Der Spross der Roten Lichtnelke - Silene dioica *

Begonnen von Fahrenheit, Juli 09, 2020, 12:02:39 NACHMITTAGS

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Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

bis vor einigen Jahren war sie an der unteren Sieg kaum zu sehen, mittlerweile ist sie recht häufig anzutreffen: die Rote Lichtnelke (Silene dioica). Die nahe Verwandtschaft ist dann meistens auch nicht fern: im Frühling und Frühsommer die Weiße Lichtnelke (Silene latifolia) und etwas später dann das Taubenkropf-Leimkraut (Silene vulgaris), das im Rheinland schon immer häufig zu finden war und ist.
Diesmal hat mich der Spross der Roten Lichtnelke interessiert, aber wie immer zunächst kurz zur Pflanze selbst:


Informationen zur Roten Lichtnelke

Die Rote Lichtnelke (Silene dioica), auch Rotes Leimkraut, Rote Nachtnelke, Rote Waldnelke, Taglichtnelke oder Herrgottsblut genannt, ist eine Pflanzenart aus der Gattung Leimkräuter (Silene) innerhalb der Familie der Nelkengewächse (Caryophyllaceae).

Bild 1: Blühende Rote Lichtnelke im Halbschatten unter Bäumen


Das Hauptverbreitungsgebiet der Silene dioica liegt in Mittel-, Nord- und Osteuropa. Außerhalb Europas wurden Funde in Algerien und Marokko dokumentiert, als Neophyt findet sie sich aber auch in den USA und Kanada so wie vereinzelt in Ostasien.

Bevorzugte Standorte der Roten Lichtnelke sind kalkreiche feuchte Wiesen, feuchte Waldschläge, Waldsäume, Hochstaudenfluren, Gebüsche sowie Bruch- und Auenwälder. In den Alpen steigt sie bis in Höhenlagen von 2400 Metern, so z.B. in den Allgäuer Alpen am Kreuzeck.

Bild 2: Eine Pflanze zwischen Gräsern an einem sonnigen Standort (zweiter Austrieb, hier wurde auch gemäht)


Die Rote Lichtnelke ist eine sommergrüne, zweijährige oder wenige Jahre ausdauernde krautige Pflanze und erreicht Wuchshöhen von 30 bis 90 Zentimeter. Die oberirdischen Pflanzenteile sind dicht drüsig behaart.

Bild 3: Ein gegenständiges Blattpaar


Die gegenständig am Stängel angeordneten Laubblätter besitzen eine einfache, eiförmige bis lanzettliche Blattspreite, die ganzrandig und zum oberen Ende spitz ausläuft.

Bild 4: Blütenstand der roten Lichtnelke



Die Rote Lichtnelke ist meist zweihäusig getrenntgeschlechtig (diözisch). Die Blütezeit reicht von April bis Oktober. Auffällig ist die dichasiale Anordnung der Blüten, die man bei den Nelkenartigen häufig findet. Bei dieser Anordnung der endständigen Blüten entspringt in den Blattachseln des letzten Blattpaares unterhalb der Blüte je wein weiterer Blütenstiel, der sich wiederum auf gleiche weise verzweigt.

Bild 5: Blüte der roten Lichtnelke


Die fünfzähligen, duftlosen, eingeschlechtigen Blüten sind bei einem Durchmesser von 18 bis 25 Millimetern radiärsymmetrisch und fünfzählig. Der stark behaarte Kelch ist 10 bis 15 Millimeter lang, bei männlichen Blüten zehn- und bei weiblichen Blüten zwanzignervig. Die fünf roten Kronblätter sind tief zweispaltig mit einer Länge von 15 bis 25 Millimetern. Am Schlund der Krone befindet sich eine Nebenkrone, die aus fünf zweilappigen Ligulae gebildet wird. Die weibliche Blüte enthält fünf Griffel.

Bild 6: Samenkapseln der Roten Lichtnelke


Bild 7: Samen der Roten Lichtnelke


Die im Herbst bis in den frühen Winter gebildete, kugelige Kapselfrucht besitzt zehn nach außen gekrümmte Zähne, an denen entlang sie sich zackig öffnet. Die dunkelbraunen bis schwarzen Samen wirken etwas mohnkornartig mit feiner Struktur.

