Das große mineralogische Mikroskop von Nachet & Fils, Paris

Begonnen von olaf.med, Juli 22, 2015, 21:59:15 NACHMITTAGS

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olaf.med

Das große mineralogische Mikroskop von Nachet & Fils, Paris

...nein, ein schwarzes Phomi ist es nicht, daher wird es bei den meisten hier in diesem Gremium auch keine Begeisterungsstürme hervorrufen   :), aber vielleicht hat der Eine oder Andere doch Freude an unserem Nachwuchs:

Name: Microscope Minéralogique, Grand Modèle
Größe: > 45 cm
Gewicht: ca. 7800 g



      Die stolzen Besitzer Ulli und Olaf

Allgemeines

Die Firma Nachet in Paris gehört seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu den klassischen Mikroskopherstellern. Sie wurde im Jahre 1839 von Camille Sebastien Nachet (1799-1881) gegründet, der den Mikroskopbau als Lehrling des berühmten Chevalier in Paris gelernt hatte. Ihre Blütezeit erlebte die Firma unter Camille Sebastiens Sohn Jean Alfred Nachet (1831-1908); sie wurde in den 1970er Jahren von Vickers Instruments übernommen.

Nachet Mikroskope waren durch ihre hohe Qualität und außergewöhnlichen Konstruktionsmerkmale ausgezeichnet. Dies gilt in besonderem Maße für die Polarisationsmikroskope, die ab ca. 1880 angeboten wurden. Das Flaggschiff der Palette war das ,,Microscope Minéralogique, Grand Modèle", ein Mikroskop mit einer Doppelsäule als Verbindung des Fußes mit dem Gelenk zum Umlegen des gesamten Oberteils für ergonomisches Arbeiten.

Nachets wichtigste innovative und einzigartige Konstruktion war eine mechanische Kopplung des Objektivs mit dem Drehtisch, wodurch das problematische Zentrieren der optischen Achse des Tubus auf die Drehachse des Mikroskops unnötig war. Trotz dieses genialen Konzepts setzen sich diese Mikroskope international nie entscheidend durch. Dies liegt möglicherweise an der sehr aufwändigen Konstruktion mit zahlreichen in der Herstellung sehr teuren Frästeilen und der Tatsache, dass die von Rudolf Fuess um 1885 neu konstruierte Objektivfassung ein schnelles Zentrieren ermöglichte.

Die Nachet Doppelsäulenstative sind imposant und attraktiv – eine Zierde jeder Mikroskopsammlung.

Das Mikroskop

Die beeindruckenden Dimensionen dieses großen Forschungsmikroskops werden deutlich, wenn man es neben anderen zeitgenössischen Stativen sieht. Mit seinen über 45 cm Höhe und fast 8 kg Gewicht übertrifft es seinen an sich schon großen Vorgänger, das ,,Grand Modèle" von 1880, sowie das einsäulige mittlere Forschungsmikroskop deutlich.



Die genaue zeitliche Einordnung von Nachet Mikroskopen ist nur selten möglich, da man bedauerlicherweise konsequent auf eine Nummerierung verzichtet hat. So helfen nur alte Kataloge, oder die ,,Türkarten" in den Aufbewahrungskästen, falls diese ein Datum tragen. Eine wertvolle Zusammenstellung der frühen Firmenkataloge wurde 1979 publiziert (Brieux, A., Editor: Nachet, A. LES CATALOGUES DES MICROSCOPES CONSTRUITS PAR A. NACHET - ANNEES 1854-1910, Paris, 1979), ein weiterer Katalog von 1913 liegt mir im Original vor. In all diesen Unterlagen finden sich nur Abbildungen, die im Wesentlichen der ursprünglichen Konstruktion von 1880 entsprechen. Ab ca. 1920 wurden bei Nachet zunehmend Teile der Stative schwarz lackiert (schwarze Oberflächen der älteren Stative sind nicht lackiert, sondern schwarz gebeizt), sodass dieses bis auf den schwarz gebeizten Fuß ganz in Messinglack ausgeführte und deutlich verbesserte und vergrößerte Mikroskop wohl aus der Zeit zwischen 1915 und 1920 stammt.

