Weiteres Reisemikroskop von Maurice Stiassnie

Begonnen von TStein, Februar 17, 2024, 21:39:20 NACHMITTAGS

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TStein

Hallo an alle Freunde antiker französischer Mikroskope,

ich möchte hier ein kürzlich erworbenes Mikroskop von Maurice Stiassnie vorstellen, was sich nachträglich als spezielles Reisemikroskop dieses Herstellers ("microscope de voyage") herausgestellt hat. Es gibt bereits mehrere interessante Mikroskopvorstellungen antiker französischer Mikroskope im Forum, speziell auch einen interessanten Beitrag von Hugo Halfmann zu einem tollen Reisemikroskop von Stiassnie. https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=40972.0
Hier wurden auch schon viele interessante historische Informationen zu den französischen Mikroskopherstellern im Windschatten von Edmund Hartnack dargelegt. Vielen Dank nochmal dafür.
Ich beschäftige mich übrigens noch nicht allzulange mit antiken Mikroskopen, bzw. der Sammelleidenschaft und hoffe dass ich mit meinen Schlussfolgerungen und Einschätzungen nicht allzu falsch liege.
Das Mikroskop kam leider ohne Holzkasten und der Erhaltungszustand ist auch nicht allzu berauschend, aber nach einer ersten Reinigung doch ziemlich ok. Falls ich bezüglich der Restauration noch eine Einschätzung, bzw. Tipps bekommen könnte, würde ich mich sehr freuen.
Das Mikroskop ähnelt dem von Hugo vorgestellten Reisemikroskop, nur dass anstatt des zusammenklappbaren Hufeisenfußes die untere Stativfußsäule  bei meinem Mikroskop ein zweites Gelenk besitzt, welches das platzsparende Anklappen des Fußes auf der linke Seite des Mikroskops ermöglicht. Gefunden habe ich ein vergleichbares Mikroskop erst nach ziemlich langer Recherche, bzw. Bildersuche im Internet und zwar hier:
https://forum.mikroscopia.com/topic/3654-binoculaire-stiassnie/
Leider sind auch meine nicht existenten Französischkenntnisse das Gegenteil von hilfreich, aber die Übersetzung mittels Google ist wirklich ziemlich gut.
Beim Demontieren und Reinigen habe ich am Tubus eine versteckte römische "XXVII" := 27 gefunden und ich vermute mal, dass das auf das Herstellungsjahr 1927 hinweist.
Nun ein paar Bildimpressionen:

Lg und danke für euer Interesse.
Tino

Gerd Schmahl

Hallo Tino,
versteckte Gravuren wurden oft zur Kennzeichnung zusammengehörender Teile angebracht, wenn diese genau aufeinander abgestimmt sind. Eventuell findest Du diese Nummer noch an anderer Stelle wieder.
LG Gerd
Man sagt der Teufel sei, im Detail versteckt,
doch hab' ich mit dem Mikroskop viel Göttliches entdeckt.

TStein

Hallo Gerd,

ich glaube du hast recht. Hab nochmal schnell geschaut und am mehrteiligen Ausziehtubus hab ich auf die Schnelle auch noch eine XII gefunden. Hmmh, ich denke dann ist die Herstellungsjahrfrage noch nicht wirklich geklärt. Die "86" am hinteren Stativfuß kann ich nicht richtig deuten, ich denke nicht, dass das Mikroskop so früh ist. Es sieht eher nach 1920er Jahre aus.
Siehe auch hier: https://www.quekett.org/about/bulletin/articles/maurice-stiassnie
Zumindest der Schriftzug auf dem Tubus mit "Stiassnie Paris" deutet auf später als 1905 hin.

Lg Tino 

Gerd Schmahl

Hallo Tino,
solche eingepunzten Nummern sind meist fortlaufende Nummern, entweder vom Hersteller (sein 86. Mikroskop) oder von einer Institution im Sinne einer Inventar-Nr. Jahreszahlen fanden unsere Altvorderen offensichtlich nicht so wichtig. Die Geräte wurden ja schließlich nicht als Museumsstücke gebaut, sondern zum Benutzen.
LG Gerd
Man sagt der Teufel sei, im Detail versteckt,
doch hab' ich mit dem Mikroskop viel Göttliches entdeckt.

Jakob_Wittmann

Hallo Tino!

Ich darf Dir bitte gratulieren, denn da hat ein wirklich schönes Stück ,,zu Dir gefunden" ...

