Unbekanntes Material aus einem merowingischen Grab

Begonnen von Archäonerd, Februar 05, 2013, 15:14:58 NACHMITTAGS

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Archäonerd

Hallo zusammen!

Wir bräuchten Hilfe bei der Bestimmung folgender uns unbekannter Substanz. Es handelt sich um eine faserige Substanz, die auf einem Metallobjekt aus einem frühmittelalterlichen Grab anhaftet.  Vom archäologschen Kontext gingen wir davon aus, das es sich um Bestandteile der Tracht handelt. Zur Bestimmung der Substanz anhand der morphologischen Eigenschaften wurden REM-Bilder angefertigt. Diese regelmäßigen Strukturen der linienförmigen Gebilde konnten wir nicht den gängigen Materialien (z. B. Bastfasern, Wolle, Federn...) zuordnen. Hat jemand so etwas schon gesehen oder eine Idee um was es sich dabei handeln könnte?









JB

Hallo,

Muskelfasern sind das nicht? Die Breite der Sacromeren kaeme mit 1.5 um hin.

Beste Gruesse,

Jon

Archäonerd

Hallo Jon,

das klingt sehr interessant. Es könnte sich schon um mumifizierte Rückstände handeln. Gibts hierzu enventuell vergleichbares Bildmaterial?

Vielen lieben Dank...

wilfried48

vorzugsweise per Du

Hobbymikroskope:
Zeiss Axiophot,  AL/DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Axiovert 35, DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Universal Pol,  AL/DL
Zeiss Stemi 2000 C
Nikon Labo-/Optiphot mit CF ELWD Objektiven

Sammlung Zeiss Mikroskope
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=107.0

purkinje


Archäonerd

Hallo und vielen Dank für euer Interesse!
Uns stört bei der Idee, dass es sich um Muskelfasern handeln könnte, die bei unseren Fasern auffällige Rasterung der Oberfläche. Die Querstreifung wie bei Muskelfasern ist zwar sehr auffällig, trotzdem ist bei unseren Fasern noch eine zusätzliche Längsstreifung vorhanden. Kann es sich trotz der Längsstreifung um Muskelfasern handeln?

LG Archäonerd

purkinje

Hallo,
die Fundstücke sind wahrscheinlich sehr klein, aber zur "Diagnosesicherung könnte ein winziges Stückchen (möglichst ohne das Bindegewebe) lichtmikroskopisch betrachtet weiterhelfen.

Archäonerd

Liebe(r) purkinje,
Bei unseren Proben handelt es sich um archäologisches Material , das nur durch seine jahrhunderte lange Lagerung (1500 Jahre) im Erdreich unter der Einwirkung von Metallionen aus der Erde und den umliegenden Grabbeigaben, erhalten ist. Diese Fasern sind nahezu vollständig mineralisiert. Daher kann man oft nur mehr anhand der Morphologie Rückschlüsse ziehen. Hier mal zur Veranschaulichung ein Stereomikro-Foto:


Substanz auf Grabbeigabe im trockenen Zustand

Alfons Renz

#8
Hallo "Archäonerd",

Von der Oberflächenstruktur erinnert das Objekt an die Cuticula von Nematoden, was auch hinsichtlich der Größe ganz gut passen könnte. Zur Überprüfung dieser Hypothese müssten Sie auf zwei Kriterien auchten:

- Es müsste ein eher rundes Vorderende und ein spitz auslaufenden Hinterende zu erkennen sein.
- Im Querschnitt (im erstes Bild rechts) müsste bei Aufsicht die charakteristische Anatomie der Nematoden zu erkennen sein: Die äußere Cuticula, darunter die Hypodermis (schlecht erhaltbar) und im Lumen der Darm sowie 1 bis mehrere im Querschnitt runde Uteri beim Weibchen (ev. mit Eiern oder Embryonen gefüllt) und ein Testis beim Männchen.

Ihr makroskopischisches Bild würde gut zu einer Ansammlung von "Würmern" in einer sich zersetzenden Grabbeigabe (Speise?) passen. Allerdings wäre die Erhaltung spektakulär, aber angesichts einer Fixierung durch Metallionen und Mineralisation nicht abwegig.

Mit herzlichen Mikroskopiker-Grüßen,

   Alfons

JB

Hallo,

Die Idee mit den Nematoden gefaellt mir. Durch den Gehalt an widerstandsfaehigem, quervernetzem Protein ist es auch viel wahrscheinlicher das es erhalten bleibt; im Gegensatz zu Muskelfasern.

Sie koennen das Material ja einmal hiermit vergleichen:
http://www.wormbook.org/chapters/www_cuticle/cuticle.html
http://www.intechopen.com/books/scanning-electron-microscopy/study-of-helminth-parasites-of-amphibians-by-scanning-electron-microscopy

Wie Alfons schon schrieb lassen sich vielleicht noch Eihuellen finden, die ebenfalls sehr langlebig sind.

Mit freundlichen Gruessen,

Jon

purkinje

#10
Hallo Archäonerd

es ist mir schon klar, dass es sich nicht um eine feucht-mumifizierte Substanz handelt und diese mineralisiert sein wird! Ich weiß aber trotzdem nicht was gegen eine andere Methode der Betrachtung sprechen würde- aber vieleicht haben Sie dies längst ohne Resultat unternommen.
Längsstreifung und die Rasterung sehe ich jetzt noch nicht im Widerspruch zur Muskelthese.

