Botanik: Sprossquerschnitte vom schwarzen Nachtschatten (Solanum nigrum) *

Begonnen von Fahrenheit, September 16, 2010, 22:37:23 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

Mila hat mir im Juli einen Schwarzen Nachtschatten (Solanum nigrum) überlassen, der sich gut entwickelt hat und zur Zeit reichlich Früchte trägt. Schließlich habe ich es nicht übers Herz gebracht, ihn zu zerschnibbeln, sondern mich bei den in der Nähe meines Arbeitsplatzes in Köln reichlich wild wachsenden Artgenossen bedient.

Der Schwarze Nachtschatten (Solanum nigrum) ist eine Art aus der Gattung der Nachtschattengewächse (Solanum), die fast weltweit verbreitet und häufig als Ruderalpflanze zu finden ist. Aufgrund des hohen Gehalts an Alkaloiden, vor allem in den unreifen Beeren, wird die Pflanze häufig als Giftpflanze kategorisiert. Andererseits werden die reifen Beeren vielerorts gegessen und in Nordamerika auch ein Gelee aus ihnen zubereitet. Die Blätter werden zu Gemüse verarbeitet.
Ähnliches gilt übrigens auch für Solanum lycopersicum und deren viele Unterarten und Hybriden - umgangssprachlich auch Paradeiser oder Tomate genannt.  ;D

Der Schwarze Nachtschatten ist eine einjährige, krautige Pflanze, die an günstigen Standorten in der aufrechten Wuchsform eine Höhe von bis zu einem Meter erreichen kann. Die Oberfläche aller Pflanzenteile kann schwach bis filzig behaart sein. Die Haare sind mehrzellig und tragen teilweise drüsige Köpfe. Die Stängel verholzen auch an der Basis nicht und sind jetzt im Herbst oft lila-schwärzlich überlaufen. Der Querschnitt weist bis zu vier leichte Kanten auf.

Die Blütezeit des Schwarzen Nachtschattens reicht von Juni bis Oktober. Die Blütenstände sind einfache Trugdolden mit 3 bis 10 Einzelblüten und stehen an eigenen kleinen Stängeln zwischen den Ansatzpunkten der mittleren und oberen Blätter.
Die kleinen sternförmige Blütenkrone besteht aus fünf weißen Kronblättern, die an der Basis bis zur Hälfte ihrer Länge miteinander verwachsen sind und zum Blütenzentrum durchscheinend werden. Die fünf an der Kronenbasis fixierten Staubblätter sind gelb mit zusammenneigend angeordneten Staubbeutel. An den Blüten sieht man häufig Schwebfliegen, Bienen und Hummeln.

Die Früchte des Schwarzen Nachtschattens sind rundliche Beeren, die zunächst grün gefärbt sind, aber zur Reife einen satten, blauschwarzen Farbton annehmen.

Alle Teile der Pflanze enthalten die Steroidalkaloide Solanin, Solasonin, Solamargin und Chaconin in stark schwankender, aber mit dem Alter abnehmender Konzentration. In frischen Blättern wurde außerdem Ascorbinsäure in einer Konzentration von ca. einem Milligramm pro einhundert Gramm nachgewiesen.

Medizinische Anwendungen des Schwarzen Nachtschatten sind aus vielen Kulturen bekannt. Das während der Blütezeit gesammelte und getrocknete Kraut wird in der Volksheilkunde als Medizin gegen Magen- und Blasenkrämpfe und Keuchhusten eingesetzt. Eine äußerliche Anwendung wird bei verschiedenen Hauterkrankungen empfohlen. In der Homöopathie wird die gesamte, frische, blühende Pflanze bei Erkrankungen des Zentralnervensystems eingesetzt.

Weitere Informationen gibt es wie immer in der Wikipedia, die den Schwarzen Nachtschatten in einem ausführlichen Artikel beschreibt.

Zunächst einige Bilder der Pflanzen an ihrem Standort mitten in Köln:

Bild 1: Üppig wuchernder Schwarzer Nachtschatten


Bild 2: Kleine Blüten luken durch Blattwerk ...


Bild 3: Makroaufnahme einer Trugdolde


Bild 4: Unreife Früchte


Bild 5: Eine reife Beere ...


