Interessante Pilzfunde 110 – Weiße Form des hellflockigen Streiflings

Begonnen von Bernd Miggel, Februar 11, 2024, 10:38:47 VORMITTAG

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Bernd Miggel

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Einführung


Anfang August 2014 hatte ich das Glück, eine kleine, aus vier Exemplaren bestehende Population eines recht großen, weißen Scheidenstreifling (Amanita Sect. Vaginatae) zu finden. Die Pilze wuchsen direkt beieinander (Bild 1) an einer lichten, wärmebegünstigten Stelle eines Kalkbuchenwaldes bei Straubenhardt im nördlichen Schwarzwaldrandgebiet. Begleitbäume waren Rotbuchen und Kiefern. Den Fund werde ich hier beschreiben und eine Bestimmung durchführen, siehe unten den Ergänzungsbeitrag vom 15.2.2024, 11:04:48.

Um es vorwegzunehmen, es handelt sich um Amanita beckeri f. alba, die weiße Farbform des Hellflockigen Streiflings.


Bild 1 – Die Population am Fundort. Foto: Bernd Miggel.

Bernd Miggel

#1
Makroskopische Merkmale des Fundes

Fruchtkörper groß, langstielig, nicht sehr robust. Hut des größten Exemplars 12 cm im Durchmesser, glatt, klebrig, milchweiß, Mitte hell gelbbräunlich, jung halbkugelig, alt ausgebreitet mit angedeutetem Buckel, nur ältere Exemplare auf 1 cm am Rand gerieft. Lamellen creme, dicht stehend. Stiel des größten Exemplars 200 mm lang, im Durchmesser oben 18 mm, unten 30 mm, brüchig, schwach klebrig, weißlich bis hellbräunlich, mit feinen, weißlichen bis cremefarbenen Flöckchen und im unteren Teil mit einigen Velumplacken versehen, Basis im Boden tief eingesenkt. Volva (Bilder 4 und 5) dick, weich, lappig, hellbräunlich, dem Stiel dicht anliegend, gerne zerreißend, tief im Boden eingesenkt.

Bild 2 (oberes Bild) – Hut mit hellbräunlichem Zentrum, Randriefung und weißen, dicht stehenden Lamellen. Foto: Bernd Miggel.
Bild 3 (darunter) –  Weißflockiger Stiel. Foto: Bernd Miggel.
Bild 4 (darunter) – Ungeriefter Hut eines jungen Exemplars, weißer bis hellbräunlicher Stiel, hellbräunliche Volva. Foto: Bernd Miggel.
Bild 5 (unteres Bild) – Cremefarbene dicht stehende Lamellen. Foto: Bernd Miggel.

Bernd Miggel

Mikroskopische Merkmale

Sporen rundlich bis breit ellipsoid, glatt, hyalin, gemessene Werte 11-12 x 8.5-10.5 µm, Schlankheitdgrad Q = 1.14-1.22.


Bild 6 – Sporencollage in Phloxin. Foto: Bernd Miggel.

Bernd Miggel

Die Volva besteht außen fast nur aus Spärozysten (rundliche Zellen); nur wenige Hyphen durchwachsen die Struktur.


Bild 7 – Volva-Mikrostruktur in Kongorot. Foto: Bernd Miggel.

Bernd Miggel

#4
Versuch einer Artbestimmung

Es handelt sich offensichtlich um einen weißen Scheidenstreifling. Da wohl die meisten Scheidenstreiflingsarten weiße Formen bilden können, lassen wir die weiße Farbe erst einmal außer Acht und ziehen nur die übrigen Merkmale zur Bestimmung heran:
Fundort - Fruchtkörpergröße – Hutmerkmale – Stielmerkmale - makroskopische Merkmale der Volva - Form und Größe der Sporen – Mikromerkmale der Volva.

Die mir zur Verfügung stehenden dichotomen Bestimmungsschlüssel, z. B. der in GRÖGER 2014, führen allesamt nicht zu einem bestimmten Ziel, sondern quasi in die Irre.
Bestimmungs-Alternative:
Wir wollen einmal rein theoretisch annehmen, es handele sich um die weiße Form des Grauen Scheidenstreiflings (Amanita vaginata f. alba). Kann das stimmen? In in der folgenden Liste gebe ich die Merkmale des Fundes an und ergänze nach dem Doppelpunkt, ob eine Übereinstimmung mit Amanita vaginata vorliegt:

•    Fundort hell, Kalkboden, wärmebegünstigt: passt.
•    Begleitbäume Rotbuchen und/oder Kiefern: passt.
•    Fruchtkörpergröße 12 cm Durchm. x 20 cm Höhe: passt.
•    Hut glatt, schwach klebrig, nur am Rand gerieft, ohne Velumreste: passt.
•    Hut nahezu ungebuckelt: passt nicht!
•    Stiel brüchig, fein weißlich geflockt: passt.
•    Volva lappig, weich, am Stiel anliegend, hellbräunlich: passt nicht!
•    Sporen rundlich bis breit ellipsoid, 11-12 x 8.5-10.5 µm, Q 1.14-1.22: passt nicht!
•    Volva überwiegend aus Sphaerozysten: passt nicht!

Negatives Ergebnis: Amanita vaginata f. alba, also der Graue Scheidenstreifling in seiner weißen Farbform, ist es nicht!
Ebensowenig führen Vergleiche mit anderen Arten zum Ziel. Der Fund ist also, zumindest für mich, unbestimmbar.

Siehe jedoch meine Ergänzung weiter unten!

