Sinn und Realisierung zirkular polarisierten Lichts am Mikroskop

Begonnen von olaf.med, September 11, 2019, 15:02:00 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

olaf.med

Sinn und Realisierung zirkular polarisierten Lichts am Mikroskop

In einem kürzlich erschienen Beitrag (hier) ging es um Polarisationsfolien allgemein und Zirkularpolarisatoren im Besonderen. Es wurde schon ganz richtig erklärt, dass es sich bei den Zirkularpolarisatoren um ein ,,Sandwich" von einem normalen linearen Polarisator mit einer zusätzlichen λ/4-Folie in 45°-Stellung handelt. Peter hat auch mit einer schematischen Zeichnung sehr anschaulich erklärt, wann man bei Verwendung von Zirkularpolarisatoren Dunkelheit bei Kreuzung zweier Folien erhält. Hier möchte ich den grün unterlegten Fall noch eingehender diskutieren – es ist übrigens die einzige Konstellation die bei der wissenschaftlichen Polarisationsmikroskopie eine Rolle spielt.



In dem Sonderfall, dass die beiden Zirkularpolarisatoren so kombiniert werden wie in dem grün unterlegten Fall, und zusätzlich die zweite λ/4-Folie genau 90° zur ersten orientiert ist, entsteht trotzdem Dunkelheit und nicht Helligkeit wie bei Peters Graphik.

Zur Deutung: Das natürliche Licht wird vom Polarisator linear polarisiert und dann beim Durchgang durch die λ/4-Folie zu zirkular polarisiertem Licht. Wenn die zweite λ/4-Folie in Subtraktionsstellung steht, also genau 90° zur ersten verdreht ist, wird aus dem zirkular polarisierten Licht wieder linear polarisiertes Licht, das am zweiten Polarisator ausgelöscht wird.

Alle Substanzen, die sich zwischen den beiden ,,Sandwiches" befinden werden also von zirkular polarisiertem Licht durchstrahlt und das hat wesentliche Konsequenzen. Bei einer vollständigen 360° -Drehung eines anisotropen Mediums zwischen normalen Polarisatoren gibt es vier genau definierte Dunkelstellungen die exakt 90° zueinander orientiert sind. Dazwischen verändert sich die Intensität der jeweiligen Interferenzfarbe stetig zwischen 0 (in Dunkelstellung) und einem Maximum in 45°-Stellung dazu. Im zirkular polarisierten Licht gibt es weder Dunkelstellung noch Intensitätswechsel, sondern jede Substanz erscheint in ihrer maximalen Farbintensität. Dies wird an folgendem Beispiel sichtbar:



Hier ist ein Gesteinsdünnschliff abgebildet, links im normalen linear polarisierten Licht, rechts im zirkular polarisierten Licht. Links befinden sich einige Kristalle in Dunkelstellung und erscheinen daher schwarz, andere sind nahe dieser Stellung orientiert und zeigen niedrige Farbintensität, andere ihre intensivste Interferenzfarbe. Rechts erscheinen alle in ihrer maximalen Interferenzfarbe.

Dieses Verhalten nutzt man z.B. bei der halbautomatischen oder vollautomatischen Planimetrie zur Ermittlung der Flächenanteile bzw. der Volumina der verschiedenen Komponenten. Hier würde das System die Kristalle in Auslöschungsstellung gar nicht erkennen und damit zu falschen Ergebnissen kommen.

Auch bei der Betrachtung von Interferenzbildern ändern sich die Erscheinungen von linear zu zirkular polarisiertem Licht (links jeweils linear, rechts zirkular):

einachsig



zweiachsig



Die Isogyren (schwarzes Kreuz im einachsigen Fall, schwarze Hyperbeln im zweiachsigen Fall) verschwinden und nur die Achsenausstichpunkte (Melatope) erscheinen als schwarze Punkte. (Entschuldigung für die quick and dirty Bilder – im wahrsten Sinne des Wortes).

Für exakte Verhältnisse benötigt man übrigens zwei gleiche abgestimmte λ/4-Folien, also z.B. mit einem Gangunterschied von 546nm/4.

