Paradileptus, Zysten und Kannibalismus

Begonnen von Spectrum, Oktober 12, 2025, 22:03:35 NACHMITTAGS

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Spectrum

Hallo Forum,
Nach einem Wildfang beim Tümpeln und der anschließenden erfolgreichen Kultivierung, hat seit ein paar Wochen nun auch Paradileptus elephantinus Einzug in der Petrischale gehalten, und kann eingehender beobachtet werden.
Inzwischen gelang es mir auch schon die kleinen Prädatoren gezielt dazu zu bewegen, Zysten auszubilden. Ausgereift sehen die dann so aus:
IMG_20251012_215404.jpg
Erinnert ein wenig an ein Spiegelei. Die Grünen Flocken aussen sind Algen (Chlorella), die sich angesiedelt haben.
Hier nochmal eine Übersicht ohne Aufwuchs:
IMG_20251012_215952.jpg
Bisher bin ich davon ausgegangen, dass sich dieser Jäger ausschließlich von kleineren Rädertierarten ernährt.
Als ich diese Aufnahmen einer jungen Zyste aufgenommen habe, die gerade dabei war ihre muköse Hülle abzusondern, wurde ich dann eines besseren belehrt.
Offenbar kommt es bei diesen Dileptiden unter besonderen Umständen auch zu Kannibalismus!
Hier ein paar Standbilder in chronologischer Reihenfolge:
IMG_20251012_210637.jpgIMG_20251012_210900.jpgIMG_20251012_210814.jpgIMG_20251012_211109.jpg
Und hier die dazugehörige Videoaufnahme:
Viel Spaß beim Betrachten
LG Holger
Holger
Duzen und meine Bilder (auch ungefragt)  bearbeiten, mit eigenen Aufnahmen ergänzen und weitergeben erwünscht!

Daniel Scheibenstock

Hallo Holger,

Überaus faszinierend 🙂 wie hast du die Kultivierung hergebracht bzw. wie fütterst du?

Lg Daniel
Leica DMRB HC (DL, Pol)
Motic BA310 LED (DL: PH; DF;POL, AL: POL)
Zeiss Universal (DL: Fluo; POL AL: Fluo,POL. DIC)
Zeiss IM35 (DL; PH; Fluo;POL)
Bresser Stereolupe

Vorstellung: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=48126.0

Ariel Qassis


Spectrum

#3
Hallo Daniel,
Die Kultur setze ich mit einer Heuabkochung und Volvic als Medium an. Gefüttert wird mit Brachionus calyciflorus Zysten. Die kann man im Aquaristikversand kaufen.
9cm Petrischalen dienen als Anzuchtgefäß.
In solch einer Petrischale wird dann erstmal soviel Volvic eingefüllt bis der Boden gerade eben bedeckt ist. Dann wird eine winzige Messerspitze von den Brachionus Cysten hinzugefügt. Diese verteilen sich dann auf der Wasseroberfläche. Mit einer winzigen Menge meine ich ein Volumen nicht größer als ein Stecknadelkopf an Zysten. Nach 24-36Std beginnen die Brachionus dann zu schlüpfen. Jetzt wird das Medium in der Petrischale mit dem Heu-Medium aufgefüllt.
Das ist dann das fertige Kulturmedium für Paradileptus elephantinus. Setzt du dort ein paar wenige Exemplare ein (ein einziges reicht schon), dann vermehren sie sich explosionsartig. Am nächsten Tag sind meist schon mehrere Dutzend Exemplare vorhanden.
Am übernächsten Tag sind dann noch mehr Individuen (>100) in der Schale. Die Paradileptus vermehren sich so lange exponentiell bis alle Brachionus aufgefressen sind.
Spätestens jetzt sollte die nächste Petrischale vorbereitet werden.
(Geht genauso wie die Erste).
Sobald die Brachionus in der neuen Schale schlüpfen, impfst du dann aus dem alten Ansatz mittels umpipettieren an.
Wichtig ist es das immer genug Nachschub an frischgeschlüpften Rädertieren zur Verfügung steht, und die Wasserqualität aufgrund zu hoher Dichte an Paradileptus und Brachionus nicht "kippt".
Sind alle Rädertiere verputzt hungern die Paradileptus sehr schnell. Bereits 2Tage ohne Nachschub beginnt die Encystierung, bzw. kollabiert die Kultur.
Das sind also recht aufwändige Haustiere die nicht länger als 2-3Tage ohne Zutun überleben.
Teutophrys läßt sich übrigens ebenfalls so halten.
LG Holger
Holger
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Siegfried

Hallo Holger,
da muß ich schon sagen, Hut ab vor dir als Kulturminister auf diesem Gebiet. Sehr schöne Dokumentation.
Video wie immer, aussagekräftig und sehr gut gemacht. 8)
  Gruß von Siegfried
 PS: an solche speziellen Kulturen würde ich mich gar nicht ran wagen.  :o

Peter T.

Hallo Holger,

erste Sahne! Kann der Kannibalismus etwas mit den Bedingungen in der Petrischale zu tun haben? (Wird wahrscheinlich schwer zu beantworten sein.)
Liebe Grüße
Peter

Spectrum

#6
Hallo Peter,
Zitat von: Peter T. in Oktober 13, 2025, 09:21:13 VORMITTAGKann der Kannibalismus etwas mit den Bedingungen in der Petrischale zu tun haben?


