Nematoden - alles andere als einförmige Würmer

Begonnen von Ole Riemann, Februar 01, 2016, 18:00:32 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

limno

Hallo Michael,
sehr interessant, was Du da schreibst, denn bei mir sind die Versuche (bdelloide) Rotatorien mit Magnesiumchloridlösung zu sedieren, stets gescheitert. Das war hier auch schon mal ein heiß diskutiertes Thema  Ich nehme an, Du beziehst Dich auf das Hexahydrat des Magnesiumchlorids, wenn Du von "Magnesiumchlorid" schreibst. Ob die Betäubung nur mit Schütteln funktioniert, ob das nur beim Erwachen aus dem Trockenstadium möglich ist?
Danke,dass Du uns Deine Erfahrungen mitteilst, ich bitte um mehr von Deinem Senf :) ;)
Besenftigte Grüße
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Michael Müller

Hallo Heinrich,

ja, mit Magnesiumchlorid meine ich das übliche Hexahydrat. Ich habe damit in der letzten Zeit etwas herumexperimentiert und habe recht ermutigende Erfahrungen gemacht.
Für Gastrotrichen und Nematoden ist eine Betäubung problemlos möglich. Nach Umsetzen in Frischwasser erholen sie sich recht schnell. Bei Gastrotrichen habe ich so einige Exemplare in expandiertem Zustand fixieren und Dauerpräparate anfertigen können.
Bei bdelloiden Rädertieren ist die Sache etwas problematischer: die Tiere kontrahieren bei der Betäubung und sind dann für die Beobachtung unbrauchbar. Setzt man sie aber wieder in Frischwasser, werden sie wieder aktiv. Ob die Erholung klappt, mag aber von der Einwirkungsdauer des MgCl2 abhängen - ich habe jeweils nur für einige Minuten die Tiere der Lösung ausgesetzt. Interessant ist vielleicht noch, dass die Tiere, wenn sie in stärkerer Lösung betäubt werden (ca. 15%) nach dem Umsetzen in Frischwasser innerhalb von ca. 1h wieder expandieren und expandiert versterben. Ich versuche mich gerade auf diese Weise an Dauerpräparaten von Bdelloidae.
Tardigraden werden ebenfalls betäubt, ziehen dabei aber Kopf und Extremitäten soweit wie möglich ein und sind deshalb zur Beobachtung dann nur bedingt geeignet. Nach Umsetzen in Frischwasser erholen sie sich aber wieder.

Ole, ich hoffe, Du entschuldigst, dass ich Deinen schönen Beitrag für diesen Exkurs missbraucht habe.

Viel Grüße,

Michael
Gerne per Du

Ole Riemann

Hallo Michael,

klasse, ganz im Gegenteil - vielen Dank für Deine Erfahrungen. Ich finde es super, wenn wir Tümpler über einen Fotobeitrag ins Gespräch kommen und so interessante praktische Hinweise weitergeben. Ich habe zwar schon häufig Moos-Proben untersucht, bin aber nie darauf gekommen, die Organismen analog zum marinen Sediment vor der Extraktion zu betäuben.

Kannst Du bei Gelegenheit auch mal Fotos von Tieren im Dauerpräparat einstellen? Würde mich sehr interessieren.

Viele Grüße

Ole


Michael Müller

Hallo Ole,
Du hast natürlich recht - sich immer nur an den Beiträgen anderer zu erfreuen, selbst aber den Aufwand und das Risiko eines eigenen Beitrags zu scheuen ist nicht fair.
Ich werde einen Beitrag über die Gastrotrichen-Dauerpräparate vorbereiten. Mit den Rädertieren dauerts noch (wenn ich überhaupt zu einem vorzeigbaren Ergebnis komme). Zur Zeit kämpfe ich noch mit Färbung, Entwässerung, Einschluss und den 1000 dummen Fehlern, aus denen ich erst noch lernen muss.