Der Tubus

Wie bei allen petrographischen Mikroskopen von Nachet ist der Tubus zweigeteilt in einen oberen Teil mit dem Grobtrieb und den unteren Teil mit der Objektivhalterung. Bei diesem ,,Grand Modèle" ist letzterer mit einer Gleitvorrichtung mit der Drehbewegung des Tisches gekoppelt.

Im oberen Tubus befindet sich ein durch Trieb und Zahnstange verstellbarer kurzer Innentubus zur Fokussierung der Bertrandlinse, die durch einen seitlichen Ausbruch eingeschoben werden kann. Das Okular sitzt in einem weiteren von Hand verschiebbaren Innentubus zur Veränderung der Tubuslänge.

Ganz besonders typisch für Nachet-Mikroskope ist die Klappvorrichtung für den Analysator, die hier aber bei dieser moderneren Version ergonomischer links am Tubus statt an der dem Beschauer abgewandten Seite angebracht ist. Durch ein verschiebbares Rohrsegment kann der Tubus bei ein- oder ausgeklapptem Analysator staub- und lichtdicht verschlossen werden. Unterhalb des Analysators befindet sich ein E-W orientierter Schlitz zur Aufnahme der Hilfsobjekte. Der Analysator selbst ist ein vierseitiges Glan-Thompson Calcit-Prisma von 14 x 14 mm Querschnitt.



Der untere Tubus ist drehbar mit dem oberen Teil verbundenen und mit einer Mitnahmevorrichtung mit einem Langloch zum Höhenausgleich mit dem Tisch gekoppelt. Zur Vermeidung von totem Gang ist das Langloch mit einer gefederten Führung versehen. Dieser Teil des Tubus trägt auch den Feintrieb, der klassisch über eine feingängige Schraube und ein Dreikantprisma wirkt. Durch die veränderte Kopplung zwischen Objektivhalterung und Tisch im Vergleich zur ursprünglichen Konstruktion von 1880 konnte auf einen zweiten Grobtrieb an dieser Stelle verzichtet werden– die früheren Versionen benötigten jeweils einen eigenen Grobtrieb für den oberen Tubus und den unteren Tubus, da es zwischen beiden keine mechanische Verbindung gab. Das Objektiv wird von einer Schnellwechselvorrichtung in Form einer Klammer gehalten.



Der Tisch

Die Tische der Nachet-Mikroskope sind in der Regel sehr aufwändig konstruiert und dieses Mikroskop macht dabei keine Ausnahme. In seinen Dimensionen ist dieser Tisch mit einem Durchmesser von 124 mm außen und 107 mm am Teilkreis und einer rechteckigen Präparateauflage von 100 x 77 mm für die damalige Zeit sehr groß. Er ist frei um 360° drehbar, die Winkelbeträge können mittels eines Nonius auf 1/10° abgelesen werden. Als Besonderheit ist die Teilung auf eine massive Silbereinlage eingestochen (eine solche seltene Variante hatte ich bereits hier beim großen Mikroskop der Société Genévoise beschrieben ). Ungewöhnlich ist auch, dass sie nicht von 0-360° geht, sondern symmetrisch bei Null beginnend einmal links- und einmal rechtsläufig bis 180° geteilt ist; der Vorteil dieser Version ist mir nicht einsichtig. Im Vergleich zu anderen Mikroskopen stehen die Zahlen auf dem Kopf, was eine Ablesung in der normalen Arbeitshaltung beim Mikroskopieren ermöglicht.

Die Präparateauflage ist mit einem Anlegelineal für die Schliffe versehen und mit zwei Rändelschrauben in x-y-Richtung fein verstellbar. Die Einstellungen sind an zwei versilberten Maßstäben ablesbar, wodurch ein schnelles Wiederfinden von besonderen Stellen im Präparat leicht möglich ist.