Zum schwarzen Nachtschatten gibt es auch sehr schöne Illustrationen:

Bild 6: Eine einfachere Illustration von Johann Georg Sturm aus Deutschlands Flora in Abbildungen von 1796 (Quelle http://www.biolib.de - public domain).


Bild 7: Aus meiner Sicht künstlerisch anspruchsvoller und genau so informativ: die Illustration aus der Flora Batava (Quelle www.biolib.de - public domain).


Geschnitten habe ich in AFE objektfixierte Stängel mit dem Zylindermikrotom und Einmalklingen (Leica) im Klingenhalter. Die Schnittdicke beträgt ca. 50 µm.
Die anschließende Färbung erfolgte nach Wacker W3A mit Acridinrot (1% in Ethanol 50% für ca. 8 Minuten), Acriflavin (1% in Aqua dest. für ca. 30 Sekunden) und Astrablau (1% in Aqua dest. mit einer Spur Acriflavin für ca. 40 Sekunden).

Nun aber zu den Schnitten.

Bild 8: ein Ausschnitt aus dem Stängelquerschnitt, Vergrößerung 50x, Stapel aus 6 Bildern

Der Durchmesser des kompletten Stängels beträgt ca. 4 mm, er ist innen hohl. Die Trichome und eine der Kanten sind gut zu erkennen.

Bild 9 a/b: Ausschnittsvergrößerung eines der Hauptleitbündel, Bild 9b mit Beschriftung. Vergrößerung 100x, Stapel aus 10 Bildern


EP : Epidermis und Cuticula
KO : Kollenchymring
RP : Rindenparenchym
Pl  : Phloem, hier das 'normale' aussen liegende Phloem
Xl  : Xylem
Tr  : Trachee
IPl : drei innen liegende Phloemstränge, eingebettet ins Markparenchym
MP : Markparenchym
SG : Stützgewebe. Die Zellen sind, wie an der grünen Färbung zu erkennen, nicht verholzt, weisen aber stark verdickte Zellwände auf.

Bild 10: Strang des innen liegenden Phloems, Vergrößerung 400x, Stapel aus 5 Bildern

Am unteren Rand ist eine Siebzelle mit angeschnittener Siebplatte zu erkennen, welche das Gewebe eindeutig als Phloem ausweist.
Innen liegendes Phloem kommt bei vielen Gewächsen der Familie Solanaceae vor.

Bild 11: Das normale Phloem und die Stützzellen, Vergrößerung 400x, Stapel aus 8 Bildern

Im Phloem findet sich wieder eine Siebzelle, diesmal mit kompletter Siebplatte. Die verdickten Zellwände der Stützzellen lassen einen geschichteten Aufbau erkennen.

Bild 12: Nochmal ein Querschnitt durch das gesamte Leitgewebe, Vergrößerung 200x, Stapel aus 6 Bildern

Es ist schön zu erkennen, dass die innen liegenden Phloembündel vom Metaxylem durch einige Lagen Markparenchymzellen getrennt sind.
Weiterhin zeigen sich zwischen den großen Tracheen (Durchmesser um die 70 µm) strahlenartige Zellgruppen mit großen Tüpfeln, die wohl ähnlich der Markstrahlen bei den Pflanzen mit sekundärem Dickenwachstum der Versorgung der umliegenden Gewebe und der Verbindung der Xylemelemente untereinander dienen.

Vielen Dank für's Lesen! Anregung und Kritik sind wie immer willkommen.

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Jan Kros

Hallo Jörg

Schöne Bilder und wieder gut dokumentiert.
Ich habe alles ausgedruckt

Herzlichen Gruss
Jan

Fahrenheit

Lieber Jan,

vielen Dank für Dein Lob! Es freut mich, dass Dir mein Beitrag gefällt.

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Mila

Lieber Jörg,

eine sehr schöne Dokumentation, prima ist Deine Beschriftung des bikollateralen Leitbündels.

Das Foto der reifen Beeren gefällt mir sehr gut.

Schön, dass Dein Schwarzer Nachtschatten noch lebt ;)

Herzliche Grüße
Mila

Fahrenheit

Liebe Mila,

auch Dir vielen Dank für Dein Lob!

