Heidenhain-und andere histo-historische Präparate: Qualität und Erhaltung

Begonnen von Alfons Renz, August 01, 2012, 11:12:17 VORMITTAG

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Alfons Renz

Liebe Mikroskopiker,

Oft schon sind hier im Forum die histologischen Präparate des Tübinger Anatomen Prof. Martin Heidenhain erwähnt und gelobt worden.

Ich möchte die Ferien dazu nutzen, hierzu einige Erläuterungen zu geben, die auf einem Fund im Tübinger Anatomischen Institut beruhen, und diese in einer lockeren Folge präsentieren:

Z.B. die Originalrezeptur, die klassischen Salonpräparate, Heidenhain's eigenen Blinddarm, die verwendeten Mikrotome etc.

Anfangen möchte ich mit einem Präparat der Langerhansschen Insel, gezeichnet nach der Natur von einem offenbar tief beeindruckten Kursteilnehmer(in?) und über viele Jahrzehnte aufbewahrt von einer histologischen Assistentin, die diesen Objektträger im Kurssaal fand.



Man beachte das tiefe Blau, den Kontrast zum etwas blassen Eosin, die minütiöse Wiedergabe der Details und den erheblichen Suchtfaktor, den tiefblaue Ferienträume auslösen!

Herzliche Feriengrüße,

Alfons

.... jetzt bleibt nur zu hoffen, dass der/die Schöpfer/in dieses Präparats sich angesprochen fühlt und sich meldet!

Alfons Renz

Hier die Original-Beschreibung der AZAN-Färbung von/nach Heidenhain (ca. 1960?)



Entwickelt wurde diese Färbung schon im vorletzten Jahrhundert, noch bevor Heidenhain aus Würzburg nach Tübingen kam.

Die ältesten, nach dieser Technik gefärbten Präparate sind somit weit über 100 Jahre eingebettet, ohne ihre Brillianz verloren zu haben.

Beim Vergleich der vielen auf diese Weise gefärbten Präparate (es wurden anscheinend Hunderttausende an die Studenten ausgeteilt!) wäre es wichtig, das Entstehungsjahr zu kennen (und den Block, von welchem sie geschnitten wurden). Zudem wurden unterschiedliche Einbettungsharze verwendet, deren Qualität ebenfalls variiert.

Mit besten Grüßen, Alfons

Alfons Renz

#2
Und was machten die Studenten mit diesen Präparaten?

Die Zeichnung des Pankreas-Präparats aus dem histologischen Kurs 1958. Die Studenten bekamen im Laufe eines Semesters 114 solcher Präparate, die sie selbst einbetten, beschriften, mikroskopieren und zeichnen mussten.



Sicher waren nicht alle Studenten so begabt: Deshalb der Vermerk "wunderbar gezeichnet und beschriftet, wahrscheinlich von einer Studentin deren Namen nicht bekannt ist".

Alfons Renz

Nicht alle Studenten waren so begabt und fleissig:

Hier ein Beispiel eines Medizinstudenten aus dem Sommersemester 1913



Den Kasten mit den Präparaten konnte ich samt zugehörigen Zeichnungen vor Jahren im Internet erwerben. Man sieht an der Präparate-Nummer 73 bzw. 75, dass sich in den fast 50 Jahren zwischen 1913 und 1958 kaum etwas im Konzept des Histologisch-anatomischen Kurses geändert hat.

Der Text offenbart jedoch auch die schauerliche Provenienz dieser Organe. Verständlich, dass alle im Dritten Reich hergestellten Präparate vor schon vielen Jahren ehrenvoll im Gräberfeld X auf dem Stadtfriedhof bestattet wurden. Es darf nicht heissen, es werden Studenten heute noch an Opfern des Nationalsozialismus ausgebildet. Auch dies ist beim Betrachten solcher Präparate zu bedenken.

Alfons Renz

#4
Die Pankreas aus dem Kurs 1913, gefärbt mit "EH" (Eisenhaematoxylin).



Eine deutliche und klare Kernfärbung, aber nicht so schön bunt wie die AZAN-Färbung (Mitte der Fünfziger Jahre, vermutlich):



Die Beschriftung und Erklärung der vorgestellten Präparate wäre ein eigenes Thema. Hier möchte ich es hintanstellen.

Viel Freude beim Lesen dieses historischen Fadens!

p.s. Ich bin mir sicher, dass Jemand mit besserer Photoshop-Kompetenz noch viel mehr Brillianz aus den Aufnahmen holen könnte, Gerne folge ich da Ihren Empfehlungen und gebe die Bilder ausdrücklich frei für alle Verbesserungsversuche. Meine Bitte wäre ggf. nur, dieses in einem eigenen Thread "Wie optimiere ich meine Aufnahmen mit Photoshop' zu tun, damit Alle etwas davon haben. Ich staune z.B., was aus der Aufnahme des Tabanidenauges alles herauszuholen ist (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=13193.msg99588#msg99588), und würde gerne daraus zu lernen!

Alfons



Fahrenheit

#5
Lieber Alfons,

danke für die schöne Serie mit der genialen Eröffnung. Bitte weiter machen!

