"Phoenix aus der Asche" ein Zeiss W Stativ in neuem Glanz

Begonnen von Stephan Hiller, April 15, 2020, 02:11:21 VORMITTAG

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Stephan Hiller

Liebe Foristen,

ich hatte ja schon hier das Zeiss W-Stativ mit Wechselrevolver und Auflichtzusatz erwähnt. Ich habe auch versprochen noch einige Bilder zu diesem Stativ einzustellen. Der Zustand war als ich es aus der Bucht bekam allerdings "erbarmungswürdig" oder wie viele sagen würden total "verranzt". Weder Grob- noch Feintrieb waren gängig, der Y-Trieb des Kreuztisch ließ sich bestenfalls mit roher Gewalt verstellen (was ich natürlich unterlassen habe um die Zahnstange nicht zu beschädigen) und der x-Trieb war ebenfalls nicht mehr gängig. Die Auflicht Objektive waren quasi "blind" da die inneren Reflektorflächen wegen Staubbelägen nicht mehr reflektierten. Das für mich allerdings Schlimmste war ein loses Teil im Binokulartubus was sich aber später als nur kleiner (und reparabler Defekt) herausstellte. Aber seht selbst:

Der Zustand bei "Lieferung":











Nach mehreren Nächten Zerlegen, Putzen, neu Fetten sah das W-Stativ nicht nur wieder ansehnlich aus, sondern war in allen Funktioen wieder leichtgängig, spielfrei und von der gewohnten Präzision dieser außergewöhnlichen Baureihe an der die Konstrukteure an Nichts gespart hatten:

Auch wenn man dem Tisch seine Gebrauchsspuren noch ansieht: die Triebe laufen wieder spielfrei, leicht und präzise. Erwähnsnwert ist die Version des Objektführers, die in Ihrer Breite einstellbar ausgeführt ist (in einer Schwalbennut verschiebbar):





Grob- und Feinfokus absolut spielfrei und wieder leichtgängig:





Der große Abbesche Kondensor (nA 1,25)  mit dezentrierbarer und drehbarer Kondensorblende:









Das Stativ mit dem markanten, runden metallischen Befestigungsbolzen für den Wechselrevolverträger an der Oberseite des Stativarms (hier mit dem Auflichtkondensor):





Und hier der "normale" 4-fach Objektivwechselrevolver:





Der voluminöse Leuchteneinsatz - in seiner Gesamtheit verschiebbar - der Kondensor ist bei diesem Stativ nicht zentrierbar, weshalb der komplette Beleuchtungseinsatz in seiner Fassung um wenige mm verschoben werden kann um die Leuchtfeldblende nach  Köhler'scher Beleuchtung zu zentrieren (hier noch im Originalzustand und noch nicht LEDisiert):



Und zuletzt noch der geöffnete, für dieses Stativ so markante, kugelförmige Binokulartubus mit seiner unverwechselbaren Verstellung des Augenabstands:



das lose Teil entpuppte sich als ein vom mittleren Prisma seitlich abgefallenes mattiertes Glasplättchen, das wohl zur Streulichtminimierung seitlich auf das Prisma aufgeklebt war:

hier vorne im Bild zu sehen (es hatte glücklicherweise beim Transport keines der Prismen beschädigt):



und hier das symmetrische Glasplättchen auf der gegenüberliegenden Seite, das noch an seiner original Position sitzt:



Und hier das ganze nochmal von oben:



Das lose Glasplättchen lässt sich mit Zwei-Komponeneten Kleber leicht wieder ankleben.

Die Präzision dieses Stativs und seine Bauart sind wirklich beeindruckend. Es wurde an diesem Stativ wirklich an nichts gespart. Selbst die Feststellschraube des Objektivwechselrevolvers hat einen Überdrehschutz, wie übrigens auch die Stellschrauben des Fokus-Feintriebs. Kein Wunder, dass dieses Stativ nicht in großer Stückzahl verkauft wurde. Es war wohl zu aufwändig konstruiert und hat Zeiss zu wenig Gewinn gebracht. Diejenigen, die es besitzen, haben ein wirklich außergewöhnliches und einzigartiges Mikroskop an dem alle Wechselkomponenten mit Null-Spiel Bajonett-Verschraubungen realisiert wurden.

