Platycola longicollis auf Javamoos-Sprossachsen im Süßwasseraquarium

Begonnen von Wolfgang Bettighofer, April 15, 2023, 15:54:35 NACHMITTAGS

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Wolfgang Bettighofer

Im Zuge der kürzlich berichteten Beobachtungen an den grünen Hydren hatte ich auch einen Blick auf den Aufwuchs auf den Javamoos-Stängeln geworfen. Im Stereomikroskop waren kleine Aufwuchsciliaten zu sehen, in durchsichtigen, liegenden Gehäusen mit deutlichem Halsansatz. Eine erste Peilung im Wassertropfen führte zu nichts direkt Passendem, immerhin hatte Heinz Strebles Zeichnung von Platycola decumbens etwas Ähnlichkeit. Im vierbändigen Foissner gab es detailliertere Daten zum Peritrichen Platycola decumbens, der Loricahals meines Exemplars unter der Lupe war aber deutlich länger. Es musste also der Kahl her (Die Tierwelt Deutschlands, Urtiere oder Protozoa, I: Wimpertiere oder Ciliata (Infusoria), Jena 1935). Behandelt der Wassertropfen und auch der sonst recht umfangreiche Foissner eine Platycola-Art, so kann man bei Kahl aus 22 Arten auswählen.
Der relativ lange Loricahals, das Merkmal ,,Mündung nach der Seite als schwache Kerbe ausgezogen" und die Größe wiesen auf P. longicollis hin. Hier ein STEMI-Foto:



Hat man den Aufwuchs nicht auf dem Objektträger, den man ins Wasser eingehängt gehabt hatte, stellt sich immer wieder die Frage, wie man das Objekt nun so unter's Deckglas bringt, dass man damit am Mikroskop weiterkommt. Die Javamoos-Sprosse sind ca. 1/2 mm dick, das behindert schon etwas, wenn man mit hohen Aperturen ran will!



Was noch hinderlicher war, waren die ausladend abstehenden Blättchen. Nach Abschneiden der Blättchen mit meiner feinsten, für diese Arbeit eh relativ klobig anmutenden Präparierschere und Abtrennen des entsprechenden Achsenbereiches mit einer Lanzettnadel kam das Achsenstück auf das Deckglas.



Der Ciliat saß nicht sehr günstig für die Beobachtung in der Nähe einer Blattachsel, aber die Loricaform kommt gut heraus. Die Wassersäule über dem Objekt war zu hoch für das an sich sehr kontrastreich zeichnende 20er, man sieht es deutlich.

Das war die Zelle gewesen, die ich am STEMI erspäht hatte. Auf dem Achsenstück saß aber eine weitere, an einer für die Beobachtung mit der Ölimmersion günstigeren Stelle. Hier waren zwei Zellen in der Lorica. Zunächst ein Schnittbild im Bereich des Loricahalses (40er Ölimmersion).



Die Flaschenöffnung mit dem bei Kahl erwähnten Schwung (,,schwache Kerbe"):



Die Flasche war so orientiert am Javamoos angeklebt, dass Längsseite in Blickrichtung wies. Der zu verarbeitende Bilderstapel war umfangreich: 48 Stück.




Zweite Beobachtung


Einige Wochen später habe ich nochmal einen Javamoos-Präparationsansatz gemacht, weil mir eine 40er-LD-Wasserimmersion zugeflogen war. LD-Wasserimmersionen sind nicht so heikel, was Schichtdicken anbelangt. Klar: Nur optimale Präparate führen zu optimalen Bildergebnisse, aber die Platycola saßen nun mal auf den mitteldicken Moos-Stämmchen ...

In den Zellen war aber schon deutlich mehr an Differenzierung zu erkennen. Die Pfeile markieren den sehr langen wurmförmigen Makronukleus. Die hell aufleuchtenden Pünktchen sind Mitochondrien.



Im nächsten Bild liegt die Bildebene weiter vorn, wir sehen die Querstreifung der Pellikula (Pfeile).





Hier nun die gesamte Flasche, der Hals zeigte sich aus der Beobachtungsperspektive von schräg oben deutlich eingekerbt.




Auch diesmal war auch eine zweite Flasche auf dem Moosstielchen, in Beobachtungsrichtung montiert. Der Flaschenhals ließ sich besonders gut darstellen.



