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Saisonbeginn im Simmelried

Begonnen von Martin Kreutz, März 29, 2015, 19:00:18 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

vor 2 Wochen, am 15. März, war ich nach dem Winter zum ersten Mal wieder im Simmelried, um mal zu schauen, ob schon alles eisfrei ist und was die neue Saison so bringen mag. Jedes Jahr gibt es Veränderungen und es ist immer wieder spannend, was die Wachstumsperiode so hervorbringt. Tendenziell hat das Simmelried in den letzten Jahren zwar stark nachgelassen aber was Neues ist trotzdem eigentlich immer dabei.

Vor 5 Jahren wurde ein Jägerstand direkt am Ried errichtet, von dem aus ich ein paar Übersichtbilder gemacht habe:





Hier ein Blick in den Tümpel VI, der im Begriff ist zu verlanden:



Das zersetzte Froschlaichkraut von der letzten Saison in Tümpel IV:



Mit dem Zoom habe ich mal zum nicht erreichbaren Hauptweiher geschaut. Eine breite Schilf- und Schlammzone verhindert den Zugang (was auch gut so ist):



Ich habe ca. 20 Proben genommen, die ich dann zu Hause gesichtet habe. Von den ad hoc Funden habe ich ca. 100 Fotos gemacht, von denen ich hier einige zeigen möchte.

Zuerst hatte ich einen alten Stammgast im Simmelried unter der Optik – Calyptotricha pleuronemoides. Ich habe viele Exemplare in der aufschwimmenden Pflanzenmasse gefunden, von denen ich einige abgelichtet habe:


UM = undulierende Membran

Man erkennt gleich die Ähnlichkeit von Calyptotricha zu Cyclidium, Cristigera und Pleuronema durch die J-förmige, große undulierende Membran um die Mundöffnung herum.

Hier eine apikale Aufnahme von oben ins Gehäuse hinein:



Vereinzelt fand ich auch freischwimmende Exemplare. Diese sind stets etwas kleiner als die Exemplare im Gehäuse, weil sie offensichtlich aus einer Teilung hervorgegangen sind. Diese findet im Gehäuse statt. Eine der Tochterzellen verlässt dann das Gehäuse. Bei den frei schwimmenden Exemplaren konnte ich die Caudalcilie und die undulierende Membran gut festhalten:


Ma = Makronukleus
CC = Caudalcilie
UM = undulierende Membran

Eine typische Erscheinung des Simmelrieds sind aufschwimmende Klumpen aus der obersten Schlammschicht vom Boden. Dort entwickeln sich Cyanobakterien, die Sauerstoff produzieren. Die Bläschen bleiben im Schlamm hängen und alles treibt irgendwann mal nach oben. Diese Klumpen sind meist schwarz-grün von den Cyanobakterien und immer für Überraschungen gut. Gleich einkassiert. Auch diesmal wurde ich nicht enttäuscht. Auf und in dem Klumpen fanden sich Millionen von amöboiden Chrysophyceen. Goldalgen kennen die meisten von Dinobryon oder Synura, es gibt jedoch auch amöboide Formen. Die hier gefundene Art hatte ich schon früher gefunden und ich halte sie für Rhizochrysis nobilis, wie Skuja sie 1956 beschrieben hat:



Hier 2 Exemplare mit schön ausgestreckten Filopodien mit Ölimmersion:


LK = Leukosinkörper

Skuja schreibt, dass der Zellkörper einen Durchmesser von max. 25 µm hat und dass sich Leukosin Körper in der Zelle finden sollen. Diese sind Körper sind farblos und hochbrechend. Ich glaube, dass diese Merkmale auf meine Art zutreffen. Rhizochrysis hat als weiteres Merkmal mehrere kontraktile Vakuolen und einen Zellkern, der stets von dem Chloroplasten U-förmig umschlossen wird:


Chl = Chloroplast
KV = kontraktile Vakuole
ZK = Zellkern

Die amöboiden Chrysophyceen sind oft in der Lage ein Flagellenstadium auszubilden. Dies war in den Proben sehr häufig zu beobachten. Dabei wird die Geißel am Zellkern ausgebildet, so wie es bei den Mastigamoeba auch der Fall ist:


