtung der Kanten reflektiert wird als beim höher brechenden Glycerin, und Wasser liegt in der Mitte.

Schöne Grüße aus Bonn
Horst

hugojun

#1
Hallo Horst,

schöner Beitrag zur Klärung des Phänomens.

Zwei Fragen:

Da nach Anregung der Fluoreszenz der Kristall selbst ein Strahler ist, stell ich mir die Frage,

ob diese Winkel nun unabhängig von dem Einfallswinkel durch den Kondensor werden?

und

Da der Übergang von höherem Brechungsindex in den Niedrigeren der Strahl zum Kristall hin gebeugt wird,

sollte mehr Licht zum Betrachter gehen, wenn das Einschlussmedium an Brechungsindex zunimmt.

Deine Bilder 2 Links, Mitte, Recht zeigen dies deutlich.

Dein Graphik Bild 4 vermittelt mir das Gegenteil?

Es entsteht der Eindruck der Totalreflexion.

Sollten die Strahlen blau und rot nicht zunehmend steiler gegen gelb aus dem Kristall austreten?

So vielleicht





LG
Jürgen

Horst Wörmann

Hallo Jürgen,

zum Einfallswinkel durch den Kondensor: der hat keinen Einfluß auf die Winkel, nur auf die Gesamthelligkeit: höhere Apertur, mehr Licht bei der Auflichtfluoreszenz.
Das angeregte Anthracen-Molekül emittiert in alle Raumrichtungen, unabhängig von der Richtung des eingestrahlten Anregungslichts.

Zu Bild 4: Deine Bemerkung ist schon richtig, aber hier unerheblich, denn entscheidend ist der Anteil, der wegen der Totalreflexion das Objektiv nicht erreicht - ist schlicht weg. Nur der restliche Anteil geht zum Objektiv. Dabei ist es unerheblich, unter welchem Winkel die Strahlen austreten.

Viele Grüße
Horst

Heiko

Hallo Horst,

makroskopisch, am ,,Rubinkorund", Anregung von oben ...



Wer will, der ,,sieht". Natürlich ist das Corpus nicht ideal.
Aber eine andere Sache: ,,Die Fluoreszenzemission ist ungerichtet." Wie absolut ist diese Aussage zu verstehen?

Viele Grüße,
Heiko

witweb

Hallo,

danke Horst für die detaillierten Erklärungen. Interessante und faszinierende Effekte. Und nun weiß ich auch noch weshalb da so ist!  :)

Beste Grüße

Michael
Dieser Post wurde aus recycelten Elektronen erstellt
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Leitz Orthoplan
Zeiss Standard 18 mit Fluoreszenz-Auflichtkondensor IV FL
Lomo Biolam, Motic SMZ-168
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https://www.youtube.com/@Mikrokristalle

Gerd Schmahl

Hallo Horst,
den letzten Satz kann ich nicht nachvollziehen:
ZitatDabei ist es unerheblich, unter welchem Winkel die Strahlen austreten.
Wie kommt denn ein sehr schräg austretender Strahl ins Objektiv?
LG Gerd
Man sagt der Teufel sei, im Detail versteckt,
doch hab' ich mit dem Mikroskop viel Göttliches entdeckt.

Horst Wörmann

Liebe Fluoreszenzler,

noch ein Nachtrag als Beleg für den Wellenleiter-Effekt (der übrigens auch bei den bunten "Lichtfängern" im Garten auftritt, die würden sonst nicht so schön an den Kanten leuchten):


Hier habe ich die Leuchtfeldblende des Auflichtkondensors geschlossen, so daß nur die Mitte des Kristalls beleuchtet wird. Ein Teil der in diesem Feld erzeugten Emission tritt an den Kanten aus.

Zu Heikos Frage:
,,Die Fluoreszenzemission ist ungerichtet." Wie absolut ist diese Aussage zu verstehen?
Für die hier betrachteten Effekte trifft das zu, das Anthracen-Molekül emittiert in alle Richtungen. Die Schwingungsrelaxation und die Fluoreszenzemission dauern so lange, daß das Elektron die Richtung des einfallenden Photons "vergessen" hat; dann geht das emittierte Photon in eine beliebige Raumrichtung: isotrope Emission.