Herzliche Grüße
Wolfgang






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Bernd

Hallo Wolfgang,

eine tolle Dokumentation. Diese auf Pflanzen oder Tiere festsitzenden Viecher sind ja extrem schwer vernünftig zu fotografieren.

Viele Grüße
Bernd

Kurt

Hallo Wolfgang,

ein interessanter und schöner Beitrag! Dieses Tierchen habe ich noch nie selbst vor der Linse gehabt. Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass es nicht einfach ist, solche Bilder mit höherer Vergrößerung zu machen.
Die beiden letzten Bilder vor der "Zweiten Beobachtung" sind für mich absolut Super, haben fast schon was mystisches!

Danke fürs Zeigen
Kurt

Wolfgang Bettighofer

Hallo Bernd, hallo Kurt,

freut mich, dass es gefällt! Wäre ja schön, wenn jemand weitere Idee zur (besseren) Präparation von Aufsitzern hat und diese auch verrät ;)

Herzliche Grüße
Wolfgang
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ImperatorRex

Hallo Wolfgang,
Respekt, die Aufnahmen sind Dir wirklich sehr gut gelungen! Du hast ja auf die Schwierigkeiten bei der Präparation in Deiner Dokumentation hingewiesen.
Diese kann ich gut nachvollziehen, ich hatte vor einigen Jahren einmal Platycola decumbens beobachtet (https://www.mikro-tuemplerforum.at/viewtopic.php?f=23&t=524&p=1689&hilit=decumbens#p1677). Ich hatte hier den Vorteil mit einem inversen Mikroskop zu arbeiten und Mikro-Kammern bzw. Aquarien verwendet. Darin befinden sich in der Regel mehrere Pflanzenstängel bzw. deren Blätter, insofern findet etwas einfacher einen geeigneten Kandidaten, der auf bzw. sich in der Nähe des Bodens aufhält. 
Aber auch hier gibt es natürlich Einschränkungen bezüglich der Qualität der Aufnahmen, solange man das Untersuchungsobjekt nicht quetscht.

viele Grüße
Jochen

KayZed

Hallo Wolfgang,

wunderbare Aufnahmen und das unter schwierigen Bedingungen. Die Crux der Stängeldicke macht aber gerade die Besonderheiten deiner Bilder aus, die dadurch eine geheimnisvolle Tiefenwirkung erhalten.

Du weißt sicher, dass man die sperrigen Schichtdicken mit einem schwimmenden Deckglas oft umgehen kann. Bei mir haben sich dort schon häufig Platycola decumbens angesiedelt. Dann liegen sie aber fast immer flach auf dem Deckglas und deine besondere 3D-Wirkung ist dort kaum umzusetzen.

Viele Grüße
KlausZ
Zeiss Stemi 508
Zeiss Jenaval Kontrast
Nikon Z7

Wolfgang Bettighofer

#6
Hallo Jochen, hallo Klaus,

auf ins Wasser eingehängten Objektträgern hatte ich auch schon vielfach Platycola decumbens, aber man hat sie dann halt von oben, siehe in https://www.protisten.de/german/gallery-main/gallery-main.html unter der Rubrik "Ciliaten". Eine Aufnahme



habe ich vor vielen Jahren von einem Paar machen können, welches sich in der Petrischale am Wasser-Oberflächenhäutchen (bzw. am dortigen Biofilm) festgemacht hatte.

Viele Grüße
Wolfgang
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bewie

Hallo Wolfgang,

erst mal: Schön, dass du nach langer Zeit auch wieder hier bist! Und dann: Ich kann dem, was hier schon zu deinen Bildern geschrieben wurde, nur zustimmen. Platycola ist ja wirklich ein ganz schwierig zu fotografierender Zeitgenosse, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Und was du hier zustande gebracht hast, ist einfach toll!

LG
Bernhard

Wolfgang Bettighofer

Lieber Bernhard,

ich freue mich sehr, wieder mal von dir zu hören!
Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern (2005 bis 2007, denke ich), in der wir zum Zweck des Tunings deiner Stacking-SW MicroPicS vielfach kommuniziert haben. Seit ca. 2008 stapel ich alles per Hand, bei den Bildern zur Platycola longicollis waren das zwischen ca. 10 und 50 Ebenen.
Das dauert für 50 Ebene dann schon mal 2 Stunden, aber es ist wirklich ein Erlebnis, Schritt für Schritt das entstehen zu sehen, was man vorher beim Durchfahren durch das Objekt erkannt und bildlich im Geiste abgespeichert hatte. Das Handstacken hat schon ein wenig die Qualität vom Zeichnen. Insofern vermisse ich den Autostacker tatsächlich nicht, weil mir sonst die intensive Beschäftigung mit den Inhalten der Bildebenen verloren ginge.