Bild 8: Illustration zur Rotebn Lichtnelke

Aus Deutschlands Flora in Abbildungen, Johann Georg Sturm (Zeichner: Jacob Sturm), gemeinfrei


Hier die Informationen zur Präparation

Geschnitten habe ich den Spross freistehend auf dem Tempelchen (Zylindermikrotom im Halter als Tischmikrotom) mit Leica Einmalklingen 818 im SHK Halter.
Die Schnittdicke beträgt je ca. 50µm.

Freistehend, ja. aber der Spross der Roten Lichtnelke ist innen hohl. So einfach geht das also nicht. Parallel zur Silene habe ich auch Spross und Blattstiel eines Ampfers (Rumex) präpariert und mit viel Glück passte der Blattstiel genau in die Höhlung des Sprosses. Eine Win-Win-Situation: der Blattstiel enthält kaum Sklerenchyme und wird hauptsächlich durch den Turgor in Form gehalten, freistehend hätte ich ihn nicht schneiden können.

Fixiert wurden die Schnitte für ca. 24 Stunden in AFE. Nach Überführen in Aqua dest. waren die Schnitte dann bereit für die Färbung.

Gefärbt habe ich für 7 Minuten mit W3Asim I nach Rolf-Dieter Müller mit einmaligem leichten Erwärmen bis kurz vor den Siedepunkt.
Anschließend habe ich gut mit Aqua dest. gespült und für 3 Stunden bei mehrmaligen Wechsel des Wassers sanft differenziert.

Eingedeckt wurden die Schnitte nach gründlichem Entwässern mit reinem Isopropanol wie immer in Euparal.


Kurz zur verwendeten Technik

Die Aufnahmen sind auf dem Leica DMLS mit den PlanApos 10x, 20x und 40x entstanden. Die Kamera ist eine Panasonic GX7, die am Trinotubus des Mikroskops ohne Zwischenoptik direkt adaptiert ist. Die Steuerung der Kamera erfolgt durch einen elektronischen Fernauslöser. Die notwendigen Einstellungen zur Verschlusszeit und den Weißabgleich führe ich vor den Aufnahmeserien direkt an der Kamera durch. Der Vorschub erfolgt manuell anhand der Skala am Feintrieb des DMLS.

Alle Mikroaufnahmen sind mit Zerene Stacker V1.04 (64bit) gestackt. Die anschließende Nachbereitung beschränkt sich auf die Normalisierung und ein leichtes Nachschärfen nach dem Verkleinern auf die 1024er Auflösung (alles mit XNView in der aktuellen Version). Bei stärker verrauschten Aufnahmen lasse ich aber auch mal Neat Image ran.


Und nun zu den Präparaten

Nach dem langen Vorwort schäme ich mich fast ein bisschen: vom Spross kann ich insgesamt nur 6 Mikroaufnahmen zeigen. Ich hoffe, sie gefallen wenigstens.

Beginnen wir mit dem Überblick auf ein Segment des hohlen Sprosses:

Bilder 9a-c: Sprosssegment der Roten Lichtnelke im Überblick, Bild 9a vom frischen ungefärbten Schnitt, Bild 9c mit Beschriftung




Wir sehen von außen nach innen: links ein großes, mehrzelliges Trichom (Tr), dann Cuticula (Cu) und Epidermis (Ep), darunter das Rindenparenchym (RP). Es folgt ein umlaufender Sklerenchymring (SklR), bei dem die Dicke der Zellwände von außen nach innen abnimmt. Dieser Ring ist das hauptsächlich stabilisierende Element des Sprosses, das dessen Tragfähigkeit und Zähigkeit sicher stellt.
Darunter finden wir, eingebettet in das Markparenchym (MP) und an den Sklerenchymring angrenzend, eine unregelmäßige Reihe nicht verbundener offen kollateraler Leitbündel mit Phloem (Pl), Cambium (Ca) und Xylem (Xl). Es ist anzunehmen, dass der Sklerenchymring aus den zusammen gewachsenen Leitbündelkappen der Leitbündel hervorgegangen ist. Die Genese der Zellen erfolgt natürlich durch die Teilung des umlaufenden Cambiums.

