Beutefang beim Ciliaten Homalozoon vermiculare

Begonnen von Bernd, März 30, 2020, 20:24:09 NACHMITTAGS

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Bernd

Liebes Forum,

Homalozoon vermiculare, hier in einer Probe aus dem Simmelried, ist ein großer, wurmförmiger Ciliat.



Wenn er langsam unter dem Deckglas umherschwimmt, sieht er auf dem ersten Blick recht harmlos aus. Die große Zahl von Toxizysten im Mundwulst am Vorderende deutet aber an, dass es sich in Wirklichkeit um einen gefährlichen Räuber handelt.



Ich hatte das Glück, diesen Räuber beim Beutefang beobachten zu können. Als Homalozoon beim umherschwimmen einen anderen Ciliaten, Pseudoblepharisma tenue var. viride, mit dem Vorderende berührte, wurde dieser sofort paralysiert und zerplatzte. Homalozoon erweiterte daraufhin seinen Mund um ein Vielfaches und verschlang den größten Teil der Beute, die in seinem Inneren sehr gut an den Zoochlorellen zu erkennen ist.



Anschließend nahm Homalozoon wieder seine normale Form an und schwamm langsam weiter.



Der Beutefang von H. vermiculare und die Verdauung der Beute wurde 2004 von Baumberg und Hausmann in einem dreiteiligen, sehr lesenswerten Artikel im Mikrokosmos (Vol. 93, 221-226, 295-300, 334-340) ausführlich beschrieben.

Viele Grüße
Bernd

Michael

Hallo Berd,

vielen Dank für den schönen Bericht und die tollen Fotos!
Ich habe zur Zeit in einem Mikroaquarium mit einer Simmelried-Probe eine starke Vermehrung von Homalozoon vermiculare. Ein wirklich beeindruckender Ciliat.
Jetzt ist mir auch klar, wo die anderen Ciliaten hin verschwinden! Da muss ich doch mal den Beutefang beobachten - vielleicht gelingt ja ein Video.

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

MikroMicha

#2
Hallo Bernd,

danke für die qualitativ sehr hochwertige Fotodokumentation. Da schlägt mir als "Ciliaten-Fan" das Herz gleich höher  :).


Zitat von: Michael in März 31, 2020, 09:21:22 VORMITTAG

Jetzt ist mir auch klar, wo die anderen Ciliaten hin verschwinden! Da muss ich doch mal den Beutefang beobachten - vielleicht gelingt ja ein Video.

Viele Grüße

Michael


@Michael: Das kann gut sein, dass Homalozoon die anderen Viecher vertilgt. Bei Rädertierchen ist das auch ähnlich, die können einem auch die Proben verderben, wenn sie Überhand nehmen. Wenn Dir von Homalozoon  in Video gelänge, wäre das natürlich wunderbar.

Bleibt mir alle gesund in dieser verrückten Zeit!!!
Herzliche Grüße sendet

Michael (MikroMicha)

Martin Kreutz

Hallo Bernd,

ein sehr schöner Beitrag von Dir mit super Bildern! Tatsächlich scheint Homalozoon im Simmelried weit verbreitet zu sein. Ich finde ihn auch sehr oft. Das Fressverhalten zu fotografieren oder gar zu filmen halte ich für eine gewisse Herausforderung. Meine Erfahrung ist, dass bei zu geringer Schichtdicke das Jagdverhalten eingestellt wird. Man muss also mit einer gewissen Schichtdicke arbeiten, was dann Probleme beim fokussieren gibt. Vielleicht hast Du die gleiche Erfahrung gemacht!?

Als Ergänzung zu Deinem Beitrag möchte ich hier einige Fotos aus meinem Archiv zeigen. Alle folgenden Bilder sind schon sehr alt und wurden am 03.03. und 04.03.1995 aufgenommen. Ich habe versucht, die arg mitgenommenen Dias wieder halbwegs zum Leben zu erwecken.

Ich konnte damals den Beutefang mehrfach beobachten, aber nur zweimal fotografieren. Es geht alles sehr schnell. Die Beute ist hier Paramecium caudatum. Durch Glück konnte ich den ersten Kontakt zwischen Beute und Jäger festhalten. Interessant war, dass sich die Ciliaten scheinbar nicht direkt berührten. Offensichtlich schießt Homalozoon nur weniger seiner Extrusomen in das Beutetier ab. Es folgt eine sofortige Immobilisierung von Paramecium und Ausstoßung praktisch aller seiner Extrusome:



Dieser "Mikado-Salat", den Paramecium um sich herum bildet, scheint Homalozoon jedoch in keiner Weise zu stören. Sofort beginnt das Verschlingen der Beute:



Schon geht es mit Paramecium abwärts:




Im "Schlund" von Homalozoon befindet sich eine gelbliche, granuläre Masse, unbekannter Funktion. Eine Theorie ist, dass diese Masse Enzyme enthält welche mit dem Beutetier zusammen in einer Vakuole abgeschnürt wird und die Verdauung beschleunigen soll. Tatsächlich wird die Beute genau durch diese granuläre Masse hindurch geleitet, aber sie schien mir dabei nicht weniger zu werden. Im folgenden Bild erkennt man in der Unschärfe, dass die Masse noch "im Schlund" vorhanden ist und die Beute schon "durch" ist:



Soviel aus meinem verstaubten Analog-Archiv!