Bei den zirkular polarisierenden Folien Foto- oder Kino-Zwecke will man nur das linear polarisierte Licht zerstören, um z.B. Fehlmessungen bei der Belichtung zu verhindern, da manche Sensoren sensitiv auf Polarisation reagieren.

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Heiko

Lieber Olaf,

einleuchtend, weil anschaulich erklärt – so kennen und schätzen wir Dich.
Da ich außerdem Deine Geduld vielfach erfahren habe, darf ich bitte eine Nachfrage stellen. Warum bleiben bei der von Dir beschriebenen Zirkular-Kombination die Melatope erhalten? Worin besteht also der Unterschied zur optischen Aktivität z.B. des Quarzes?

Viele Grüße,
Heiko

olaf.med

Lieber Heiko,

in dieser Richtung gibt es schlicht keine  Doppelbrechung - optische Achse= Richtung der Isotropie. Daher bleibt es dort schwarz.

Herzliche Grüße, Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Michael L.

Hallo Olaf,

vielen Dank für diese anschauliche Zusammenstellung, jetzt ist mir diesbezüglich einiges klar geworden.

Viele Grüße,

Michael

Heiko

Dann war, lieber Olaf, meine Frage wieder einmal falsch gestellt.

So probiere ich es – Deine Geduld beanspruchend – noch einmal: Die erhalten bleibenden Melatope dieser Kombination entsprechen prinzipiell den Airyschen Spiralen des Quarzes. Kann man das so formulieren?

Viele Grüße,
Heiko

Florian D.

Zitat von: Heiko in September 11, 2019, 20:53:49 NACHMITTAGS
Dann war, lieber Olaf, meine Frage wieder einmal falsch gestellt.

So probiere ich es – Deine Geduld beanspruchend – noch einmal: Die erhalten bleibenden Melatope dieser Kombination entsprechen prinzipiell den Airyschen Spiralen des Quarzes. Kann man das so formulieren?

Viele Grüße,
Heiko
Warum? Es sind doch keine optisch aktiven Elemente involviert.
Gruss
Florian

olaf.med

Lieber Heiko,

eine interessante Frage, die ich mir auch noch nie gestellt hatte.

Man muss realisieren, dass es sich bei der Zirkularpolarisation um einen grundsätzlich anderen Effekt handelt als bei dem optischen Drehungsvermögen, der aber im Prinzip zu der gleichen Erscheinung führt. Allerdings sind die Größenordnungen völlig unterschiedlich. Die Drehung des Lichtvektors um 360° entspricht bei der Zirkularpolarisation genau der benutzten Wellenlänge, also rund 0,5 µm. Das spezifische Drehungsvermögen des Quarzes liegt bei ca. 20°/mm, also benötigt man eine Schichtdicke von 18mm = 180.000 µm für eine Drehung um 360°, also die 360.000-fache Strecke (wenn ich mich nicht verrechnet habe 8) ).

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

olaf.med

#7
... und hier ein Experiment, das ich schon längst einmal hätte machen können: Quarz, zwei 1mm dicke Platten gekreuzt; links die normale Airysche Spirale, in der Mitte mit einem λ/4-Plättchen, rechts im zirkular polarisierten Licht. Man sieht, dass das "zarte" Drehungsvermögen des Quarzes von der Zirkularpolarisation völlig überrollt wird und die Airysche Spirale verschwindet.



Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Peter V.

#8
Lieber Olaf,

ich wage natürlich nicht, ausgerechnet Deine Aussage anzuzweifeln, aber mein kurzer Versuch mit zwei Fotopolarisatoren ergibt keine Auslöschung, wenn die Lambda/4-Fläche zueinander gerichtet sind.
Kann es daran liegen, dass es davon abhängt, wie die Lamba/4-Schicht in ihrer Orientierung im Sandwich Polfilter-Lambda/4 orientiert ist? Also, dass es bei zufällig ausgewählten Zirkularpolfiltern mal eine Auslöschung geben kann und mal nicht?
Wenn das so ist, müsste ich meine Zeichnung präzisieren und schreiben "Auslöschung möglich, je nach Orientierung der Lambda/4-Schicht in den Sandwiches".

Herzliche Grüße
Peter


Zitat von: olaf.med in September 11, 2019, 15:02:00 NACHMITTAGS
Sinn und Realisierung zirkular polarisierten Lichts am Mikroskop

In einem kürzlich erschienen Beitrag (hier) ging es um Polarisationsfolien allgemein und Zirkularpolarisatoren im Besonderen. Es wurde schon ganz richtig erklärt, dass es sich bei den Zirkularpolarisatoren um ein ,,Sandwich" von einem normalen linearen Polarisator mit einer zusätzlichen λ/4-Folie in 45°-Stellung handelt. Peter hat auch mit einer schematischen Zeichnung sehr anschaulich erklärt, wann man bei Verwendung von Zirkularpolarisatoren Dunkelheit bei Kreuzung zweier Folien erhält. Hier möchte ich den grün unterlegten Fall noch eingehender diskutieren – es ist übrigens die einzige Konstellation die bei der wissenschaftlichen Polarisationsmikroskopie eine Rolle spielt.



In dem Sonderfall, dass die beiden Zirkularpolarisatoren so kombiniert werden wie in dem grün unterlegten Fall, und zusätzlich die zweite λ/4-Folie genau 90° zur ersten orientiert ist, entsteht trotzdem Dunkelheit und nicht Helligkeit wie bei Peters Graphik.

Zur Deutung: Das natürliche Licht wird vom Polarisator linear polarisiert und dann beim Durchgang durch die λ/4-Folie zu zirkular polarisiertem Licht. Wenn die zweite λ/4-Folie in Subtraktionsstellung steht, also genau 90° zur ersten verdreht ist, wird aus dem zirkular polarisierten Licht wieder linear polarisiertes Licht, das am zweiten Polarisator ausgelöscht wird.

Alle Substanzen, die sich zwischen den beiden ,,Sandwiches" befinden werden also von zirkular polarisiertem Licht durchstrahlt und das hat wesentliche Konsequenzen. Bei einer vollständigen 360° -Drehung eines anisotropen Mediums zwischen normalen Polarisatoren gibt es vier genau definierte Dunkelstellungen die exakt 90° zueinander orientiert sind. Dazwischen verändert sich die Intensität der jeweiligen Interferenzfarbe stetig zwischen 0 (in Dunkelstellung) und einem Maximum in 45°-Stellung dazu. Im zirkular polarisierten Licht gibt es weder Dunkelstellung noch Intensitätswechsel, sondern jede Substanz erscheint in ihrer maximalen Farbintensität. Dies wird an folgendem Beispiel sichtbar:



Hier ist ein Gesteinsdünnschliff abgebildet, links im normalen linear polarisierten Licht, rechts im zirkular polarisierten Licht. Links befinden sich einige Kristalle in Dunkelstellung und erscheinen daher schwarz, andere sind nahe dieser Stellung orientiert und zeigen niedrige Farbintensität, andere ihre intensivste Interferenzfarbe. Rechts erscheinen alle in ihrer maximalen Interferenzfarbe.

Dieses Verhalten nutzt man z.B. bei der halbautomatischen oder vollautomatischen Planimetrie zur Ermittlung der Flächenanteile bzw. der Volumina der verschiedenen Komponenten. Hier würde das System die Kristalle in Auslöschungsstellung gar nicht erkennen und damit zu falschen Ergebnissen kommen.

Auch bei der Betrachtung von Interferenzbildern ändern sich die Erscheinungen von linear zu zirkular polarisiertem Licht (links jeweils linear, rechts zirkular):

einachsig



zweiachsig



Die Isogyren (schwarzes Kreuz im einachsigen Fall, schwarze Hyperbeln im zweiachsigen Fall) verschwinden und nur die Achsenausstichpunkte (Melatope) erscheinen als schwarze Punkte. (Entschuldigung für die quick and dirty Bilder – im wahrsten Sinne des Wortes).

Für exakte Verhältnisse benötigt man übrigens zwei gleiche abgestimmte λ/4-Folien, also z.B. mit einem Gangunterschied von 546nm/4.

Bei den zirkular polarisierenden Folien Foto- oder Kino-Zwecke will man nur das linear polarisierte Licht zerstören, um z.B. Fehlmessungen bei der Belichtung zu verhindern, da manche Sensoren sensitiv auf Polarisation reagieren.

Herzliche Grüße,

Olaf
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

smashIt

zirkulare polfilter gibt es ja links- und rechtsdrehend
ich schätze dass hier der hund begraben liegt ;)

Zitat von: Peter V. in September 12, 2019, 11:00:42 VORMITTAG
Lieber Olaf,

ich wage natürlich nicht, ausgerechnet Deine Aussage anzuzweifeln, aber mein kurzer Versuch mit zwei Fotopolarisatoren ergibt keine Auslöschung, wenn die Lamby/4-Fläche zueinander gerichtet sind.
MfG,
Chris

Bildung ist das was uns vom Tier unterscheidet.

Funtech.org

Peter V.

Hallo,

das scheint nach gerade angestellten Versuchen mit einer 3D-Polbrille für einen 3D-Fernseher so zu sein! Aber ich warte mal lieber Olafs Äußerung ab...

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

olaf.med

Hallo,

dies ist tatsächlich eine Variante an die  ich gar nicht gedacht habe,  da ich nie mit fertig konfektinierten Zirkularpolarisatoren arbeite, sondern ganz  klassisch am Mikroskop mit zwei einzelnen Lambda/4-Platten, eine im Tubusschlitz und eine im Filterschlitz oberhalb des Polarisators im Kondensor. Danke für  den Hinweis.

Das Problem kann man natürlich vermeiden,  indem man eine zirkular polarisierende Folie halbiert - beide Hälften haben dann sicher den gleichen Drehsinn.

Herzliche Grüße, Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Florian D.

#12
Hallo,
ich denke, das ist so:

Nehmen wir an, der Linearpolarisator polarisiert NS, epsilon des lambda/4 Plättchens verläuft vom 1. in den 3. Quadranten, omega vom 2. in den 4. Drehe ich einen gleichen Polarisator um 180 Grad um die NS Achse, so dass oben und unten vertauscht ist und der Linearpolarisator wieder NS zeigt, so wird epsilon nun vom 2. in den 4. Quadranten laufen und omega vom 1. in den 3. Legt man die Blättchen übereinander, so dass die lambda/4 Plättchen zueinander zeigen, wird sich der Effekt der lambda/4 Plättchen kompensieren und die Kombination transparent. Dreht man einen Filter um 90 Grad, addiert sich der Effekt der lambda/4 zu lambda/2, d. h. die Polarisation wird um 90 Grad gedreht und damit passiert das Licht die nun gekreuzten Polarisatoren.
Auch für beliebige Zwischenwinkel bleibt die Filterkombination transparent.

Ist hingegen der Drehsinn des 2. Filters entgegengesetzt zu dem des 1. Filters, wird immer Auslöschung resultieren.
Ich weiss, ein Bild wäre hilfreich.

Gruss
Florian

olaf.med

Lieber Florian,

ZitatLegt man die Blättchen übereinander, so dass die lambda/4 Plättchen zueinander zeigen, wird sich der Effekt der lambda/4 Plättchen kompensieren und die Kombination transparent.

Das verstehe ich nicht! Wenn sich die beiden λ/4-Plättchen in Subtraktions-Stellung befinden, also kompensieren, resultiert bei gekreuzten Polarisatoren natürlich Dunkelheit. Hier ist eine Skizze dieser Anordnung. Man blickt in Richtung des Lichtstrahls, P und A sind die Polarisatoren, die Schwingungsrichtungen des ersten λ/4-Plättchens sind rot, die des zweiten grün.



Übrigens gibt es eine hervorragende Animation über die Entstehung der Zirkularpolarisation als Vektorprodukt zweier Wellenzüge mit einem Gangunterschied von λ/4 bei Wikipedia hier.

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Heiko

Lieber Olaf,

habe versucht, Deine Anordnung nachzuvollziehen und mit Kinobrillen herumgeschoben. Prinzipiell bin ich bei Dir, nur das letzte Drittel ist etwas eigenwillig geraten.  ;D



Viele Grüße,
Heiko