Aber ganz so einfach ist das nicht, besonders wenn noch die anregende Strahlung polarisiert ist. Eine Richtungsabhängigkeit der Fluoreszenz in Festkörpern existiert dann. Der Grund ist die Ausrichtung der Dipole, die Fluoreszenz in einer Richtung bevorzugen oder unterdrücken. Beispiel Saphir (S. Sany, M.S. Axelrod: Anisotropy of optical absorption and fluorescence in Al2O3:C,Mg crystals. J.Appl. Phys. Vol. 98, 033518 (2005)).
Sogar Anthracen in Lösung zeigt den Effekt mit polarisierter Anregung. Allerdings muß man sich mit der Beobachtung ein wenig beeilen, denn der Effekt ist nach einigen Pikosekunden aufgrund der Rotationsdiffusion wieder weg. Mittels dieser Fluoreszenzanisotropie kann man Molekülbewegungen und -drehungen messen.
Beide Effekte sind typischerweise sehr schwach, mit unseren Mitteln schwer zu beobachten, setzen polarisiertes Anregungslicht voraus und erklären nicht die hier gezeigten Kanteneffekte.

@Gerd: ein zu schräg austretender Strahl fällt halt nicht ins Objektiv. Für unsere Kanten ist maßgebend, daß aufgrund der Totalreflexion eben ein bestimmter Anteil der Emission nicht ins Objektiv kommt. Das Licht ist schlicht und einfach weg, nämlich an den Kanten.

Viele Grüße
Horst


Heiko

Hallo Horst,

dann basiert der beobachtete Effekt ,,einfach nur" auf UV-induzierte Lichtleitung/Totalreflexion. Kristalle sind nur eine mögliche Phase. Auch Flüssigkeiten zeigen das Phänomen an ihren Grenzflächen, so wie hier:



Kann man das so sagen?

Viele Grüße,
Heiko


Horst Wörmann

Hallo Heiko,

ja, kann man so sagen. Nur die Kriterien für Wellenleiter müssen erfüllt sein, gilt also auch für Flüssigkeiten. Im Hellfeld ist das mit den Kanten aber anders, siehe z.B. Becke-Linie.

Viele Grüße
Horst

peter-h

#9
Hallo zusammen,

fluoreszierende Substanzen gibt es ausreichend. Ein etwas exotisches Beispiel füge ich noch bei.
UO2(NO3)2·6 H2O  , nicht beim Krämerladen um die Ecke zu bekommen  ::)
Ein Salz mit viel Kristallwasser und exotischen Kristallformen. Dass es auch im polarisierten Licht strahlende Farben bringt, mußte ich erst lernen. Anbei nun 5 Aufnahmen mit Dunkelfeld, Polarisation und Auflicht Fluoreszenz @ 365nm mit identischem Bildausschnitt. 
Objektiv Neo SPlan 20/0,46 , NFK 1,67x , NEX3N
Bild 4 und 5 , je ~30 Einzelbilder , mit ULWD Neo SPlan 80/0,75

Viel Spass
Peter

witweb

Interessante Serie, Peter. Besonders Bild 4 gefällt mir.
Grüße
Michael
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Heiko

Hallo in die Runde,

ein weiteres Beispiel für Fluoreszenz und leuchtende Kanten darf ich zeigen.
In gewisser Weise auch ein Exot (aber nicht zu vergleichen mit Peters hexahydratisiertem Salz) ist dieses Sublimat aus Rheum palmatum. Exotisch ob der Herkunft, ist dem/den enthaltenen Anthrachinon(en) Fluoreszenz zu unterstellen:





Viele Grüße,
Heiko

Fahrenheit

Hallo Zusammen,

eine technische Anwendung findet sich übrigens in Form von lichtsammelnden Kunstoffen (LISA):
https://www.deutsches-kunststoff-museum.de/sammlung/virtuelles-museum/k-2011-00187/

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Heiko

Hallo Jörg,
ein Hinweis, der meinen Horizont erweitert, danke.
Gruß, Heiko

witweb

Super!

Rhabarber und kleine Autos! Man lernt nie aus!

Viele Grüße

Michael
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