GE = Geißel
ZK = Zellkern

Danach wird die Form der Monade länglich und beginnt zu schwimmen. Offensichtlich war es denen nicht schön genug unter dem Deckglas:



In einer weiteren Probe von aufschwimmenden Pflanzenmaterial aus Tümpel II fand ich einen weiteren alten Bekannten. Es ist ein hypotricher Ciliat, der ausschließlich in Gallertlagern lebt, welche von Algen oder Bakterien gebildet werden. Ich habe ihn schon 2002 häufiger gefunden und dann war erst mal 12 Jahre Pause. Die Zuordnung von hypotrichen Ciliaten ist ohne Imprägnierung nur in wenigen Fällen möglich. Trotzdem glaube ich, dass es sich auf Grund seiner Lebensweise hier um Strongylidium mucicola handelt:



Typisch für diese Art ist die sehr große Mundöffnung, das dichte Büschel an Caudalcilien und die sehr flexible Beweglichkeit. Hier eine Aufnahme der Mundöffnung mit der adoralen Membranellenzone:


AZM = adorale Membranellenzone
MA = Makkronukleus
CC = Caudalcilien

In der gleichen Probe fand ich Thylakidium pituitosum. Dieser Ciliat ist Bursaria verwandt und gehört zu den Colpodea. Für den Anfänger sieht er auf den ersten Blick wie Paramecium bursaria aus, weil er auch Zoochlorellen und eine ähnliche Größe besitzt. Die Mundöffnung ist jedoch apikal gelegen und besitzt eine ventrale, tiefe Einbuchtung, wie bei Bursaria truncatella. Es ist nicht so leicht diese Einbuchtung festzuhalten, da Thylakidium recht flott unterwegs ist und sich ständig dreht:


MO = Mundöffnung

Fokussiert man in das Zellinnere, erkennt man die adorale Membranellenzone, welche sich spiralig im Mundtrichter zur Zellmitte hin bewegt, wo die aufgenommene Nahrung dann in eine Nahrungsvakuole eingestrudelt wird:


AZM = adorale Membranellenzone

Neben den Proben von aufschwimmenden Material habe ich mehrere Proben vom Bodenschlamm gezogen. Dafür benutze ich alte Zentrifugengefäße mit einem Spitzboden. In diesem Spitzboden sammeln sich nach kurzer Zeit alle Viecher, die es gerne anaerob haben. In einer Probe fand ich eine außergewöhnliche Massenentwicklung von Odontostamatida. Ich konnte 4 Arten unterscheiden. Diese Ciliaten besitzen eine panzerartige, starre Hülle, die jedoch sehr kompliziert geformt ist. Die Bestimmung ist schwierig, zumal man davon ausgehen kann, dass die von Kahl beschrieben Arten noch nicht das Ende der Fahnenstange sind. Drei der vier Arten in der Probe habe ich fotografiert. Die erste ist die nur 30 µm lange Mylestoma anatinum, hier in verschiedenen Fokusebenen. Charakteristisch an dieser Art ist die starke Einbuchtung des Körpers am Hinterende und das lange Büschel von Caudalcilien:


Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus
CC = Caudalcilien

Die letzte Art ist ein alter Bekannter, den ich immer sehr häufig finde und immer sehr gerne fotografiere wegen seiner abstrakten Körperform. Saprodinium dentatum besitzt 8 Dornen am Hinterende, die man aber nur durch eine gestackte Aufnahme gleichzeitig zu Gesicht bekommt (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=21295.0). Hier zwei Fotos des ,,normalen" Erscheinungsbildes:


AZM = adorale Membranellenzone
Ma = Makronukleus

Bei der ersten Sichtung der Proben war schon einiges Interessantes dabei. Ich bin also gespannt, was das Simmelried diesen Sommer und Herbst noch hervorbringen wird.

Allen einen schönen Abend und viel Spass beim anschauen der Bilder.

Martin

koestlfr

Hallo Martin!

Das ist ja ein erfolgreicher Frühlingsbeginn! Es lebt!