Zum Vergleich bieten sich die frei zugänglichen Abbildung aus
<a href="http://www.comprehensivephysiology.com/WileyCDA/CompPhysArticle/refId-cp100101.html">Ishikawa et al. (1983), Surface and Internal Morphology of Skeletal Muscle</a> an.
Es dürfte nicht allzu viele Veröffentlichungen zu Muskel-Oberflächenmerkmalen geben, vielleicht hilft es Ihnen ja weiter ;)

Beste Grüße Stefan (steht zwar auch unten wird halt gern übersehen) :)

Archäonerd

Vielen Dank für die Hinweise, dass es sich um Nematoden handeln könnte. Wir haben uns das Material nochmals unter dem Stereomikroskop angeschaut und teilweise auslaufende runde Enden feststellen können. Bis jetzt haben wir noch keine verdickten Enden oder Eier entdeckt. Es liegt jedoch noch ungesichtetes Material vor.
Glauben Sie eine genaue Artenbestimmung würde uns Informationen über Krankheiten oder Gewohnheiten des Verstorbenen geben? Wir hatten in einigen Gräbern schon öfters entomologische Befunde von leichenbesiedelnden Insekten (Larvenhüllen) die uns mit Expertenhilfe Aufschluss über die Grablegung gaben. Für uns wäre es demnach interessant, ob diese Art von Fadenwurm leichenbesiedelnd ist oder beispielsweise nur cellulosehhaltige Nahrung aufnimmt. Auch wäre es interessant, ob die Verbreitung dieser Würmer zu dieser Zeit eine Gefahr für die Gesellschaft darstellte.

Liebe Grüße
der Archäonerd

Archäonerd

Lieber Stefan,

danke für das REM-Bild. Grundsätzlich ist es nicht abwägig, dass es sich um Muskelfasern handelt, trotz der fehlenden Längslinien. Die Wurmthese finden wir plausibler, da die äußerste Schicht der Haut aus einem ceratinartigen, beständigeren Material besteht, welches auf das gesamte Verfallsstadium des Grabes besser zutreffen würde.

LG Archäonerd

Alfons Renz

#13
Hallo Archäonerd,

  Es wird spannend, falls sich die Nematoden-Hypthese bestätigen sollte! Es dürfte sich dabei kaum um Parasiten des Menschen handeln (Ascaris, Enterobius z.B.), da diese im Darm liegen und bei der Verwesung sehr wahrscheinlich zerfallen würden, es sei denn, man hatte die Eingeweide separat beigesetzt. Auch angesichts der Größe - nach dem Makrofoto nur wenige Millimeter - kommt Ascaris kaum in Frage, allenfalls Enterobius oder Toxocara, wobei Letzterer im Hunde- und Katzendarm zu finden wäre. Durch Googeln erhält man genügend Bilder dieser Eingeweidenematoden, die bei Massenbefall sogar den Darm verstopfen können und so - bei Kleinkindern - zum Tode führen können. Diese Bilder ähneln frappant Ihrem Befund!

  Hinsichtlich der Nematoden-Cuticula kann ich ein paar Bilder aus der eigenen Arbeit zeigen (Die REM-Aufnahmen stammen von Dr. Martin Franz, damals am BNI in Hamburg): Es sind dies die Dritten Larven von Onchocerca volvulus, einem gewebebewohnenden Fadenwurm aus Afrika. Die Dritten Larven entwickeln sich in Kriebelmücken und sind ca. 630 µm lang.



Die Dritten Larven, jeweils ca. 630 µm lang, zur Demonstration der Körperform, wobei das Hinterende eher untypisch plump gerundet ist. Bei den meisten adulten Nematoden läuft das Hinterende beim Weibchen spitz aus oder trägt, beim Männchen,  seitlich zwei spitze Spicula, die von einer tellerförmigen Hautausstülpung umgeben sein können.



Das Vorderende zeigt Amphiden und Papillen um die Mundöffnung (Maßstab 1 µm)



Die Cuticula der Körpermitte trägt charakteristische Muster mit dichtotomer Verzweigung, wie sie auch auf Ihren Bildern zu sehen sind.

Ob diese doch recht eindrucksvollen Ähnlichkeiten die Diagnose: Nematoden bestätigen können? Ich meine, Sie sollten gezielt nach den Vorder- und Hinterenden dieser 'Würmer' suchen.

Und: Liegen diese 'Würmer' im Körper der Leiche, daneben oder in einer separaten Grabbeilage? Meine Vermutung ginge in Richtung Grabbeilage (Speiserest) und saprobionte Nematoden - davon gibt es eine Menge!

  Mit freundlichen Mikroskopiker-Grüßen,

  Alfons Renz

  p.s. Es hat sich in diesem Forum sehr bewährt, seinen Namen im Klartext zu verwenden, speziell wenn es sich um fachtypische Fragen handelt.

purkinje

Hallo,
bei der Zusammenschau der Befunde wird man schon schlauer
Zitat von: Archäonerd in Februar 07, 2013, 11:35:25 VORMITTAG
da die äußerste Schicht der Haut aus einem ceratinartigen, beständigeren Material besteht, welches auf das gesamte Verfallsstadium des Grabes besser zutreffen würde.
ist natürlich das K-O jeder "Muskelhypothese"  ;)
Viel Glück bei der Fadenwurmfahndung