Zwei Kieselalgen aus dem Pillersee-Ried

Begonnen von Monsti, Januar 28, 2011, 21:38:37 NACHMITTAGS

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Monsti

Guten Abend, liebe Tümpler,

dies ist der zweite Versuch eines Beitrags, der erste scheint im Nirvana verschwunden zu sein. Die folgenden beiden Kieselalgen fand ich in einem sehr sauberen Bach im Pillersee-Verlandungsgebiet:





Bei Nr. 1 bin ich mir eigentlich sicher, dass es sich um Encyonema sp. handelt, doch weiter komme ich nicht. Bei Nr. 2 schwanke ich zwischen Navicula sp. und Neidium sp. Die feinen Querstreifen stehen senkrecht zur Raphe. Wer kann mir mehr dazu sagen?

Danke für Hilfe und liebe Grüße
Angie

Jan Kros

Hallo Monsti

Ist Encyonema die neue Name für eine Amphora, dann stimmt die Sache, wenn nicht es ist eine Amphora spec
Die zweite ist ein Neidium cf iridis

Liebe Gruss
Jan

Monsti

Lieber Jan,

bei der ersten Kieselalge handelt es sich m.E. um zwei in Teilung begriffene Exemplare. Meine Amphora (ovalis) sehen alle so aus:



Die Bezeichnung Encyonema (Kahn-Kieselalge) habe ich aus dem Wassertropfen (11. Aufl.).

Danke für die Bestimmung der Neidium!

Etwas verwirrte Grüße
Monsti


Diatom

Hallo Monsti, nach meiner Reise durch Äthiopien zurück, möchte ich hier mal erzählen wie der heutige taxonomische Stand von Neidium iridis (Ehrenberg 1843) Kützing 1894 ist. Diese, Ehrenberg´sche Art, fossil aus (Achtung!) New York, damals als Navicula iridis beschrieben, wurde von Cleve 1894 zur Gattung Neidium umkombiniert. Sie ist die am häufigsten falsch bestimmte Art in der gesamten Diatomeenliteratur. Die echte N. iridis ist 300-380µm lang und ca. 52µm lang und hat nahezu völlig lineare Schalen, sie kann am ehesten mit der europäischen Neidium firma Kützing verwechselt werden, die allerdings deutlich kleiner ist. Es ist übrigens ausgeschlossen, das Original genauer zu untersuchen. Die von Ehrenberg gesammelten Diatomeen liegen nämlich auf Micas, das sind Glimmersteine. Sie können mit maximal 300facher Vergroßerung angeschaut werden weil man kein Öl auf die Glimmer geben kann!
Im Vergleich dazu hat Dein Individuum eher ovale Umrisse und ist wesentlich kleiner. Da ich persönlich im Moment an dem Buch "Diatoms of Europe" Vol. 6, "the genus Neidium" arbeite, kann ich mit großer Sicherheit sagen, daß Neidium iridius sensu stricto nach Ehrenberg (Zeichnung) niemals mehr abgebildet wurde; einige Taxonomie-Experten vermuten die Art ist ausgestorben. Etwas ähnlich ist eine Art die im Mekong (Vietnam) und im Mekha River (Nord-Myanmar vorkommt. Diese Art ist bisher noch nicht beschrieben, ist aber etwas kleiner und nicht so absolut linear im Schalenumriss. Auch Kollegen (Weltweit) haben keine Neidium abgebildet die N. iridis annähernd ähnlich sieht. Arten die Deiner Fotographie ähnlich sehen, aber durch Anzahl der Streifen in 10µm und Anzahl der Areolen in 10µm, Lage der Raphe und (besonders wichtig) Feinstruktur der Schalenoberfläche zu unterscheiden sind heißen (Auswahl):
N. amphigomphus in Europa, N. hamatum, N. vanlandinghamii,  N. krasskei in Südamerika. Solange keine Aufnahme einer ausgekochten Schale vorliegt, würde ich Dein Exemplar zu Neidium ampliatum (Ehrenberg) Krammer stellen. Grüße, Ditmar

Monsti

#4
Hallo Ditmar,

das ist ja hochkompliziert! Herzlichen Dank für Deine ausführliche Erklärung.

Das Foto meiner Neidium ist leider katastrophal, das weiß ich. Bei der Bestimmung bin ich darauf angewiesen, was ich im Wassertropfen, hier im Forum oder bei meinen Recherchen im www erfahre. Das ist insgesamt eher dürftig. Ich lege diese Alge vorerst unter Neidium sp. (cf. ampliatum) ab. Sicher finde ich noch mehr Exemplare.

Kannst Du Jans Einschätzung bestätigen? Ich bin da sehr unsicher.

