Langzeitbeobachtungen am Ciliaten Pseudoblepharisma tenue

Begonnen von Michael Müller, Juni 16, 2019, 18:49:06 NACHMITTAGS

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Michael Müller


Hallo in die Runde,

vor einiger Zeit hat Martin Kreutz den Ciliaten Pseudublepharisma tenue und seine Variante P. tenue var. chlorelligera hier ( https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=33782.0 ) vorgestellt. In diesem Beitrag wies Martin darauf hin, dass beide Varianten von P. tenue morphologisch sehr ähnlich sind und sich in Wesentlichen nur durch das Mengenverhältnis seiner beiden Symbionten -  rosa Rhodobakterien bzw. grüne Zoocchlorellen - unterscheiden. Da diese beiden Varianten gleichzeitig in Proben aus "Martins" Simmelried vorkommen, stellt sich natürlich die Frage, ob beide Erscheinungsformen möglicherweise eine einheitliche Art darstellen und je nach Umgebungsbedingungen ineinander überführt werden können. Vielleicht sind die "rosa Formen" P. tenue lediglich Tiere, die tiefer im Schlamm - und damit in der Dunkelheit - leben und deshalb keinen Bedarf an Zoochlorellen haben und statt dessen die Photosynthese der Schwefel liebenden Rhodobakterien nützen. Auf der anderen Seite wäre es vielleicht möglich, dass die grüne Form P. tenue var. chlorelligera in helleren Bereichen - in den oberen Schlammschichten - beheimatet ist und bevorzugt die Zoochlorellen als Symbionten nutzt.


Bild 1: Übersicht; oben: P. tenue var. chlorelligera ; unten: P. tenue

Ein solcher Symbiontenwechsel wurde meines Wissens noch nicht beschrieben - es war also spannend, Versuche in dieser Richtung zu unternehmen. Dankenswerter Weise brachte Martin mir zur diesjährigen Kornrade einige Simmelried-Proben nach Würzburg mit. Aus diesen habe ich einige Mikroaquarien - wie in https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=33985.0 beschrieben - erstellt und diese über ca. 3 Monate regelmäßig beobachtet. Die meisten Mikroaquarien wurden mit einer transparenten Abdeckung aufbewahrt, so dass den Organismen Licht für die Photosynthese zu Verfügung stand. Eines bewahrte ich im Dunkeln auf, um den Einfluss des Lichtes auf die Ciliaten abschätzen zu können. Von den insgesamt sieben Mikroaquarien waren fünf Mischproben. In diesen kamen gleichzeitig "rosa" und "grüne" Varianten von P. tenue vor. Je ein Aquarium wurde mit 10 "rosanen" bzw. 10 "grünen" Varianten präpariert. Das "Dunkelaquarium" war eines mit einer Mischprobe.

Nach ca. zwei Wochen zeigten sich in den "hellen" Aquarien die ersten Veränderungen bei den "grünen" P. tenue var. chlorelligera. Diese Tiere begannen zunehmend Granula in ihrer vorderen Zellhälfte zu bilden. Dabei werden die Zoochlorellen in die hintere Zellhälfte verdrängt; die Anzahl der Zoochlorellen verringert sich. Ich nehme an, dass die Ciliaten in der im Vergleich ungewohnt hellen Umgebung über die Photosynthese der Symbionten verstärkt Speicherkörnchen bilden und in der Vorderhälfte einlagern. Gleichzeitig wird der unnötig dichte Besatz an Zoochlorellen abgebaut.


Bild 2: P. tenue var. chlorelligera nach ca. 2 Wochen im hellen Mikroaquarium; Chlorellen werden in die hintere Zellhälfte abgedrängt und abgebaut


Bild 3: P. tenue var. chlorelligera nach ca. 2 Wochen im hellen Mikroaquarium; die vordere Zellhälfte wird mit Vorratskörper gefüllt

Verbringt man diese Tiere über einige Zeit in eine dunkle Umgebung, verringert sich die Dichte der Speichergranula wieder und die Zoochlorellen werden wieder gleichmäßig über den Zellkörper verteilt. Eine neuerliche Zunahme der Zoochlorellen konnte ich aber nicht beobachten - dieses Experiment wurde am Ende der Lebensdauer des entsprechenden Mikroaquariums durchgeführt und war daher nur auf einige Tage beschränkt.

Auch die "rosa" Variante von P. tenue zeigte in den "hellen" Aquarien Veränderungen. Nach ca. 40 Tagen begannen die Tiere, die Rhodobakterien abzubauen.


Bild 4: P. tenue nach ca. 40 Tagen im hellen Mikroaquarium; Rhodobakterien werden in Nahrungsvakuole verdaut

Dazu wurden die symbionten Bakterien - z.T. auch mit vereinzelten Zoochlorellen - in Nahrungsvakuolen eingeschlossen, die etwas hinter dem Zellkern gebildet werden. Diese Vakuolen beginnen dann langsam in Richtung des hinteren Zellpols zu wandern und dabei auf dem Weg kontinuierlich Rhodobakterien aufzunehmen. Die Rhodobakterien werden im Laufe der Zeit verdaut, so dass der Vakuoleninhalt kurz vor dem Ausscheiden deutlich rotbraun gefärbt ist. Aufgenommene Zoochlorellen zeigen innerhalb der Vakuolen keinerlei sichtbare Veränderung und werden scheinbar intakt ausgeschieden. 


