Polariskope mit Geschichte(n)Nein, Mikroskope sind es nicht, obwohl sie von vielen Leuten wegen mancher äußerlicher Ähnlichkeiten fälschlich so bezeichnet werden, und daher habe ich zunächst gezögert, diesen Beitrag im Mikroskop-Forum zu schreiben. Nun denke ich aber, dass eine knappe Einführung in diese Gerätegruppe doch ganz interessant sein könnte, und dazu gibt es die Beschreibung zweier besonderer Polariskope mit kleinen Episoden, die doch zumindest erstaunlich sind.
Als
Polariskope bezeichnet man im weitesten Sinne Geräte zur Untersuchung von Kristallen im polarisierten Licht. Sie gehören zu den klassischen physikalischen Messinstrumenten und spielten für die Kristalloptik im gesamten 19. Jahrhundert eine überragende Rolle, lange bevor Polarisationsmikroskope technisch so weit entwickelt waren, dass sie die Polariskope ersetzten.
Im Gegensatz zu Mikroskopen sind Polariskope grundsätzlich nicht zur Vergrößerung von Objekten geeignet, sondern lediglich zur Bestimmung ihrer polarisationsoptischen Phänomene. Man unterscheidet zwischen Polariskopen für
orthoskopische Betrachtung, also für die direkte Untersuchung makroskopischer Präparate, und solchen für
konoskopische Untersuchungen. Letztere sind durch Linsensysteme mit hoher Apertur gekennzeichnet, liefern aber kein Bild des Objekts, sondern „nur“ Achsenbilder oder Interferenzfiguren.
Einfache orthoskopische Polariskope haben als Polarisatoren in der Regel einfache Glasplatten oder Glasplattensätze, die das Licht nach dem Brewsterschen Gesetz polarisieren. Als Analysatoren nutzt man entweder auch Glasplattensätze bzw. eine einfache Schwarzglasscheibe unter dem Brewster-Winkel, oder aber Turmalinscheiben oder Nicolsche Prismen (Calcit-Prismen-Polarisatoren). Diese einfachen Polariskope werden auch als
Nörrenberg-Apparate bezeichnet nach dem Physiker Johann Gottlieb Christian Nörrenberg, 1787-1862, der sich ab ca. 1830 mit der Untersuchung kristalloptischer Phänomene beschäftigte und dafür solche Polariskope entwickelte. Auch Goethe nutzte für seine naturwissenschaftlichen Betrachtungen Nörrenberg-Apparate, die z.T. noch im Goethe Museum in Weimar erhalten sind.
Auf Youtube findet man
hier übrigens einen wirklich sehr sehenswerten Film über Beobachtungen mit einem historischen Nörrenberg-Apparat und einer Turmalinzange, dem einfachsten Polariskop.
Die konoskopischen Polariskope sind naturgemäß viel komplexer, da sie Linsensysteme mit hoher Apertur benötigen. Die einfacheren Konoskope bedienen sich gleichfalls einer Glasplatte oder eines Glasplattensatzes zur Erzeugung des polarisierten Lichts, die besseren Geräte für quantitative Messungen sind aber mit großen Nicol-Prismen ausgestattet. Diese Prismen waren schon Mitte des 19ten Jahrhunderts wegen der Seltenheit geeigneter Calcit Kristalle und der schwierigen Herstellung sehr kostbar und machten solche Polariskope zu sehr seltenen und wertvollen Instrumenten.
Wegen meines Interesses an der Kristalloptik und an antiken Messgeräten haben mich Polariskope schon immer fasziniert, und über die Jahrzehnte haben sich daher auch einige bei mir „angesammelt“. Gerade kürzlich konnte ich zwei weitere Geräte erwerben bzw. fertigstellen, die ich hier wegen der ungewöhnlichen Begleitumstände vorstellen möchte.
Das Polariskop von Viktor von LangAnfang Dezember 2016 wurde bei einem Auktionshaus in der Schweiz ein „
microscope monoculaire en laiton“ angeboten, das ich ersteigern konnte. Schließlich erhielt ich das Instrument, das auf den ersten Blick einen wenig spektakulären Eindruck machte. Es war in einem, dem Alter entsprechend recht gutem Zustand, aber bedauerlicherweise fehlte jegliche Signatur oder andere Hinweise auf Provenienz oder Hersteller.