Stephan Hiller




   

Peter V.

#1
Lieber Stephan,

herzlichen Glückwunsch zur gelungenen ,,Phönisierung" des W. U.a. ich hatte Dich ja auf das Angebot aufmerksam gemacht. Was mich erstaunt hat, war der doch für meine Begriffe recht hohe Preis, den das Mikroskop angesichts des erkennbar erbarmungsswürdigen Zustandes und der fehlenden Teile erreicht hat. Für einen Sammler war der Preis sicher noch vertretbar, aber ich hätte gedacht, dass daran - außer von Dir - kein großes Interesse besteht.

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Linuxpenguin

Danke, Stephan, dass du uns teilhaben laesst.
Hat sich gelohnt.
Schoen geworden :)
LG
Sven
Und: bleib gesund!
Mikrotechnik:
- ZEISS Ultraphot III
Luminar Einrichtung, AL/DL (HF/DF),
POL, AL-DIK
Hiller LED, HAL, CSI, HBO
- SteMi IVb

Foto:
- StackUnit auf PhoMi-Basis
- SONY a7R II VF/APS-C
- CANON FL Balgen
- Linearschlitten: Z 0,0001mm

Interessen:
Mineralogie, Gemmologie, Petrographie

Peter Reil

Hallo Stephan,

da schlägt das Sammlerherz höher.

Aus der "versifften Möhre" entstand wieder ein vorzeigbares edles Teil. Schön gemacht!

Freundliche Grüße
Peter
Meine Arbeitsgeräte: Olympus BHS, Olympus CHK, Olympus SZ 30

olaf.med

Lieber Stephan,

ganz herzlichen Glückwunsch zu diesem wirklich tollen Instrument und natürlich zur liebevollen und so erfolgreichen Restaurierung. Toll finde ich auch immer wieder die schöne Klemmvorrichtung aus Buchenholz zur pfleglichen Fixierung der Bauteile.

Nochmals:Glückwunsch!

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Werner

Auch von mir Anerkennung für die ausgezeichnete Arbeit!

Noch ein Hinweis: Das matte seitliche Blättchen war schlampig aufgekittet. Matt, wie es aus der Planschleifmaschine kam und weil es eine bessere Klebeoberfläche hat. Es soll nach dem Aufkitten die besonders kritische Kittfläche mit der Teilerschicht mechanisch entlasten. Wenn sich dieses Prisma nach einem Schlag auch nur teilweise löst, ist es Glasschrott, weil irreparabel. Das Plättchen muß zum Schutz natürlich BEIDE Prismen verbinden, sonst ist es zwecklos. Das andere Plättchen sieht auf dem Foto aber auch so aus, als würde es nur an einem Prisma kleben. Vielleicht läßt es sich abtrennen und neu verkleben - oder, wenn es fest ist, der Spalt am zweiten Prisma mit Kleber ausfüllen.

Gruß - Werner

TPL

Lieber Stephan,

herzlichen Glückwunsch zu diesem beeindruckenden Schmuckstück und vielen Dank für die ausgezeichnete Dokumentation seiner Renovierung!

Nun sehe ich aber, dass an Deinem 'Illuminatorgehäuse I' immer noch ein Beleuchtungsansatz fehlt. Hast Du da inzwischen eine Lösung?

Herzliche Grüße,
Thomas

Michael L.

Hallo Stephan,

wunderbare Restauration! Das macht doch echt Freude ein fast untergegangenes Stück feinster Präzision wieder auferstanden zu sehen. Lediglich den Aufkleber würde ich noch entfernen.