Als besonderes Schmankerl verfügt der Tisch über einen Feintrieb mit einem Zahnkranz und einem Ritzel, der durch radiale Verschiebung des Rändelrads ein- und ausschaltbar ist.

Der Kondensor

Bereits vor 1900 entwickelte Nachet eine neue mechanische Lösung für das schnelle Auf- und Abbewegen des Kondensors und den schnellen Übergang von linear polarisiertem zu unpolarisiertem Licht. Diese Konstruktion wurde bald von andern Firmen wie z.B. Leitz, Winkel und Seibert übernommen. Bei der Nachet'schen Konstruktion wird der Kondensor über einen mehrgängigen Schneckengang bewegt. Eine einzige Umdrehung des Rändelknopfs hebt oder senkt ihn dabei um über 6 mm. In der untersten Stellung kann er durch gleichsinniges Weiterdrehen der Rändelschraube ganz aus dem Strahlengang geklappt werden.



Die Kondensorlinse für hohe Aperturen wird nicht eingeklappt oder eingeschoben, sondern über ein Ritzel und ein Zahnradsegment eingeschwenkt. Am unteren Ende des Kondensors ist eine Aperturblende angebracht. Der Polarisator ist um 360° drehbar und besteht aus einem rund geschliffenen Glan-Thompson-Prisma von vergleichsweise geringen Ausmaßen (17 mm Durchmesser). Der Beleuchtungsapparat wird durch einen auf einer zylindrischen Stange in der Höhe verschiebbaren Plan- und Hohlspiegel vervollständigt.

Zubehör und Erhaltungszustand

Mikroskop und Zubehör sind in einem wunderschönen Kasten untergebracht. Dieser muss aber über längere Zeit an einem sehr schmutzigen Ort offen herumgestanden haben, denn alles war völlig verstaubt und verdreckt. Nach einer umfangreichen Reinigung zeigte sich aber, dass das Gerät in sehr gutem Zustand war. Selbst der Messinglack befindet sich in einem altersgemäß sehr guten Zustand mit nur wenigen Altersflecken - eher ungewöhnlich für französische Instrumente aus dieser Ära.



Das Zubehör ist komplett mit 6 Objektiven, 4 Okularen und dem vollständigen Satz polarisationsoptischer Hilfsobjekte. Besonders erwähnenswert ist noch eine signierte camera lucida zum mikroskopischen Zeichnen und ein gleichfalls signiertes in Messing gefasstes Objektmikrometer mit einer Teilung von einem Millimeter in 100 Teile.


Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Peter V.

Lieber Olaf,

vielen Dank für diesen hervorragenden Artikel mit den wunderschönen Bildern eines wahren Schmuckstücks. Sehr schön sind auch die animierten GIFs.

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Posting ist frei von kultureller Aneigung, vegan und wurde CO2-frei erstellt. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

olaf.med

Danke, lieber Peter,

ich dachte mir, dass dieses Mikroskop den Aufwand einer ausführlicheren Beschreibung wirklich lohnt.

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Dypsis

Lieber Olaf,

einfach nur WAHNSINN. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Und natürlich klasse beschrieben. Danke!

Herzliche Grüße
Thomas
Ich bevorzuge das forumsübliche Du!

reblaus

Lieber Olaf -

öffentlich lobe ich ungerne, aber da kann ich nicht anders!

Viele Grüße

Rolf

moräne

Morgen Olaf

Soo ein Werkzeug hätt`ich auch gern.
Sehr schön, dieses " Karussel " sehen zu können.

grüß Dich
Gerd

Klaus Herrmann

Lieber Olaf,

das Beruhigende ist, dass dieses schöne Wunderwerk in den richtigen Händen gelandet ist.