Schauen wir etwas genauer hin:

Bilder 10a-c: Detail aus dem Spross, Bild 10a vom frischen, unfixierten Schnitt, Bild 10c mit Beschriftung


 

Im Bild die Gewebe bis zum Leitbündel, mit den bereits beschriebenen Gewebearten. Im Leitbündel selbst ist nun das Cambium (Ca) gut erkennbar. Außerdem finden wir in der Epidermis zwei Stomata (St).

Zum Schluss noch ein Blick auf die äußeren Gewebeschichten:

Bilder 11a,b: Die äußeren Gewebe in höherer Vergrößerung, Bild 11b mit Beschriftung



Auffällig hier das etwas verunglückt wirkende Stoma. Ob da ein Pilz am Werk war?

Vielen Dank fürs Ansehen, Anregung und Kritik sind wie immer willkommen.

Herzliche Grüße
Jörg
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Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

jcs

HAllo Jörg,

wieder eine sehr schöne und informative Aufbereitung! Den Trick mit der "Innenverstärkung" finde ich spannend. Das Problem des zu weichen Schnittguts hat man sicher öfters. Ist das Einbetten mit wasserlöslichen Materialien (z.B. PEG) auch eine denkbare Variante?

Noch eine Frage zum Stacking: Wie viele Aufnahmen verwendest Du da typischerweise?

LG

Jürgen

Fahrenheit

Lieber Jürgen,

vielen Dank für Dein Lob!

Ja, vor einiger Zeit hat Rainer mal Experimente mit PEG 1500 gemacht und auf einer Kornrade vorgestellt. Vielleicht meldet er sich auch hier im Thread. Nach meiner Erinnerung schrumpft das PEG beim Trocknen recht stark und empfindliche Proben können einreissen.

Ich stapele in aller Regel mit 40 Aufnahmen. Bei den höher vergrößernden Plan-Apochromaten sind es wegen der geringen Tiefenschärfe oft weniger: bis runter auf 8 Bilder, je nach dem, was ich zeigen möchte. Bei meinem 5x NPlan Übersichtsobjektiv können es auch schon mal 60 Bilder sein, wenn das Präparat nicht besonders plan liegt oder etwas dicker ist.

Herzliche Grüße
Jörg
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rhamvossen

Hallo Jörg,

Deine Schnitte und Aufnamen sind wie immer grosse Klasse! Beste Grüsse,

Rolf

JoachimHLD

#4
Hallo Jürgen,   

wenn Du mit google "PEG Einbettung" suchst bekommst Du viel Information besonders auch von Dr. Ralf Wagner angezeigt. Mit PEG kann man gut Blöcke schneiden solange man nicht versucht Objekte wie Halme von Getreide oder Strandhafer zu schneiden die beim Auflösen des PEG in ihre Bestandteile zerfallen wie Halm und Blatthülle ... dafür dann Paraffin zum Einbetten verwenden um den Schnitt auf Objektträger oder Deckglas mit GE aufzukleben.

Viele Grüße
Joachim

Fahrenheit

Guten Morgen Rolf,

vielen Dank für Dein Lob, es freut mich, dass Dir der Thread gefällt.

Guten Morgen Joachim,

danke für Deinen Hinweis, den ich noch nicht kannte. Ich habe hier nämlich noch eine halbe Dose PEG 1500, die ich dann doch vielleicht noch mal ausprobiere.

Allen herzliche Grüße
Jörg
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Alex H.

Hallo Jörg,

vielen Dank für den interessanten Beitrag und die tollen Bilder! Ja, ich weiß - das hier ist ein Mikroskopie-Forum, die Schnippler sind hier stark vertreten, und das Anfertigen perfekter Schnitte, das Färben und Fotografieren am Mikroskop ist eine hohe Kunst, aber mir als "Morphologen" gefallen ausgerechnet die Bilder 3, 6 und 7 ganz besonders gut. Danke dass Du bei Deinen Beiträgen auch immer auf die Pflanze im Ganzen ein gehst. So bekommt man ein umfassendes Bild, und weiß auch die Schnitte besser einzuordnen und zu interpretieren.