Dass es sich keinesfalls um ein Mikroskop, sondern um ein Polariskop handelte, war mir schon vor dem Erwerb klar – ein Mikroskop aus dieser Epoche hätte mich nicht interessiert - und eine etwas umfangreichere Recherche brachte dann die Erleuchtung. Das Instrument ist eines der frühesten Konoskope, die überhaupt gebaut wurden. Im
Müller-Pouillet, Lehrbuch der Physik, Braunschweig 1909, Bd. 2, S. 941-942 findet man eine ausführliche Beschreibung und sogar Stiche der Gesamtansicht und des Schnitts durch die einzelnen Komponenten. Leider fehlen aber auch dort weitere Angaben, z.B. über die Primärliteratur. Im Schnitt sieht man sehr schön den relativ großen Prismen-Polarisator und die symmetrisch angeordneten Linsen zur Erzeugung des hochaperturigen Lichts.
Viktor von Lang (1838-1921) war mir als hochkarätiger Kristalloptiker und Konstrukteur verschiedener Apparate bereits bekannt, aber dieses Polariskop hatte ich noch nie gesehen. In seiner Vita kann man nachlesen, dass er im Jahre 1859 über „Physikalische Verhältnisse kristallisierter Körper“ an der Universität Gießen promovierte, danach bei Kirchhoff und Bunsen in Heidelberg war, von dort aus nach Paris ging, 1862 eine Professur in Graz erhielt und schließlich 1866 einem Ruf nach Wien folgte. Außerdem hatte er wissenschaftliche Verbindungen nach London. Aber welcher Periode seines Schaffens und welchem Herstellungsort war nun dieses Instrument zuzuordnen?
Hier half ein fast unglaublicher Glücksfall das Geheimnis zu lüften. Wie bei vielen Instrumenten aus dieser Zeit ist der überdimensional große Spiegel dieses Geräts nicht eingebördelt, sondern in einer Schraubfassung gehalten. Beim Zerlegen stellte es sich heraus, dass der Mechaniker nicht, wie sonst üblich, einen Wattebausch gegen das Klappern hinterfüttert hatte, sondern ein Stück aus der Tageszeitung. Und um das Glück noch perfekt zu machen fand sich darauf nicht nur der eindeutige Hinweis, dass es sich um eine Wiener Zeitung handelt, sondern sogar eine Tabelle der „Telegraphischen Witterungs-Berichte der k. k. Central-Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus vom 15. September 1869, 7 Uhr Morgens“.



Ein Vergleich der Konstruktionsmerkmale mit denen der damaligen Wiener Mechaniker deutet mit sehr hoher Wahrscheinlich auf ein Instrument aus der Werkstatt von
Georg Simon Plößl (1794-1868) hin. Diese Einschätzung teilt auch Timo Mappes, dem sicherlich besten Kenner europäischer Mikroskope. Es handelt sich somit sicher um eines der ältesten senkrechten Polariskope mit einem Prismenpolarisator und zudem noch wahrscheinlich von einem der besten Mikroskop-Hersteller der Zeit.
Das Polariskop von Picart, Paris, ca. 1880Inspiriert durch diese nette Episode entsann ich mich eines anderen Instruments, das schon seit einiger Zeit auf die Restaurierung wartete und das auch mit einer wirklich bemerkenswerten Geschichte verknüpft ist. Es handelt sich um ein Polariskop aus der Produktion von A. Picart in Paris. Frankreich, und natürlich besonders Paris, war im 19. Jahrhundert eine der Hochburgen für kristalloptische Forschung und wissenschaftlichen Apparatebau. Ich hatte vor vielen Jahren einmal ein Polariskop von Picart für einen amerikanischen Sammler restauriert und träumte seitdem von einem eigenen Gerät dieser Art.
Die Geschichte begann dann etwa vor 5 Jahren, als mir ein anderer Sammler aus den USA einige Relikte als Bastelteile anbot. Er hatte sie auf Ebay in England günstig ersteigert und konnte dann doch nichts damit anfangen. Ich kaufte ihm die Teile ab und legte sie in die Schublade mit den Ersatzteilen und dem Altmetall. Unter dem „Schrott“ war auch ein Teil eines Picart Polariskops, nämlich der Träger mit den hochaperturigen Linsensystemen und der Tubus. Das Stativ und das Herzstück, der große Polarisator in seinem Gehäuse mit Spiegel, fehlten jedoch.
Sicher 3 Jahre später bot mir ein englischer Antiquitätenhändler ein großes Nicolsches Prisma an, das ich, ohne es zu gesehen zu haben, ohne Zögern kaufte. Als es ankam, war ich völlig perplex, denn es kam nicht das erwartete „nackte“ Prisma, sondern ein kompletter Messingtubus samt Prisma mit immerhin mehr als 35 mm Breite in der Diagonalen und angeflanschtem Spiegel eines Picart Polariskops. Als ich mein „Altmetall“ und diesen Tubus zusammenfügte, war klar, dass es sich nicht nur um Teile eines baugleichen Geräts, sondern tatsächlich des exakt selben Polariskops handelte, wie man eindeutig an den Gebrauchsspuren sah. Ein Vandale oder Ignorant hatte die Teile einzeln verkauft, und nun waren sie nach Jahren oder sogar Jahrzehnten wieder vereint.

Durch einen weiteren glücklichen Zufall gelang es mir, ein passendes Stativ in Frankreich zu erwerben. Dass dies gelingen könnte war nicht ganz so unwahrscheinlich, da dieser Stativtyp unverändert für eine größere Zahl verschiedener physikalischer Apparate der Zeit genutzt wurde.
Als besonders Schmankerl war das Picartsche Polariskop mit einem speziellen Drehapparat als Zubehör erhältlich, der die Drehung des Kristalls um eine Achse senkrecht zur Tubusachse ermöglicht. Einen solchen Drehapparat, noch dazu wunderschön signiert, konnte ich schließlich auf einer Auktion in Wien ersteigern.

Langer Rede, kurzer Sinn: Hier steht nun das fertige Puzzle des großen und beeindruckenden Geräts. Die meisten Messing-Oberflächen waren in einem desolaten Zustand, sodass eine weitgehende Restaurierung erforderlich war. Die schwarz gebeizten Teile sind aber alle noch im Originalzustand. Im Gegensatz zum etwas älteren Polariskop von Lang ist es schwenkbar und damit sowohl als senkrechtes Polariskop als auch als waagrechter Achsenwinkelmessapparat nutzbar.

Mit stolzen Grüßen,
Olaf