Ob es sich da wirklich um ein bikollaterales Leitbündel handelt, weiß ich nicht so genau. Die kleinen Phloembündel liegen nicht nur direkt hinter den großen Xylembündeln, sondern kommen auch zwischendrin immer wieder vor.
Bikollaterale Leitbündel stelle ich mir, hm - geschlossener - vor. Deswegen hatte ich bei den Bilder 9 und 12 darauf hingewiesen, dass die Phloembündel von Markparenchymzellen umschlossen sind und nicht direkt ans Xylem grenzen.

Bild 13: Phloembündel im Markparenchym, Vergrößerung 200x, Stapel aus 6 Bildern
 

Was das Bild mit den reifen Beeren angeht: es ist von Deiner Pflanze. Die stand immer schön warm und sonnig auf der Fensterbank und hat es schon weiter gebracht, als die nicht so verwöhnten "Freilandler".  ;D ;D

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Mila

Lieber Jörg,

bikollaterale Leitbündel werden in der Literatur kaum beschrieben, auch der druckfrische Lüttge/Kluge/Thiel: Botanik mit seinen über 1200 Seiten hält sich sehr zurück.
Da aber gerade die Solanaceen bikollaterale LB zeigen, stelle ich mal die kühne Behauptung auf, dass es sich hier beim Schwarzen Nachtschatten auch um solche handelt, auch wenn das innere Phloem sich nicht ganz so kollateral anschmiegt :)

Hier hatten wir auch schon mal Bikollaterales:
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=6559.0

Vielleicht kann Detlef weiter helfen?

Herzliche Grüße
Mila

Fahrenheit

Liebe Mila,

Zitat...bikollaterale Leitbündel werden in der Literatur kaum beschrieben...
Das ist das Problem. Man findet in der Regel nur die Standards, im Wanner z.B. den Kürbis (Curcurbita pepo) mit seinen offen bikollateralen Leitbündeln (S. 172 ff.).
Im Raven/Evert/Eichhorn ist es auch der Kürbis, immerhin mit der Aussage, dass das interne (innere) Phloem grundsätzlich primär ist (S. 612 ff, 3. Auflage 2000).
Schön: beim Wanner gibt es auch zwischen dem inneren Phloem und dem Xylem ein Cambium, beim Raven at al. wird dessen Existenz verneint.  >:(

Im Strasburger (S. 147, 36. Auflage 2008) werden die bikollateralen Leitbündel insbesondere bei den Nachschatten- und Kürbisgewächsen erwähnt, wie Du schon geschrieben hast.

In allen Fällen weisen die Zeichnungen und Mikrophotos aber auf einen direkten Kontakt zwischen Innenphloem und Xylem hin (nur Wanner hat ein zweites faszikuläres Meristem (= Leitbündelcambium) dazwischen geschoben.

Eschrich schreibt in seiner Funktionellen Pflanzenanatomie (Springer, 1995) im Kapitel 5.14 (Seite 186 ff.):
ZitatDie bicollateralen Leitbündel der Solanaceen, Curcurbitaceen, Cichorioideae und vieler anderer Familien besitzen ein internes Phloem, das sich entwicklungsgeschichtlich und in seiner Operationsweise vom externen Phloem unterscheidet.
In der Tomatenwurzel entstehen interne Phloembündel aus Initialzellen im peripherischen Wurzelmark (Abb. 5.49). Diese Phloembündel sind mit den collateralen Leitbündeln der Wurzel-Stängel-Achse nur räumlich assoziiert. Sie bestehen aus primärem Phloem, haben keinen Dickenzuwachs, also kein Cambium an der zum Xylem gekehrten Seite (Eschrich 1976).

Für die Gefiederte Spaltblume (Schizanthus pinnatus), ebenfalls ein Gewächs aus der Familie der Nachschattengewächse (Solanaceae), beschreibt Gustav von Schlepegrell in seinem Aufsatz "Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Tubifloren" (Botanisches Zentralblatt, Band L. Nr. 1, 1892, Seite 35):
Zitatinneres Phloem in vereinzelten kleinen Nestern
Das kommt der Situation beim Schwarzen Nachtschatten doch sehr nahe.