Viel Grüße,

Michael

Gerne per Du

JoHa

Das sind ja ausgezeichnete Aufnahmen, Ole!
So klar und scharf hab ich die Amphids wie auf "B" der ersten Fotoserie auch noch nicht gesehen. Ist das nur eine einzige Aufnahme?

Bezüglich der Hitzefixierung bin ich immer den Weg gegangen eine Wärmeplatte auf 70°C vorzuheizen und dann den frisch erstellten Objektträger mehrmals für ganz kurze Zeit auf die Platte zu legen, bis der Träger für die Finger "zu warm" ist. Bei Temperaturen von 40-50°C bekommt man einige Arten (besonders größere) einfach nicht ruhig gestellt bzw. sie bewegen sich nach 1-2 Minuten schon wieder.   

An Michael noch einen Dank für den Hinweis der MgCl Betäubung! Diese Methode war mir völlig unbekannt. Habe heute gleich mich an diversen Moosen probiert. Tatsächlich nur Plectidae erkennen können.

Faszinierte Grüße!  :)

Johannes

Bernhard Lebeda

Zitat von: Ole Riemann in Februar 02, 2016, 23:30:16 NACHMITTAGS

Lieber Bernhard, gerne Fotos - in meinen Moosproben finde ich in aller Regel nur Plectus mit Klappenapparat im Pharynxbulbus.



Hallo Ole

nur mal als Frage zwischendurch: meinst Du mit Klappenapparat dieses Gebilde?





An guten Bildern von fixierten Tieren arbeite ich noch, bitte um Geduld.

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Michael Müller

Hallo Johannes,
freut mich, dass Dir der Hinweis auf die MgCl2-Methode weitergeholfen hat. In der Literatur habe ich bis jetzt nur den Einsatz bei marinen Tieren gefunden. Deshalb würden mich Deine Erfahrungen sehr interessieren. Hast Du mit MgCl2 die Organismen aus dem Moos extrahiert oder es nur zur Betäubung verwendet?
Vielleicht kennt jemand den Wirkmechanismus oder eine entsprechende Literaturstelle?

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Ole Riemann

Hallo Bernhard,

ja, genau dieses Gebilde im Pharynxbulbus meine ich. In der Fachliteratur findet man die Information, dass der Klappenapparat bzw. "grinding apparatus" in den Larvenstadien noch nicht ausgebildet sei. Ich vermute, Du hast eines der Larvenstadien gefunden. Dafür spricht auch, dass man bei Deinem Tier keine Gonaden erkennen kann.

Die zahnartigen Bildungen auf den Leisten bzw. Spangen dürften wohl dem Zerreiben von Bakterien dienen, bevor sie in den Darm gelangen. Bemerkenswert finde ich die Ähnlichkeit mit dem Kauapparat mancher bdelloider Rotatorien.

Hier noch ein Foto dieses Klappenapparates bei einem Plectus-Weibchen aus Moosproben. Im Gegensatz zu Deinem Exemplar, Bernhard, und den rauhen Bedingungen des Fotografierens von Rohproben (Schichtdicke, Detritusbestandteile, peitschende Bewegungen ... ) war mein Exemplar isoliert und stark gepresst, so dass ich die 100x-Ölimmersion (mit DIK) einsetzen konnte. Also völlig andere Voraussetzungen.

Ich bin gespannt auf die fixierten Exemplare ...

Viele Grüße

Ole






JoHa

@Ole: die Qualität Deiner Aufnahmen ist zum niederknien. Die Details im Bulbus sind phantastisch! Auf weitere Bilder freue ich mich schon.

@Michael:
Zitat von: Michael in Februar 09, 2016, 18:55:15 NACHMITTAGS
Hast Du mit MgCl2 die Organismen aus dem Moos extrahiert oder es nur zur Betäubung verwendet?