Nochmals Danke und liebe Grüße
Angie

Diatom

Hallo Monsti, ich habe die Sache mit "ist Encyonema der neue Name usw." nicht verstanden. Encyonema Arten gehörten früher alle zur Gattung Cymbella. Dr. Kurt Krammer hat die Cymbella-Gattung in mehrere Gattungen gesplittet; mit Recht! Das Hauptmerkmal bei Cymbella sind die nach dorsal (zur gebogenen Schalenseite) laufenden Raphenenden. Bei Encyonema laufen die Raphenenden dagegen immer zur ventralen Seite.
Die andere Diatomee ist eine Amphora - aber Bestimmen kann die (ungekocht und ohne Massstab) natürlich niemand!
Grüße, Ditmar

Monsti

Hallo Ditmar,

Zitatich habe die Sache mit "ist Encyonema der neue Name usw." nicht verstanden.

Mh, ich auch nicht wirklich. Vielleicht hatte sich Jan ja nur einen kleinen Scherz erlaubt ...  ;D

Okay, also wirklich eine Amphora. Also solche hätte ich sie tatsächlich nie erkannt. Ausgekocht/-geglüht ist sie zwar nicht, einen Maßstab besitzt sie aber.  ;) Die zweite gezeigte Amphora ist ähnlich groß.

Bei Diatomeen weiß ich übrigens oft nicht, welchen Sinn der Maßstab hat. Soweit ich weiß, werden die einzelnen Individuen nach der Zellteilung doch jedes Mal etwas kleiner, bis eine gewisse Minimalgröße erreicht wurde, wonach die geschlechtliche Fortpflanzung stattfindet. Andererseits sehe ich nach vielen Beobachtungen natürlich, dass bestimmte Algen eine bestimmte Durchschnittsgröße haben. Aphora ovalis ist z.B. meist 70-120 µm lang, Pinnularia viridis oder Gyrosogma acuminatum hingegen messen meist mehr als 150-170 µm. Daneben finde ich aber auch wesentlich kleinere Exemplare derselben. Die Größenspannen sind bei Diatomeen folglich erheblich.

Danke für Deine Hilfe und liebe Grüße
Angie


Diatom

Hi Monsti, die morphometrischen Daten der Diatomeen sind doch die wichtigsten messbaren Werte. Ob eine Pinnularia viridis 100µm oder 150µm lang ist - die Streifen in 10µm varieren doch trotzdem nur sehr gering (hier z.B. nur 6-7 in 10µm). An was soll man denn sonst Unterschiede feststellen können? Manchmal überschneiden sich auch morphometrische Werte von 2 (oder mehr) verschiedenen Arten einer Gattung. Anhand von Streifendichte und Anzahl der Areolen kann man solche Arten mittels mathematischer Modelle trennen. Ich kann eine Streifen-/Areolendichte aber nur dann bestimmen, wenn ich die exakte Länge/Breite der Kieselalge kenne! Dabei zähle ich (manche zählen nur in der Schalenmitte) alle Steifen und teile die Schalenlänge durch die Streifenanzahl. Bei einigen Arten geht das allerdings nicht, weil die Streifendichte vieler Arten an den Schalenenden größer wird! Unmöglich ist es deshalb, Arten mittels lebender/ungekochter Schalen exakt zu bestimmen. Nur bei sehr wenigen (großen) Arten wird das möglich sein, leider. Ansonsten: immer nur cf. viridis oder aff. viridis aufschreiben.
Anbei noch eine Liste der von Dir genannten Arten mit den in den Veröffentlichungen angegebenen Daten:

Amphora ovalis (Kützing 1833) Kützing 1844 var. ovalis
Basionym: Frustulia ovalis 1833
Synonyme: Navicula amphora Ehrenberg 1832
         Amphora ocellata Ehrenberg 1838
         Amphora gracilis Ehrenberg 1843
         Amphora amphora (Ehrenberg) Pantoscek 1902
Länge: 35-90µm, Breite: 11-17µm, Streifen in 10µm 11-12, Areolen in 10µm: 9-11
Vorkommen: Kosmopolit, im Benthos von Seen und in langsam fließenden Gewässern   

Amphora var. lata Levkov 2009
Länge: 50-100µm, Breite: 15-22µm, Streifen in 10µm 12-14, Areolen in 10µm: 9-12
Vorkommen: Endemisch im Ohridsee Macedonien/Albanien

Amphora var. tenuis Levkov 2009
Länge: 44-55, Breite: 8-11,5µm, Streifen in 10µm 11-12, Areolen in 10µm: 9-11
Vorkommen: Ohridsee Macedonien/Albanien; Bajkalsee Russland; Hövsgölsee Mongolei

Gyrosigma acuminata (Kützing 1833) Rabenhorst 1853
Basionym: Frustulia acuminata Kützing 1833
Länge: 60-80µm, Breite: 16-18µm, Streifen in 10µm 16-18, Areolen in 10µm: 16-18
Vorkommen: Kosmopolit
   
Pinnularia viridis (Nitzsch 1817) Ehrenberg 1843
Basionym: Bacillaria viridis Nitzsch 1817
Länge: 10-182µm, Breite: 21-30µm, Streifen in 10µm 6-7
Vorkommen: Besonders häufig in der Holarctic, selten in aussereuropäischen Gebieten.

