Der Lebenszyklus von Sphaerophrya parurolepti

Begonnen von Martin Kreutz, Mai 14, 2014, 18:37:52 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

vor einigen Monaten hatte ich eine Wiederbegegnung mit einem sehr interessanten Sauginfusor. Es handelt sich um den parasitisch lebenden Suktor Sphaerophrya paruroleptis. Diese Art wurde erst 1980 von Foissner erstellt und beschrieben:

Foissner, W. (1980): Taxonomische Studien über die Ciliaten des Großglocknergebietes (Hohe Tauern, Österreich) IV. Familien Spathidiidae, Podophryidae und Urnulidae.- Verh. zool.-bot. Ges. Wien, 118/119, 97–112.

Obwohl Matthes die parasitisch lebenden Suktorien schon gründlich beackert hatte, wurde diese Art bis 1980 offensichtlich übersehen, da sie wirtsspezifisch ist und exklusiv nur Paruroleptus caudatus befällt.

Matthes, D. (1971): Parasitische Suktorien. Zool. Anz. 186, 272-291.

Abgesehen von der Originalbeschreibung durch Foissner, konnte ich praktisch keine weiteren Beiträge oder Fotos zu Beobachtungen an dieser Art finden. Insbesondere zum Lebenszyklus von Sphaerophrya parurolepti scheint mir die Datenlage quasi Null zu sein. Ich hatte schon im September 2000 und im Mai 2007 das Glück Sphaerophrya parurolepti beobachten zu können und habe zusammen mit den Aufnahmen von Januar 2014 den Lebenszyklus fast vollständig festhalten können.

Der Wirt Paruroleptus caudatus ist ein recht häufiger, hypotricher  Ciliat in meinem bevorzugten Fundort Simmelried. In älteren Proben siedelt er sich oft in kleinen Kolonien von 10-30 Exemplaren an der Wandung der Probengefäße an. Er baut Gallertgehäuse, in denen die Exemplare sitzen und Nahrung herbeistrudeln. Die Exemplare von Paruroleptus caudatus in meiner Population waren stets 200 – 220 µm lang, besaßen Zoochlorellen und hatten einen 4 teiligen Makronukleus:




Betrachtet man die Exemplare in einer solchen Kolonie genauer, entdeckt man immer wieder Exemplare, welche scheinbar einen kugeligen ,,Klumpen" in der Nähe des Peristoms sitzen haben. Es handelt sich hier um den festgesetzten Schwärmer von Sphaerophrya parurolepti.



PA = Parasit (= Sphaerophrya parurolepti)  

Man könnte nun meinen, der Suktor wartet in dieser Position darauf, von Paruroleptus wie ein Nahrungspartikel eingestrudelt zu werden, um so in den Wirt zu gelangen. Dem ist jedoch nicht so! Statt dessen heftet sich der Parasit mit seinen kurzen, schwer sichtbaren Tentakeln dorsal oder lateral in der Nähe der Mundöffnung auf Paruroleptus caudatus fest. Hier beginnt nun ein Schauspiel, welches streckenweise an den Film ,,Alien" erinnert.  Der Parasit bewirkt durch einen bisher unbekannten Mechanismus, dass sich die Pellikula des Wirtes zu einer Kavität einsenkt, so weit, dass sich der Suktor scheinbar im Inneren des Wirtes befindet:




PA = Parasit
KAV = Kavität
KV = kontraktile Vakuole
MA = Makronukleus

Die Abmessungen der parasitischen Zellen in frisch befallenen Exemplaren konnte ich mit 35 – 36 X 20 – 24 µm bestimmen, was mit den Angaben von Foissner (35 – 45 µm) übereinstimmt. In gequetschten Exemplaren erkennt man den zentralen Makronukleus und die peripher lokalisierte KV. Den Mikronukleus konnte ich nicht erkennen, der sich nach Foissner in einer granulären Schicht befinden soll, die dem Makronukleus aufliegt.  

Untersucht man die Oberfläche von Paruroleptus caudatus genau, so findet man erstaunlicher Weise ,,Löcher" mit einem Durchmesser von ca. 15 µm in der Pellikula, um die herum die Cilienreihen verlaufen. Fokussiert man in die ,,Löcher" hinein, erkennt man darin Sphaerophrya parurolepti liegen:




 
PA = Parasit
OE = Öffnung
WR = Wimpernreihen (= Kineten)

Auch wenn es den Anschein hat, der Parasit würde sich in der Zelle befinden (endoparasitisch), sitzt Sphaerophrya parurolepti eigentlich immer noch außen auf der Pellikula (ektoparasitisch), weil sich diese flaschenförmig eingesenkt hat und der Parasit gut geschützt praktisch ,,auf dem Boden der Flasche" sitzt. Nach außen verbindet ihn der ,,Flaschenhals" mit der Außenwelt, was als ,,Loch" in der Pellikula zu sehen ist. Sphaerophrya parurolepti ist also ein Ektoparasit.

Um zu erkennen, was in dieser ,,Flasche" passiert, muss man befallene Exemplare quetschen, damit die Parasiten besser zu erkennen bzw. freigelegt werden. Im Wirt beginnt Spaerophrya einen schnellen Teilungszyklus, so dass oft Teilungszustände zu finden sind:




CHR = Chromosomen
MA = Makronukleus
KV = kontraktile Vakuole
PA = Parasit

Während des Teilungszyklus reduziert sich die Zellgröße auf ca. 23-27 X 15 -21 µm. Die Nahrung zieht Sphaerophrya parurolepti mit seinen kurzen Tentakeln direkt aus dem Wirt ab. Die Tentakel sind nur schwer zu erkennen:



TEN =Tentakel

Mit wachsender Zahl an Parasiten wird die Wirtzelle immer mehr ausgelaugt. Alle Vorratsstoffe des Wirtes werden verbraucht. Schließlich baut Paruroleptus caudatus sogar alle Zoochlorellen ab bis schließlich nur noch eine leere Hülle verbleibt. Liefert der Wirt keine Nährstoffe mehr, stellt der Parasit die Zellteilungen ein und die Umwandlung in Schwärmer beginnt. Bis dahin können sich nach meinen Beobachtungen bis zu 12 Parasiten pro Wirtszelle gebildet haben. Die Parasiten beginnen nun Cilien auszubilden, weshalb die Suktorien zu den Ciliaten gezählt werden. Zuerst sind die Zellen noch abgerundet um sich dann aber zu strecken und die ca. 33 -38 µm langen, ovalen Schwärmer zu bilden. Diese sind mit Tentakeln an Vorder- und Hinterende ausgestattet zu sein. Die Ausbildung der Bewimperung konnte ich nicht genau erkennen. Sie schien mir jedoch ,,holotrich" zu sein. Diese verlassen schließlich den Wirt über die ursprüngliche ,,Flaschenöffnung" oder weil dieser komplett zerfällt um einen neuen Zyklus zu beginnen:





SW = Schwärmer
TE = Tentakel

Parasit-Wirt-Beziehungen unter Einzellern finde ich ausgesprochen spannend. Leider ergibt sich nur selten die Gelegenheit, die ganze ,,Story" am Stück zu sehen. Aber um so etwas mal live zu sehen, lohnen sich auch 14 Jahre Wartezeit!

Viel Spass beim anschauen und allen einen schönen Abend!

Martin

Kambiz

Hallo Martin,

das war/ist sehr interessant!
Vielen Dank für den Beitrag.

Gruß
Kambiz

Thomas M

Hallo Martin,

vielen Dank für den spannenden Bericht mit den vielen tollen Bildern. Die wechselseitigen Beziehungen im Bereich Parasitismus und Symbiose beeindrucken mich immer aufs Neue und sind offensichtlich auch in der Mikrowelt erstaunlich komplex.