Die paar hässlichen Flecken könntest du von einem Profi rauspolieren lassen, da gibt es auf Ebay einen, der immer wieder wirklich schön glänzende Instrumente anbietet ;D
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

Rolf

Lieber Olaf,

Ich gehöre doch zu denjenigen, bei denen solche Geräte Begeisterungsstürme auslöst, nicht zuletzt auch weil es fotografisch glänzend ins Bild gesetzt wurde, und damit auch Gratulation an deine Frau.
Mich begeistert einfach immer wieder bei solch schönen Instrumenten die gelungene Symbiose zwischen exzellenter feinmechanischer Konstruktion und deren künstlerischer Ausgestaltung, die an die Tradition der wissenschaftlichen Instrumente vergangener Jahrhunderte anknüpft.

Ein herrliches Instrument.
Danke für´s Zeigen.

Liebe Grüße

Rolf
Den Kopf nicht nur zum Haareschneiden nutzen...

the_playstation

Hallo Olaf.
Ein wunderschönes Mikroskop. Besonders der Vergleich mit den beiden anderen gefällt mir. Bei den alten ist die ganze Mechanik auch noch nicht versteckt sondern gut sichtbar.

Zitat von: Klaus Herrmann in Juli 23, 2015, 10:08:27 VORMITTAG
Die paar hässlichen Flecken könntest du von einem Profi rauspolieren lassen, da gibt es auf Ebay einen, der immer wieder wirklich schön glänzende Instrumente anbietet ;D

Hallo Klaus.
Ich hätte da noch eine Sprühdose Chromlack und eine Dose Goldlack. :D ;)

Liebe Grüße Jorrit
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

wilfried48

Zitat von: olaf.med in Juli 22, 2015, 22:15:24 NACHMITTAGS
Danke, lieber Peter,

ich dachte mir, dass dieses Mikroskop den Aufwand einer ausführlicheren Beschreibung wirklich lohnt.

Herzliche Grüße,

Olaf

Lieber Olaf,

und ob,  das Objektiv mitzudrehen war ja eigentlich eine geniale Idee !

ein herrliches Instrument schön in Bild gerückt und beschrieben und gottseidank ,wie von Klaus schon erwähnt, in den richtigen Händen !

viele Grüsse
Wilfried
vorzugsweise per Du

Hobbymikroskope:
Zeiss Axiophot,  AL/DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Axiovert 35, DL/Ph/DIC/Epi-Fl
Zeiss Universal Pol,  AL/DL
Zeiss Stemi 2000 C
Nikon Labo-/Optiphot mit CF ELWD Objektiven

Sammlung Zeiss Mikroskope
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=107.0

Holger Adelmann

Tolle Beschreibung eines beeindruckenden Instrumentes, lieber Olaf.
Meinen Glückwunsch zu dem tollen Fang :)

Herzliche Grüsse,
Holger

Rawfoto

Hallo Olaf

Auch wenn ich mir so ein Gerät nicht herstellen würde (aus Platzgründen), die Begeisterung für die alte Handwerkskunst ist auf jeden Fall vorhanden und anschauen kann ich so etwas Stunden lang. Was mich aber begeistert ist, das schöne Stück hat Glück gehabt und doch über die Zeit turbulente Phasen überstanden um jetzt im sichern Hafen anzukommen ...

Liebe Grüße

Gerhard
Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

Heiko

Lieber Olaf,

eine meisterhafte ,,Produkt-Inszenierung" – Werbung im besten Sinne.
Mit dieser Präsentation hättest Du eine Wertsteigerung generiert, die einem imaginären Käufer teuer zu stehen käme ...  ;)

Viele Grüße,
Heiko

HDD

Lieber Olaf

Ein Traum-Teil, genau wie der Bericht dazu. Wie sagt man im Ruhrgebiet? Boh Ehy ... oder so. :D Danke für diese exzellente Vorstellung.

Herzliche Grüße

Horst-Dieter

hotte

Lieber Olaf,
herzlichen Glückwunsch zu dieser aussergewöhnlichen schönen und interessanten Neuerwerbung. Mein Sammlerherz schlägt höher.
Die detaillierte Beschreibung und die schönen Aufnahmen geben dem Mikroskop den richtigen Rahmen. Einfach Klasse!!!!
Liebe Sammlergrüße
Horst