Grüße
Alex
Botanik, vorrangig heimische Wildpflanzen, die Morphologie der Sporen, Pollen, Blüten, Früchte und Samen, Blütenökologie, Kryptogamen im Allgemeinen;
Stereolupe: optimiertes LZOS MBS-10; Mikroskop: gut ausgestattetes LOMO Biolam;

jcs

Zitat von: JoachimHLD in Juli 09, 2020, 19:34:14 NACHMITTAGS
wenn Du mit google "PEG Einbettung" suchst bekommst Du viel Information besonders auch von Dr. Ralf Wagner angezeigt. Mit PEG kann man gut Blöcke schneiden solange man nicht versucht Objekte wie Halme von Getreide oder Strandhafer zu schneiden die beim Auflösen des PEG in ihre Bestandteile zerfallen wie Halm und Blatthülle ... dafür dann Paraffin zum Einbetten verwenden um den Schnitt auf Objektträger oder Deckglas mit GG aufzukleben.
Hallo Joachim,

danke für den Hinweis auf die Präsentation von R. Wagner, das ist interessant! Das Schöne an PEG ist ja, dass man im hydrophilen Bereich bleiben kann, und nicht wie bei Paraffin zwischen hydrophil und hydrophob hin- und herwechseln muss. Falls das Anhaften der filligranen Bestandteile eines PEG-Schnittes das Problem ist, könnte man die Schnitte vor dem Auflösen des PEG eventuell am Objektträger ankleben, z.B. mit reaktiven PEG-Acrylaten. Hat das schon einmal jemand versucht?

Noch eine Frage: Was ist "GG"?

LG

Jürgen

JürgenG.

Servus Jörg,

bin ja nicht so der Botaniker, wobei mir deine Arbeit sehr gefällt.
Auf dem dritten Bild hast du noch eine Pisaura mirabilis mit drauf, die Listspinne!

Gruß Jürgen

JoachimHLD

Hallo Jürgen,

das sollt GE = Glyzerineiweiß sein zum Aufkleben von Paraffinschnitten.
Leider hat sich mein Strandhafer in PEG weder mit GE noch nach der in der Mirkofibel  ,,5.5.1.1. Handschnitte" beschriebenen Methode so aufkleben lassen das der Querschnitt oder der Längsschnitt in ihrer Struktur erhalten waren.

Viele Grüße
Joachim

Fahrenheit

Liebe Freunde,

vielen Dank für Euer Lob, das mich sehr freut!

Lieber Alex, ja, für mich gehört der Blick auf die ganze Pflanze auch dazu, zumal man nach einiger Zeit viel aufmerksamer durch die Natur geht und auch viel mehr erkennt. www.inaturalist.com kennst Du?

Lieber Jürgen, danke für den Hinweis! ich hatte das Spinnchen gesehen, wusste aber nicht, was es ist, leider ist die aufnahme etwas unscharf geworden, es war an den Tag sehr windig.

Allen herzliche Grüße
Jörg
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Hans-Jürgen Koch

Lieber Jörg,

wie immer ein lehrreicher Beitrag, den ich gerne gelesen habe.

www.inaturalist.com  diese Seite ist leider nicht erreichbar

Gruß nach Sankt Augustin

Hans-Jürgen
Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

<a href="http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2650.0" target="_blank">Hier geht es zur Vorstellung</a>

Gerne per "Du"

JoachimHLD


Fahrenheit

Lieber Hans-Jürgen,

vielen Dank für Dein Lob! :)

Ja, Joachim hat Recht: es ist www.inaturalist.org.

Sorry für den Fehler, habe die Seite in den Favoriten und nicht richtig hin geschaut.

Herzliche Grüße
Jörg
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forscherbrain27

WOW! Es ist immer wieder beeindruckend, zu sehen, was die Natur zu bieten hat. Das sind wirklich ganz fantastische Aufnahmen. Diese Farben überwältigen mich einfach besonders. Da kann man sich einfach gar nicht satt schauen. Eine tolle Arbeit  ;)