Ich hatte das MgCl aufgrund der von Dir angesprochenen betäubenden Wirkung und damit einhergehend leichteren Ausschüttelung der Nematoden vom Mooskörper ausprobiert. In einem ersten Versuch in lauwarmer 10%iger MgCl Lösung das Moos einige Minuten in eine Petrischale gelegt. Die Lösung anschließend in einen kleinen 50 ml Messbecher überführt, gerührt, 30 sec absedimentieren lassen, dekantieren und 30 min ruhen lassen. Danach konnte man mikroskopfreundliche bewegungslose Nematoden vom Boden abpipettieren.
Die Lösung war aber schon zu stark, ich hätte die angesprochenen 4% nehmen sollen. Vorallem im Pharynx waren stark aufgeqollene Bereiche zu sehen. Die Osmoregulation der Nematoden hat wohl schon völlig versagt.

Viele Grüße!

Johannes

Bernhard Lebeda

Zitat von: Ole Riemann in Februar 11, 2016, 10:06:41 VORMITTAG

Die zahnartigen Bildungen auf den Leisten bzw. Spangen dürften wohl dem Zerreiben von Bakterien dienen, bevor sie in den Darm gelangen. Bemerkenswert finde ich die Ähnlichkeit mit dem Kauapparat mancher bdelloider Rotatorien.



...genau das habe ich auch gedacht. Die Bewegungen bei der Nahrungsaufnahme erinnern wirklich an einen Rädertierkauer.

Ich hatte auch ein Video gemacht. Die Qualität ist dürftig, aber zumindest im letzten Drittel erkennt man gut was ich meine.

http://vid92.photobucket.com/albums/l26/bernhardinho/DSCN4268_zpsikguzxbu.mp4

Viele nematöse Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Michael Müller

Hallo in die Runde,

Zitat von: JoHa in Februar 11, 2016, 20:05:46 NACHMITTAGS
@Ole: die Qualität Deiner Aufnahmen ist zum niederknien. Die Details im Bulbus sind phantastisch! Auf weitere Bilder freue ich mich schon.
Da kann ich mich nur bewundernd voll und ganz anschließen!

@Bernhard:
Vielen Dank für Deinen Film. Den Pharynx in Arbeit hatte ich vorher noch nie bewusst wahrgenommen - wieder was gelernt!

@ Johannes:
Du hast recht, eine 10%-Lösung ist bei weitem zu stark, um lediglich eine Betäubung der Tiere zu erreichen. Selbst bei marinen Tieren ist diese Konzentration schon hart an der Grenze.
Meiner Erfahrung nach ist eine Zielkonzentration von ca. 2% noch in Ordnung. Da man mit der Probe immer auch Wasser einbringt, sollte die Konzentration der Arbeitslösung etwas über diesem Wert liegen - da ist etwas experimentieren nötig.
MgCl2 ist als Fixierung ungeeignet und sollte lediglich zur Sedierung verwendet werden. Ggf. kann man dann die sedierten Tiere (die meist schön gestreckt sind) mit ca. 4%-Formaldehyd oder auch mit Alkohol fixieren. Die klassische Fixierung für Nematoden ist lt. Gray kochender Alkohol und ergibt angeblich ideal gestreckte Tiere. Ob das aber bessere Ergebnisse liefert, weis ich nicht und die Methode sollte mit sehr viel Vorsicht ausgeführt werden - ich habe lieber die Finger davon gelassen.
Zum Extrahieren der Tiere habe ich lediglich eine kleine Moosprobe in ein 20ml-Schnappdeckelglas gegeben, ca. 10ml 3%-Lösung (0,3g MgCl2 auf 10ml Wasser) zugegeben, ca. 1 min stehen lassen und dann leicht umgeschüttelt. Dann habe ich das Moos entfernt und sofort abgefiltert. Das Filterpapier habe ich dann sofort in Frischwasser ausgewaschen und so eine große Anzahl lebender Tiere erhalten. So kann man sich dann ungeschädigte Tiere für die genauere Beobachtung aussuchen. Der Rest steht dann tagelang lebend für weitere Untersuchungen zu Verfügung.
Zur sedierten Beobachtung gibt man einen Tropfen 2%-MgCl2 auf einen Objektträger, pipettiert mit möglichst wenig Wasser seinen Beobachtungskandidaten in diesen Tropfen und legt das Deckglas auf. Das Tier sollte zur Beobachtung nicht versterben, da sonst das mikroskopische Bild beeinträchtigt wird.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

