Taster und kleine Löcher (Teil 3)

Begonnen von Michael Plewka, Juni 17, 2023, 20:07:21 NACHMITTAGS

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Michael Plewka

Hallo zusammen,


Eine weitere Gattung aus der Familie Notommatidae ist  das ,,Einaugen-Rädertier (Monommata):



Nach dem Standard-Bestimmungsbuch für Rädertiere (>>> Koste) unterscheidet  sich in dieser Gattung die Art Monommata  arndtii als einzige Art von den anderen Arten der Gattung durch das Vorhandensein von zwei !!! Dorsaltastern. Im Koste ist dazu auch eine Zeichnung in Dorsoventralansicht gezeigt.



Eine solche Ansicht hat sich mir bei allen!!! bisher gefundenen Monommata-Exemplaren leider wegen des in Teil 2
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=46679.0

dargestellten Sachverhaltes noch nie ergeben, wohl aber sehr viele Seitenansichten.  Ich vermute deshalb,  dass die hier gezeigte  Dorsoventralansicht nach einem  fixierten Tier gezeichnet wurde.

Zur Artbestimmung musste  ich  also bei dieser Gatttung immer alle Seitenansichten  durchfokussieren. In dem folgenden Exemplar
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Monommata%20dentata.html

ließen sich beim Durchfokussieren zwei Dorsaltaster in unterschiedlichen Ebenen feststellen; das Tier  müsste demzufolge also M. arndtii sein:





Das passt aber andererseits nicht zu dem Kauer, der ziemlich eindeutig zu einer anderen  Art : M.dentata passt.  Hier liegt also ein Widerspruch vor:




Möglicherweise besitzen also weitere Monommata-Arten zwei Dorsaltaster statt einem wie bisher angegeben  (was aber bei der zumeist nur seitlichen Lage bei der Beobachtung bisher noch niemandem aufgefallen wäre...)
So viele Rädertier-Beobachter(innen) gibt es ja nicht auf der Welt....



Bei der Gattung Ascomorpha sind die ,,Löcher-Verhältnisse" noch verworrener.

Ascomorpha ovalis hatte ich ja im letzten Jahr schon mal hier vorgestellt.

https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Ascomorpha%20ovalis1.html


Bei dieser Art zeigt die dorsale Platte der Lorica eine Öffnung, vermutlich für die Dorsalantenne, aber sicher ist das nicht:





In der Ventralplatte findet hatte ich dagegen  3 Öffnungen gefunden, so dass sich somit hier die Frage stellt, welche Bewandnis es damit zusätzlichen 3. Loch hat:




Gefunden hatte ich diese Art im Juli 2022 in großer Dichte im Plankton  einer Talsperre, die ich seit mehr als 10 Jahren regelmäßig beprobe.  In einer Probe von Ende Mai 2023 aus dieser Talsperre fand ich Ascomorpha ovalis überhaupt (noch) nicht, stattdessen war die Art  Ascomorpha ecaudis:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Ascomorpha%20ecaudis.html

die häufigste Rädertier-Art im Plankton überhaupt. In einer Probe 10 Tage  später war dann diese Art nicht mehr zu finden; keine der beiden Arten war vorhanden (spannend zu verfolgen, wie sich das Plankton weiterentwickeln wird).

Beide Arten zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Menge Algen aufnehmen können, die dann in dafür eingerichteten Darm-Blindsäcken weiter Fotosynthese machen (Kleptoplasten). Verdaute Nahrungsreste verbleiben in sog. Defäkationsspeichern im Tier, so dass   sind die Tiere sehr undurchsichtig  sind und die Beobachtung feiner Details kaum ohne (letale) Kompression möglich ist.

Die bemerkenswerte Beobachtung solcher  Viecher nach genau der  in Teil 1
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=46680.0

beschriebenen Mazeration ist nun, dass Ascomorpha ecaudis  als einzige bisher beobachtete Rädertier-Art viel mehr  Öffnungen in der Lorica hat (≈20) . Dass diese Öffnungen nicht zufällig sind, zeigt die übereinstimmende Beobachtung verschiedener Exemplare, die deutlich macht, dass linke und rechte Seite ein ähnliches Muster der Lage dieser Öffnungen haben. Weiterhin fällt auf, dass bei mehreren Öffnungen auf einer Seite diejenigen zusätzlichen Strukturen erkennbar sind, die typischerweise bei den Lateraltastern auftreten. Wegen der zuvor genannten schwierigen Beobachtungssituation habe ich bisher im lebendigen Zustand noch keine Lateraltaster bzw, deren Cilien beobachten können, so dass eine Zuordnung zu den Öffnungen derzeit nicht möglich ist.  Ebenso ist (mir) völlig unklar, ob diese vielen Öffnungen möglicherweise eine andere Funktion haben.




Beste Grüße
Michael Plewka



anne

Lieber Michael,
meine Hochachtung!
Ich hoffe Deine Arbeiten werden in Fachkreisen gewürdigt und veröffentlicht.
lg
Anne

Bernd

Hallo Michael,

ein sehr interessanter, aber auch sehr spezieller Beitrag. Außer einigen sehr allgemeinen Überlegungen kann leider nichts Substanzielles beitragen.

Auf Grund des mehr oder weniger symmetrischen Aufbau eines Rädertierkörpers überrascht es mich nicht, daß es Lateraltaster und manchmal auch Dorsaltaster auf der rechten und linken Körperhälfte gibt.  Bei den Dorsaltastern würde  ich dann eine symmetrische Anordnung, also wie bei den Lateraltastern, erwarten.
Bei deiner Ascomorpha ovalis hätte ich erwartet, daß die Öffnung für den Dorsaltaster genau in der Mitte der dorsalen Platte der Lorica liegt. Im Koste ist der Dorsaltaster genau mittig gezeichnet. Das Vieh sollte zwei Ventraltaster haben, wie im Koste beim Männchen gezeichnet. Dem entsprächen bei deinem Foto die zwei mit den Pfeilspitzem markierten Öffnungen. Die dritte Öffnung finde ich sehr merkwürdig, weil sie entweder auf deinem Foto rechts einen Partner haben oder genau in der Mitte liegen sollte.

Bei Notommata contorta gibt es vielleicht wirklich zwei Dorsaltaster, symmetrisch zur Körpermitte gelegen. Das Koste die übersehen habe könnte, würde ich nicht völlig ausschließen. Die Tatsache, daß das Vieh sich beim Quetschen auf die Seite dreht, macht die Untersuchung unnötig schwierig. Wie hat Koste die Dorsalansicht hinbekommen? Fixieren löst das Problem der Drehung ja nicht.

Wie ist eigentlich der eine, zentrale Dorsaltaster entstanden? Durch Verschmelzen eines rechten und eines linken Dorsaltsters?

Viele Grüße
Bernd

SNoK / Stephan Krall

Lieber Michael,

reiche doch so einen substanziellen Beitrag bei der Zeitschrift Mikroskopie ein. Ich glaube, die würden sich freuen.

Grüße
Stephan
Mikroskope: Leica DMRB, Leitz Dialux (beide mit DIK), Lomo MBD-1 ("Für-alle-Fälle-Mikroskop")
Stemis: Zeiss 508, Wild Heerbrugg M5
Kameras: Sony alpha 6500 und 6400
Webseite: https://kralls.de
Vorstellung: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=41749.msg308026#msg308026

Michael Plewka

Hallo zusammen,
vielen Dank für die netten Kommentare!

@ Anne: zumindest sind die hier beschriebenen Beobachtungen zu Ascomorpha neu für diejenigen Rotiferolog(inn)en, die sich u.a. ebenfalls mit den Viechen beschäftigen.

@ Stephan:  .....ist eine Überlegung wert!

@ Bernd: ja, ist wirklich speziell, aber auch sehr verwunderlich, deshab  hier eingestellt. Meine Erwartungen bezüglich Ascomorpha sind ähnlich wie deine.  Ich selbst habe allerdings bisher noch keine Dorsalantenne an lebenden  Viechern dieser Gattung in Dorsoventralansicht gesehen bzw. leider nicht darauf geachtet. 
Da gibt es aber noch etwas weiteres zu beachten:  Bei vielen monogononten Rädertiergattungen ist gar kein Loch in der Lorica für den Dorsaltaster vorhanden. Als Beispiel sei hier eine Keratella gezeigt:




Das Viech ist sehr stark komprimiert, so dass der Kopf und auch der Dorsaltaster aus der Lorica ausgetreten sind. In der Lorica ist aber überhaupt keine Offnung für den Dorsaltaster vorhanden, während  aber im hinteren Teil die Offnungen für die Ventraltaster zu erkennen sind (s. Markierungen). Ähnlich verhält es sich u.a. auch bei den Gattungen  Brachionus  oder Notholca.

Betäubung/ Inaktivierung (z.B. durch Magnesiumchlorid) verhindert das Bewegen  des Tiers.    Dadurch kann die Schichtdicke  hoch sein, ohne dass das Viech wegschwimmt. Möglicherweise wird bei einer btäubten/ fixierten Monommata auch  das Abknicken des Fußes verhindert, so dass das Viech nicht abgewinkelt ist und dann  beim Verschieben des Deckglases  gerollt werden kann.  Muss ich mal ausprobieren....

Zu deiner Frage zitiere ich Remane: "Obwohl die Paarigkeit des Tasters nur bei wenigen Monogononten Rädertieren auftritt, muss sie wohl als ursprüngliches Merkmal für die Rädertiere gewertet werden. Dafür spricht diese häufige Paarigkeit des Nerven bei unpaarem Taster sowie die in der Entwicklung gleich paarige Anlage des Tasters bei Asplanchna. Natürlich kann in Einzelfällen ein paariger Taster  sekundär aus einem unpaaren entstanden sein."