Für das Datieren wäre es selbstverständlich fein, wenn Du Kataloge dieser Firma auftreiben könntest. Vielleicht findest Du zumindest einen Zugang zu einer Repro, etwa in Form eines PDFs.
Physische Exemplare alter, einschlägiger Druckschriften sind nicht selten (leider) in ihrer Preisgestaltung teils gleichauf mit geforderten Summen für die Instrumente.

Rein ,,gefühlsmäßig" betrachtet – aber dies kann problematisch sein – würde ich das Baujahr des Mikroskops ein wenig früher als etwa 1920 einstufen.
Die Bauart der Feineinstellung (senkrechter Zylinder mit oben angesetzter Stellschraube) war zumindest bei den etablierten Herstellern in Deutschland nicht mehr so gebräuchlich.

Deren Modelle (übrigens auch die von Reichert, Wien) hatten vielfach bereits die Hufeisen-Bauart mit den Stellrädern für Grob- und Feintrieb an den Seiten.

Und mit der Zeit tauchten dann zusehends schwarz lackierte Teile auf, bis dann irgendwann nur mehr schwarze Mikroskope üblich waren (= Crash-Einführung in die Designgeschichte von Mikroskopen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts!  ;D  :D  ;) ).

Wie schnell andere europäische Hersteller zu diesem Design übergingen, weiß ich leider nicht.
Möglicherweise kann aber alleine schon eine Bildersuche Hinweise zu diesem Thema ergeben.

Das Restaurieren: Ich habe ein Reichert-Instrument von 1911 (Schaden der Feinmechanik, fehlender Kondensor), das aus einem Kinderspital in Wien stammend um einen banalen Betrag bei mir gelandet ist.

Bis heute bin ich etwas zögerlich bei der Behandlung der Teile aus Messing. Ich habe eine Reinigung mit Waschbenzin durchgeführt und vorläufig nur relativ wenig Ballistol (ein hochwertiges, vielseitig verwendbares (Waffen)öl  ;) ) aufgetragen, einwirken lassen und nachpoliert.

Vorläufig belasse ich es dabei, denn ein bisschen Patina muss sein.

Es ist natürlich Geschmackssache. Man könnte auch den Neuzustand anstreben. Allerdings habe ich teilweise schon auf strahlenden Hochglanz aufpolierte Instrumente gesehen und so etwas gefällt mir gar nicht. Es ist auch nicht der ursprüngliche Zustand, denn seinerzeit wurden die Geräte mit einem transparenten Lack versehen. Vom ,,Look" her betrachtet, sieht dann die Oberfläche nicht so extrem hell glänzend aus.

Übrigens: Du musst Dir bitte unbedingt das Zigarrenrauchen angewöhnen, Tino, denn Zigarrenasche ist für die Politur von Messing unerlässlich!  ;)  ;D  8)

Viel Freude mit dem schönen Stück!


Liebe Grüße

Jakob
jakob.wittmann@hotmail.com


,,Ein Leben mit nur einem schwarzen Mikroskop ist möglich aber sinnlos."

Bernhard-Viktor ,,Vicco" Christoph-Carl von Bülow zugeschrieben

beamish

Hallo Tino,

dein Mikroskop entspricht im Wesentlichen dem "microscope de voyage" in einem Stiassnie-Katalog, der mit Bleistift auf 1905 datiert ist. Dein Stativ hat noch das zusätzliche Feature, daß man den Fuß noch seitlich umlegen kann.
Die 86 ist vielleicht eine Inventarnummer.

Grüße
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

beamish

PS: das Mikroskop im Katalog ließ sich wohl auch seitlich umlegen. Es ist nur nicht direkt beschrieben. Siehe hier ein vollständiges Exemplar mit Kasten, das ganz der Abbildung im Katalog entspricht:
https://forum.mikroscopia.com/topic/3654-binoculaire-stiassnie/

Grüße
Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

TStein

#7
Hallo Martin, hallo Jakob,

Martin, danke für deine Recherche. Das Foto des Mikroskops im französischen Forum hatte ich schon gefunden und oben verlinkt.
Es sieht schon sehr nach dem "microscope de voyage" aus, auch deinen Bildern aus dem Katalog zu urteilen. Leider ist in der Abbildung des Mikroskops im Kasten nicht so ganz gut zu erkennen, wie der Fuß eigentlich umgelegt ist, aber ich denke das passt gut.
Ich hatte mich übrigens gestern auch nochmal auf eine Recherchetour im Netz begeben und hatte deinen aufgeführten Katalog auch gefunden.
Falls Informationen zu alten Mikroskopen, Kataloge, alte Mikroskopiebücher usw. noch gesucht werden, hier ist fast alles zu finden:
https://www.antiquemicroscopes.co.uk/catalogues.html

