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Auch mal Plankton fischen

Begonnen von Martin Kreutz, April 20, 2020, 22:16:14 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

nachdem hier einige Beiträge mit interessanten Planktonuntersuchungen aufgelaufen sind, habe ich nach längerer Zeit auch mal wieder das Netz ausgepackt. Zur Probennahme fiel meine Wahl eher Zufällig (beim vorbeifahren) auf den Teich, der die Entsorgungsbetriebe Konstanz umgibt. Eigentlich ein eher untypisches Biotop, da völlig überdüngt und voller Fische. Aber was solls, Netz reingehängt und eine Probe mitgenommen. Wider erwarten, gab es in der Probe noch ein paar fotogene Objekte, die ich hier zeigen möchte.

Zuerst habe ich eine kuriose Begegnung mit Keratella cochlearis. Das Exemplar trug ein riesiges Subitanei mit sich rum. Dazwischen klemmte jedoch etwas, was ich erst für ein weiteres, kleines Ei gehalten habe. Nach ein paar Sekunden streckte "das Ei" jedoch eine Wimperkrone heraus. Es handelte sich um einen solitär lebenden Peritrichen (vielleicht Scyphidia?), der sich tatsächlich zwischen das Ei und das Muttertier gequetscht hatte (Pfeil):



Interessanter Weise fand ich auf dem Boden der Planktonprobe auch zahlreiche hypotriche Ciliaten, die ich als Euplotes identifizieren konnte, eventuell Euplotes patella. Wie kamen die ins Plankton? Ich vermute, dass sie eher auf Schwebeteilchen im Wasser herumgekrochen sind. In der stehenden Probe sind sie dann mit den Partikeln abgesunken. Trotzdem ein fotogenes Objekt. Hier zwei Fokusebenen auf die Cirren:



Das häufigste Rädertier in der Probe war mit Sicherheit Brachionus calyciflorus:



Hier eine Detailaufnahme der Wimpernkrone:



Die Population war zu mindestens 50 % durchseucht von Betramia, einem parasitischen Pilz vieler Rädertiere. Betramia wurde hier im Forum schon oft gezeigt, ist aber immer wieder fotogen:



Bei hoher Vergrößerung erkennt man, dass die "Würste" aus tausenden von Pilzsporen bestehen, von denen jede einen Durchmesser von ca. 4 µm hat:



Das highlight in der Probe war aber ein planktischer, peritricher Ciliat, den ich bisher noch nie hatte. Ich konnte die Art eindeutig als Epicarchesium pectinatum bestimmen (bis 1999 Carchesium pectinatum). Die Kolonien hatten in meiner Probe bis zu ca. 20 Individuen. Das erste Merkmal zur Bestimmung ist der Schwimmstil, denn die Kolonie schwimmt mit dem Stielende voran:



Hier die gleiche Kolonie bei höherer Vergrößerung. Man erkennt etwas undeutlich, dass die Stiele der Indvidiuen nicht mit dem Hauptstiel verbunden sind. Dazwischen gibt es eine Lücke. Ein typisches Merkmal von Epicarchesium:




Viel Spass beim anschauen und selber fischen!

Martin


Heiko

Lieber Martin, und die ,,Tümpel-Fraktion" überhaupt,

bezaubernd schön die Fotos, kenntnisreich die Erklärungen – ein phantastisches Universum, welches Ihr da eröffnet.

Begeistert, Heiko

MikroMicha

Lieber Martin,

einfach Meisterklasse!!! Eine andere Umschreibung habe ich dafür nicht.

Letztendlich hat sich das Planktonfischen für Dich und letztendlich auch für uns als Betrachter mehr als gelohnt. Vielen Dank für die tollen Aufnahmen und Deine Erklärungen.
Herzliche Grüße sendet

Michael (MikroMicha)

mikropit

Lieber Martin!
Ganz tolle, sehr kenntnisreiche, umfangreiche Präsentation. Die Bilder zeigen einen Detailreichtum sondergleichen.
danke
Peter - mikropit
mikropit

Michael Plewka

hallo Martin,


natürlich kommt an erster Stelle die Gratulation zu
1. dem -für Dich- neuen Fund  und
2. den ultrapräzisen Aufnahmen.


Im Zusammenhang mit Deiner Frage hier:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=37059.0
möchte ich auf Dein Bild von B. calyciflorus eingehen. Es ist ja mittlerweile ein klassisches Beispiel für umweltbedingte Modifikation, dass die Dornenlänge von diesen Viechern abhängig ist von der Anwesenheit eines Predators, nämllch Asplanchna. Ähnlich wie der Mixis-Stimulus bei Asplanchna durch einen Stoff (Vitamin E) bewirkt werden kann, kann bei B. calyciflorus  im Laborexperiment die Zunahme der Dornenlänge durch einen "Asplanchna-Stoff" (ein Peptid) bewirkt werden. Insofern könnte man jetzt aus den in Deinem Bild sichtbaren kurzen Dornen schließen, dass keine Asplachnas vorhanden waren.
Ist Asplancha (wider Erwarten) doch vorhanden, würde es sich lohnen, nach miktischen Weichen >>> Männchen Ausschau zu halten....