Wie Detlef es die Tage schon als Advocatus diaboli beim Cambium der Blattstielen andeutete: die Pflanzen wachsen nicht so dogmatisch, wie Lehrbücher geschrieben werden - und der Rest ist Erfahrung.  Ich denke, davon haben wir eben wieder ein wenig gewonnen.  ;)

Da Eschrich die Cichorioideae erwähnt, habe ich mir noch einmal einen Stängelquerschnitt der Wegwarte (Cichorium intybus) angesehen und zumindest einige Phloembündel weit weg vom Xylem gefunden. Sie liegen hier jedoch am Aussenrand des Sklerenchymrings. Zumindest bis auf eines, das liegt mitten drin.  ;D

Bild 14: einzelne Phloembündel im Sprossquerschnitt der Wegwarte, Vergrößerung 400x, Stapel aus 6 Bildern


Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Mila

Lieber Jörg,

vielen Dank, dass Du auch noch so ausgiebig recherchiert hast :)

Da hilft nur eins: wir müssen selber ein tatsachengestütztes Lehrbuch schreiben ;D
(wenn wir mal sonst nix zu tun haben :D)

Herzliche Grüße
Mila

Detlef Kramer

Hallo Jörg, Mila,

es ist in der Tat schwierig, in Lehrbüchern eine Aufstellung zu finden, wo bikollaterale Leitbündel vorkommen. Von den Solanazeen weiß ich es definitiv. Auch die Sache mit dem inneren Kambium wird unterschiedlich dargestellt. Von einem Fall weiß ich, dass es tatsächlich existiert und auch aktiv ist, nämlich bei der Zaunwinde.

Jörg, Du leistest wirklich Pionierarbeit! Was Du bräuchtest, ist das zweibändige Werk von Metcalfe: "The Anatomy of the Dicotylidones". Das teht wirklich alles drin. Die üblichen Lehrbücher beschränken sich stets auf typische Beispiele.

Herzliche Grüße
Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

Vorstellung: Hier klicken

Mila

Hallo Detlef,

ja und ist denn das Leitbündel beim Schwarzen Nachtschatten oben nun als bikollateral anzusehen oder nicht?
Leider besitze ich das tolle Buch nicht :'( 

Viele Grüße
Mila

Detlef Kramer

Liebe Mila,

ich denke, im weitesten Sinne schon. Wie der Begriff nun glasklar definiert ist, weiß ich auch nicht und kann ich erst nächste Woche recherchieren. Ich werde jetzt für ein paar Tage abtauchen.

Herzliche Grüße,

Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

Vorstellung: Hier klicken

Mila

Lieber Detlef.

vielen Dank.
Dein Abtauchen hat hoffentlich einen angenehmen Grund :)

viele Grüße
Mila

Fahrenheit

Liebe Mila,

ok, wenn wir mal sonst nichts zu tun haben ...
;D ;D ;D

Lieber Detlef,

danke und danke für den Buch-Tipp. Ich habe mal danach gesucht: das wird wohl schwierig und nicht ganz billig.  ;D

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Detlef Kramer

Lieber Jörg,

das geht bestimmt auch umme. Du musst es doch nicht kaufen. In der Uni-Bibliothek ist es bestimmt vorhanden und da solltest Du problemlos Zugang zu bekommen.

Ja, mein Abtauchen ist von angenehmer Art: am Mittwoch Vortrag vor Zeiss- Vertragshändlern über Mikrofotografie, danach Kurzurlaub am Bodensee und am Sonntag Treffen mit den Freunden, die sich in Bodman treffen.

Herzliche Grüße

Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

Vorstellung: Hier klicken

Fahrenheit

Lieber Detlef,

ja, in der Uni Bibliothek wird es sicher eine aktuelle Ausgabe geben. Schaden, dass es nach der wohl letzten Auflage in den 80er Jahren nicht mehr aufgelegt worden ist und somit auch nicht mehr regulär erhältlich ist. Ich kenne mich: wenn mir ein Buch gefällt, möchte ich es auch irgendwann m Regal haben.  ;)

Viel Spaß bei Deinem Vortrag und am See! Bodman ist eine nette Ecke und der Schlosspark bietet auch für den Botaniker einiges ... :)

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM