Zwei interessante Schalenamöben am "schwimmenden Deckglas"

Begonnen von Ole Riemann, Februar 17, 2019, 22:08:12 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Kollegen,

ich möchte hier kurz zwei hochinteressante Schalenamöben vorstellen, die ich aktuell in meinen Präparaten ("schwimmende Deckgläser" auf Proben aus einem sauerstoffarmen sapropelischen Lebensraum) sehr zahlreich finde. Es handelt sich um die granulofilosen Testaceen Microgromia (vermutlich haeckeliana) und Microcometes paludosa, die beide zu den Microgromiiden gehören. Diese Gruppe umfasst gehäusebewohnende Arten mit feinen, oftmals anastomosierenden Filopodien, die mit feinen Granulen besetzt sind.

Beide hier gezeigten Arten sind offenbar nicht selten und gut dokumentiert - da ich sie aber besonders interessant und fotogen finde, zeige ich sie hier auch noch einmal. Nähere Einzelheiten zu dieser Gruppe findet man auf den Seiten der Spezialisten Ferry Siemensma (https://www.arcella.nl/) sowie Eckhard Völcker/Steffen Clauß (http://www.penard.de/). Auch von Martin Kreutz gibt es hierzu tolle Beiträge - insbesondere auch zur Präparation und zur Technik des "schwimmenden Deckglases" (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=31084.0 und https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=18799.0) sowie in seinem Mikrokosmos-Artikel (2012 (3), 168 - 175).

Hier nun eine Ansicht eines noch relativ jungen Exemplars von M. haeckeliana, erkennbar daran, dass das Gehäuse recht zart erscheint und nur ein geringes Maß an granulärer Inkrustierung aufweist:



Das folgende Exemplar ist deutlich älter und wie eingepanzert in seinem Gehäuse, das stark verkrustet und aufgrund Eisenoxid-haltiger Ablagerungen gelblich-braun erscheint. Das System der feinen Filopodien ist enorm ausgedehnt und erstreckt sich am Deckglas über eine Strecke von mehr als 200 µm in der größten Ausdehnung. Das Bild ist kaum zurechtgeschnitten und gibt fast das volle Feld des Objektivs (63:1) bei meiner Fotoadaptation wieder:



Hier ein Ausschnitt aus obigem Bild - besonders gut sind die Filopodien zu erkennen, die ziemlich regelmäßig mit feinen Granulen besetzt sind:



Im Hellfeldbild erkennt man deutlich die Form des Gehäuses mit der kurzen, nur wenig abgewinkelten Schalenöffnung:



Microcometes paludosa ist ein Winzling und erreicht nicht einmal 10 µm Gehäusedurchmesser. Das Gehäuse zeigt mehrere Öffnungen (zwei mit Pfeilen markiert), durch die die Filopodien herausgestreckt werden:



Beste Grüße

Ole


Klaus Wagner

#1
Hallo Ole,

coole Fotos.
Weiß jemand, wie alt Amöben überhaupt werden können? Oder leben die ewig, weil sie sich immer wieder teilen??

Gruß
Klaus

limno

Hallo Ole,
Tolle Aufnahmen! 8)
@Klaus
ja, die sind potenziell unsterblich und vermehren sich nur vegetativ.
Mit der Gattung Mikrogromia hat sich in den Nullerjahren im Forum ein gewisser Dr. Josef Brief befasst. Seine Videos und Filme waren immer hochinteressant. Ob er noch lebt?
Vernetzte Grüße
Heinrich

So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

smashIt

hat sich nicht auch martin kreuz mit diesen viechern im simmelried bechäftigt?
MfG,
Chris

Bildung ist das was uns vom Tier unterscheidet.

Funtech.org

Bernd

Hallo Ole,

ich finde 3 Sachen besonders beeindruckend:
1) Die technische Qualität deiner Fotos,
2) wie sauber die Umgebung ist, nur ein paar Bakterien, sonst nichts, und
3) das die Filipodien dem Deckglas direkt anliegen und nur deshalb so perfekt fotografiert werden können.
Mit einer auf einen Objektträger pipettierten Probe halte ich das für nicht machbar. Ic muß das auch mal ausprobieren und Deckgläser auf die Wasseroberfläche legen.

Ich mache oft die Beobachtung, daß Amöben, die von der intensiven Beleuchtung getroffen werden, sofort ihre Pseudopodien einziehen. Bei deinen Viechern ist das nicht der Fall. Reagieren sie nicht oder arbeitest du nur mit sehr schwachem Pilotlicht und Blitz?

Viele Grüße
Bernd

plaenerdd

Hallo Bernd,
es gibt sehr verschiedene Pseudopodien = Scheinfüßchen. Die Filopodien dieser Tiere sind nicht so schnell einziehbar wie die Lobopodien der "normalen" Amöben.

@ Ole: anastomosierenden Filopodien, also solche, die sich verzweigen und wieder vereinen, kann ich auf Deinen Bildern keine erkennen. Ich dachte auch, das dies ein exklusives Merkmal der Foraminiferen wäre.

Beste Grüße
Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph

Michael Plewka

hallo Ole,

vielen Dank für die beeindruckenden Bilder!
Ein wesentliches Merkmal der Deckglas-Methode ist ja, dass sich die Organismen  -zumindest anfangs- unbeeinflusst von anderen Organismen ausbreiten können, weil sie genügend Platz haben. Mir fehlt da zwar -bezogen auf die hier gezeigten Formen- der Vergleich mit "normalen" Tümplerproben, aber unter dem Aspekt der Musterbildung  fällt bei Deinen Bildern auf, dass der Winkel, unter denen die Granulapodien verzweigen,  m.o.w. immer zwischen 60-80 Grad liegt, scheint also nicht zufällig zu sein. Ebenso fällt der regelmäßige Abstand der Granula innerhalb des jeweiligen  Pseudopodiums ins Auge.

beste Grüße
Michael Plewka

Martin Kreutz

Hallo,

ich will hier nicht in Ole's schönen Beiträg reingrätschen, aber auf einige Fragen, die hier auftauchten, kann ich glaube ich Antwort geben.

@ Bernd: Das einige Amöben empfindlich auf sichtbares Licht reagieren, habe ich auch bemerkt und darüber in diesem Forum schonmal berichtet. Das Video in dem Beitrag ist sogar noch aktiv: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=6532.0. Microgromia gehört allerdings nicht zu den lichtempfindlichen Arten. Am auffälligsten ist der Effekt bei Leptomyxa.

@ Heinrich: Ich habe Josef Brief persönlich beim Bodman Treffen 2000 oder 2001 kennengelernt. Er lebt bestimmt noch! Er hat viele interessante Mikrokosmos Artikel zwischen 2004 und 2007 geschrieben:

Brief J (2004): Biomyxa vagans - Leidys "kurioser Rhizopode. 93 193
Brief J (2004): Trichodina auf Eudiaptomus - Ein "Hüpferling" mit Läusen. 93 279
Brief J (2005): Minimal dezentrierter Phasenkontrast - Eine sehr einfache Methode zur Kontrastverbesserung bei hoher Vergrößerung. 94 203
Brief J (2005): Ouramoeba botulicauda, Leidys Amöbe mit Appendix – Eine von Amoebophilus simplex parasitierte Mayorella. 94 16
Brief J (2005): Thecamoeba sphaeronucleolus "knäult" Oscillatorien und fusioniert mit Artgenossen. 94 129
Brief J (2006): Spirostomum caudatum – ein ,,Sumpfwurm" mit Schwanz und partiell sessiler Lebensweise. 95 193
Brief J (2007): Biomyxa vagans – Weitere Studien und Beobachtungen: Kultur, Zellkerne, Cysten und morphologische Besonderheiten 96 268

@ Chris: Ja, ich habe mich auch mal mit Microgromia befasst:

Kreutz M (2012): Spurensuche nach der Testaceengattung Microgromia 101 168

Martin


Ole Riemann

#8
... ich danke herzlich für Eure netten Rückmeldungen. @Gerd, Du hast vollkommen recht; Anastomosen der Filopodien sind auf den Fotos nicht abgebildet. Lediglich beim 3. Bild meine ich, eine Querbrücke in der linken unteren Ecke schwach zu sehen. @Martin, vielen Dank für die Auflistung der relevanten Literatur. @Bernd, ich habe in diesem Fall gar nicht geblitzt, sondern regulär mit mittlerer Intensität der 100W-Leuchte beleuchtet (Belichtungszeit um 1/15 Sekunde bei ISO 100).

Schöne Grüße

Ole