Liebe Grüße
Franz
Liebe Grüße
Franz

Heiko

Hallo Martin,

die Leukosin-Körper Deiner Rhizochrysis stellen wohl ein Kohlenhydrat dar – nicht gleichzusetzen mit dem Leukosin-Protein höherer Pflanzen. Da war ich beim Nachschlagen in der falschen Ecke gelandet ...

Überaus informative Darstellung, vielen Dank.

Gruß, Heiko

Martin Kreutz

Guten Abend zusammen

@Heiko: Das Leukosin kenne ich im Zusammenhang mit Chrysophyceen und Diatomeen. Wenn man anfängt zu recherchieren, wird es schnell dünn. Ich habe nur einen Artikel von Stosch aus dem Jahr 1951 in "Naturwissenschaften" gefunden (leider nicht Volltext) in dem Ähnlichkeiten von Leukosin mit einem Polyglukosan beschrieben werden. Soweit ich den Abstract verstanden habe, hat Stosch jedoch keine richtiggehende Strukturanalyse durchgeführt, sondern ist eher "nasschemisch" vorgegangen (Iod und Färbereaktionen). Da ich keine anderen Hinweise gefunden habe, kann es sein, dass damit das Gesamtwissen zu dieser Substanz schon wiedergegeben ist. Vielleicht weiß jemand mehr.

@paramecium: Meine Ausrüstung habe ich vor einiger Zeit mal hier im Forum vorgestellt: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=18804.0. Meine Aufnahmen sind immer geblitzt. Ich habe im alten Forum viel darüber geschrieben, wie ich meine Konfiguration eingeregelt habe und die Proben präpariere. Leider alles weg. Aber soviel sei gesagt, dass alles Objektiv abwärts bei mir extrem penibel justiert ist. Damit meine ich den "beweglichen Teil des Strahlenganges" also den Kondensor, die Leuchtfeldblende und die Position der Blitzröhre. Objektiv-Frontlinse aufwärts lässt sich sowieso nichts justieren (außer der DIK-Schieber). Aber die Zentrierung der Blenden und der Klappline (wer eine hat) muss 100% stimmen, damit die Wellenfronten des Lichtes möglichst homogen das optische System durchwandern. Dies ist beim DIK sehr wichtig. Nur dann wird der Hintergrund homogen und der Kontrast brilliant. Ein sauber durchgekämmtes System bringt auch mehr Licht auf die Sensorebene. Ich kann aus langer Erfahrung sagen, dass jede 10.000stel Sekunde kürzere Brenndauer des Blitzes ein Gewinn ist an Schärfe des Bildes (von beweglichen Objekten). Deshalb habe ich mich vor über 20 Jahren auch für die PlanFluorite von Olympus entschieden. Gegen die Farbreinheit von Apo's kann ich nicht anstinken, aber die Fluorite habe eine höhe Lichtstärke. Das zählt für mich und es scheint zu funktionieren. Jetzt bin ich aber etwas ins schwafeln gekommen! Sorry!

Allen einen schönen Abend!

Martin



WinfriedK

ZitatJetzt bin ich aber etwas ins schwafeln gekommen!

Wenn es doch noch mehr tun würden .. dann könnte man auch schlauer werden.

ZitatIch habe im alten Forum viel darüber geschrieben, ... Leider alles weg.

https://archive.org/

Im Internet-Archiv gibt es die "Way Back Machine", da kann man frühere Versionen von Webseiten hervorholen.

Wenn es nicht automatisch geschehen ist, kann man sich dort dafür anmelden.

Vielleicht interessant für das Mikroskopie-Forum.

Peter V.