Notiz
Irritierend ist, dass die Basidien der Fundexemplare Basalschnallen besitzen, was ich bei Scheidenstreiflingen eigentlich nicht erwartet hätte:


Bild 8 – Basidiole mit Basalschnalle (S). Foto: Bernd Miggel.

Bernd Miggel

#5
Literatur
1.    BON, M. (1988): Pareys Buch der Pilze: 294-295.
2.    BREITENBACH, J. & KRÄNZLIN F. (1995): Pilze der Schweiz Bd. 4, Blätterpilze 2. Teil: Nr. 135-144.
3.    GALLI, R. (2001): Le Amanite.Edinatura, Milano
4.    GRÖGER, F. (2014): Bestimmungsschlüssel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa, Teil 2. Regensburger Mykologische Schriften 17: 42-59.
5.    KRIEGLSTEINER, G.J. (2003): Die Großpilze Baden-Württembergs, Bd. 4. Ständerpilze: Blätterpilze II: 8-9, 19-31.
6.    LUDWIG, E. (2012): Pilzkompendium Bd. 3: Nr. 99.1-99.24.
7.    MOSER, M. (1983): Die Röhrlinge und Blätterpilze. Kleine Kryptogamenflora Bd IIb/2: 220-221.
8.    https://fundkorb.de/pilze/amanita-beckeri-f-alba-hellflockiger-scheidenstreifling-wei%C3%9Fe-form


Viel Freude beim Anschauen!
Bernd


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Bernd Miggel

#6
Ergänzung

Nach erneutem Studium von MOSER 1983, LUDWIG 2012 und GALLI 2001 bietet sich Amanita beckeri zum Vergleich mit unserem Fund an:

Moser-Schlüssel S. 220
3.5.1.1 Subgen. Amanita Sekt. Vaginaria Forq. Scheidenstreiflinge:
1. Volva grau oder weiß u. brüchig (mit zahlreichen Sphaerozysten...
2*. Volva weiß (höchstens alt etwas grau)...
4. Laubwald auf Kalk... -->> 3.5.1.1.3 A. beckeri Hujsm.

Merkmalvergleich:
•    Fundort hell, Kalkboden, wärmebegünstigt: passt.
•    Begleitbäume Rotbuchen und/oder Kiefern: passt.
•    Fruchtkörpergröße 12 cm Durchm. x 20 cm Höhe: passt.
•    Hut glatt, schwach klebrig, nur am Rand gerieft, ohne Velumreste: passt.
•    Hut nahezu ungebuckelt: passt.
•    Stiel brüchig, fein weißlich geflockt: passt.
•    Volva lappig, weich, am Stiel anliegend, hellbräunlich: passt.
•    Sporen rundlich bis breit ellipsoid, 11-12 x 8.5-10.5 µm, Q 1.14-1.22: passt.
•    Volva überwiegend aus Sphaerozysten: passt.

Positives Ergebnis: Amanita beckeri f. alba, der Hellflockige Streifling in einer weißen Farbform, könnte es also durchaus sein!

Gemäß Roter Liste Pilze Deutschlands 2016 ist A. beckeri der  Gefährdungskategorie 2 (stark gefährdet) zuzuordnen.

Jürgen Boschert

Lieber Bernd,

wie schon bei Deinen "Holzbeiträgen" arbeitest Du hier in gelassener Routine die Pilze ab in einer professionellen und lehrreichen Art mit wirklich hochqualitativen Abbildungen.

Zwischendurch einfach einmal ein herzliches Dankeschön dafür!
Beste Grüße !

JB

A. Büschlen

Hallo Bernd,

ich habe Fragen zu den Bildern 6 und 8:

Ist bei der Sporenkontrastierung Phloxin zwingend, und der Phloxinrote Bildhintergrund nötig?
Die gleichen Fragen zu Bild 8. Und könnte hier nicht auch Phasenkontrast zu Einsatz kommen?

Viele Grüsse

Arnold
Schwerpunkt z.Z.:
- Laub- und Lebermoose.
- Ascomyceten als Bryoparasiten.
- Nikon Optiphot I mit HF, DIC.
- Nikon Microphot mit HF, Pol.
- Zeiss Standard Universal mit HF, Ph, Pol.
- Wild M3Z mit Ergotubus.
- Nikon SMZ-U Zoom 1:10 mit ED Plan Apo 1x.

Bernd Miggel

#9
Hallo Arnold,

Bild 6: Phloxin ist absolut nicht zwingend. Man sollte Sporen in Wasser oder schwachem KOH mikroskopieren. Dann hat man auch die Eigenfarbe der Sporen. Phloxin nehme ich nur dann, wenn ich nur wenige, hyaline und dünnwandig Sporen habe, die man ungefärbt unter dem Mikroskop kaum finden kann. Damals (2014) hatte ich genau dieses Problem. Allerdings hätte ich für besseren Kontrast zwischen Sporen und Hintergrund nach dem Färben Wasser durchziehen lassen sollen.

Bild 8: Hier wäre NH3-Kongorot mit anschließendem Durchziehen von schwachem KOH optimal gewesen, um nur die Wandungen anzufärben. Phasenkontrast kann man verwenden, ist aber nicht erforderlich. Meiner Ansicht nach verfremdet es die Objekte.

Du siehst, inzwischen weiß ich das besser.

Viele Grüße
Bernd


Bernd Miggel

#10
Jetzt habe ich zur Artbestimmung noch den "alten Moser" herangezogen und komme bereits nach 3 Schritten eindeutig zu A. beckeri (siehe oben).

lg - Bernd