Hallo Jakob, dank auch für deine Kommentare. Ist schon interessant, wie sich die Geschmäcker und Designs über die Jahrhunderte/Jahrzehnte verändern, von komplett Messing zum schwarzen Fuß zur kompletten schwarzen Lackierung. Ich denke jetzt auch, dass das Mikroskop eher um 1905-1910 anzusiedeln ist. Schade ist aber, dass kein Koffer/Kasten dabei war.
Auch wenn auf den Bildern der Zustand der Messingteile mit einigen schwarzen Flecken nicht mehr dem Neuzustand entspricht, sieht das Mikroskop jetzt doch sehr gefällig aus. Ich würde daher nicht extra noch mit Zigarre-rauchen anfangen. ;)
Aber interessieren würde es mich schon, was diese schwarzen Verfärbungen eigentlich sind, recht markant am Tubus und an der Stativfußsäule. Ist da schon das Messing angegriffen, oder ist der Lack noch drauf und entsprechend verschmutzt. Zumindest einige schwarze Flecken auf dem Messing wirken erhaben, wobei der Originallack direkt daneben noch ziemlich gut erhalten ist.

Lg Tino

Ps. Ein Problemchen hätte ich aber schon noch. Die Aperturblende am Kondensor ist leider fest und auch das Hebelchen zur Drehung hatte schon beim Vorbesitzer einen Fluchtversuch unternommen, unter Verlust des Einschraubgewindes. Ich hefte mal ein Bild an. Leider kann ich nicht erkennen, wie man das eigentliche Blendengehäuse öffnet, um an die Lamellen und den abgerochenen Gewindestift zu kommen.   

Jakob_Wittmann

Servus Tino,

gleich vorweg, bitte: Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich noch Forenmitglieder melden werden, die sich mit Feinmechanik auskennen. Mich kann man nicht unbedingt als ,,Schrauber" bezeichnen. ;)  ;)

Aber: Wie hast Du bitte festgestellt, dass die Irisblende fest ist? Von wegen fehlendes Hebelchen usw. ...

Praktisch wären vielleicht einige weitere Nahaufnahmen, falls Du eine Kamera hast, mit der Du näher an das Teil kommst.

In der länglichen Öffnung, die man auf einem der Fotos sieht, erkennt man kleine Schlitze und links und recht etwas, das nach Schrauben aussieht.

Sind das tatsächlich Schrauben? Bzw. ist eine dieser Stellen der Rest des abgebrochenen Teils?

Die Irisblende ist nahezu ganz offen, aber ein schmaler Bereich eben sichtbar,

Grundsätzlich würde ich noch auf Tipps warten, Tino.


Mir ist es einmal gelungen, eine total feste Irisblende an einem älteren Officine Galileo Mikroskop mit etwas WD-40 (& ein Tag Wartezeit) wieder tadellos leichtgängig zu bekommen.

Theoretisch könntest Du ähnlich vorgehen,
Mit einem zurecht gefeilten Schraubendreher in den feinen Schlitzen (?) ließe sich die Irisblende dann vielleicht verstellen.

Klar, damit ist das Hebelchen noch nicht ersetzt. Aber eventuell erreicht Du zumindest eine Funktion der Blende.

Aber wie bereits erwähnt, warte vielleicht lieber noch auf Hinweise.

Liebe Grüße

Jakob

PS: Über die Patina von Messing hole ich mir noch Informationen von einer befreundeten Restaurateurin und werde mich danach melden.






jakob.wittmann@hotmail.com


,,Ein Leben mit nur einem schwarzen Mikroskop ist möglich aber sinnlos."

Bernhard-Viktor ,,Vicco" Christoph-Carl von Bülow zugeschrieben

olaf.med

#9
Hallo Tino,

die Korrosion auf diesem historischen Mikroskop ist definitiv tiefergehend und nicht oberflächlich auf dem Lack. Die einzige Möglichkeit diese zu entfernen besteht im völligen Abschleifen, danach die Oberfläche wieder entsprechend vorbereiten und schließlich neu zu lackieren (siehe hier). Ich würde aber davon abraten, in dem im Link vorgestellten Gerät war der urprüngliche Lack vollständig entfernt worden, dann wurde das Ganze mit Mennige und schließlich mit grünem Lack übergepinselt. Bei Deinem Instrument ist es ja noch der Originallack und das sollte so bleiben!