Lieber Martin,

ZitatIch habe im alten Forum viel darüber geschrieben, ... Leider alles weg.
Wieso sollte das so sein  ??? Wenn DU nichts gelöscht hast...z.B. die Bilder auf Deinem Webspace, die Du verlinkt hast  ;) Ansonsten ist aber noch alles da. Das "alte Forum" ist in vollem Umfang inhaltlich vorhanden und sogar fehlerfrei durchsuchbar!

http://www.mikroskopie.de/mikforum/

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Posting ist frei von kultureller Aneigung, vegan und wurde CO2-frei erstellt. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Eckhard

#6
Hallo Martin,

bei uns ist es noch kalt und unergiebig :( Wir halten uns mit Cochliopdien aus dem letzten Jahr über Wasser ;)

Besonders die Rhizochrysis Aufnahmen gefallen mir sehr. Wunderbar, dass Du auch den Übergang ist Flagellatenstadium erwischt hast.

Herzliche Grüsse,
Eckhard

Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Martin Kreutz

Liebes Forum,

über eine PM hat mich ein Hinweis erreicht, wo man den Volltext des Artikel von Stosch über das Leukosin finden kann (danke Rainer):

http://link.springer.com/article/10.1007%2FBF00625301?LI=true

@Winfried und Peter: Danke für den Hinweis mit der way back maschine (die müsste es auch im realen Leben auch geben!). Ich habe es noch nicht probiert damit. Ich weiß, dass das alte Forum verfügbar ist. Schaue auch ab und zu hinein. Ich meinte mit meiner Bemerkung, dass alle meine Verknüpfungen zu Bildern und Videos inaktiv sind, weil ich meinen damaligen Provider gekündigt habe. Viele meiner damaligen Beträge sind deshalb etwas "leer" und ohne Bilder oder Video nicht mehr so gut verständlich. Einige Videos oder Beträge von damals habe ich bereits reaktiviert, wie z.B. einen Vergleich von schiefer Beleuchtung zu DIK (http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4344.0, den Gebrauch der Mikropipette (https://www.youtube.com/watch?v=9L2bpAbkls4 und die Microgromia-Jagd (http://www.youtube.com/watch?v=QQiphKg3X4c). Von vielen meiner "Tips" weiß ich auch schon selber nicht mehr, wo sie stehen. Es waren aber auch nicht so viele. Ich habe im alten Forum oft die Werbetrommel gerührt für die Isolierung der Objekte und dünne Schichtdicken. Ich glaube, dass hat sich inzwischen rumgesprochen. Daher habe ich (aus meiner Sicht) praktisch schon alles gesagt, was man für ein gute Mikrofoto braucht.

@Eckhard: Ja, mit Rhizochrysis nobilis hatte ich auch etwas Glück, dass ich gerade in den Tümpel geschaut habe, als eine Massenentwicklung anstand. Sonst hätte man auf der Suche nach einem Flagellenstadium wahrscheinlich viel Zeit verbracht. Mir scheint übrigens, dass "meine" Rhizochrysis identisch ist mit "eurer" Chrysamoeba sp. http://www.penard.de/Stramenopiles/Chrysophyceae/. Ich hatte auch an Chrysamoeba gedacht, aber die angehörigen dieser Gattung erreichen die 25 µm Durchmesser nicht. Außerdem sieht das Flagellenstadium bei Chrysamoeba eher eiförmig aus. Ich bin mir aber keinesfalls sicher. Eher ein Indizienprozess! Was meinst Du?

Schönen Abend!

Martin

Eckhard

Lieber Martin,

Rhizochrysis Pascher 1913 ist ein Synonym für Chrysamoeba Klebs 1892. Da die Beschreibung von Klebs älter ist, hat sie natürlich Vorrang.

Herzliche Grüsse,
Eckhard
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Martin Kreutz

Hallo Eckard,

vielen Dank für diese Info! Das wusste ich nicht. Skuja wohl auch nicht. OK, Chrysamoeba nobilis!

Martin

Peter V.

Hallo,

hier noch ein paar Kreutz'sche Schichtdickenbeiträge:

http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=12.0

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Posting ist frei von kultureller Aneigung, vegan und wurde CO2-frei erstellt. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Martin Kreutz

Danke Peter,

war auch für mich interessant, was ich damals so geschrieben habe. Ich habe die Forumsmitglieder und -mitleser wirklich nicht geschont! Der Ton war damals etwas rauher, aber wenn es nur zu einem besser Mikrofoto geführt hat, ist es vertretbar.

Martin