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Holger Adelmann


Alfons Renz

Nun der Meister Martin Heidenhain selbst:



und sein erfolgreicher Präparator Paul Graf:

,

dem in Anerkennung seiner Leistung 1958 das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde:



Wir mögen daraus unsere eigenen Schlüsse ziehen. Ich hoffe, dass die Färbeanleitung (oben), die ja lange nach Heidenhains Tod entstanden sein dürfte, die wahre 'Grafsche Färbung' wiedergibt.

Wer findet die Original-Publikation der AZAN-Färbung? (Heidenhain, M. Über die Mallorysche Bindegewebsfärbung mit Karmin und Azokarmin als Vorfarben. Z. w. M. Bd. 32, 361-372, zitiert nach Romeis, 1948, dort aber leider ohne Angabe der Jahreszahl!)

Alfons




Alfons Renz

Wie man auf dem Bild erkennt, arbeitete Graf mit einem relativ einfachen Schlittenmikrotom, das hier in nicht ganz korrekter Konfiguration abgebildet ist:



Ein anderes Mikrotom aus der Anatomie ist das berühmte 'Schaukelmikrotom' aus Cambridge, das Geschäftsmodell des Darwin-Sohnes und gefertigt von der Firma Jung in Heidelberg:



Die Präparate wurden in Bändern geschnitten und auf diese auf großen Glimmerplatten aufgezogen und gemeinsam gefärbt. Während des Kurses gingen die Aisstenten durch die Reihen und schnitten jedem Studenten ein Glimmerplättchen mit je einem Schnitt zu. Dieser wurde dann eingebettet und durch später von den Studenten als Erinnerung mit nach Hause genommen werden. Diese Präparate waren damals wie heute sehr gesucht: In einem Kasten fand ich den Vermerk: "Erworben etwa 1927 für 40 R.M. von Bundesbruder N.N., cand. med."

Alfons

Alfons Renz

#9
Man erkennt die Glimmer-Unterlage leicht, wenn man das Präparat gegen das Licht hält, oder, noch bunter, im polarisierten Licht:



Meist wird man solche Präparate erhalten, die von den Studenten angefertigt und mit nach Hause genommen wurden. Seine eigenen Präpaate hat er wie folgt beschriftet:



Und zum Schluss noch sein beliebtes 'Damenpräparat', schön rosa bunt, wie der Herr Professor meinte (sein wortspielerisch vorgestelltes "Glans-Präparat" sparen wir uns hier).



Damit Schluss für heute und viel Freude beim Lesen!

Und über die Qualität des letzten Bildes darf gerne und auch laut gelästert werden: Das macht dieses Forum ja so spannend! Ich tausche das Bild ja selbst bald gegen ein Besseres aus - oder könnte Klaus dies nicht mit seinem tollen Axioplan übernehmen? Klaus müsste dieses Präparat auch in seiner Sammlung haben. Denn das Wunschziel wäre es, einen Überblick über die gesamte Schaffenszeit und Schaffensbreite dieser Blüte der Tübinger Anatomie zu bekommen. Hinweise zum Inhalt anderer Heidenhain-Kästen (mit Jahreszahl!) und Photos sind daher hochwillkommen, auch gerne über eine persönliche Nachricht.

Alfons

Michael W.

#10
Lieber Alfons,

Dankeschön für diesen interessanten Exkurs in die Geschichte und die schönen Fotos. Wie schön, dass die Präparate von Martin Heidenhain nach so langer Zeit noch so schön erhalten sind, ein wahrer Augenschmaus.

Die Original-Publikation konnte ich (hoffentlich) ausfindig machen, sie stammt aus der Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie und mikroskopische Technik. Am Ende des Artikels findet man den Hinweis, dass die Publikation am 04. Februar 1916 eingegangen ist. Hier findet man sie (ab Seite 361): http://archive.org/details/zeitschriftfrw32stut (Auf der Seite findet man das PDF auf der linken Seite!)

Herzliche Grüße
Michael
Am liebsten per "Du"

Heino Lauer

Lieber Alfons,

ein schöner Beitrag! Meinen herzlichen Dank dafür.

Heino

Alfons Renz

Lieber Michael,

Vielen Dank für den wertvollen Hinweis auf die Publikation vo 1916! Ich weiss selbst nicht mehr, wie die Information, Heidenhain habe die AZAN-Färbung nach Tübingen mitgebracht, in meinen Kopf kam. Jedenfalls findet man auf Präparaten von 1913 nur den Vermerk: Azokarmin und nicht AZAN. Allerdings hatte Heidenheim laut Publikation damals schon 'seit einer Reihe von Jahren' mit Verbesserungen der Malloryschen Färbung experimentiert.

Herzliche Grüße,

Alfons

Bernhard Kaiser

Herzlichen Dank Herr Renz,

für den tollen Beitrag.

Freundliche Grüße
Bernhard Kaiser

koestlfr

Hallo Herr Renz!

Ganz toller Beitrag! Danke für die Mühe!

Liebe Grüße

Franz
Liebe Grüße
Franz