Bild 5: P. tenue nach ca. 40 Tagen im hellen Mikroaquarium; Abbau und Ausscheiden der symbionten Rhodobakterien

Die Nahrungsvakuolen verdrängen schließlich die terminale kontraktile Vakuole von Ihren Platz und werden am Zellafter ausgeschieden. Auch bei encystierten Tieren ist ein entsprechender Abbau des Besatzes an Rhodobakterien zu beobachten.


Bild 5: Cyste von P. tenue nach ca. 40 Tagen im hellen Mikroaquarium; Abbau und Ausscheiden der symbionten Rhodobakterien

Im Laufe der Zeit verlieren die Tiere so fast Ihren gesamten Besatz an Rhodobakterien. Gleichzeitig vermehren sich die Zoochlorellen langsam. Nach ca. 60 Tagen ähneln die Tiere sehr stark den von Martin beschriebenen "Zwergformen" der grünen Variante P. tenue var. chlorelligera.



Bild 6: P. tenue nach ca. 60 Tagen im hellen Mikroaquarium; Rhodobakterien wurden fast vollständig abgebaut und die Dichte der Chlorellen wurde erhöht

Zu diesem Zeitpunkt waren die Verhältnisse in den "hellen" Mikroaquarien bereits so schlecht, dass die Beobachtung beendet werden mussten.

Interessanter Weise waren die Bedingungen in dem dunkel aufbewahrten Mikroaquarium sehr viel stabiler. Im Dunkeln fanden nahezu keine Veränderungen bei P. tenue statt - bei der "grünen" Form verringerte sich der Besatz von Zoochlorellen nahezu nicht, obwohl bei Paramecium bursaria, das sich ebenfalls im gleichen Aquarium befand, fast alle Symbionten abgebaut wurden. Die "rosa" Form blieb nahezu unverändert.


Bild 7: Aufnahmen aus einem dunkel aufbewahrten Mikroaquarium nach ca. 75 Tagen:
oben links: P. tenue var. chlorelligera wandelt sich zu Zwergform; Besatz durch Chlorellen bleibt erhalten
oben rechts: P. tenue: keine merkliche Änderung im Vergleich zum frischen Aquarium
unten zum Vergleich: Paramecium bursaria hat nahezu alle Zoochlorellen abgebaut


Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Experimente nachgewiesen haben, dass die P. tenue die Symbiontendichte sowohl der Rhodobakterien als auch der Zoochlorellen aktiv an seine Lebensverhältnisse anpassen kann. Der Nachweis, dass beide Varianten ineinander übergehen können, konnte aber nicht endgültig erbracht werden. Dennoch erscheint es mir plausibel, dass es für dieses Verhalten starke Hinweise gibt, die weitere Versuche bei besser kontrollierten Versuchsbedingungen viel versprechend erscheinen lassen.

Viele Grüße

Michael

Gerne per Du

Martin Kreutz

Hallo Michael,

eine einwandfreie und tolle Arbeit von Dir! Dass die rosa Form die Rhodobakterien im hellen abbaut und die Zoochlorellen behält, ist schon ein starkes Indiz, dass die Formen ineinander übergehen können. In der natürlichen Umgebung spielen vielleicht noch weitere Faktoren eine Rolle, welche für eine Umwandlung nötig ist. Scheinbar geht eine Verzwergung einher, was es auch bei einigen anderen Ciliaten gibt (z.B. Tropidoatractus acuminatus), welche dann in eine Konjugation mündet, welche dann wieder "normale" Exemplare hervorbringt. Jedenfalls ein spannender Fall, mit dem sich auch Sebastian (Hess) beschäftigt. Man darf gespannt sein, was da noch raus kommt, auch was die Rolle der Rhodobakterien angeht.

Martin

M.Butkay

Hallo Michael,

diese beiden Formen sind mir auch aus dem Simmelried durch Martin bekannt. Toll das Du dir die Arbeit gemacht hast und sie einer Langzeituntersuchung unterzogen hast. Die Ergebnisse sprechen für sich und Martin hat es auf den Punkt gebracht: "Man darf gespannt sein, was da noch rauskommt, was die Rhodobakterien angeht"! Und ich auch...

Danke nochmals für den tollen Beitrag!

Michael
Captain Kirk (Wächter des Plankton...)

Michael Müller

Hallo Martin und Michael,

es freut mich, dass der Beitrag für Euch von Interesse war.
Eine Konjugation der Zwergformen konnte ich nicht beobachten. Vielleicht ist die Ausbildung der Zwergformen auch einfach den sich verschlechternden Umweltbedingungen im Aquarium geschuldet. Letztendlich müsste man für vernünftige Versuche die Umweltbedingungen stärker kontrollieren - aber da muss der Amateur halt passen!

Viele Grüße und ein schönes Wochenende,

Michael
Gerne per Du