Es gibt 4 Morphotypen und ca. 90 infraspezifische Typen; 78 sind bei VanLandingham
aufgelistet!
Wenn Du wirklich größere Schalen gefunden haben solltest, dann liegt sehr wahrscheinlich
Pinnularia neomaior Krammer vor!

Viel Spaß beim Vergleichen mit Deinen bisherigen Funden, Ditmar

Martin Schneider

Hallo Ditmar,
Du schreibst, dass eine Diatomeenbestimmung meist nur mit gereinigten Schalen möglich ist.
Ich meine wir hätten hier im Forum mal einen Literaturtipp gehabt, dass es auch ein englisches Buch gibt, das speziell die Bestimmung von lebenden Diatomeen zum Thema hat. Leider ist es mir weder im Forum noch bei einer Buchsuche gelungen den genauen Titel herauszubekommen.
Falls Du das Buch kennst würde mich Deine Einschätzung interessieren, denn meist trifft man ja nicht gereinigte Diatomeen in den Proben an.
Besten Dank und viele Grüße
Martin

Diatom

Hello Martin. Der Buchtitel lautet:

Cox, E.J. (1996) The identification of freshwater diatoms from live material. 
Published 1996 by Chapman & Hall in London, New York.

ISBN Nr. 10 0412493802 

Wegen diesem Buch haben sich Dr. Eileen Cox/England und Prof. Patrick J. Kociolek/USA bei einer Diatomeentagung in Szczecin (Stettin) beinahe mal geprügelt. Kociolek hatte das Buch in dem Diatomeen-Journal "Diatom Research" in seiner Buchbesprechung regelrecht zerrissen. Bei der Tagung haben sich die 2 dann lautstark gestritten. Nach Kociolek ist das Buch (ich zitiere) "big bullshit".
Inzwischen ist Cox offenbar von ihrer früheren Meinung abgekommen und hat nicht länger behauptet was im Buch steht. Meine persönliche Meinung ist folgende: Wer die inzwischen auf ca. 600 Gattungen angewachsenen Diatomeen mittels "living cells" bestimmen will, der ist auf dem Holzweg. Sicher kann man einige Arten erkennen; aber man müßte ja erst einmal eine Literatur finden, in der alle ca. 35 000 Diatomeenarten lebend abgebildet sind.
Das Buch hatte damals um die 200 € gekostet (oder Brit. Pfund). Ich habs mal gesehen; zur korrekten Bestimmung von Diatomeen ist es für mich völlig ungeeignet.
Grüße, Ditmar

Monsti

Hallo Ditmar,

zunächst vielen Dank für Deine Ausführungen. Zwar habe ich noch keine Schalen gekocht, aber man findet in den Proben ja oft auch tote Schalen. Hier z.B. eine solche:



Sowas (Pinnularia?) müsste doch bereits bestimmungsfähig sein, oder?

Liebe Grüße
Angie

Diatom

Hi Monsti, da hast Du eine Pinnlaria neomaior Krammer gefischt!  Gruß Ditmar

wimeisrhi

Guten abend,
von der Diskussion bin ich begeistert. Ditmars Schilderungen zu den Hintergründen der Taxonomie sind für mich als Laien hochinteressant. Da zeigen die sonst per definitionem so sachlichen Wissenschaftler Emotionen.
Angie, sind deine Probenplätze jetzt nicht eingefroren?
Viele Grüße aus Kärnten
Wilhelm

Monsti

Servus Ditmar,

vielen Dank für die Bestimmung! Eine abgestorbene Alge reicht also auch.  :)

Kann es sein, dass Pinnularia neomaior und die im Wassertropfen erwähnte P. major identisch sind? Dort heißt Pinnularia viridis auch P. viridiformis.

@Wilhelm: Es handelt sich um Proben, die ich im Spätherbst gesammelt hatte. In den Bächen könnte ich aber nach wie vor fischen, denn die fließen zu schnell, um jemals zuzufrieren. Nur an die entsprechenden Stellen zu kommen, ist angesichts der ca. 60-70 cm Schnee momentan schwierig.

Herzliche Grüße an Euch zwei
Monsti

Päule Heck

Liebe Angie, lieber Ditmar,

zu Neidium iridis habe ich hier im Forum mal Fotos gepostet, konnte sie aber in der Kürze der Zeit nicht wiederfinden. Darum stelle ich sie noch mal ein.





Oder lag ich damals in der Bestimmung daneben???

Herzliche Grüße

Päule