Zeitrafferfilm: Spirogyra-Zelle teilt sich - mehr zur Technik

Begonnen von bewie, April 13, 2012, 12:09:30 NACHMITTAGS

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Monsti

Lieber Bernd,

die ganze Zeit frage ich mich, wie Du den Wasserfilm unter dem Deckglas einigermaßen stabil halten konntest, ohne dass sich die Position des Spirogyra-Fadens veränderte. Gibt's da einen Trick? Die andere Frage: Woran hattest Du erkannt, dass sich die Zelle demnächst teilen wird? Diese Teilung scheint ja auch irgendwo mitten im Faden stattgefunden zu haben. Hattest Du einfach auf gut Glück einige Sequenzen hergestellt, um schließlich genau diesen Prozess zu erwischen? Und überhaupt: Wie bist Du auf die Idee gekommen, eine Zellteilung in Sequenzen aufzunehmen? Hattest Du vorab schon Kenntnisse Geschwindigkeit des Vorgangs?

Es interessiert mich vor allem deshalb, weil ich auf ähnliche Art schon seit längerem die Zellteilung bzw. den Schalenaufbau zuvor bei Testaceen verfolgen möchte. Ferry sagte mir, das sei eine Sache von ca. einer halben Stunde.

Und nochmals: Es ist fantastisch, was Du uns zeigst, dazu auch noch in so perfekter Weise!

Herzliche Grüße
Angie

Gabriele

Herzliche Grüße

Gabriele

bewie

#17
Hallo Mikrofreunde,

vielen Dank für das Lob und das Interesse an dem Filmchen, das mich sehr gefreut hat.

Angie und Timm haben die Knackpunkte erfasst: Das Präparat muss abgedichtet werden.

Es kann dauern, bis sich eine Alge teilt. Man kann zwar schon anhand der Zellgröße und anderer Parameter abschätzen, ob das bald zu erwarten ist, aber eine absolute Prognose ist damit - wie immer in den Life Sciences - nicht möglich. Deshalb muss man sich darauf einstellen, von einer Zelle notfalls auch mal einige Tage lang Standbilder zu machen. Bis ich diese Sequenz im Kasten hatte, sind vier Tage vergangen und ich habe mehr als 10.000 Standbilder verworfen - von genau dieser Zelle.

Nun zum Abdichten: Ich arbeite nach der Methode, die Baum schon vor über 70 Jahren beschrieben hat (Mikrokosmos  32 [1938/1939], S. 185): Tümpelpräparat wie üblich herstellen, warten, bis der Wasserfilm am Rand des Deckgläschens getrocknet, aber noch keine Luft unter das Deckglas eingedrungen ist, dann die Deckglasränder mit Vaseline verschließen. Algen, viele Ziliaten und auch Mehrzeller wie Rädertiere bleiben laut Baum zum Teil viele Wochen lang in einem solchen Mikroaquarium aktiv, manche vermehren sich auch - wie beispielsweise Spirogyra und auch die kleinen Ziliaten, die man in dem Film nicht klar erkennt, die aber in großer Zahl als Schatten durchs Bild huschen. In den neunziger Jahren wurden zwar auch Methoden mit dünnem Doppelklebeband veröffentlicht, aber damit bin ich nicht glücklich geworden. Sie werden nie ganz dicht und ziehen irgendwann doch Luft. Sie sind auch garnicht für hermetisch abgeschlossene Präparate konzipiert.
So viel zum Abdichten. Bleibt im konkreten Fall noch ein zweites Problem: Spirogyra-Fäden sind auch bei ruhigen Wasserverhältnissen sehr unruhig und wandern gerne davon. Ich nehme an, dass dies bei Spirogyra - im Gegensatz zu Kieselalgen odere Oszillatoria - keine echte aktive Bewegung ist, sondern sich vielmehr die Fäden infolge des Längenwachstums nach außen krümmen. Aber vielleicht weiß jemand anders im Forum zur Beweglichkeit von Spirogyra noch mehr? In jedem Fall wandern sie oft seitlich aus dem Bild heraus.

Es gibt also vor allem zwei Situation in den Standbildsequenzen: Entweder die Alge teilt sich, wenn man gerade nicht hinschaut und ist dann auch schon weit über den Bildrand hinausgewandert - die Sequenz zeigt also vor allem klares Wasser. Das ist der häufigste Fall. Oder sie bleibt ruhig liegen und teilt sich nicht; dann muss man halt abwarten und hoffen, dass sie sich doch noch verdoppelt. Wenn man dafür sorgt, dass einiger Detritus im Präparat ist, der ein bisschen an Objektträger oder Deckgläschen haftet und damit auch die Algenfäden festhält, ist die Chance, dass die Alge vor der Teilung nicht auswandert, etwas größer. Aber es ist auch dann immer noch einige Geduld nötig, bis man eine Teilung im Kasten hat.

@ Detlef: Vielen Dank für die Erklärungen zur Zytophysiologie. Ich war mir nicht sicher, ob man hier wirklich den Spindelapparat sieht, oder ob es Zytoplasmafäden der auseinandergezogenen Kerntaschen sind. Aber wenn Du es auch für den Spindelapparat hälst, sind wir ja schon zwei ...

Herzliche Grüße
Bernd Wiedemann

Ronald Schulte

Bernd,

Einfach fantastisch um die Teilung zu beobachten!

Beste Grüße, Ronald
Mikroskope:
Leitz Orthoplan (DL, AL-Fluoreszenz und Diskussionseinrichtung).
Leica/Wild M715 Stereomikroskop.
Mikrotom:
LKB 2218 Historange Rotationsmikrotom.

Detlef Kramer

Lieber Bernd,

mich hat die sprudelnde Aktivität auf beiden Seiten der neuen Zellwand, Stichwort "Phagmoplast", mindestens genau so begeistert.

Dass man die Spindelfasern m.E. während der Anaphase erkennen kann, liegt wohl daran, dass hier wirklich dicke Bündel von Mikrotubuli streng parallel angeordnet sind. Möglicherweise spielt hier auch noch ein polarisationsoptischer Effekt des DIC direkt oder indirekt eine Rolle.

Herzliche Grüße
Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

Vorstellung: Hier klicken

bewie

Hallo Angie,

sorry, eines habe ich vorhin noch vergessen: Du hattest nach der Geschwindigkeit gefragt. Ich bin davon ausgegangen, dass der Teilungsprozess insgesamt maximal eine Stunde dauert, daher der Frame-Abstand von 10 Sekunden. Letztlich kommt es aber darauf an, was man möglichst genau erfassen will. Wollte man die eigentliche Kernteilung genauer dokumentieren, müsste man sicherlich zeitlich deutlich höher auflösen, also beispielsweise ein Bild pro Sekunde machen. Denn die Anaphase läuft ja innerhalb von Minuten ab. Mit einem kürzeren Frameabstand könnte man sicherlich auch die Arbeit des Phragmoplasten besser dokumentieren - in der vorliegenden Aufnahme wirkt sie ja eher etwas wirbelartig. Das sieht zwar auch eindrucksvoll aus, aber Details erkennt man halt nicht.

Mich werden solche Projekte sicherlich noch lange beschäftigen. Dumm ist nur eines: Weil man die Aufnahmen nicht exakt terminieren kann, ist das Mikroskop jedesmal eine ganze Weile blockiert, bis man eine brauchbare Sequenz hat.

Beste Grüße
Bernd Wiedemann

Jürgen Ibs

Hallo Bernd,

ganz phantastische Bilder, wirklich Lehrfilmreif. Vielen Dank für deine nicht unerheblichen Mühen.

Eine Frage: Ich habe es so noch nicht beobachten können. Man liest (z.B. im Kosmos Algenführer meine ich), dass solche Teilungen oft um Mitternacht oder zumindest in nächtlicher Zeit stattfinden, wenn Mikroskopiker wie ich schon längst vor dem Mikroskop eingeschlafen sind. Stimmt die Zeitangabe für Spirogyra? Kannst du zur Zeit der Teilungen etwas sagen?

Grüße

Jürgen

PS: Vielleicht habe ich die Zeitangabe in meiner Begeisterung ja auch übersehen.
Ein freundschaftliches "du" ist immer willkommen - nicht nur dadurch ist das benachbarte Skandinavien vorbildlich.

Meine Vorstellung:
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34.0

bewie

Hallo Jürgen,

Zitat... dass solche Teilungen oft um Mitternacht oder zumindest in nächtlicher Zeit stattfinden, wenn Mikroskopiker wie ich schon längst vor dem Mikroskop eingeschlafen sind. Stimmt die Zeitangabe für Spirogyra? Kannst du zur Zeit der Teilungen etwas sagen?

Bei frisch hergestellten Präparaten haben sich die Fadenalgen durchweg nach Mitternacht geteilt, was aber nicht auf dem Film war, weil sie vorher weggewandert sind. Wie Du siehst, geht's mir wie Dir: Wenn Spirogyra aktiv wird, schlafe ich schon und justiere nicht am Mikroskop.

Wenn das Präparat aber schon einige Tage im Dauer-LED-Licht des Mikroskops liegt, dann verschiebt sich offenbar der bekannte zirkadiane Rhythmus; die Alge im Film hat sich am Nachmittag zur Tea-Time geteilt. Unter Dauerlicht verändern sich viele zirkadianen Rhythmen der Algen, das ist ausführlich untersucht und in der Literatur beschrieben. Und zu Spirogyra ist im Mikroskosmos von 1919 die kurze Mitteilung zu finden, dass Dauerbeleuchtung die Teilung sogar ganz verhindert - aber davon gibt es offenbar Ausnahmen, sonst hätte ich den Film hier nicht zeigen können ;).

Herzliche Grüße
Bernd Wiedemann

Monsti

Hallo Bernd,

vielen Dank für die interessanten Ergänzungen. Das alles ist unglaublich spannend.

Liebe Grüße
Angie

Jürgen Ibs

Lieber Bernd,

herzlichen Dank für die Auskünfte. Ein spannendes Projekt, dass ich mir demnächst einmal vornehmen werde.

Grüße

Jürgen
Ein freundschaftliches "du" ist immer willkommen - nicht nur dadurch ist das benachbarte Skandinavien vorbildlich.

Meine Vorstellung:
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34.0

Tausendblatt

Hallo Bernd,

Glückwunsch zu dem tollen Film!!!
Ein echtes Aha-Erlebniss. :-)

Beste Grüße

Jens

Oecoprotonucli

Zitat von: bewie in April 15, 2012, 13:52:35 NACHMITTAGS

Wenn das Präparat aber schon einige Tage im Dauer-LED-Licht des Mikroskops liegt, dann verschiebt sich offenbar der bekannte zirkadiane Rhythmus; die Alge im Film hat sich am Nachmittag zur Tea-Time geteilt. Unter Dauerlicht verändern sich viele zirkadianen Rhythmen der Algen, das ist ausführlich untersucht und in der Literatur beschrieben. Und zu Spirogyra ist im Mikroskosmos von 1919 die kurze Mitteilung zu finden, dass Dauerbeleuchtung die Teilung sogar ganz verhindert - aber davon gibt es offenbar Ausnahmen, sonst hätte ich den Film hier nicht zeigen können ;).

Toller Film, Danke fürs Zeigen! Umso mehr, daß ich Zeitraffer für Zellteilungen einfach super aufschlußreich finde und das vor langer Zeit auch schon mal unter ziemlich abenteuerlichen Bedingungen ausprobiert habe, damals noch mit einem ausgeliehenen Videorecorder (den ich mir eben leider nur kurz ausleihen konnte).

Darf ich fragen, mit welcher Technik man so etwas heute macht? Das dürfte evtl. Dank Digitaltechnik etwas einfacher und billiger geworden sein oder eher nicht?

Wird die Spirogyra-Zelle in ihrer Größe erst einmal geteilt und wächst dann später in der Länge oder habe ich da nur etwas nicht gesehen?

Was die Beleuchtung betrifft, könnte man ja evtl. noch versuchen, für jedes Bild eine synchrone Kurzzeitbeleuchtung zu schalten. Wäre aber bestimmt ziemlich aufwendig und wer weiß, wie Spirogyra dann darauf (eine Art Stroboskoplicht) reagieren würde...

Viele Grüße

Sebastian
Ich benutze privat:
Leitz SM-Lux mit (LED-) Durchlicht und Phaco-Ausrüstung (ca. 1975-77)
Hensoldt Wetzlar Stereomikroskop DIAMAL (1950er Jahre)

42

Hallo Bernd,

steuerst Du die Kamera mit dem Computer an oder wie realisierst du diesen Aufnahmen?

MfG
Christian

bewie

Hallo Mikrofilmer,

freut mich, dass das Interesse an Zeitrafferfilmen so groß ist! Daher wunschgemäß auch noch ein paar Worte zur Aufnahmetechnik:

Ich habe hier ein DFK 72 von Imaging Source verwendet. Diese USB-Kamera hat zwar eine eher schlechte Farbwiedergabe, bei Standbildern kommt sie nicht mal annähernd an das ran, was man aus dem RAW-Format einer SLR oder spiegellose Systemkamera herausholen kann. Aber bei Filmen kommt es nicht ganz so stark auf die Farbwiedergabe des Einzelframes an und die DFK 72 ist für Zeitrafferaufnahmen hervorragend zu handlen. Man stellt mit der mitgelieferten Software die Aufnahmeparameter und den Timer am Computer ein, und die Kamera speichert Bild für Bild ab, stundenlang, wenn es sein muss, auch tagelang. Und das ohne mechanischen Verschluss und Spiegelschlag, so dass es keinerlei Wackelprobleme gibt.

Zur Dauerbeleuchtung: Es wäre sicherlich kein großes Problem, Schaltungen für intermittierende Beleuchtung zu basteln. Für die DFK 72 müsste man dann allerdings ein eigenes Programm entwickeln, um den Kamera-Timer mit einem externen Schalter zu synchronisieren. Ich habe mich darum noch nicht gekümmert, aber ich glaube, die Firma liefert auch Treiber, so dass die Entwicklung eigener Lösungen möglich sein sollte.

Natürlich kann man auch eine SLR verwenden und blitzen; timergesteuerte Auslöser gibt es heutzutage ja schon für recht wenig Geld. Ich habe vor einiger Zeit mal einen solchen Versuch mit einer Molch-Eizelle gemacht (und auch hier gezeigt; unten das Filmchen nochmals zur Erinnerung). Ich war nicht zufrieden, weil - von anderen Unzulänglichkeiten mal abgesehen - die Belichtungssteuerung Probleme gemacht hat und der Blitz immer wieder mal zu dunkel war, so dass der Film unnötig flackert. Damals habe ich diese Richtung nicht weiter verfolgt, aber die Methode lässt sich sicher optimieren; vielleicht gehe ich demnächst mal wieder ran. Voraussetzung ist natürlich ein Netzteil für den Blitz, sonst zeigt der hintere Teil des Films nur tiefe Nacht.

Hier nochmals der Molchei-Film:

http://www.bewie.de/images/01_Flash_SWF/Molchei01.swf

Falls es noch weitere Fragen gibt, bitte keine Hemmungen - ich beantworte sie gerne, soweit ich das kann und freue mich schon auf die Filme, die es demnächst zu sehen gibt!

Mikrogrüße
Bernd Wiedemann

Oecoprotonucli

Hallo Bernd, vielen Dank für die Erklärungen, ja genau so etwas Entwicklungsbiologisches war es bei mir auch!

Ich bin hochinteressiert an solchem Equipment, muß mir das aber wohl noch alles verkneifen, sieht finanziell einfach schlecht aus bei mir, habe nicht mal ein richtiges Mikroskop, nur eine alte Stereolupe, bei der eine Kameraadaptation vermutlich nicht so einfach wäre. Vielleicht ließe sich da was mit so einer einsteckbaren Okularkamera oder so machen (erst einmal für einfachste Fotos, damit man überhaupt etwas dokumentieren kann - bin gerne gierig auf Tips...). Andererseits tue ich mich schwer mit Geld ausgeben für "weniger niveauvolle Dinge", weil ich dann immer denke, daß ich mich später ärgere und mir sage "Das Geld hättest Du gleich für was Besseres zurücklegen sollen..." aber dieses Verschieben auf später kann auch ewig dauern und dann hat man gar nichts... Dennoch sammle ich erst mal Infos, was so alles machbar wäre...
Ich benutze privat:
Leitz SM-Lux mit (LED-) Durchlicht und Phaco-Ausrüstung (ca. 1975-77)
Hensoldt Wetzlar Stereomikroskop DIAMAL (1950er Jahre)