Falls Du bei der Blende Hilfe wünschst kann ich die gerne anbieten. Das Ausbohren solcher abgebrochenen Gewindezapfen auf der Fräsmaschine und Ersatz des Hebels mache ich routinemäßig. Sei froh dass es nicht so aussieht:

20240205_212457.jpg

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

TStein

Hallo Jakob,

ich habe mir das Blendenteil nochmal unterm Stemi näher angeschaut und an der oberen breiten Fase ist doch ein ganz schmaler Spalt zu erkennen. Dh. die obere Abdeckung mit den Löchern kann man anscheinend doch abschrauben. War wirklich aufgrund der Lackreste extrem schwer zu sehen.
Habe auch gleich nochmal recherchiert, wie der passende Schlüssel dazu heißt - "Stirnlochschlüssel", falls jemand das gleiche Problem hat.
Mit dem einfachen Objektivschraubenschlüssel von Ebay hat sich erstmal nichts bewegt.
Hab ja keine Eile, werde es ein bisschen in Öl einlegen und warte bis das passende Werkzeug da ist.

Lg Tino

TStein

Hallo Olaf,

danke für deine Einschätzung der Messingverfärbungen. Im Grunde sehen die Bilder meines Mikroskops etwas schlimmer aus, als es eigentlich ist. Die Frontlinsen der Objektive waren auch ziemlich hartnäckig verschmutzt, aber mit der Hilfe von speziellen ISO-Reinigungs-Tüchern ist es jetzt wieder perfekt. Nur der Tubus wirkt leider schon etwas stärker mitgenommen. Einen gewissen Charme kann man der Patina und den Nutzungsspuren trotzdem nicht abstreiten. 

Übrigens klasse, wie ihr damals Klaus`s "Grasfrosch" gerettet habt. Die wirklich perfekte Restaurierung muss man halt mögen, aber in der Vitrine ist`s ganz sicher ein Hingucker.

Ich denke die Grundsubstanz deines Problem-Kondensors ist schon noch ok, wird aber sicher einiges an Arbeit kosten. Die rostigen Lamellen der Iris werden wohl die größten Sorgen machen.
Wie würdest du diese denn reparieren, ist das Lack oder wohl doch eher brüniert?
Vielen Dank auch für das Angebot zum Ausbohren des abgebrochenen Gewindestifts. Ein bisschen Zeugs habe ich dafür auch da, oder dann halt auf Arbeit fragen. Für eine eigene Dreh-/Fräsmaschine reicht leider der Platz nicht, ich bin aber immernoch am überlegen. Ich versuche erstmal die Blende aufzubekommen und schaue mal, wie das Hebelchen denn eigentlich auszusehen hat.

Lg Tino

Hugo Halfmann

#12
Hallo Tino,

Glückwunsch zum Kauf dieses schönen und seltenen Instruments, der umlegbare Fuß ist wirklich außergewöhnlich!

Zur Restaurierung hat Olaf ja schon alles gesagt, mein Rat: Nimm sein Angebot an!

Für die weitere Recherche kann ich Dir die Seite https://cnum.cnam.fr/ empfehlen. Die Wahrscheinlichkeit, daß Du dort den passenden Katalog findest, ist nicht gering. Man kommt dort auch ohne Französischkenntnisse halbwegs zurecht.

Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

olaf.med

#13
Hallo Tino,

noch ein Tipp zum Ausbohren des Gewindebolzens aus dem Blendenring: mach das solange die Blende noch festsitzt, dann brauchst Du dieses Teil beim Bohren nicht zusätzlich gegen Flattern zu sichern. Wenn die Blende schon leichtgängig ist muss man evtl. Passstücke drehen, damit man sie beim Spannen festsetzen kann, damit sie sich beim Bohren nicht bewegt.

Übrigens ist die Kappe mit den Stirnlöchern of noch durch eine kleine Madenschraube gesichert, die man gerne übersieht. Entfernt man diese nicht, zerstört man das Gewinde.

Die Blende, die ich oben im Bild gezeigt habe, war übrigens irreparabel zerstört. Beim Zerlegen zerfielen einzelnen Blendenlamellen, da sie komplett durchgerostet waren.

Herzliche Grüße und viel Erfolg,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0