JoHa

Hallo Michael,

das ist eine schöne Anleitung, die ich mir notieren werde! Ich glaube ich werde diese Saison die moosbewohnenden Nematoden einmal genauer unter die Lupe nehmen. Vorallem warum die Plectidae dominieren, da würden mich weitere Hintergründe interessieren. 
Für meine Nematodenbestimmung aus Bodenproben könnte die Anwendung von MgCl eine interessante zweite Sediermöglichkeit neben der Erhitzung sein.

Viele Grüße

Johannes

Michael Müller

Hallo Johannes,
ich habe mal in dem (sehr zu empfehlenden) eBook "Glime, Janice M.: Bryophyte Ecology" nachgelesen (zugänglich unter http://www.bryoecol.mtu.edu).
Plectidae sind Spezialisten für schnelles Austrocknen. Deshalb haben sie sich auf den Blattbereich von Moosen spezialisiert, die öfter mal austrocknen. Die meisten anderen Nematoden benötigen ein langsameres Austrocknen und leben deshalb im Rhizoid-Bereich von langsamer trocknenden Moosen.
Der Grund, warum wir hauptsächlich Plectus-Arten finden, ist (wenn ich von mir ausgehe), dass wir hauptsächlich leicht zugängliche (und deshalb leicht austrocknende) Moose beproben und diese meist mit den Blättern nach unten zur Probenentnahme einweichen. Dadurch bevorzugen wir den Lebensraum der Plectidae.
Wahrscheinlich würden wir ein anderes Artenspektrum bekommen, wenn wir uns auf den Rhizoid-Bereich von Moosen an sehr feuchten Standorten konzentrieren würden.

Viele Grüße,

Michael
Gerne per Du

Ole Riemann

Hallo Michael und Johannes,

vielen Dank für die Tipps zur Untersuchung der Moosfauna.

Neben den diskutierten Plectiden habe ich einen für mich nicht weiter bestimmbaren, männlichen Dorylaimiden gefunden, mit deutlich sichtbarem Mundspeer. Könnt Ihr die Art näher eingrenzen? Gesamtlänge gestreckt ca. 1,5 mm, deutlich abgesetzte Lippenregion, Mundspeer knapp 30 µm, Führungsstück einfach (Dreieck in C), unpaare (zahlreich) und eine paarige Genitalpapille (E), Spicula gleichmäßig gebogen (D), Gubernaculum offenbar nicht vorhanden, Pharynxbulbus (Phb in B) ca. 1/3 der gesamten Pharynxlänge, Hoden paarig (G), Darm grün gefärbt mit deutlich abgrenzbaren Zellen (F). Hier die Fotos:



Danke und beste Grüße

Ole

JoHa

#29
Halo Ole,

da würde ich jetzt als Halblaie innerhalb der Gattung "Eudorylaimus" weiter forschen.
Die Körpermaße (Länge, Breite, Schwanzlänge) und Anzahl der "Supplements"/Papille am Schwanz könnten weiteren Aufschluß geben.
Ist der Nematode auch aus einer Moosprobe?

@Michael: Danke für die interessanten Erläuterungen bzgl. der Plectidae im Moos. Im Boden sind übergeordnet die noch stärkeren r-Strategen der Familie der bacterivoren Rhabditidae für die Ausbildung der "Dauerlarvae" zur Überdauerung von Pessimalzeiten bekannt. Die Plectidae gelten hier als ziemlich robuste Familie gegenüber Umweltstress.

Viele Grüße

Johannes