Viele Grüße

Michael

reblaus

Hallo Stephan -

vielen Dank, dass Du mir einen Blick in die Innereien des Geräts ermöglich hat!
Meines musste ich Gottseidank nicht so weit zerlegen, nur die Beleuchtung etwas zwecks LED-Einbau. Der Phasenkondensor hätte es zum Entharzen zwar nötig gehabt, aber ich habe leider keine Möglichkeit gefunden, dazu die Revolverscheibe abzunehmen.
Zwar konnte ich ihn durch wochenlanges vorsichtigstes Einbringen von Lösungsmitteln in diverse Ritzen mit anschließender "Gymnastik" wieder gut gebrauchsfähig machen, aber ich würde das Entharzen doch gerne noch nachholen.
Du hast ja keinen Phasenkondenor in dem vorgestellten Teil - aber vielleicht in Deinem Zweitgerät? Könntest Du mir ggf. ein paar Tips dazu geben?

Viele Grüße

Rolf

P.S.: Nur zur Info: Das Mikroskop wiegt 7,750 kg - das von Stephan mit der Auflichteinrichtung wahrscheinlich noch mehr! Allein die Leuchte, die sich dank der genialen Einrastvorrichtung trotz der massiv gewichtigen Konstruktion mit einem Griff abnehmen lässt trägt dazu mit  1,300 kg bei ,,,

Peter V.

Lieber Rolf,

Olaf hat sich mal über einen vollverharzten Phasenkontrastkondensor des W-Stativs "hergemacht" - ich weiß gar nicht, ob es einen Beitrag hier im Forum dazu gab, es war wohl eine der übelsten Aufgaben, die er je bewältigt hat. Zeiss hat damals Teile des Kondensors unverständlicherweise verklebt, und zwar mit einem Kleber, der selbst den "übelsten" Lösungsmitteln hartnäckigst Widerstand leistet. Ich höre heute noch Olafs Fluchen, als ich ihn besucht habe und das teil in seiner Werkstatt lag. Wenn die Zeiss'schen Linsenklebe rnur halb so gut gehalten hätten....

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Alfons Renz

Lieber Rolf,

Ich erinnere mich, diesen Ph-Kondensor schon mehrfach zerlegt und neu gefettet zu haben. Der große Überwurf-Deckel ist mit einer 'Breme' fixiert. Diese lässt sich leicht lösen (kleine Schraube). Für den Überwurfdeckel mit sehr feinem Gewinde habe ich ein Gummiband verwendet.

Beim Transport eines solchen Mikroskops nach Kamerun ist der Kondensor herausgefallen und hart auf den Boden gestürzt. Der Kondensor-Deckel wurde dabei so beschädigt, dass sich der Mechanismus nicht mehr drehen ließ.

Unser Institutsmechanilker hat damals die Meisterleistung vollbracht, einen neuen Deckel mit Feingewinde zu drehen und den Mechanismus wieder zur Funktion zu bringen. Das hat mich - über 30 Jahren - sehr beeindruckt.

Herzliche Grüße,

Alfons

olaf.med

#11
Lieber Alfons,

dann gab es aber sicher mehrere Varianten.  Die von Peter angesprochene war ein wahrer Albtraum. Ober- und Unterteil waren durch eine Überwurfmutter verbunden die vollflächig verklebt war. Dieser Superkleber widerstand sogar tagelanger Einwirkung von Lösungsmittel- und Essigsäure-Dämpfen im Eksikator ohne merkliche Änderung (Anwendung auf Anraten aus der Zeiss-Kleberküche). Leider haben die restlichen Oberflächen samt Phasenkontrastblenden diese Tortur nicht so gut überlebt  :(. Schließlich half nur das Aufsägen und Absprengen der Überwurfmutter und Anfertigen einer neuer Mutter.

Nein, das war keine schöne Arbeit!
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Stephan Hiller

#12
Lieber Rolf,

es ist wie es Peter sagt: der Versuch den Überwurfring des pH Kondensors vom Opton W Stativ, der die gesamte Mechanik zusammenhält, zu lösen war wegen eines 2-Komponentenklebers im Feingewinde nicht möglich. Das geht leider nicht zerstörungsfrei. Olaf hat sich hier mit Hilfe aller möglichen Chemikalien versucht - ich habe ihm extra die Chemie und einen Exsikkator zugeschickt aber der Erfolg war lediglich, dass alle Phasenblenden zerstört wurden und Olaf zum Schluss den Ring aufgesägt und abgesprengt hat. So und dann kam von Olaf in typischer Mechnikermanier die Aussge, das nächste Mal mache ich das gleich so und er hat mir (wie auch immer er dieses Kunststück vollbracht hat) einen neuen Ring gedreht, der vom alten quasi nicht zu unterscheiden ist. Hut ab! da war ich dann echt platt.