Hochinteressant finde ich ja den Vorgang, den Du im Eingangsteil beschreibst, dass nämlich der Parasit aktiv die Ausbildung der Kavität forciert ("Wohnungsbau").

Kennt man sowas auch aus anderen Bereichen der Mikrowelt?

Herzliche Grüße
Thomas

reblaus

Hallo Martin -

Wahnsinn!

Das erinnert mich etwas an die Haustorien von echten Mehltaupilzen, welche im lichtmikroskopischen Bild die Epidermiszellen anzubohren scheinen, zumal sie in der Zelle eine bäumchenartige Struktur ausbilden. Mit dem Elektronenmikroskop sieht man jedoch, dass tatsächlich nur die Zellwand angebohrt wird - der Protoplast wird nur auf komplizierte Weise invaginiert, sodass die Wirtszelle am Leben bleibt und den Parasiten aus der Umgebung versorgen kann.

Viele Grüße und ich freue mich auf weitere tolle Bilder!

Rolf

Eckhard

Hallo Martin,

Klasse Beitrag! Wohl dem, der seine Fotos gut archiviert hat. Sind mehr parasitische Suktoren auf eine Wirtsart festgelegt?

Herzliche Grüsse,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Martin Kreutz

Hallo zusammen!

@Thomas: Ich finde den Vorgang der Kavitätsbildung auch sehr interessant und dass der Wirt diesen Vorgang auch nicht mehr rückgängig machen kann. Aus anderen Bereichen der Mikrowelt fällt mir ad hoc kein weiterer Fall ein. Das einzige, was ich dazu noch sagen kann, ist, dass die Suktoria von ihrer Historie schon "Membranspezialisten" sind. Immerhin haben sie einen Mechanismus entwickelt, um andere Ciliaten anzuzapfen, ohne dass diese platzen. Der Suktor stellt also offensichtlich eine funktionierende Membranbrücke zwischen dem Opfer und sich selbst her. Solchen Organismen traue ich auch noch mehr zu.


@Eckard: Mit der Archivierung hast Du einen empfindlichen Nerv getroffen. Bei meinen vielen tausend Mikrofotos habe ich tatsächlich etwas gebraucht, um alles zusammenzukratzen, weil es teilweise auch falsch bestimmt war. Das macht die Wiederfindung dann zum Geduldsspiel. Ja, meines Wissens gibt es weitere parasitische Suktorien, die wirtsspezifisch sind. Einer ist Sphaerophrya stentori, der Stentor befällt und den ich auch schon selbst beobachten konnte. Dann ist mir noch Sphaerophrya insolalita bekannt, der Bursaria truncata befällt und Sphaerophrya epizoica (auf Vorticella), Sphaerophrya pusilla (auf Oxytrichia) und Sphaerophrya canelli (auf Euplotes). Alles Ektoparasiten. Es gibt sicher noch mehr, die ich nicht kenne oder die noch nicht entdeckt wurden. Der Nachweis der Wirtsspezifität gelingt eigentlich nur in einer Kultur.

Martin

Jan Kros

Hallo Martin
das ist eine schoene und interessante Beitrag.
Herlichen Dank fuers zeigen
Gruss
Jan

rekuwi

Lieber Martin,

ganz wunderbarer, lehrreicher Beitrag mit tollen Bildern. Eine große Bereicherung!

Herzliche Grüße
Regi

Fahrenheit

Lieber Martin,

vielen Dank für Deinen spannenden und lehrreichen Bericht!

Herzliche Grüße
Jörg
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Peter Kerwien

Hallo Martin,

vielen Dank für den interessanten Beitrag und die schönen Bilder.
Die parasitäre Welt ist wirklich spannend und fazinierend zugleich.

Viele Grüße
Peter
Peter Kerwien

gern per "Du"
http://www.zauberhafte-natur.de