Grundsätzlich sind die Exemplare die in dieser Petrischale neben der noch jungen Zyste umherschwimmen, ja alle ausgehungert. Das allein könnte ja schon ein Grund sein, sich an dem Artgenossen zu vergreifen.
Meine Beobachtung bisher war, dass ausgehungerte Dileptide sich aggressiver (aktiver) verhalten, als gut genährte Exemplare. Zumindest sieht man, dass hungernde Exemplare viel aktiver herumschwimmen. Auch ist der Proboscis (also der "Fangarm") bei den "Hungerhaken" länger als bei abgespeisten Individuen. Setzt man diese dann erstmal wieder in ein frisches Medium mit neuen Brachionus um, setzt ein regelrechtes Massaker ein. Innerhalb kurzer Zeit (wenige Minuten), werden dann überdurchnittlich viele Rädertiere erbeutet. Ein richtiger Fressrausch. Dann wird es ruhiger.
Vielleicht gilt ja, was den Kannibalismus angeht der Spruch "in der Not frisst der Teufel Fliegen"?
Man darf allerdings auch den Umstand nicht ausser acht lassen, dass die Bedingungen in so einer Petrischale komplett andere sind, als im Pelagial eines Sees. In der Natur würde die junge Zyste auf den Grund des Gewässers absinken, und es wäre eher unwahrscheinlich, dass sie dort von einem Artgenossen gefunden wird.
Dennoch interessant ist, dass Paradileptus ganz offensichtlich über die Fähigkeit verfügt, seine Beute und auch Artgenossen, irgendwie orten zu können. In meinen Kulturen zieht es Brachionus immer Richtung Licht. Paradileptus folgt diesen Schwärmen, und tritt dabei selbst auch immer, in auffälliger Häufung, in Form von kleinen Schwärmen auf. Das ganze erinnert ein wenig an Delfinschulen und Fischschwärme.
Diese "Paradileptusschulen" entstehen aber auch in Abwesenheit von Beute. Auch im Dunkeln bilden sich auffällige Schwärme dicht beieinander schwimmender Paradileptus. Bei Teuthophrys war das auch so.
Was die junge Zyste angeht, so war diese anfangs scheinbar uninteressant für Ihre Artgenossen. Erst als sie begann ihre Schleimhülle zu excretieren wurde sie gezielt angeschwommen, und letztenendlich dann auch gefressen.
Ich habe hier auch noch Aufnahmen, die zeigen das jedes mal wenn eine Portion dieses mukösen Schleims abgegeben wird (das geschieht nicht kontinuierlich, sondern in Schüben). Also das jedes Mal wenn so ein Ausstoß geschieht, die junge Zyste kurze Zeit später von hungrigen Artgenossen umringt wird...
 
Ich denke (aber das ist erstmal nur Spekulation), dass Paradileptus dazu in der Lage ist seine Beute und auch Artgenossen chemisch zu orten.
Grüße Holger
Holger
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Peter T.

Hallo Holger,

eine tolle Forschungsarbeit verrichtest Du da! Chapeau
Liebe Grüße
Peter

Jürgen Boschert

Hallo Holger,

da kann ich mich den ,,Vorschreibern"nur anschließen. Deine Beiträge sind immer sehr interessant und lehrreich!
Beste Grüße !

JB

Daniel Scheibenstock

Danke, Holger, für die ausführliche Erklärung! Ich werde im Winter auch mal mit Kulturen experimentieren – fange aber wahrscheinlich mit etwas Einfacherem an. 8)
Leica DMRB HC (DL, Pol)
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Zeiss Universal (DL: Fluo; POL AL: Fluo,POL. DIC)
Zeiss IM35 (DL; PH; Fluo;POL)
Bresser Stereolupe

Vorstellung: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=48126.0

Gerald

Hallo Holger,

Eine fantastische Beobachtung und Dokumentation.  Das Paradileptus hat bestimmt dann Magenschmerzen, bzw. Vakuolenschmerzen bekommen :-).

Liebe Grüsse aus dem Norden.

Gerald

Spectrum

@Ariel:
Thank you, my friend!

@Siegfried:
Der Kulturminister dankt. (Ganz im Gegensatz zum Minister für Zeitmanagement, der ist nicht ganz so begeistert von meinem Hobby)

@Daniel:
Freut mich, wenn ich dein Interesse, zu dem wie ich finde wirklich spannendem Thema mit den winzigen Haustieren, geweckt habe.
Man hat da nochmal ganz andere Möglichkeiten,  sich mit dem jeweiligen Mikroorganismen auseinanderzusetzen.
Für den Anfang kann ich da Euglena,Brachionus, Blepharisma und den Klassiker Paramecium und allen voran: Stephanosphaera empfehlen.
Die sind alle wenig anspruchsvoll, und es lässt sich viel Interessantes beobachten und z.b. je nach Art Versuche zu Phototaxis oder Gigantismus und vieles mehr durchführen.
Gerade auch für potenzielle Nachwuchsmikroskopiker interessant.😉

@Gerald:
Ich glaube Paradileptus ist da hart im nehmen. Die übliche Diät hat sogar Stacheln:IMG_20251014_125850.jpg
Holger
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Spectrum

Hallo,
Hier noch ein Video zur Encystierung bei Paradileptus:
Holger
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Siegfried

Hallo Holger,
wieder ein für mich sehr interessantes Video mit vielen neuen Erkenntnissen, die du uns zeigst. Danke dafür.
     Gruß von Siegfried

Ariel Qassis