Warum Zeiss hier den "Wahnsinn" begangen hat die Gewinde zu verkleben kann ich nicht sagen, das ist ja überhaupt nicht nötig und eigentlich ist klar, irgendwann wird jedes Fett ranzig und muss getauscht werden - und die Mechanik ist ja wirklich für die Ewigkeit ausgelegt. Ich kann auch nicht sagen, ob Zeiss je diese Kondensoren gewartet hat. Vielleicht wollte man sich auch nicht in die Karten schauen lassen. Es gab damals ja wohl ziemliche Konkurrenz zwischen Oberkochen und Göttingen, was übrigens dazu geführt hat dass die original Ph Objektive des W- Stativs keinen sehr guten Phasenkontrast liefern weil die Phasenringe nicht metallisiert waren. Göttingen hat anscheinend die Rezeptur des Herstellungsverfahrens nicht an Oberkochen weitergegeben.

Die defekten ph Blenden habe ich mir an einem zweiten Kondensor ausgemessen und mit einem femtosekunden Laser unseres Zeiss Crossbeams passend ausgeschnitten (aus einer 50 µm dicken Molybdänfolie). Olaf hätte das mechanisch erledigt, aber ich wollte dafür auch mal unseren fs Laser testen. Hat sehr gut funktioniert.
Die Stellschrauben der Pasenplatten waren an meinem Kondensor deratig verharzt dass ich sie nur sehr schwer herausgebracht habe.
Um sie wieder gängig zu machen habe ich einige der Feingewinde der Stellstifte nachschneiden müssen. Die Gweindehüsen waren E X T R E M fest in das Gehäuse eingeschraubt, vielleicht waren sie auch verklebt worden, jedenfalls konnte ich sie mit einem sehr großen Schlitzschraubendreher schlussendlich doch lösen.

So, und hier exklusiv die Fotostrecke des "geheimen Inneren" des  Zeiss Stativ W Phasenkonstrastkondensors an dem jede pH Blende individuell ausgerichtet werden kann:

Der abgesprengte und neue Überwurfring von Olaf:



Die beiden Innenscheiben mit vielen Löchern nd die beiden Deckschalen:



Die Trägerplatten der Phasenblenden:



Die Platten werden in gefederte Stifte eingehängt. Von unten drücken die Stellstifte gegen den abgeschrägten Plattenrand um die Position einzustellen:



Die 6 Stellstifte:



Im Detail:



Und noch der Einsatz des Abbe Kondensors mit Blende (dreh- und verschiebbar):




Grüße

Stephan

reblaus

Hallo -

herzlichen Dank für Eure Mühen beim Beantworten meiner Frage!

Da bin ich ja froh, dass mein einziger spanabhebender Eingriff auf das Nachschneiden eines Stellstift-Gewindes beschränkt bleiben konnte - die Beweglichkeit der Segmentplatten ließ sich durch "Schlüssellochoperationen" wieder herstellen, nachdem das Abschrauben (= Rausmurksen) der Gewindehülsen einen - wenn auch sehr bescheidenen - Zugang geschaffen hatte.

Viele Grüße

Rolf

Stephan Hiller

Lieber Afons,

du siehst mich grün vor Neid. Warum hast du mehrere dieser Kondensoren, deren Überwurfring durch eine Madenschraube gesichert ist  :o und ich hab nur solche die verklebt sind? Kannst du dich an die Fabrikationsnummern erinnern? Waren die Kondensoren mit Zeiss Opton oder Zeiss gelabelt? Ich vermute man ist etwas spät(er) zur Erkenntnis gekommen, dass die Verkleberei vielleicht doch nicht so ganz "servicefreundlich" war.

Stephan