Herzliche Grüße in die Pfalz
Wolfgang
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bewie

Lieber Wolfgang,

ja das waren noch Zeiten! Inzwischen habe ich auch wieder mehr Zeit fürs Programmieren und aus MicroPicS ist inzwischen stacky geworden. Das automatische Stacken arbeitet nun mit stark weiterentwickelten Algorithmen und es gibt auch eine Funktion für das manuelle Stacken, weil beim automatischen Stacken von mikroskopischen Bildern und vor allem von DIK-Bilder alle mir bekannten Stackingprogramm nur selten brauchbare Ergebnisse liefern.

Bei stacky hast du 2 Bilder nebeneinander und kannst mit einem Kopierpinsel Teile aus dem linken Bild in das rechte übertragen; das linke Bild kannst du beliebig austauschen und das rechte stehen lassen. Auf diese Weise lassen sich beliebig viele Bilder relativ einfach und mit maximaler visuellen Kontrolle in das rechte Bild hineinstacken. Klappt meiner Meinung nach sehr viel besser und einfacher als das Arbeiten mit Photoshop-Ebenen, über das ich früher oft geflucht habe. Natürlich kannst du am Kopierpinsel die Parameter wie Durchmesser, Deckkraft und Randhärte einstellen. Auch kannst du die Quell- und Zielpunkte einfach gegeneinander verschieben; das ist ganz nützlich, wenn es mal beim Aufnehmen der Serie einen kleinen Strömungsruck unter dem Deckgläschen gegeben hat - die Serie ist dann nicht gleich unbrauchbar.

Würde mich freuen, wenn Du stacky mal ausprobieren und deine Meinung äußern würdest. Die stacky-Website ist http://www.bewie.de/stacky
Im Forum gibt es auch einen Thread zu stacky: www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=44900.0

Und wenn du mal aus dem hohen Norden in die Pfalz kommst, dann würde ich mich wirklich sehr freuen, wenn du vorbeikommst! Hier am Ort gibt es 16 Winzer, die vor allem sehr gut Burgunderweine machen und nach Frankreich mit seinen köstlichen Pasteten und Flammkuchen können wir zu Fuß spazieren.

Herzliche  Grüße
Bernhard

Wolfgang Bettighofer

#10
Lieber Bernhard,

soso, stacky gibt es nun aus deiner Feder! Ich werde damit gerne mal experimentieren, wobei ich mit Corel Photopaint die Bildebenen sehr angenehm und sehr direkt bearbeiten kann, auch, was die Korrektur leichter Objektverschiebungen anbelangt. Also: stacky wird es nicht leicht haben, mir schneller die Ergebnisse zu liefern, die ich mir vorstelle und mit Corel auch erzielen kann. 
Klar: Ich werde es auch nicht leicht haben, auf dem stacky-Klavier so flüssig zu spielen wie auf den Corel-Tasten ...

Und ich freue mich auf ein Wiedersehen, wenn ich mal in Pfalznähe sein sollte!

Herzliche Grüße
Wolfgang
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MikroMicha

Hallo Wolfgang,

unter den "schwierigen Umständen" sind Dir doch ganz tolle Aufnahmen gelungen und sie sehen natürlich aus. Ich finde Deine Aufnahmen von dem Tierchen klasse  :).
Herzliche Grüße sendet

Michael (MikroMicha)

bewie

Lieber Wolfgang,

ist doch klar, jeder erzielt mit dem Programm, das er schon lange kennt, die besten Ergebnisse. Und der Streit zwischen manchen Nutzern verschiedener Software ist (nicht nur bei der Bildbearbeitung) oft weniger eine Auseinandersetzung um tatsächliche Vor- und Nachteile, sondern eher ein Glaubenskrieg :)
Trotzdem interessiert mich vor allem deine Kritik, weil du das manuelle Stacken mikroskopischer Bilder ja intensiv betreibst, viel Erfahrung damit hast und Schwachstellen sicherlich schnell erkennst.

Herzliche Grüße
Bernhard