Einerseits ist Dein "Neufund" aus morphologischer Sicht interessant; aber ich habe mich mehr an der Erwähnung des "Schwimmstils" aufgehängt. Ich persönlich habe beim Anblick vieler peritricher Ciliaten intuitiv und spontan den Eindruck von einer Pflanze. Diese Analogie kommt ja  bei sessilen Formen,  die als Epibionten auf Crustaceen etc. hausen, noch einigermaßen hin.  Da ist eine solche Kolonieform für ein planktisches Wesen ein ziemlicher Exot. Hast Du mal das Wachstum einer solchen Kolonie (natürlich nicht von dieser Art)  verfolgt? Ich habe in Foissners und Hausmanns Büchern  nach Bildern  einer Teilung einer Peritrichen-Zelle Ausschau gehalten, bin aber (noch) nicht fündig geworden.
Es würde mich da interessieren, wie der Stiel "geteilt" wird.


Beste Grüße
Michael

Martin Kreutz

Hallo Zusammen,

vielen Dank für euer Lob!

@Michael: Soweit ich mich erinnern kann, waren in der betreffenden Probe auch Asplanchna zu finden, jedoch nur wenige Exemplare. Das würde zur Korrelation mit der Dornlänge passen. Ich werde am Wochenende nochmal eine Probe dort holen und mir die Asplanchna mal genauer anschauen! Was die Teilung von pertrichen Ciliaten angeht, so kann ich weder mit einem Bericht einer Beobachtung noch mit einem Foto dienen. Tatsächlich habe ich bewusst noch keine Teilung gesehen. Eine interessante Fragestellung, wie das eigentlich inklusive Verzweigung vor sich geht. Ich werde in der nächsten Probe darauf achten!

Martin

Peter V.

Hallo Martin und Michael,

ich schreibe es in diesen Thread, ich hätte es aber auch genau so gut in den letzten Thread von Michael schreiben können: Ich danke euch für diese instruktiven und  toll bebilderten Beiträge, die mich immer wieder begeistern und die zweifellos zum Besten gehören, was dieses Forum zu bieten hat. Interssant finde ich auch, dass Ihr beide eine spezielle Art der Bildverarbeitung habt, die inzwischen deutlich unterschiedlich, aber auf ihre Art (speziell bei Michael) unverwechselbar ist. Eure Fotos sind auf jeden Fall immer sensationell und unübertroffen. Ich finde auch, dass sich für Dich, Martin, der neute HR-DIC (über den Du ja auf der Konrrade berichtet hast) gelohnt hat. ich freue mich auf viele weitere beiträge dieser Art.

Herzliche Grüße
Peter



Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Martin Kreutz

Hallo Peter,

herzlichen Dank für Dein Lob und Deine Einschätzung. Ich fasse es mal so auf, dass unsere Plankton Beiträge Dich dazu bewogen haben, zum Äußersten zu gehen, so dass Du selber eine Probe gezogen hast und unter dem Mikroskop betrachtet hast! Mehr Wirkung kann man von einem Beitrag auch nicht erwarten!

Tatsächlich bin ich mit meinem HR-DIK und meinem neuen Kondensor NA 1.4 außerordentlich zufrieden. Natürlich ist der Urlaub oder dreilagiges Klopapier für die nächsten 5 Jahre gestrichen. Aber dafür Viecher in höchster Auflösung abzulichten, hat sich gelohnt, auch wenn das in meinem Haushalt eine unbedeutende Einzelmeinung ist!

Martin

Martin Kreutz

#8
Liebes Forum,

als ich diesen Beitrag letzte Woche einstellte, hatte Michael (Plewka) folgende Frage dazu, die ich erstmal nicht beantworten konnte:

ZitatHast Du mal das Wachstum einer solchen Kolonie (natürlich nicht von dieser Art)  verfolgt? Ich habe in Foissners und Hausmanns Büchern nach Bildern  einer Teilung einer Peritrichen-Zelle Ausschau gehalten, bin aber (noch) nicht fündig geworden. Es würde mich da interessieren, wie der Stiel "geteilt" wird.

Das ist eine interessante Fragestellung. Deshalb habe ich eine weitere Probe vom Fundort geholt und die Sache untersucht. Ich habe meinen Beitrag mit meinen Ergebnissen und Bildern "aufgebohrt", für Leser, die das auch interessieren würde.

Martin

Michael Plewka

Hallo Martin,

Du hast die Zellteilung / Myonemteilung wirklich super dokumentiert. Wahrscheinlich sind Deine Bilder  die ersten überhaupt in dieser Hinsicht und somit einzigartig!
Deshalb: nochmals vielen Dank für die präzise Beantwortung meiner  Frage!
Beste Grüße
Michael Plewka