Martin

Michael

Hallo Bernd, Michael und Martin,

ich habe mich gestern noch drangesetzt und ein Video vom Beutefang erstellt - wie Martin schon vermutet hat, ist die Qualität - na ja - mäßig.
Dennoch möchte ich es hier zeigen, da doch einige Details interessant sind:

1.: Das Abfeuern der Toxicysten erfolgt hier bei mechanischem Kontakt mit der Beute. H. vermiculare ist aber sehr wählerisch mit seiner Beute. So werden z.B. Artgenossen nicht angegriffen. Zusätzlich zum mechanischen Reiz muss also auch ein (wohl chemisches) Erkennen der Beute kommen. Die Toxicysten schlagen in der Beute ein wie eine Bombe und reißen einen tiefen Krater, aus dem das Plasma austritt. Dennoch schaffte es die Beute diese Wunde in Sekundenbruchteilen zu schließen und zu fliehen - erstaunlich!

2.: Das Verschlingen der Beute scheint nicht so einfach zu sein. Woher kommt eigentlich die Saugkraft?

3.. Die "parapharyngeale Masse", die Martin angesprochen hat ist bei mir vor dem Beutefang gut zu sehne. Nach dem Beutefang ist sie verschwunden. Vielleicht wird sie doch in die Nahrungsvakuole abgegeben? Diese Masse ist bei mir und bei Bernd farblos, bei Martin gelblich gefärbt. Warum?

Video abrufen unter:
https://youtu.be/qV-LjX7Ws10

Viele Grüße,

Michael
Gerne per Du

Bernd

Hallo Martin,
vielen Dank für die ergänzenden Fotos. Wie immer perfekt getroffen.


Hallo Michael,
ein tolles Video! Wie sich die Mundöffnung beim Verschlingen der Beute zu einem Trichter erweitert, hast du perfekt getroffen! Kompliment!

Viele Grüße
Bernd

MikroMicha

Hallo Martin,

danke für Deine (wie immer) tollen Aufnahmen. Ich bin erstaunt, was Du aus Deinen alten Dias noch herausholen konntest. Die Aufnahmen sehen doch aus, wie aus Digital-Zeiten  :).

@Michael:
Danke für das schöne Video. Auch wenn Du meinst, dass es nicht ganz perfekt ist, kommt es doch dem natürlichen Seheindruck am Mikroskop am nächsten. Da ich selbst vorrangig Videos von meinen Viechern anfertige weiß ich wie schwer es ist, da immer einen richtigen Kompromiss zu finden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei weitem nicht alle Ciliaten eine Schichtdickenreduktion (vor allem wenn es zu schnell geht mit vorsichtigem Wasserabsaugen am Deckglasrand) vertragen und sofort starke Deformierungen zeigen (z. T. bis zur Unkenntlichkeit) oder sogar platzen.
Herzliche Grüße sendet

Michael (MikroMicha)

Martin Kreutz

Hallo Michael (MikroMicha),

eventuell bin ich schon etwas verwöhnt vom digitalen Zeitalter, aber meinen alten Dias fehlt es leider an Auflösung und Farbtreue. Da ist eine Digitalkamera mit Weißabgleich doch schon was feines. Trotzdem bin ich natürlich froh, auf meine alten Dias zurückgreifen kann, die natürlich auch einen Großteil meiner mikroskopischen Entwicklung darstellen.

@Michael: Dein Video ist ausgezeichnet! Das hätte ich nicht gedacht, dass man es so gut einfangen kann. Vielleicht war es auch ganz gut, dass Homalozoon so lange an seinem Beutestück rumzerren musste. Jedenfalls alles im Fokus! Was die "parapharyngale Masse" angeht, so finde ich es erstaunlich, dass sie in Deinem Exemplar offensichtlich zusammen mit der Beute komplett "geschluckt" wurde. Bei mir war das nicht so. Hängt vielleicht von der Beute ab. Kahl schreibt zu dieser Masse: "...im Schlunde stets ein gelblicher Exkretionspropropfen, der wohl irgendwie mit der Tötung und Verdauung der Beute ... zusammenhängt." Ich selbst habe diese Masse auch als gelblich empfunden. Dass sie so unterschiedlich von Bernd und mir dargestellt wird, hat eventuell auch was mit der Bildverarbeitung zu tun. Klarheit würde eine HF-Aufnahme mit einem hochaperturigen Apochromaten bringen. Letzteres habe ich, aber keinen Homalozoon. Die Funktion der Masse ist weiterhin unbekannt. Foissner schreibt 2003 in seiner "Revision" von 1995: "...parapharyngale Masse, die aus Paraglycogengranula und mineralreichen (Magnesium, Phosphor, Kalium, Calcium) Granula besteht. Die Funktion dieser Masse konnten auch neuere Untersuchungen (Kuhlmann et. al., 1983) nicht klären."

Martin